heutige Infrastruktur |
Ende April 2019 fand im Museum Tabakspeicher Nordhausen ein Kolloquium zu Altstraßen in Nordthüringen und dem Harz statt. Ehrenamtliche Denkmalpfleger und der Thüringer Heimatbund präsentierten die neuesten Ergebnisse bei der Erforschung der Pfade unserer Vorfahren. Die waren nämlich ganz woanders unterwegs als wir heute. Für Phantasiebegabte eine abenteuerliche Reise in unsere Vergangenheit. So begrenzte sich der Zulauf auf ein Häuflein verwegener Enthusiasten, die sich den noch nicht von der Zivilisation verschlungenen Bodendenkmalen widmen. Diese geben nämlich nicht nur Aufschluss über unser Herkommen, sondern auch über die Beziehungen damals zueinander.
Eine Binsenweisheit, die aber kaum einen Wissenschaftler zu interessieren scheint, obwohl die allermeisten Völkerwanderungen der Frühzeit noch im Dunkeln liegen. Die Teilnehmer der Runde hier aus Thüringen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen - allesamt Insider - lobten zwar die vorbildliche Arbeit der ehrenamtlichen Organisatoren und Referenten. Doch das zeigt nur die halbe Wahrheit.
Mit Altwegerelikten beschäftigen sich meist nur Hobbyforscher, oft kleine lokale Gruppen, in der Mehrzahl Einzelkämpfer, die ihre heimatlichen Wälder durchstreifen. Sie vermessen, kartographieren, beschreiben diese inzwischen seit Jahrzehnten - leider ohne Koordinierung und Sammlung. So entsteht ein zusammenhangsloser Flickendeppich, der sich wieder und wieder mit den bekannten Highlights beschäftigt, um anschließend in irgendwelchen Kommoden oder auf Festplatten zu vergammeln.
Nordhausen am Harz
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Mit Altwegerelikten beschäftigen sich meist nur Hobbyforscher, oft kleine lokale Gruppen, in der Mehrzahl Einzelkämpfer, die ihre heimatlichen Wälder durchstreifen. Sie vermessen, kartographieren, beschreiben diese inzwischen seit Jahrzehnten - leider ohne Koordinierung und Sammlung. So entsteht ein zusammenhangsloser Flickendeppich, der sich wieder und wieder mit den bekannten Highlights beschäftigt, um anschließend in irgendwelchen Kommoden oder auf Festplatten zu vergammeln.
Spannender Harz |
Theoretischer Harzkamm |
So versuchen sie wenigstens Schwerpunkte zu setzen: Nachdem Südthüringen jahrelang im Fokus ihrer Bemühungen stand, nun der Harz und sein Umfeld. Geostrategisch scheinen Harz und Thüringer Wald das blanke Gegenteil. Am Rennsteig empfiehlt sich der 160 Kilometer lange Kammweg, eingebunden in das Höhenzügenetz der deutschen Mittelgebirge. Auch auf den Wegen von Nord nach Süd war man gezwungen, es irgendwo zu über queren. Der Harz hingegen: ein scheinbar vor dem Mittelalter menschenleeres Haufengebirge, das zudem leicht umfahren werden konnte. Doch der Schein trügt. Analysiert man die wasserscheidenenden Höhenrücken, entsteht das gleiche Zwangswege-System einer Wasserscheide wie am Rennsteig (Siehe Meine Google-Maps-Karte):
Altwege in und um den Harz bei Google-Maps |
Damit kann dieses Wasserscheidenprinzip, neben Hohlwegen und Urkunden, als sicherstes Indiz für die bis ins 19. Jahrhundert hinein unbefestigten Wege im Gebirge herhalten. Das Äquivalent in der Ebene wären Wege auf Höhenrücken zwischen Quellen und Sümpfen hindurch. Flussquerungen gab es nur im Notfall. An solchen Furten entstanden dann meist wichtige Siedlungsknoten. In dieses zunächst hypothetische System passen plötzlich nicht nur die vielen Furchen, hinweisenden Flur- und Ortsnamen, Kreuze, Wegesteine und Geländedeformationen von ehemaligen Sicherungsstationen, sondern auch die historisch belegten Bewegungen von Heerführern, Händlern, Bergarbeitern selbst Hirten. Natürlich alles ausgerichtet nach wirtschaftlichen oder militärischen Interessen.
Gleiche Ansicht mit anderer Basiskarte |
- dicke rote Linie: fiktiver Harzkamm mit Wegeteilstücken
- dünne rote Linie: andere bekannte und vermutete Altstraßen, den Harz tangierend
- lila Linien: vom Kamm abgehende Bergrücken, die wahrscheinlich als Altwege genutzt wurden
- hellblaue Linie: Altstraßen nach beurkundeten Orten
- Kreis-Button: untersuchte neolithische Siedlungen, meist Kreisgrabenanlagen
- Berg-Butten: nachgewiesene und vermutete spätbronzezeitliche und früheisenzeitliche Siedlungen
- Burg-Button: Befestigungen ab dem Frühmittelalter, auch wenn da anfangs noch nicht mit Stein gebaut wurde
- gelbe Stecknadel: weitere auf Altwege hinweisende Relikte, wie Hohlwege, Flurnamen und historische Ereignisse
Wege gab es, seit es Wagen gab |
Trotz ständiger Überbauung ermöglichen sie uns manchen interessanten Rückschluss. Beispielsweise lassen sich die bekannten Altstraßenteilstücke im Ohmgebirge leicht miteinander verbinden. Auch die berühmten Fürstenwege im Kyffhäuser finden im Westen Anschluss. Der Fastweg oberhalb des Sösestausees muss dem Fastweg südlich von Hattdorf entsprechen usw. Neben den bekannten Relikten des Harzes sind in der Karte nur solche Flurnamen besonders hervorgehoben, die anderenorts im Zusammenhang mit bestätigten Höhensiedlungen oder frühzeitlichen Wegen stehen. Auch im Harz sind solche Ableitungen zu vermuten. Deutlich wird ebenfalls, wie sich die Flurnamen außerhalb dieses Netzes stark verändern, was auf ihre jeweilige zeitliche Nutzung hinweist. Die an den Wegen müssen sie viel älter sein.
Heinrich I. mit Gemahlin
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Eine weitere mittelalterliche Straße durch den Harz ist die sog. Via Romea, die der Abt Albert von Stade im Jahre 1236 von seiner Pilgerreise aus Rom kommend beschreibt. Mit dem Verlauf Ebeleben, Nordhausen, Hasselfelde, Wernigerode und Hornburg wird er sich aber bereits auf heutigen Trassen zwischen den Dörfern bewegt haben. Die bedeutendste Verbindung im Spätmittelalter scheint die Alte Leipziger Straße von Kassel herrührend gewesen sein. Sie lässt sich in unserer Karte übrigens mühelos mit der Hohen Straße und dem Fastweg im Westen verbinden. Zu nennen wären aber auch Deit- und Eggewege, mehrere Heer-, Wein-, Wäng-, und Wagenstraßen. Genau kennt sie alle Pierre Fütterer von der Uni in Magdeburg, der sie für seine Dissertation gesammelt hat. Er ist mit Martin Freudenreich einer der wenigen jungen Wissenschaftler, die sich für das Thema interessieren.
Die Anfänge müssen nicht nur bei der Kaiserstraße mindestens bis ins Frühmittelalter von 500 bis 1000 unserer Zeit zurückreichen, beginnend mit den fränkischen Eroberungen von Thüringen und Sachsen. Die vielen „Pfaffenwege“, Petersberge, Steinkreuze, Zell-, Hexen- und Teufelsplätze deuten auf einen Zusammenhang mit der Christianisierung hin. Insbesondere die Sachsenkriege Karl des Großen könnten auch den Harz erreicht heben (Karlsrode, Karlshöhe, Karlsberg). Selbst die Römer scheinen Bekanntschaft mit den Bewegungslinien der Germanen gemacht zu haben, das jedenfalls legt die Schlacht am Harzhorn 235 n. Chr. nahe.
Doch mit Sicherheit sind die Wege in und um den Harz noch viel älter: Markus Wehmer aus Einbeck hat ein Stück der Alten Leipziger Straße in der Goldenen Aue bei Windehausen ausgegraben.
Er fand eine breite Trasse aus dem 16. bis ins 19. Jahrhundert, unbefestigt, aber immerhin schon mit Straßengraben, dem ältesten überhaupt. Die Chaussee war jedoch das jüngste, was bei den Grabungen zum Vorschein kam. Es fanden sich nämlich auch Siedlungen der ersten Bauern um 5350 v. Chr., solche aus der Bronzezeit ab 2200 v. Chr. bis in die frühe Eisenzeit um 600 v. Chr., dazu ein Wagengrab mit noch angeschirrten Rindern von 3100 v. Chr. Das alles zeugt von einer durchgehenden Umtriebigkeit. Übrigens im gesamten Gebiet rund um den Harz, beispielsweise mit der spätneolithischen Pipinsburg bei Osterode oder der spätbronzezeitlichen Hünenburg bei Watenstedt. Megalithischen Ursprungs könnten die schwer datierbaren Steinbearbeitungen sein, wie auf dem extrem deformierten Regenstein, der Teufelsmauer, der Altenburg und dem Treppenstein, alle im Norden.
Kontinentalweg, den Harz tangierend
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Christlich überbaute heidnische Kultplätz |
Natürlich ist das alles hypothetisch, können nur Grabungen einen Nachweis bringen. Aber es gibt ja die Vergleichende Archäologie und die Wahrscheinlichkeitstheorie. Und da sind wir bei den handfesten Belegen. So finden sich zunächst an den Pässen, neben den zahlreichen Steinkreuzen auch scheinbar geschliffene Großsteine, die anderen Orts gerne als Wegmarkierungen durch Menhire gedeutet werden.
Wurmberg bei Braunlage |
Typischer Hohlweg |
Woher stammt der Hexenkult im Harz? |
Also müssen die Heimatforscher hier weitermachen. Das Kammdreieck in Hohegeiss interpretiert Hans-Joachim Grönke aus Nordhausen als wichtigen Altwege-Knoten ähnlich wie Oberhof am Thüringer Rennsteig. Die Höhe um die heutige Kirche wird mit tiefen Hohlwegen und Terrassen regelrecht eingekreist. Die Situation entspricht gleichen Strukturen anderen Orts, wo spätbronzezeitliche oder früheisenzeitliche Artefakte und Befestigungsanlagen gefunden wurden. Ohne mich am Streit über den Namen Geiss zu beteiligen: Geisberge gibt es Dutzende in Deutschland und viele davon verweisen auf Höhenwege. Udo Münnich aus Pansfelde versucht außerdem das Alter der Wege anhand der Spurweite von Karren und Wagen zu ermitteln (Mittelalter: 85-110 cm, Neuzeit 120-150, Bergbauweg 85, Reitwege 40-50 cm). Die maximale Neigung gibt er bei Karren mit 10 und bei Reitern mit 25 Grad an. Das Tagespensum von Ochsen erkennt er mit 10-20 Kilometer, Pferden 30-50, eilige bis zu 100. Dazwischen aber mussten immer ein Lager, eine Versorgungssiedlung oder eine Sicherungsstation gelegen haben, befestigt selbstverständlich. Das ist in der Karte über den gesamten Kammweg hypothetisch auch nachvollziehbar. Es sind wieder die gleichlautenden Flurnamen, die besonders in Süddeutschland sehr oft zu ausgegrabenen oder verdächtigen Siedlungsplätzen führen. Wer genau hinschaut, entdeckt sie selbst im Westen des Harzes zwischen Clausthal-Zellerfeld und Windhausen, vermutlich fränkisch belegt.
Fazit: Die Altwege-Runde kam überein, dass man selbst in der Frühzeit über den Harz immer noch schneller gewesen sein muss, als Drumherum. Das Seminar in Nordhausenn - für die engagierten Waldläufer sicher ein Genuss - zeigte aber auch die Mängel auf, die sich durch teils unkoordinierte Arbeitsweise zwischen den Ländern in der Archäologie ergeben. Und man hat noch viel zu tun: Besonders der Osten des Harzkammweges zeigt sich bisher wenig erforscht. Er scheint nach den Flurnamen sogar älter als der Kaiserweg gewesen zu sein, nicht aber so lange genutzt. Übrigens: So dicht wie der Harz historisch besetzt war, so sieht es in ganz Europa aus.
Die Höhenwege auf unserem Kontinent können also mehr hergeben, als Trimm-Dich-Pfade, Spaß-Strecken oder Pflanzenschulen. Was eine archäologisch aufbereitete Altstraße bewirken kann, zeigen der Keltenerlebnisweg in Franken, die Hohe Straße in Thüringen und der Kaiserweg im Harz.
Nun mag das den meisten Menschen völlig egal zu sein. Was aber passiert, wenn man sich nicht systematisch erinnert, führen uns die Zerstörungen des letzten Krieges in Nordhausen vor Augen.
Was ist eigentlich mit den Referenzen unter den Artikeln? Immer die gleiche Literatur, die nichts mit dem Thema zu tun hat. Über eine bessere Kenntlichmachung von der benutzten Literatur würde die Artikel aufwerten, da nachvollziehbarer.
AntwortenLöschenSie haben recht. Bernd Bahn gehört als Inspirator unbedingt in die Referenzen. Ansonsten kenne ich leider keinen Autor, der in der Urwegeforschung konsequent nach meinen Prinzipien arbeitet: Nutzung ausschließlich wasserscheidender Höhenwege in kontinentaler Dimension, massenhafte Auswertung tangierender archäologischer Funde und Flurnamen, persönliche Begutachtung aller Bodendeformationen dort und deren vergleichende Einordnung in strategische Wegenetze (z. B. befestigte Höhensiedlungen mindestens alle 20 km) und der Versuch einer historischen Bewertung ohne wissenschaftlich graben zu können. Hunderte Heimatforscher, denen ich Erkenntnisse verdanke, kriege ich einfach nicht da unten rein. Ich bemühe mich aber, immer wieder im Text entsprechende Beispiele zu liefern. Demnächst probiere ich mich an einer Urwegekarte für ganz Mitteldeutschland.
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