Samstag, 24. Februar 2018

Auf dem Keltenerlebnisweg waren die Kelten bestimmt nicht die ersten


Natürlich diente das Anlegen des sog. Keltenerlebnisweges zwischen Meiningen und Bad Windsheim in den Neunzigern zunächst der Tourismuswerbung für Franken und hing mit der regelrechten Keltomanie damals zusammen. Trotzdem reicht seine Bedeutung weit über die eines Themenweges hinaus. Nicht nur wegen dem Geschichtsbezug, der in Deutschland selten über das Mittelalter hinaus geht, nicht nur weil er dabei den oberflächlichen Zeitgeist überwindet und nicht nur weil es ein länderübergreifendes Projekt war, was im Föderalismus sonst eher selten gelingt. Der Keltenweg ist vor allem ein einzigartiges Zeugnis der Entwicklung mitteleuropäischer Siedlungskultur. Auch wenn das weder den Premium-Wanderern noch den Vermarktern bewusst sein dürfte. Eine Abbildung seines Verlaufes (Siehe hier: Urweg durch Europa, Teil Arnstadt-Donau) und aller tangierender prähistorischer Relikte zeigt nämlich wissenschaftliches Neuland in der Altstraßenforschung auf:

1. Der Weg scheint nicht einfach eine neuzeitliche geografisch sinnfällige Verbindung zwischen keltischen Höhensiedlungen zu sein, sondern eine uralte Heer- und Handelsstraße. Diese muss entlang der Höhenzüge von Haßbergen und Steigerwald geführt haben. Das legen die an ihm gemachten archäologischen Funde aus den begleitenden Museen nahe, prähistorische Gräber, weitere nicht erwähnte frühzeitliche Schanzen, alte Flurnamen und Hohlwege (Siehe Post: Urwege selber finden“). Die Bezeichnung „Rennweg“ für Teile der Strecke, gibt es im deutschsprachigen Raum ein Dutzend Mal, immer für wissenschaftlich nachgewiesene Altstraßen.
2. Dieser „Urweg“ sollte sogar über alle Epochen und von allen Kulturen nicht lange nach den ersten Bauern in unserer Region benutzt worden sein. Denn die ersten Artefakte stammen aus der Zeit um 4500 v. Chr. und die letzten aus dem Mittelalter. 500 Jahre Kelten nehmen sich da eher bescheiden aus.
3. Der Keltenerlebnisweg stellt damit ein Teilstück der seit langem diskutierten prähistorischen Trasse dar, die in Wegebündeln von Italien nach Skandinavien gereicht haben soll. Er scheint sogar die Hauptverbindung gewesen zu sein, weil er in seiner genauen Nord-Süd-Ausrichtung die kürzeste und damit effizienteste Strecke repräsentiert. Nach Süden führt der Weg demnach geradewegs weiter bis zur Donau (ab Wildburgstetten Römerstraße), um ab Donauwörth auf der Vorgängerroute der Via Claudia Augusta die Alpen zu überqueren. Nach Norden greift er hinter dem prähistorisch belegten Pass bei Oberhof die so genannte Kupferstraße auf, die sich unter verschiedenen Namen bis Jütland zieht (Siehe Posts „Die Kupferstraße“ und „Die Via Claudia Augusta“).
4. Diese frühzeitliche Tangente stellt mit seinem Abschnitt „Keltenerlebnisweg“ eine einzigartige Fundgrube für Heimatforscher dar, bestätigt sie doch mehr als alle anderen Altstraßen die Muster, nach denen diese von unseren Vorfahren angelegt wurden:
  • Zunächst wird der durchgehende geografische Verlaufszwang deutlich, unter effektiver Nutzung der Wasserscheiden und Meidung auch kleinerer Wasserläufe.
  • Etwa alle 20-25 Kilometer, dem Tagespensum eines Ochsenfuhrwerkes, mussten Übernachtungs-, Wartungs- und Sicherungsstationen angelegt werden. Das kann uns helfen, ihren Verlauf exakt nachzuvollziehen.
  • Diese anfänglichen Lager finden sich prinzipiell auf Höhenrücken mit Weitsicht, waren immer befestigt und hatten eine Quelle in ihrer Nähe. Mit der Zeit entwickelten sich daraus große Siedlungen mit künstlich abgeflachter Bergkuppe, Schanzen, Feldern an den Abhängen, Gräbern und Kultplätzen.
  • Im Laufe der Jahrtausende änderten sich die Anforderungen der Siedler und ihre technischen Möglichkeiten; manche Wallanlagen wurden einfach überbaut. So konnten sich, bei günstiger Lage, die späteren Keltenoppida, oder noch später die Burgen des Mittelalters entwickeln.
  • Die Querungen großer Flüsse fand nur im Notfall statt, die Furten waren zusätzlich durch Befestigungen geschützt.
5. Nirgends besser als am Keltenerlebnisweg lassen sich viele alten Schanzen am Weg grob datieren - auch ohne archäologische Grabungen. Beim Vergleich Tausender frühzeitlicher und frühmittelalterlichen Siedlungen in Europa ergeben sich nämlich deutliche Muster:
  • Neolithische oder Bronzezeitliche Berg-Vesten sind selten kleiner als ein Fußballfeld, tragen mindestens eine rundum führende Schanzkante (wahrscheinlich für Palisaden), an ihren Abhängen wächst wegen der Überbeanspruchung heute oft nur noch Magerrasen, ringsum finden sich große altgerodete Ackerflächen. Die Gräber in der Nachbarschaft sollten die typische Steinkiste besitzen, egal welcher Größe. Das erkennt man besonders gut bei den meist geplünderten Großsteingräbern, aber auch tausende kleine Steinhaufen passen in dieses Bild. Geschlossene Hügelgräber taugen selten zur Altersbestimmung, weil sie über alle Zeiten hinweg errichtet worden waren. 
  • Ab der Urnenfelderkultur, also ab 1200 v. Chr., kommen viele neue Höhendörfer dazu, ähnlich groß, aber extrem stark bewehrt. Während der Hallstatt- und Latenezeit entwickeln sich daraus komplizierte Holz-Stein-Mauern. Diese sind heute als verfallene Wälle auszumachen. Typisch erscheinen auch die hoch am Berg liegenden Feldterrassen, die wahrscheinlich wegen dem Dauerregen während des Klimakollapses um 1200 v. Chr. angelegt werden mussten (Siehe „Katastrophenzeiten“ beispielsweise um 2200, 1600 oder 1200 v. Chr.).
  • Die auffallend kleinen frühmittelalterlichen Wachen und Warten, sicherlich erst nach der Völkerwanderungszeit ab 500 v. Chr. angelegt, sind meist durch starke Wälle und tiefe Gräben gekennzeichnet. Manchmal können da nicht mehr als 10 Krieger gesessen haben.
6. Trotz Limesweg und Römerstraßen: Der Keltenerlebnisweg wird so zum ältesten der flächenmäßig großen historischen Naturdenkmale in Deutschland.

7. Er stellt viele Dogmen der Fachwelt in Frage: z.B.
  • dass es um 1200 v. Chr. einen ausschließlich religiös bedingten, sonst aber kontinuierlichen Übergang zur Urnenfelderkultur gegeben habe,
  • dass bis zu den Kelten jeder Fernhandel unmöglich war, die Güter seien nur von Dorf zu Dorf weiter gereicht wurden,
  • dass Hohlwege nur aus dem Mittelalter stammen können,
  • dass Kreuze am Weg aus „Dankbarkeit“ errichtet wurden,
  • dass die erwähnten Feld-Terrassen aus dem Mittelalter 13. Jahrhundert nach Christi stammen müssen.
Um solche Fragen geht es in o.g. Google-Earth-Karte, die aus eigenen Recherchen vor Ort resultiert. Sie sollte eigentlich selbst erklärend sein, hier nur noch ein paar Hinweise. Es bedeuten:
  • rote Linien: alte Höhenwege (einige davon habe ich schon in anderen Posts dieses Blogs beschrieben, daher ohne begleitende theoretische Archäologie)
  • blaue Bergspitze: mutmaßliche Höhensiedlung vor 1200 v. Chr. (neolithisch, megalithisch, kupfer- und bronzezeitlich)
  • schwarzer Ring: nachgewiesene und vermutete Wallanlage nach 1200, v. Chr. (bronze- und vorrömische Eisenzeit), Kelten
  • Lila Burg: Befestigung ab dem Frühmittelalter um 400, erst ab 800 aus Stein
  • Roter Berg: Verschanzungen aus unbekannter Zeit
  • 3 Punkte: weitere dem Weg und der Zeit zuordenbare Artefakte

Dabei habe ich den Keltenerlebnisweg nach Norden und Süden etwas verlängert, um Dimension und eventuelles Ziel deutlich zu machen. Aus den ursprünglich 200 werden zwischen Altinum an der Adria und dem späteren Wikingerwall Haidabu bei Schleswig schnell 2000 Kilometer. Ein paar tangierende Altstraßen sollen mögliche Anschlüsse ans prähistorische Wegenetz auf den Höhenrücken der Mittelgebirge zeigen.
Der beim Keltenerlebnisweg aufgeführte Dolmar über Meiningen scheint nicht nur geografisch aus dem bronzezeitlichen Wegesystem herauszufallen. Er wäre ein Umweg und hat sicherlich die urnenzeitlichen Befestigungen um Gotha anvisiert. Archäologisch gab der Wall auf seiner Spitze auch wirklich nur hallstattzeitliche Funde preis (Trotz der Bronzegräber zu seinen Füßen!).
Der offizielle Keltenerlebnisweg zählt 6 weitere Wallanlagen auf: Kleiner Gleichberg (Römhild), Judenhügel (Königshofen), Schwedenschanze (Hofheim in Unterfranken, Knetzberge (Zell am Ebersberg), Schwanberg (Iphofen) und Bullenheimer Berg (Bullenheim). Bei manchen davon ist nicht nur die urnenfelderzeitliche und später keltische Nutzung nachgewiesen, sondern auch die bronzezeitliche davor. Der Abstand zwischen ihnen beträgt zirka 40 Kilometer. Das aber schaffen Zugtiere am Tag nicht, womit obengenannte Theorie in Frage gestellt wäre. Die Herausforderung bestand nun darin, nicht nur die kleineren Stationen dazwischen zu finden, sondern auch für alle jeweiligen Zeiten. Das hat nach teils langer Suche überall funktioniert, bis auf die Höhe Schopfloch, östlich von Schwäbisch Hall. Wahrscheinlich ist die vergessene Schanze in dem Waldgebiet östlich der Stadt zu suchen. Oft liegen die unterschiedlichen Befestigungen aus den folgenden Kulturen dicht beieinander. Manchmal direkt auf einem gegenüberliegenden Berg! Warum wurden die alten Objekte nicht wiederverwendet? Gab es klimatische, geologische oder hierarchische Zwänge? Denn die Technologie, mit Holz und Trockenmauern zu arbeiten, veränderte sich ja über die Jahrtausende kaum. Eine ausgetrocknete Quelle aber, zusätzlich unterzubringende Siedler, Streit mit den Nachbarn - das alles können Gründe gewesen sein. Wie die Karte zeigt, kommt ja noch einmal eine große Zahl an nicht identifizierten Artefakten (rot) dazu, die auf eine schon beängstigende Umtriebigkeit zu allen Zeiten schließen lässt. Doch was wissen wir Computerfreaks schon von den Gewohnheiten unserer Altvorderen!
Auf dem Keltenerlebnisweg mussten bis zum Rennsteig, ohne Dolmar, nur 2 größere Flüsse überquert werden: Werra und Main. An beiden Ufern standen zusätzliche Wachen: Kamel, Steinshaug bzw. Alte Burg/ Schmachtenberg, Burgstall/ Knetzberg. Im weiteren Verlauf als Kontinentalstraße kamen nach Norden nur die Elbe, Richtung Mittelmeer nur Donau, Lech und Inn dazu. Die hier in der Karte außerdem zu überquerende Wörnitz konnte leicht umgangen werden. Dazu muss man wissen, dass nur 10 Kilometer westlich unserer Tangente zwischen Bopfingen und Bad Windsheim parallel ein ebenso gesicherter Urweg verlief. Der war Teil der Europäische Hauptwasserscheide, die von Gibraltar bis Moskau führt. (Sie untersuche ich im gleichnamigen Post auf dem Blog „Prähistorisches Europa“)
Was bleibt? Aus der touristischen Vermarktungskampagne einer Region ist das einzige großflächige historische Naturdenkmal aus schriftloser Zeit in Deutschland geworden. Auch wenn er nur einen winzigen Teil des Europäischen Altstraßennetzes ausmacht, es scheint - von der Untersuchung her - sein wichtigster Abschnitt zu sein. Dessen epochale Bedeutung kann man sich nur draußen in der Natur vor Ort erschließen. Leider aber ist mit altgeschichtlich interessierten Wanderern auf der Höhe kein Geld zu verdienen. Schon sind die Thüringer aus dem Projekt ausgestiegen. Das haben weder ollen Kelten, noch die Tausend anderen Sehenswürdigkeiten rechts und links des Weges verdient. Denn der Keltenerlebnisweg ist in jedem Fall ein grandioses Stück Heimatgeschichte. 

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