Donnerstag, 13. April 2017

Was hat die Via Claudia Augusta mit Ötzi zu tun?


Übersicht VCA
Über die älteste Römerstraße durch die Alpen findet man so viel Literatur, dass jede weitere Betrachtung nur zusätzliche Verwirrung stiften kann. Wer weiß schon, dass der heutige offizielle Radweg höchstens auf 10 Kilometer mit der Altstraße exakt übereinstimmt. Ich gebe hier auch nur deshalb meinen Senf dazu, weil die in diesem Blog behandelten prähistorischen Nord-Süd-Kontinentalstraßen durch Thüringen und Franken ja irgendwohin „abfließen“ mussten. Und wie immer bei solchen Altstraßen: Hunderte touristische Hochglanz-Karten beschreiben die in alten Quellen genannten Durchzugsorte - nicht aber deren historischen Verlauf. Von den 357 Kilometern von der Donau bis Venedig sind so auch nur etwa 20 durch Flurnamen, 10 durch entsprechende Geländestrukturen und vielleicht 2 durch Ausgrabungen belegt. Und da ist der römische Straßendamm im Forggensee schon dazugerechnet, der bei Niedrigwasser zum Vorschein kommt. Aber bei solchen frühen Verbindungen gelten ja immer die gleichen Prinzipien (Siehe Post: Altstraßen selber finden“). Die so entstandenen Zwangsführungen müssten uns eigentlich bis auf wenige Meter genau an ihren tatsächlichen Verlauf heranbringen. 

Die VCA als Teil des Urweges von der Adria
bis Skandinavien
Den Ausbau der alten Römerstraße soll Kaiser Augustus bereits 15 v. Chr. befohlen haben. Aber schon die alten Kelten, die 390 v. Chr. Rom berannten, oder die ersten Germanen mit gleichen Ambitionen, müssen ja irgendwie über das Hochgebirge gekommen sein. Der Brennerpass war jedenfalls erst seit der Zeitenwende bekannt. Auf Luftbildern wird deutlich, dass es sich bei der Via Claudia Augusta tatsächlich um die kürzeste und einfachste Trasse über die mittleren Alpen handelt, geeignet noch dazu für große Menschenmassen. 95 % der Strecke weisen nur eine geringe Steigung auf. Ins Auge fällt bei Satellitenaufnahmen eigentlich nur der große "Umweg" über Reschenpass und Vinschgau. Wie man diesen abkürzt, wusste aber schon die Gletschermumie Ötzi in der Kupferzeit! Doch dazu später.
Die so genannten KML-Dateien passen bei Maps und Earth
Auf Google Maps habe ich versucht, den Verlauf nach eigener Befahrung zu rekonstruieren.
In der Karte "Via Claudia Augusta" (VCA) bedeuten:

  • Kleine Bergspitze: frühzeitliche Wälle und Schanzen nach Ausgrabungen oder den noch heute sichtbaren Bodenstrukturen, aus Bronze-, Urnenfelder- und keltischer Zeit. Manchmal wurden sie aber später von Römern oder Germanen überbaut (z.B. Auersberg).
  • Kleine Burg: römische und frühmittelalterlicher Befestigungen, die anfangs aus Holz, später aus Stein errichtet waren. Aus ihnen entwickelten sich viele der heutigen Burgruinen, Schlösser, ja Städte und Dörfer. Diese habe ich aber nur markiert, wenn eine antike oder frühzeitliche Nutzung angenommen werden darf. Da es nur wenige archäologische Ausgrabungen bei den Bodendenkmälern gibt, sind zeitliche Überlappungen nicht auszuschließen.
  • Drei Punkte: Weitere Besonderheiten die mit dem Weg in Verbindung stehen könnten, wie Flurnamen, erforschte Gräberfelder oder archäologische Funde. Grabhügel (GH) stammen zumeist aus der Bronzezeit, also zischen 2200 - 1000 v. Chr.
  • Die unterschiedlichen Weg-Varianten sind zeitlich durch Farbe markiert.

  • Das Höhenprofil täuscht!

    Im Sommer scheint es also kinderleicht von Donauwörth nach Venedig zu kommen, selbst wenn man sich die heutige Infrastruktur wegdenkt. In der Alpen benutzte man die
    miteinander verbundenen Täler. Es gibt nur 3 gefährliche Knackpunkte:
    1. Der Lech-Übergang bei Füssen, als Einstieg ins Hochgebirge.
    2. Der Fernpass als Barriere vom Lech- ins Inntal.
    3. Und der felsige Aufstieg vom Inn nach Nauders hoch.
    Ansonsten scheint es relativ gemütlich für die alten Reisenden zugegangen zu sein. Nicht einmal die Engstelle an der Ehrenberger Klause oder mehrere Flussübergänge scheinen Probleme bereitet zu haben.
    In Donauwörth müssen schon während der Bronzezeit mindestens zwei Urwege zusammen getroffen sein, die aus Skandinavien kamen.
    (Siehe Posts: Die Kupferstraße; Altstraßen durch Südthüringen und Prähistorische Altstraßen durch Franken) Auf ihnen wurde nachweislich Feuerstein hin und Bernstein zurück bewegt. Eine weibliche Mumie aus Dänemark von 1300 v. Chr. konnte genetisch aus Süddeutschland stammend identifiziert werden.
    Diese beiden Urwege müssen sich noch vor dem Thüringer Wald getrennt haben. In Jütland - noch gemeinsam - hießen sie Ochsenstraße, in Niedersachen Salzstraße, zwischen Harz und Thüringer Wald Kupferstraße. Hinter Arnstadt führte der eine als Weinstraße über Oberhof nach Süden, wo er als heutiger Keltenerlebnisweg, verlängert bis zur Donau, aufgegriffen wurde. Die zweite Route kämpfte sich über Saalfeld und Eisfeld durchs östliche Franken und verband dort alle großen keltischen Wallanlagen miteinander. Sie wird im 15. Jahrhundert vage als Kupferstraße beschrieben. Besser wäre wahrscheinlich, sie als frühzeitliche Höhenrücken-Alternative der mittelalterlichen Via Imperii zu interpretieren. Die kam später ebenfalls an der alten Furt in Donauwörth heraus, verlief aber bereits durch die langsam trocken fallenden Auen von Main, Regnitz und Rednitz. Sie habe ich nur nach den durchzogenen Stationen eingezeichnet.
    Ochsenkutscher
    All diese Trassen in den Süden konnte die Via Claudia Augusta in römischer Zeit nun bündeln. Der wasserscheidende Höhenrücken zwischen dem Lech einerseits sowie Schmutter und Wertach andererseits muss dazu aber schon in vorrömischer Zeit fähig gewesen sein. Diese Variante ist rot eingefärbt. Bei der Mündung der Wertach in den Lech war mit Augsburg zwangsläufig eine altehrwürdige Siedlung entstanden. Hier muss außerdem eine zu allen Zeiten wichtige europäische Verkehrsachse von West nach Ost gekreuzt haben, die durch den geografischen Zwang von Alpen und Böhmischem Massiv, die Alt-Route von Basel nach Wien entstehen ließ. In keltischer Zeit wird in Augsburg zusätzlich ein Strang vom Oppitum Manching hinzu gekommen sein. Das Gründungsdatum von Augsburg mit der römischen Invasion zu verbinden, wäre also recht spät angesetzt.

    Die VCA im Forggensee
    Südlich von Augsburg müssen sich im Laufe von 500 Jahren Besatzungsmacht mehrere Römerstraßen über die Alpen entwickelt
    haben, dafür sprechen die erhaltenen Flurnamen. Auf der Höhe Waal scheinen vier Römerstraßen Richtung Süden geführt zu haben. Erst an der alten keltisch-römischen Wallanlage auf dem Auerberg müssen sie wieder zusammen geflossen sein. Am Forggensee dann das archäologisch interessanteste Stück der Via Claudia Augusta, wenn bei Niedrigwasser der alte Römer-Straßendamm aus dem Wasser guckt. So etwas haben die Straßenbaumeister Europas erst wieder im 19. Jahrhundert - 2000 Jahre später - hinbekommen. In Füssen, mit seinem alten Römerkastell über der Stadt, wird viel darüber diskutiert, wo denn nun der Übergang über den Lech stattgefunden habe. Schließlich muss ja Pinswang aus den Urkunden angesteuert werden. Sicher wird der Felsdurchbruch hinter dem Lechfall auch keine große Hürde für die erfahrenen römischen Brückenbauer gewesen sein. Doch eigentlich war hier überhaupt noch kein Uferwechsel notwendig. Wer den Stauraum des Lechs südlich von Füssen gesehen hat, die Menge an Kies, die er aus den Bergen mit sich führt und die günstigen Sandbänke zwischen Füssen und Reutte, ahnt, wo die alten Kutschen furten konnten. Ich habe zwei denkbare „trockene“ Routen zumindest für die Bronze- und die keltische Zeit eingetragen. Hinter Pinswang führt die Altstraße dann quer durch eine Kerbe des Kohlberges, der ein besonders ausgeprägtes Exemplar einer Wall-Graben-Siedlung mit Akropolis und wehrhaften Eingang darstellt. Angeblich kennt niemand diese befestigte Anlage. Ich würde sie der Hallstattzeit zuordnen.
    Frühzeitliche befestigte Siedlungen heißen oft "Ehrenberg"
    Hinter Reutte dann das imposante Burgenensemble am Ehrenberg aus dem 13. Jahrhundert. Hier mussten die Reisenden das Lechtal Richtung Fernpass und Intal verlassen. Es ist also anzunehmen, dass auch in grauer Vorzeit an dieser Stelle Befestigungen angelegt waren. Die mittelalterliche Klause sperrte das ganze Tal ab. Die Festung Schlosskopf nebst Ruine Ehrenberg sowie Fort Claudia sicherten die umliegenden Berge. Letztere soll nicht nach unserer Straße benannt worden sein, sondern nach der damaligen Landesherrin Claudia von Medici. Heuten verbindet eine moderne Hängebrücke die beiden Festen.
    Dahinter bei Lähn die unspektakuläre Wasserscheide, obwohl die Barriere des Fernpasses erst ein paar Kilometer später kommt. Die aber soll erst vor 4000 Jahren durch einen gewaltigen Bergsturz entstanden sein. Da war Ötzi schon 1.200 Jahre im Eis eingesperrt! Und wirklich belegen archäologische Funde im Umfeld das Passes die Reisetätigkeit von Menschen schon seit der Bronzezeit.
    Den kürzesten Weg über die Alpen kannte bereits Ötzi
    So eröffnen sich bei Imst mit drei Tälern gen Süden, wenn man so will, drei Zeitfenster: Sie erlauben einen Blick auf unterschiedliche Wege über die Alpen im Laufe der Jahrtausende. Die älteste und gleichzeitig kürzeste Strecke hat uns Ötzi mit seinem Tod am Similaun gezeigt (Rot). Er kam aus dem Süden hoch und sein Ziel kann nur das Tal von Sölden gewesen sein. Dieser Weg war aber um 3200 v. Chr. nur zu Fuß und ohne große Lasten möglich. Im Tal nebenan konnten Reisenden vielleicht ab 1500 v. Chr. (Bronzezeit) schon Esel über die Saumpfade des Himmelsjochs führen (Lila). Für die großen Heerzüge aber der Kelten und Römer ab 500 v. Chr. etwa musste der Umweg über das Inntal erschlossen werden, die spätere Via Claudia Augusta. Zunächst scheint das über das heutige Wenns erfolgt zu sein, wie die Opfergaben auf der Pillerhöhe beweisen (Orange). Erst während der Völkerwanderungszeit scheint der Talweg über das feuchte Landeck hinzu gekommen zu sein. Demgegenüber muss die Straßenbezeichnung Via Claudia in Fiss ein PR-Gag sein. Kein Kutscher hätte einen Umweg hier hoch gemacht, auch wenn die Burg Laudegg daneben aus einem römischen Wachturm hervorgegangen sein soll. Unten am Inn muss es zu römischer Zeit ja trockene Wege gegeben haben.
    Finstermünz in typisch mittelalterlicher Verzerrung

    Zwischen Pfunds und Nauders wartet dann das anstrengendste Stück. Der Reisende zum Reschenpass steht vor einem gigantischen Bergmassiv. Die heutige Kajetansbrücke und die in den Fels geschlagene Straße Richtung Italien waren ja erst 1854 gebaut worden. Auch die jetzige Trasse im Inntal weiter versperrten in der Frühzeit riesige Felsen. Die offizielle Via Claudia führt so auch im Inntal weiter nach Altfinstermünz, wo ein einzigartiges Befestigungsensemble aus dem 15. Jahrhundert den Übergang über den Inn und einen Weg hoch nach Nauders bewacht. Ein Stich von 1679 zeigt, wie der Weg zunächst über die Turmbrücke und auf der anderen Seite am Ufer entlang führte. Bei dem befestigten Aufstieg dahinter kann es sich nur um das Tal des Stillen Baches handeln, weil das die einzige Stelle ist, wo man zum Rechenpass hochkommt. Heute ist davon wegen mehrerer gigantischer Bergrutsche nichts mehr zu sehen. Die Wegführung im Mittelalter scheint also geklärt - doch was machten die Römer? Sie benutzten den gleichen Übergang, wie Münzfunde in einer Höhle dort beweisen. Ihr Aufstiegsweg dann ist auch noch ein gutes Stück zu verfolgen, biss eben jene Bergstürze ein Weiterkommen unmöglich machten. Noch in der Neuzeit musste die Straße nach Nauders mehrfach verlegt werden, bis die heutigen Tunnel einige Sicherheit brachten.
    Römer: Meister des Straßenbaus
    Heimatforscher glauben, dass das mittelalterliche Altfinstermünz eine römische Vorgängerbrücke gehabt haben muss. Darauf deutet neben der rätoromanischen Bezeichnung „Vestmezia“ für Finstermünz auch der typische Baustil des Wachturms hin. Die Kelten - garantiert noch ohne Brücke - können sich aber nur durch den Fluss gequält haben. Eine Furt des Inns war aber wegen der steilen Abhänge überall nur in der Nähe des Tals vom Stillen Bach möglich. Dort muss es im 15. Jhd. wiederum ungünstig gewesen sein, eine Sperrbrücke zu bauen. So könnte der Brückenturm an der „Veste Mezia“ vom Anfang unserer Zeitrechnung bis nachgewiesen 1854 als Zollstation gedient haben. Den Umweg nach Nauders über das Schweizerische Martinsbruck, ab 1779 als Zollstätte genannt, kann es davor noch nicht gegeben haben. Die neuralgischte Stelle des frühzeitlichen Aufstiegs ist der Ausgang des "Tals des Stillen Baches" auf die Hochfläche von Nauders. Hier konnten ein paar Mann ganze Heerscharen aufhalten. Die heutige Festung dort ist aber erst 1840 in den Felsen getrieben worden.
    Das untergegangene Dorf im Reschenstausee

    Nun konnte auf dem Trip in die Sonne nicht mehr viel passieren. Die Burg in Nauders soll wieder aus einem römischen Wachturm hervorgegangen sein. Der Reschenpass dann ebenfalls schön flach, fürs Auge höchstens der Stausee dahinter, aus dem ein Kirchturm mit wieder römischen Wurzeln ragt. Der extreme Abstieg danach erforderte ordentliche Bremsbalken vor den Rädern. Im Vinschgau könnte über das Schnalstal Ötzi ins Gebirge eingestiegen sein, bei Meran die bronzehandelten Eselstreiber. Bozen, erst im Mittelalter entstanden, scheint bis zur Zeitenwende weiträumig umgangen worden zu sein, denn das Tal am Zusammenfluss von Etsch und Eisack war immer stark versumpft. Der Abzweig der Via Raetia hier zum Brenner hoch und weiter nach Innsbruck war später im 2. Jhd. gebaut worden. In Trient dann soll sich die Via Claudia Augusta geteilt haben. Die Hauptmagistrale nach Rom verlief über Verona - durch dessen Alpenausläufer ist wohl jeder Italienreisende schon einmal gefahren.
    Altinum: Alles unter der Erde verschwunden
    Der Abzweig in die östlichen Hochgebirgstäler führte zu der heute vergessenen Ausgrabungsstätte Altino; Venedig in der Lagune dahinter gab es ja damals noch nicht. Außer einem modernen Kuhstall und einem kleinen Museum gibt es hier kaum etwas zu sehen. Aber das römische Altinum an der Adria muss eine Metropole gewesen sein, die einst in einem Atemzug mit Pompeji genannt wurde. Sie soll bereits 800 v. Chr. existiert und in Glanzzeiten mindestens 20.000 Einwohner beherbergt haben. Die kerzengerade Via Claudia Augusta Altinate zielt von hier genau auf den Durchbruch des Piave bei der heutigen Abtei St. Eustachio, die auch ein ehemaliger römischer Wachturm gewesen sein soll.
    Wegemarkierung Römersäule
    Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches und mehreren Überschwemmungskatastrophen, wurde die Hafenstadt komplett unter den Sedimenten aus den Alpen begraben. Ihr Alter macht aber deutlich, wie wichtig der adrianische Handel über die Jahrtausende immer gewesen sein muss. Von hier aus wäre beispielsweise der Ostsee-Bernstein leicht nach Ägypten zu verschiffen gewesen. Die Bedeutung Altinos in römischer Zeit kann sich nach der geografischen Lage nur aus dem Handel mit den Provinzen nördlich der Alpen ergeben haben. Dass die Via Claudia Augusta Altinate in Donauwörth beginnt, könnte einen Warenaustausch mit den germanischen Hermunduren und Markomannen jenseits des Limes anzeigen. Das waren unseren Vorfahren im fränkischen Thüringen!

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