Montag, 8. Juni 2020

Von Paris nach Tilleda - Königspfalzen quer durch Deutschland

Die Königspfalz Tilleda in Nordthüringen
Text zum Film auf YouTube

Im Norden Thüringens präsentiert sich am Rande der Goldenen Aue das Erlebnismuseum Tilleda. Es ist die einzige vollständig ausgegrabene Königspfalz in Deutschland, eine ehemalige befestigte Nobelherberge für umherziehende Herrscher also. Burg und Umland vermitteln ein weitestgehend unverfälschtes Bild vom Leben wie vor 1000 Jahren. Schon im 19. Jahrhundert hatte man begonnen, hier auszugegraben und vor einigen Jahren wurde umfassend restauriert. Unter der Woche könnten die Ausstellungen noch ein paar Besucher vertragen, aber seine Mittelalterfeste und Ritterspiele locken inzwischen Tausende an. Seit dem Jahre 700 etwa soll die Befestigung den gekrönten fränkischen Häuptern vor allem als Ausgangspunkt für Kriegszüge gen Osten gedient haben.
Steinmauern und Lehmhütten
Im 10. Jahrhundert stellten in „Tullide“ verschiedene Ottos, Heinrichs, Friedrichs - und wie sie alles hießen - mehre erhaltene Urkunden aus. 972 übergab Kaiser Otto II. seiner Gemahlin Theophanu unter anderem die Pfalz „Dullede“ als "Wittum", so zu sagen als Absicherung im Falle seines Todes. Doch sehr großzügig scheint ihre Majestät nicht gerade gewesen zu sein. Der kleine Bergsporn östlich des Kyffhäusers zeigt zwar ein paar Steinbauten, wie Einfalltore, Herrenhaus und Kirche, sonst aber dominieren kleine Lehmhütten und Palisadenwälle. Was für eine rückschrittliche Armedei! Jedenfalls entspricht das alles so gar nicht unseren Vorstellungen von Repräsentanzen ehemaliger Anführer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Speyer
Nehmen wir z. B. Speyer am Rhein, mit seinem bekannten Kaiser- und Mariendom. Es ist die größte erhaltene romanische Kirche weltweit. In seiner Krypta ruht so einiges, was damals Rang und Namen hatte. Der Dom stammt etwa aus der gleichen Zeit, als in Tilleda die ersten Steine geschichtet wurden. Hatten die hier ein anderes Verständnis von Raum und Zeit? Hatten sie!
Speyer zählt zu den ältesten Städten Deutschlands, hervorgegangen aus einer römischen Garnison am Anfang der christlichen Zeitrechnung. Bauhandwerk, Stil und Lebensart vom fortschrittlichen Mittelmeer waren hier eingekehrt.
Tilleda - ein keltischer Abschnittswall?
Wie in Tilleda auch hatten im heutigen Speyer schon lange vordem Menschen gesiedelt, die ersten Bauern vor 7000 und besonders während der Bronzezeit vor 4000 Jahren. Die brandgräberfixierten Indogermanen sollen vor 2500 Jahren noch die Flurnamen und eisernen Kampfschwerter beigesteuert haben. Aber da ging der Unterschied schon los. Während am Rhein Hallstadt- und Latene-Kelten Hochzivilisationen bezeugen, stockte es mit der Entwicklung in Tilleda. Und gegen das kulturelle Niveau der noch vor Christ Geburt hier einziehenden Römer hatten die ollen Germanen jenseits des Harzes sowieso keine Chance mehr. Aus den Rheinkasernen des Imperium Romanum konnten sich dann allerorts diese beeindruckenden Königsorte im Westen entwickeln.
Das alles beschreibt das historische Stiftsmuseum in Aschaffenburg: Die Römer saßen westlich des Mains und sicherten von Stockstadt aus ihre Provinzen gegen die barbarischen Germanen. Am östlichen Flussufer siedelten die Alamannen und versuchten durch Handel und Raub etwas vom Kuchen abzubekommen. Auf der Höhe der berühmten Johannisburg sah es also damals nicht viel anders als in Tilleda aus.
Modell einer fränkischen Wachstation am Heerweg
Das änderte sich auch nicht, als im 5. Jahrhundert die Franken als ehemalige Verbündete den Römern im Westen die Macht abnahmen. Sie versuchten genau da weiter zu machen, wo die größte Hochzivilisation der damaligen Welt sich durch dynastisches Gerangel selbst zerlegt hatte. Als Bauernkrieger und Analphabeten gelang ihnen das aber nur bedingt. 1000 Jahre kultureller und technischer Rückschritt waren der Preis! Besser als die Römer aber waren die Franken im Kampf. Nachdem sie alle Gebiete westlich des Rheins bis zum Atlantik unter ihre Kontrolle gebracht hatten, marschierten sie bei ihren germanischen Brüdern im Osten ein, erst Alemannen, dann Thüringer, dann Sachsen. Mit Stein zu bauen, brauchten die fränkischen Eliten aber genau so lange, wie schreiben zu lernen. Vermutlich im Jahr 869 fand in „castra Ascaphanburg“ die Heirat zwischen dem späteren König Ludwig III. und der sächsischen Grafentochter Luitgart statt. Sie erhielt nach dessen Tode Aschaffenburg ebenfalls als Witwensitz. Das war sicher nicht die einzige Parallele zu Tilleda. Es darf davon ausgegangen werden, dass damals hier auch nur Lehmhütten standen. Erst danach hatten die reichen Mainzer Erzbischöfe Gelegenheit, den Flussübergang hier Richtung Osten zu ihrer Zweitresidenz auszubauen.
Römerstraßen - strategischer Vorteil der späteren Franken
Denn um einigermaßen durchquerbare Furten drehte sich in brückenloser Zeit alles. Die Franken hatten gleich zu Beginn ihres Aufstieges Paris zur Hauptstadt des neuen Großreiches gemacht. Das erzwang lange Anfahrtswege z. B. auch in die ständig aufmüpfigen Provinzen wie Sachsen und Thüringen. Auf ehemals römischem Gebiet konnte die herrschende Königsdynastie der Merowinger noch auf die ausgebauten und schnurgeraden Römerstraßen zurück greifen. Erst östlich von Rhein und Main wurde es holprig.
In Worms, noch westlich des sog. deutschen Schicksalsflusses, sollen die ersten Frankenkönige, wie Chlodwig I., noch die gesamte Infrastruktur der Römer genutzt haben können. Erst nach und nach, durch Kriege und neue Prunkbauten, wie der romanische Dom oder die gotische Liebfrauenkirche, entstand das heutige Bild. An diese Zeit des Umbruchs soll die Nibelungenbrücke erinnern, dem deutschen Heldenepos gewidmet, natürlich erst in romantisierender Neuzeit errichtet.
Worms
Den Höhepunkt fränkischer Macht symbolisierte Kaiser Karl der Große, der dann auf einer Ebene mit dem übriggebliebenen Oströmischen Reich in Konstantinopel, heute Istanbul, agierte. In Worms war er zischen 772 und 790 acht Mal. Hier hat er auch seine 4. Frau geheiratet. Und nur weil die damalige überwiegend hölzerne Königspfalz abbrannte wurde nichts aus dem geplanten Witwensitz. Tilleda lässt grüßen! Königstreue Bischöfe päppelten die Stadt dann für mehrere Reichstage wieder auf, aber nach Karl ging es schon mit den Reichsteilungen los.
Die hatten aber zunächst keinen Einfluss auf den fränkischen Drang gen Osten. Die Hauptstrecke verlief von Paris nach Rheims und über Metz nach Saarbrücken und Kaiserslautern. Dort sind noch Reste dieser uralten Heer- und Handelsstraße und natürlich die einer Königspfalz erhalten.
Modell der ehemaligen Pfalz in Kaiserslautern
Das fränkische Reich wurde nach dem Tode Karls mehrfach von seinen Enkeln untereinander aufgeteilt. An und für sich kein ungewöhnlicher Vorgang. Aber mit dem Schachern um die Königswürde konnte sich nach und nach das Ostfrankenreich herausschälen, dem Vorläufer des Deutschen Reiches. Das hatte auch was mit den überzogenen räumlichen Dimensionen und langsam verfallenden Straßen zu tun. Die Pfalz in Kaiserlautern soll von Kaiser Barbarossa erst zerstört und 1152 neu errichtet worden sein. Er hat 5-mal hier seine Aura versprüht. Angesichts der Ruinen wird auch zum ersten Mal ein Vorteil von Tilleda sichtbar. Reiche Städte im fränkischen Zentralreich, wurden von allen möglichen Kriegsherren magisch angezogen. Kreuzritter, Reformisten, Napoleon - sie alle zerstörten die Stadt mit ihren als jeweils glorreich beschriebenen Feldzügen.
Königswege - Via Regia
Das letzte Mal wurde die Stadt im 2. Weltkrieg fast vollständig ausradiert. Das alles blieb Tilleda in seiner ländlichen Randlage erspart.
Auch wenn es mehrere Wege von Paris in den Osten gab, der Hauptstrang von Paris über die hier genannten Orte führt durch den Pfälzer Wald. Die Linie zieht sich weiter über Worms bis Aschaffenburg, auch wenn später der Strang über Mainz und Frankfurt bevorzugt wurde. Etwa alle 20 Kilometer, dem Tagepensum eines Ochsenkarrens, mussten Versorgungs- und Sicherungsstationen eingerichtet werden. Eine solche war Bad Dirkheim am Fuße des Pfälzer Waldes. Vorspanndienste, Straßenarbeiter und Leute zur Furtabsicherung wurden zu allen Zeiten gebraucht. So hat man auch noch im kleinsten Nest an der Trasse Spuren der alten Völker gefunden: Über Bad Dirkheim die mächtige keltische Wallburg Heidenmauer, rundum mehrere römische Weingüter, allerorts die frühen fränkischen Kirchenbauten.
Jeder Eroberer wusste, da, wo Leute siedelten, war ein komfortables Leben möglich. Außerdem mussten ja die neuen Untertanen auch in Schach gehalten werden. Und man konnte auch nicht alle vertreiben oder umbringen, wer hätte dann die Arbeit machen sollen. Also ließ man sich meist in unmittelbarer Nachbarschaft nieder.
Dieburg
Ein solcher Ort ist Dieburg auf halben Weg zwischen Worms und Aschaffenburg. Die Bebauung vor der eigentlichen Stadtmauer gründet nicht nur auf römische Fundamente, sie heißt auch Altstadt. Das könnte auf eine alemannische Nachfolgegründung hindeuten, nachdem sich die Römer hinter den Main zurückgezogen hatten. Mit der Eroberung des Gebietes durch die Franken wurde in Dieburg - wir ahnen es schon - ein Königshof installiert.
Die fränkischen Herzöge hatten von Anfang an regionale Verwalter in den eroberten Gebieten eingesetzt. Diese Grafen demonstrierten ihre Machtstellung gerne, indem sie außerhalb der Städte auf markanten Hügeln ihre Burgen bauten. So entstand ein zusätzlicher Wegeschutz, benannt nach denen, die hier lustwandelten. Frankenstein in der Pfalz beispielsweise, hatte ausdrücklich die Wege nach Worms, Dürkheim und Speyer zu bewachen.
Frankenstein im Odenwald
Frankenstein im Odenwald zeigt dann besonders, wie sich neben der Reichsteilung auch die Territorialgrafen langsam verselbständigten. Dort wird übrigens ein ebenso großer Hexenkult wie im Harz betrieben, was auf heidnische Bräuche der Vorgänger hinweisen könnte.
Damit sind wir wieder in Tilleda, südöstlich des Harzes. Aus dem fränkischen Westen sind 3 mittelalterliche Stränge nach Mitteldeutschland bekannt: Einmal die Via regia von Frankfurt über Eisenach kommend, dann die Talvariante der sog. Heidenstraße von Köln über Kassel und die Deitwege nördlich des Harzes. Sie alle führten irgendwie nach Leipzig, was ja bis heute als Tor in den Osten gilt.
Tilleda konnte leider nicht an dieser erfolgreichen Entwicklung teilnehmen. Als letzter großer Königsbesuch wird Barbarossa genannt, der 1174 ein Kreuzzugsheer hier versammelt hat. Er soll auch die große Reichsburg auf dem Kyffhäuser nebenan wieder aufgebaut haben, die in einer jener Feten mit den sächsischen Herzögen zerstört worden war. Sein Sohn aber Kaiser Heinrich VI. versöhnte sich 1194 wieder mit dem sächsischen Herzog Heinrich dem Löwen und legte damit den langandauernden Streit zwischen den Dynastien der Staufer und Welfen bei.
Tilleda überzeugt durch seine Ursprünglichkeit
Nun wurde Tilleda nicht mehr gebraucht. Die Pfalz verfiel noch vor dem 13. Jhd. Einige Autoren machen dafür den Burgenbau auf dem Kyffhäuser verantwortlich, andere die Verlagerung der Alten Leipziger Straße. Fakt jedoch, dass ihr Untergang mit der Befriedung der Sachsen zusammen fiel. Die Steine holten sich die Bauern aus dem Dorf, das Gelände wurde landwirtschaftlich genutzt. Pech, dass Tilleda keine keltischen Weingelage und Römermauern erleben durfte. Glück, dass die Kaiserpfalz kein fränkisch fürstliches Machtzentrum abbekam, keine Industrieanlagen, keinen Bomben. So blieb ein einzigartiges kulturelles und architektonisches Zeitfenster erhalten, das den Übergang von der Holz- zur Steinbauweise im germanischen Osten markiert. Sein Umfeld lässt uns die Atmosphäre von damals erahnen, als es noch keine Metropolen gab. In einer Zeit, wo nur noch Beton unseren Blick in die Zukunft verstellt, Gelegenheit über die Vergänglichkeit von großer Macht nachzudenken...

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