Donnerstag, 27. Februar 2020

Was haben Rothaarsteig und Rennsteig gemeinsam?

Rothaarsteig:
Touristisch perfekt-historisch mager
Der Höhenwanderweg zwischen Brilon und Dillenburg liegt weit entfernt vom Thüringer Wald, führt in eine ganz andere Richtung und wurde vielleicht sogar zu einer anderen Zeit genutzt. Beide aber beanspruchen nicht nur das sog. Prädikat Premium-Wanderweg, sondern scheinen zwei uralte Verkehrsstränge gewesen zu sein, deren prähistorische Einordnung von der Altstraßenforschung vollkommen ignoriert wird. Und es gibt etwas ganz verrücktes: Nirgends im deutschsprachigen Raum habe ich so viele gleichlautende Flur- und Ortsnamen gefunden, wie um die beiden Höhenwege herum (Siehe Karte bei Google Maps, Legende wie im Post „Rennwege…“). Quasi jeder 2. Ort im Rothaargebirge findet seinen Pedant rund um das Thüringer Mittelgebirge. Es müssen also hier wie dort die gleichen germanischen Sprecher, zumindest aber verwandte Stämme unterwegs gewesen sein. Zwei Wege-Brüder im Geiste?
Zunächst muss ich festhalten, dass hier nicht der touristisch angelegte Wanderweg betrachtet wird, der interessante Orte in den Tälern ringsum mitnimmt, sondern der historisch zu vermutende Höhenweg, wie er im Verbund mit hunderten anderen seiner Art ein regelrechtes Urwege-Verkehrsnetz in Europa abgebildet haben könnte (Siehe Rennwege). Eines der wichtigsten Muster nach denen sich solche Trassen zwangsläufig ergeben haben müssen, war ihr Verlauf auf, neben oder an wasserscheidenden Höhenrücken. Dass Urkunden auch Tal-Orte bezeugen, erklärt nur, dass ab fränkischer Zeit die Fernwege nach und nach von den Höhenwegen abrücken konnten. Das machten die klimabedingte Austrocknung und massenhafte Melioration damals möglich. Ergänzt wir dieses kammnutzende Prinzip durch tausende beziehungsvolle Flurbezeichnungen und archäologische Artefakte am Weg.
Wahrscheinlich schon seit der Bronzezeit begangen

Zur Herleitung von Namen habe ich mich mehrfach in diesem Blog geäußert (Siehe Orts- und Flurnamen…). Auch hier muss es sich - nach statistischem Vergleich- entweder um die Herleitung von vielen vorgefundenen Rodungen handeln (Rot), oder von Road, der englischen Straße. Dazu gesellte sich die schmale Führung (Haar), meist auf einem Höhenzug. Für beides gibt es hunderte Exempel in Deutschland. „Hardt“ - wie es Wikipedia ableitet - bezeichnet steile Wegeanstiege nach Furten und wird explizit nur dort so benannt. Tausendfach übrigens, was kein Alleinstellungsmerkmal abwirft. Namen für Wege und der sie verbindenden Orte scheinen gemeinhin durch die Außenbetrachtung der Reisenden entstanden zu sein. Man kann sich also gut vorstellen, wie das Besondere dieses Weges bei den indogermanischen Trecks in eine Bezeichnung eingeflossen ist. Die sollen ab 1200 v. Chr. verstärkt bei uns einmarschiert sein - das ist doch schon mal ein Anfang. Aber geht es auch genauer?
Der Rothaarsteig verbindet über Höhenrücken die beiden mittelalterlich belegten Ost-West-Altstraßen wie den Plackweg und die sog. Brabanter Straße, beide vom Rhein kommend, Elbe und Elster ansteuernd. Wichtiger aber: Der Rothaarstieg kreuzt etwa in der Mitte die sog. Heidenstraße von Köln nach Leipzig, deren Ursprung anhand der begleitenden Hügelgräber ziemlich sicher in die mittlere Bronzezeit gelegt werden kann. Auch sie wurde bis tief ins Mittelalter als Fernstraße genutzt. Warum aber fehlen solche Altgräber entlang des Rothaarstieges?
Interaktive Karte: Rothaarsteig mit urzeitlichen Artefakten...

Ich verfüge zwar nicht über das Detailwissen Einheimischer, aber ich habe weder etwas von Großsteingräbern noch von Grabhügeln dort gefunden. Auch Urnefelder-Verdachtsorte, wie sie manchmal durch Asche- oder Brand-Bezeichnungen assoziiert werden, fehlen. Das könnte bedeuten, dass der Rothaarsteig wirklich erst danach, während der Hallstatt- und Latenezeit „in Mode“ kam. Auch wenn er erst noch später, in den dunklen Jahren germanischer Völkerwanderungen zwischen 300 vor- bis 500 nach der Zeitrechnung seinen Namen erhielt. Wanderungen suebischer Stämme von der Niederelbe an den Rhein und nach Süddeutschland sind bei antiken Schreibern genau in dieser Zeit bezeugt. Gleiches betrifft auch den Rennsteig im Thüringer Wald. Tatsächlich heißt der Rothaarsteig über weite Strecken Eisenstraße und diese wird von mehreren Autoren in keltische Zeit gelegt, also um 500 v. Chr.
... umschaltbar auf eine topografische Übersicht

Strategisch ordnet sich unsere Altstraße in die Ausrichtung von beurkundetem „Römerweg“ und „Kriegerweg“ ein. Die wiederum führen durch viele Täler und von den Zentren erst römischer dann fränkischer Macht am Rhein in die nördlichen und östlichen Provinzen. Während beider Perioden waren das unsichere Territorien, was Sicherungs- und Versorgungsstationen nötig machte, mindestens alle 20 Kilometer, dem Tagespensum eines Ochsenkarrens. Tatsächlich reihen sich am Rothaarsteig nicht nur archäologisch bestätigte Höhensiedlungen, offensichtliche Ringwallanlagen und Schanzenverdachtsplätzen wie bei einer Perlenkette aneinander. Die meisten dieser Plätze deuten in die Früheisenzeit. Auch wenn da nur ganz wenig in Nordrheinwestphalen wissenschaftlich ergraben wurde, gerade für die Gegend um Winterberg herum, dürfte man große archäologische Entdeckungen erwarten dürfen. Das Fehlen von mittelalterlichen Burgen assoziiert wiederum, dass unsere Magistrale ihre Glanzzeiten damals bereits hinter sich gelassen haben musste. Die Ginsburg bewachte wahrscheinlich „nur“ die spätere Route vom Kreuztal an die Eder und die Dillburg gehörte gar nicht zum Rothaar-Verkehrsweg, sondern sicherte die Talwege an der Dill.
Der Kreuzweg bei Winterberg: 
extremes archäologisches Potential

Die Nord-Südliche Ausrichtung unseres Kammweges stellt sich ausschließlich zwischen den genannten Altstraßen Plackweg und Brabanter Straße dar. Danach führen wasserscheidende Höhenzüge nur noch nach West oder Ost. Einfache Verlängerungen verlieren sich in einem hoffnungslosen Auf und Ab von Flusssystemen. Weg und Name mussten sich also zwangsläufig separieren. Selbstredend können im Mittelalter Ziele geradeaus bis an die Nordsee oder den Rhein angelegt worden sein, aber nicht in vorrömischer Zeit, wo alle Niederungen noch weitestgehend versumpft gewesen sein müssen. Der Rothaarsteig scheint also zwischen 700 vor bis 1700 nach Christi schwerpunktmäßig benutzt worden zu sein.
Alle diese Muster finden sich auch am Thüringer Rennsteig. Die beiden „Brüder-Wege“ treffen sich übrigens über ihre Verlängerungen bei der Bonenburg am Beginn des Eggegebirges, um gemeinsam die Schiffe am Ärmelkanal oder in den norddeutschen Mündungsgebieten anzustreben. 

2 Kommentare:

  1. Sehr geehrter Hinz Kunz,
    ich bin völlig begeistert von Ihrer Arbeit. Seit sieben Jahren arbeiten wir in der Vhs Kassel am gleichen Thema. In unserem Vhs-Kurs "Antike Reisewege in den hessischen Mittelgebirgen" haben Dr. Udo Schlitzberger und ich, Klaus Fröhlich gemeinsam mit ca. 30 hochmotivierten Geschichtsfreunden als Kursteilnehmer, die Wege Legionen verfolgt.
    Die Ergebnisse flossen in 2017 in unser Buch:"Die Römer im Chattengau" -Spuren römischer Präsenz in Nordhessen -, sowie in unseren Kursbericht über 5 Jahre Altstraßenforschung: "Die Römer zwischen Rhein und Elbe".
    Wir haben ca. 3.600 km "Höhenwege über die Wasserscheiden und die trockenen Rücken der Berge" in Nordhessen, Südniedersachsen, Ostwestfalen und Westthüringen auf unserer digitalen Karte.
    Sehr gerne würden wir mit Ihnen in Kontakt treten
    Beste Grüße aus Nordhessen
    Klaus Fröhlich (froehlich.automobile@googlemail.com)

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  2. Sehr geehrter Herr Ludwig,
    Danke für die Zuneigung. Ich freue mich immer sehr von Gleichgesinnten zu hören. Ich schmore hier nämlich ziemlich im eigenen Saft. Unsere Thüringer Koryphäe zu Altstraßen, Bernd Bahn, versteht gar nicht, was ich überhaupt meine. Der zuständige Gebietsreferent der Denkmalspflege, Mathias Seidel, spricht gar nicht mehr mit mir. Mit Ihrer Öffentlichkeitsarbeit an der Vhs sind Sie nur zu beneiden. Kann man denn Ihre interaktiven Karten irgendwo einsehen? Vor allem aber: Können Sie die 20-Kilometer-Regel bestätigen, als Mindestabstand zwischen den Sicherungs- und Versorgungsbefestigungen? Mich interessiert auch Ihre persönliche Meinung zu den Hintergründen der Höhenwege, die ja immer auch mit Siedlungslücken in den Tälern einhergehen. Dargelegt in meinem Blog zu den Naturkatastrophen „Prähistorisches Europa“.
    MfG, Hinz Kunz

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