Montag, 11. November 2019

Einführung in die hier verwendeten Prinzipien der Altstraßenforschung

Bekannte mittelalterliche Altstraßen:
verwendet seit spätneolithischer Zeit?
Dieser Beitrag hier wurde nur geschrieben, um die vielen in diesem Blog untersuchten Altstraßen zusammenzufassen (Siehe Seitenleiste).

Seit 25 Jahren erforsche ich das urzeitliche Wegesystem und das Siedlungsverhalten in Europa. Was als Hobby begann, führte mich zu Erkenntnissen, die ich noch nie bei anderen Geografen, Archäologen oder Historikern gelesen hatte: So scheinen nicht nur mittelalterliche Heere und Händler immer wieder auf die gleichen Trassen zurück gegriffen zu haben, sondern auch die antiken Völkerwanderungen, die frühen Metallurgen, ja selbst die ersten Bauern.
Das Geheimnis solcher seit vielleicht 7000 Jahre wiederverwendeten Verkehrsstränge muss im geografischen Potential der wasserscheidenden Kammwege liegen. Ihre sinnfällige Verknüpfung scheint bis ins Frühmittelalter der gängigste Weg gewesen zu sein, um von A nach B zu gelangen. Das können die Höhenwege der Mittelgebirge oder unscheinbare Erhebungen im Flachland sein. Kurz oder lang, auf schmalen Stegen oder variantenreichen Hochebenen. Die Wasserscheiden dienten natürlich nur als Orientierung: Wenn sie in eine andere als die gewünschte Richtung führten, musste man mit der Querung von Wasserläufen eine neue Höhe suchen. So scheinen die meisten Siedlungen aus Furten an den Flüssen entstanden zu sein. Hohlwege und "Leiten" zeigen die Auf- und Abstiege zu ihnen an.
Solche "Schlängellinien zwischen den Quellen entlang" liefern die meisten archäologischen Denkmale und Funde von megalithischer Zeit bis ins Frühmittelalter, verknüpfen sich über Furten mit frühesten Siedlungen zu einem regelrechten prähistorischen Wegenetz, und spätestens alle 20 Kilometer - dem Tagespensum eines Ochsenkarrens - tauchen zeitgemäße Höhenbefestigungen zur Sicherung und Versorgung der Reisenden auf.
Auf welchen Pfaden lustwandelten die Menschen
der bekannten Völkerwanderungen?
Ich habe bei meinen Untersuchungen keine Ausnahme gefunden. Sogar fast alle der bekannten mittelalterlichen Altstraßen wie die Via Regia oder die Heidenstraße funktionieren nach diesem Prinzip. Selbst die Lücken der bestens erforschten Römerstraßen lassen sich mit ihnen schließen. Die längste noch heute gängige Fernverbindung auf unserem Kontinent ist die Europäische Hauptwasserscheide von Gibraltar bis zum Ural mit ihren zwei wichtigsten „Abkürzungen“ an den Ausschlägen zu den Quellen von Ebro und Rhein (früher Hauptstrang der Höhenvariante des Jakobsweges). Sicher gab es auch viele andere urzeitliche Wege, aber die Wasserstraßen scheinen die meisten Anhaltspunkte zu liefern und damit einige Sicherheit bei Orientierung und Erforschung. Ihre Nutzung sollte auch mit den Klimaschwankungen korrelieren. Höhensiedlungen und -wege scheinen nicht nur der Sicherheit wegen angelegt worden zu sein, sondern auch, weil es zumindest partiell keine Alternative gab.
Hintergrund dieses strategischen Musters scheint das Zusammenspiel von fortschreitender Siedlungsentwicklung, klimatischen Umbrüchen und vor allem das immer gleiche technische Knowhow der Fortbewegung zu sein. Seit den ersten Wagenkarren um 3500 v. Chr. bis zur ersten Dampfmaschine im 19. Jahrhundert wurden Zugtiere als Antrieb eingesetzt. Bis zu den Römern muss fast jede Bewegung auf unbefestigtem Gelände stattgefunden haben. Wer je auf einem Leiterwagen mit Pferden oder Ochsen durch freies Gelände kutschiert ist, weiß, was dabei geht. Auen und Täler sollten vor klimatischer Austrocknung und Melioration viel zu versumpft gewesen sein, um durchzukommen.
5000 Jahre das gleiche Prinzip
Trockenes, vor Überfällen sicheres und vor allem schnelles Reisen war nur möglich, wenn man sich zischen den großen und kleinen Gewässern hindurch schlängelte. Kein ewiges Auf und Ab, keine Umwege! Bloß in den Hochgebirgen musste man auf die Talränder zurück greifen. Dieses Prinzip führte über die Jahrtausende zu Zwangsführungen und an den großen Flussübergängen zu Zwangssiedlungen, die noch heute unsere urbane Struktur bestimmen. Selbst Abweichungen fügten sich in dieses System, wenn z. B. Bodenschätze erschlossen werden sollten, wie Metalle, Salz, Bern- und Feuerstein, oder - nicht erst seit den Römern - politische Grenzen Einhalt geboten. Diese Struktur wird durch die vielen gleichlautenden Flur- und Ortsbezeichnungen überall untersetzt. Auch die immerwährende Nachnutzung von Weg und Station zieht sich wie ein roter Faden durch die Siedlungs- und Verkehrsgeschichte Europas. Natürlich gab es ständig auch Veränderungen, Ausnahmen, Irrungen, Experimente, Abkürzungen, neue Zwänge. Tausende Jahre Überformung der Landschaft lassen meist nur noch die Orientierung an Korridoren zu.
Keltensiedlung Staffelberg: 
Aus einer frühen Wegesicherung 
entstanden?
Überraschend oft aber zeigen Hohlwege, Straßennamen und schmale Kammwege den „haar“-genauen Verlauf. Die langsame Verlagerung der Wege ins Tal ab 1000 v. Chr. etwa ist gut nachzuvollziehen. Aber immer, wenn sich die Verkehrsführungen veränderten, hatte das Auswirkungen auf die Siedlungen: Wüstungen, vergessene Befestigungen und Stillstand in der Entwicklung einer Stadt beispielsweise sprechen ein beredtes Bild.
Mit dieser Wasserscheidentheorie lassen sich nicht nur Ortsgründungen in vorschriftliche Zeit verlegen, sondern auch Voraussagen für archäologische Funde machen. Manch unbedeutendes Kaff kann sich so leicht als frühmittelalterlicher Handelsknoten entpuppen. Als ich vor Jahren den Erzgebirgskammweg der Bronzezeit zuordnete, wurde ich von den Historikern verlacht. 2018 fand man die entsprechenden Bergwerke bei Altenberg. Dabei ist so etwas nicht schwer, muss man nur die Hypothese der Höhenwege verinnerlichen. Die indogermanischen Flurnamen beispielsweise weisen oft in eine Zeit nach 1200 v. Chr., die meisten unverständlichen Worte ins Alte Europa davor. Die vergleichende Archäologie führt uns zu historisch typischen Geländedeformationen der frühesten Höhensiedlungen, auch ohne aufwendige wissenschaftliche Grabungen.
Alle in diesem Blog behandelten Urwege werden als 
interaktive Karten bei Google Maps dargestellt
Umgekehrt kann man von zeitlich bekannten Umbrüchen des Siedlungs- und Bestattungsverhaltens unserer Vorfahren auf konkrete extreme Umweltveränderungen und Völkerbewegungen schließen. Unantastbare Lehrmeinungen zu archäologischen Themen scheinen in diesem System einer völlig neuen Bewertung zu harren: Genetische Triften, Völkersymbiosen, Großsteinanlagen, Feldterrassen, Menhire, und Steinkreuze. Sogar antike Mythen erscheinen in einem neuen Licht. Klappert man deutschsprachige Flur- und Ortsnamen nach einem Wegebezug ab, scheinen diese ganz Mitteleuropa zu dominieren. Das Prinzip, wonach erfolgreiche Gemeinwesen früh klimatisch begünstigt waren, scheint sich durchgesetzt zu haben. Ich behaupte, sie waren auch geografisch determiniert. Es könnte sogar sein, dass noch eine geologische Komponente über die globalen Naturkatstrophen hinzukommt, aber dass ist schon wieder ein anderes Thema.

2 Kommentare:

  1. Beispiel einer Rückmeldung:
    Sehr geehrter HinzKunz bzw. Herr Heß (ich hoffe ich habe Ihren Namen richtig recherchiert),
    ich möchte mich zunächst herzlich für Ihre interessante Homepage bedanken, auf die ich aufgrund meiner “Google-Recherche” zu Großsteingräber usw. gestoßen bin.Anlass meiner Recherche und meines eMails war und ist, dass ich in meiner Heimat (im Grenzraum zwischen Bayern und Böhmen, im Waldgebiet an der europäischen Hauptwasserscheide) auf (höchstwahrscheinlich) Großsteingräber gestoßen bin, die in Lage und Ausdehnung ein exaktes Abbild der von Ihnen beschriebenen Hypothese zur Ausbreitung dieser Kultur entlang der Europäischen Hauptwasserscheide darstellt.
    Folgende Kurzinformationen meiner Entdeckung:
    - Lage am Berg, im dichten Waldgebiet zwischen Quellgebiet der Waldnaab und der Mies (Mze), kurz über der Grenze auf böhmischer Seite (bis 1991 in Sperrgebiet und in Höhenlage, die wohl einer bisherigen Entdeckung zu wider gekommen ist)
    - Kurze Ortseinsicht mit einem ausgebildeten Archäologen Ende 2019 führte zur Aussage: Bestätigung als Steinhügelgräber zu 90 % (u.a. aufgrund vorgefundener, kurz angegrabenen Steinkammer mit typischer Himmels-Ausrichtung)
    - Anzahl der Gräber > 15
    - In der nahen Umgebung auch Steinformationen, die einen alten Kultplatz möglich erscheinen lassen, eine Höhen“platte“, ein Quellgebiet sowieso)
    - Derzeit ist eine Anfrage auf Böhmischer Seite laufend, ob das Vorkommen vielleicht schon intern wissenschaftlich bekannt ist bzw. in nicht veröffentlichten Kartenwerken eingetragen ist.. In der öffentlich zugänglichen Karte ist jedenfalls dazu keinerlei Eintragung.
    Das überraschende und Erstaunliche ist die südliches Lage der Formnationen wie sie wohl im norddeutschen Raum oft anzutreffen sind (Süddeutschland / Böhmische Lage), außerdem in einer Höhenlage, in der bisher kaum von festen Siedlungen in der Steinzeit ausgegangen wird. Es deckt sich aber mit Ihren Aussagen zu der Ausbreitung entlang der Hauptwasserscheide genau.
    Beim Schmökern Ihrer Homepage bin ich darauf gestoßen, dass Sie ja nicht so weit von meiner Heimat (Bärnau in der Oberpfalz) entfernt wohnen und vielleicht haben Sie Interesse daran, den Fundplatz zu besuchen… ggf. darüber zu berichten.. bzw. eventuell könnte auch ich von Ihrem Wissen schöpfen und wir könnten eine gemeinsame Strategie (parallel zur ggf. wissenschaftlichen Auswertung) der öffentlichen Aufarbeitung / Deutung usw. entwickeln.
    Viele Grüße einstweilen und ich hoffe, Sie antworten mir und Ihre Neugier ist geweckt.
    Albert Konrad (u.a. Hobby-Heimatforscher)
    Lohgasse 7
    954671 Bärnau

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  2. Sehr geehrter Herr Konrad,
    ich danke Ihnen herzlich für die Zuneigung. Genau für Leute wie sie schreibe ich den ganzen Kram ja auf. Ihre Entdeckung widerspiegelt genau die archäologischen Situation in Europa. Ich habe von diesen Ensembles hunderte von Spanien bis in die Ukraine gesehen. Die sog. Platte war sicher die zu den Steinen zählende Siedlungshöhe. Wenn es scheinbare Altsteinbrüche drum rum gibt, könnte es sich um endneolithische Grubenwerke handeln, wenn nicht, um unbefestigter Wohnplätze aus der Zeit davor. Dagegen sprechen aber Flurnamen wie Hohebrand, die Aschegräber aus der Urnenfelderzeit assoziieren. Passen tuen hingegen mehrere Lohe als heilige Plätze, Herrngarten und Reuth als Bergfelder, Tiergarten als obligatorische Bergweide, Hoher Trattweg als mittelalterliche Altstraßen. Leider kann ich kein Tschechisch. Schauen sie sich auch mal den Petrus an. Anmelden können Sie Ihre Entdeckung bei Ralf.Obst@blfd.bayern.de.
    Auch Ihr Bärnau selbst scheint ein Hotspot alter Siedlungsgeschichte zu sein. Am Galgen weist auf Körpergräber der Bronzezeit hin, Im Brand wieder auf Aschegräber. St. Elisabeth könnte ein christlich vereinnahmter Siedlungs- oder Gräberhügel sein. Vogelherde gibt es 20 mal in Deutschland, überall mit Bezug zu prähistorischen Befestigungen. Die Topografie der Stadt mit den Terrassen ringsum erinnert an die typischen befestigten Siedlungssporne der Früheisenzeit. Dazu zählen auch die vielen Fischteiche im Tal. Die gebogene Hauptstraßenführung deutet hingegen auf das Mittelalter als Goldene Straße von Nürnberg nach Prag mit Furt der Waldnaab. Die Kapellen am Weg könnten aus Kreuzen und diese wieder aus Menhiren hervorgegangen sein. Ich weiß nicht, was sie davon schon kennen. Zusammenfummeln können solche Hinweise sowieso nur Einheimische. Vielleicht lassen sie auch andere mit einem eigenen Blog an der Entwicklung der Fund-Geschichte teilhaben?
    Ich bin ab und an mal in Kulmbach. Da melde mich mal zu einer Begehung an.
    Noch einen Bitte: Könnten Sie Ihre Mail in die Kommentarfunktion meines Posts kopieren, quasi als Ermunterung für andere Heimatforscher? Ich werde anschließend diese Antwortmail einfügen.
    Gruß, Achim Heß

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