Donnerstag, 16. Juli 2020

Historischer Tal- oder Höhenweg? Die Hohe Straße von Speyer nach Nürnberg

Ausrichtung der Hohen Straße
zwischen Speyer und Rothenburg o.d.T.
Eigentlich schließen sich die beiden Sätze in der Überschrift ja aus. Die Hohe Straße in Süddeutschland ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, wie ur- und frühzeitliche Fernwege nach 1200 v. Chr. langsam von den Wasserscheiden ins Tal wanderten. Leider auch dafür, dass die Vorstellungen selbst historisch bewanderter Menschen meist nur bis ins Mittelalter reichen.
Die alte Heer- und Handelsstraße wird heute ganz in ihrer Tradition als Jakobusweg ausgewiesen, der die Pilger aus Osteuropa über Nürnberg, Rothenburg ob der Tauber und Speyer, weiter nach Straßburg, Vezelay oder Le Puy nach Santiago de Compostela geleiten soll. Zwischen Jagst und Kocher findet sich sogar ein Artikel bei Wikipedia, wo auf eine Hohe Straße auf dem heute siedlungsfernen Höhenrücken hingewiesen, aber Einbindung und Streckenweiterführung unterlassen wird. Jede Streckenangabe führt die Sinnsuchenden ganz religiös- und geschäftstüchtig durch die Täler mit ihren mittelalterlichen Ortschaften und Kirchen.
Dabei zeigen archäologische Funde und Siedlungsverdachtsplätze den ausschließlichen Verlauf dieses frühen Weges über die wasserscheidenden Bergkämme der Region an, natürlich mit entsprechenden Furten, wenn die logische Orientierung durch Flüsse unterbrochen wird: Fürth, Rothenburg, Heimhausen, Bad Wimpfen.
Hohe Straße zwischen Kocher und Jagst
Und das lange vor der Christianisierung! So ist die Ausrichtung der Hohen Straße nach mittelalterlich Urkunden wohl eher auch im Fernhandel zwischen Pariser- und Böhmischen Becken zu suchen. Das berühmte Rothenburg ob der Tauber also nur eine Furt-Absicherung beim kontinentalen Fernhandel?
Ich habe ihren Verlauf in die interaktive Karte bei den Rennwegen eingetragen, weil eine diesbezügliche Flurbezeichnung bei Nürnberg auftaucht. Das war ein technischer Fehler. Es fanden sich nämlich so viele Artefakte an dieser Strecke, dass die Gesamtkarte bei Google-Maps an die Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit stieß. Vielleicht mache ich später mal eine eigene Karte daraus und ergänze. Denn die Trasse hat es in sich!
Interaktive Karte um Speyer...

Bei oberflächlicher Betrachtung zeigt sich nur der Standartverlauf einer bronzezeitlichen Urstraße, wie es Hunderte in Europa gibt: Wasserscheiden mit Hügelgräbern. Siedlungsschwankungen verweisen darauf, dass Natur- und Klimaunbilden die Menschen wiederholt auf die Höhen getrieben haben müssen. Mehrere lokale Autoren berichten sogar von Funden aus der Jungsteinzeit. Niederhall, die Höhe Hall über Dörrenzimmern oder Weißbach am Hallberg müssen außerdem als Zeugen des keltischen Salzhandels herhalten. Die Römer findet man dann in ihren Kastellen Wimpfen und Jagsthausen. Aber auch im Harthäuser Wald werden ihnen Relikte zugeschrieben. Via Regia) oder Kaiserstraße bezeichnet. Kaiser Friedrich II. soll noch 1235 diesen Weg von Nürnberg nach Wimpfen genommen haben. Selbst bis in das 18. Jahrhundert hinein nennen Schriftquellen noch Geleit- und Zollrechte auf ihr. Das alles gibt es jedoch auch anderswo!
… und um Nürnberg
Die Germanen weisen sich dann besonders an den Flussübergängen mit -ingen und -stett-Orten aus. Die Franken hinterließen uns -hausen und -heim-Niederlassungen, ihre Christianisierung die typische Vereinnahmung von „heidnischen“ Plätzen durch Kapellen, Kreuze und Flurnamen-Beiwörter, wie Heiligen-, Hölle- oder Teufels-. Im Mittelalter wird die Hohe Straße auch als Königstraße (
Bei genauerer Betrachtung aber präsentiert die Hohe Straße einmaliges: Da ist zunächst die extreme Dichte prähistorischen Siedlungsverdachtsplätze zwischen Rotzberg und Bad Wipfen. Deren Flurbezeichnungen existieren meist mehrfach in Deutschland und verweisen in jedem Fall auf alte Niederlassungen (Siehe Post:
Hohlwegebündel am Wsserscheidenkamm zwischen
Kocher und Jagst
Zeitliche Horizonte altgermanischer Flurnamen). Es handelt sich dabei immer um Orte, die fortifikatorische Merkmale aufweisen: Bergsporne über Flüssen, meist mit künstlich versteilten Abhängen nach drei Seiten, Quelle nebenan, Steinkonzentrationen mit Gebrauchsspuren. Auch Magerrasen und Terrassenabhänge gehören dazu (Siehe Post: Europäische Feldterrassen 2000 Jahre älter als gedacht? An jedem Ort gibt es auch andere ur- und frühzeitliche Bezüge wie Hügelgräber, Hohlwege oder Steinwälle. Scheinbar jede Bergnase um die besagte Höhe muss befestigt gewesen sein. Solche Siedlungsstrategien existieren ebenfalls mehrfach in Europa und sie wurden um Erkenbrechtsweiler auch archäologisch für mehrere Siedlungsepochen nachgewiesen.
Dabei taucht bei solchen mutmaßlichen Befestigungen im untersuchten Gebiet ungewöhnlich häufig das Bestimmungswort „Vogel-“ auf, mit -sang, -herd, -busch, -kopf, etc.
Speyer
Unabhängig davon, was die Sprachwissenschaftler sagen, kenne ich dutzendfach solche Relikte entlang der wasserscheidenden Höhenwege im deutschsprachigen Raum. Bei einigen ist dieser Zusammenhang auch archäologisch nachgewiesen, wie dem Vogelsang in Mecklenburg, bei Morsbach, Gevelsberg und Gommern. Hier in Südthüringen liegt neben solch einer Schanze namens Vogelherdskopf der sog. Hexenhügel, wahrscheinlich Europas größter ungeöffneter Grabhügel. Vergleicht man all diese Zusammenhänge, kommt man zu dem Schluss, dass es sich um Wohnplätze bereits aus der Bronzezeit von 2200-1000 v. Chr. etwa handeln muss. Sicher aber können das nur ausstehende Grabungen datieren.
Nürnberg

Und noch ein Indiz weist in diese Zeit: Vielerorts werden in den alten Karten sog. Erdfälle dargestellt. Ich habe mir diese Löcher besonders zwischen Mittelbach und Simprechtshausen angeschaut. Das können keine geologischen Absenkungen sein! Sie sehen aus wie verfallene künstliche Altsteinbrüche, die die mutmaßlichen Befestigungen gegen den übrigen Höhenrücken absichern sollten. In ihrer Unvollständigkeit sind sie aber typisch für Hunderte solcher dann Anlagen gerade in Süddeutschland, gesammelt bei der Cairn-Forschungsgesellschaft. Auch wenn die dort anders bewertet werden, die extremen Steinbewegungen sind ja nicht weg zu diskutieren. Ich interpretiere diese Anlagen als Grubenwerke aus endneolithischer, wahrscheinlich megalithischer Zeit, um die die Archäologen bisher leider einen Bogen gemacht haben (Siehe Post zur prähistorischen Architektur).
Rothenburg ob der Tauber

Die Altstraßen in den Tälern jedenfalls, können erst nach der Völkerwanderung bzw. der fränkischen Kolonisation entstanden sein. Klimatische Austrocknung und Melioration begünstigten diese Entwicklung. Sie mussten sicher dann auch die Masse der Pilgerströme des Mittelalters aufnehmen. Deshalb liegt die Ausschilderung als Jakobusweg ja doch nicht ganz falsch. Die reisegewohnten Kutscher der Handelskarawanen aber scheinen noch bis zu den Kunststraßen im 19. Jahrhundert die Höhen als Fernwege genutzt zu haben.