Donnerstag, 14. März 2019

Antsanvia - Die urzeitliche Variante der Via Regia?

kurzer aber feiner Artikel
Dass ich es noch erleben darf! Da schreibt einer wirklich bei Wikipedia, die mittelalterliche Altstraße von Mainz nach Eisenach sei bereits in der Steinzeit begangen worden. Er beruft sich ausschließlich auf Ausgrabungen und Hügelgräber entlang der Strecke. Der Wikipedia-Administrator muss geschlafen haben. Solche Leute genehmigen derartige Einträge sonst nur, wenn da z. B. ein Stein gefunden worden wäre mit der Inschrift: Das ist die Antsanvia.
Auch sonst scheint der Autor dieses Beitrages entgegen den gängigen Regeln des Wissensportals zu handeln. Er verwendet z. B. die alternativen Denkmuster der vergleichenden Archäologie. So führt er die Antsanvia über
- „Wasserscheiden auf den Anhöhen, ohne die Ortschaften zu durchqueren“,
- entlang beziehungsvoller Flur- und Ortsnamen,
- erkennt sie als Zusammensetzung aus anderen bekannten Altstraßen und
- als Teil eines großen europäischen Höhenweg-Netzes,
- vermutet, dass sie an beiden Endpunkten weiterging,
- dass der Weg mit den Ortschaften in die Täler gewandert sein muss und
- dass neuzeitliche Flurbereinigung und Hohlwegeverschliff ihren Verlauf verändert haben.
All das trifft nämlich auf alle bekannten mittelalterlichen Fernwege zu, aber sagen Sie das mal einem regionalen Altstraßenforscher.
Der alte Verlauf ist aber noch älter

Selbst beim konkreten Verlauf kann ich kaum etwas meckern. Da scheint einer selbst im Gelände unterwegs gewesen sein, um seine theoretischen Schlussfolgerungen zu überprüfen. Die Abweichungen sind vernachlässigbar gering. Wie überall geht es in einer Art Zwangsführung über Wasserscheiden entlang strategisch angelegter Versorgungsstationen mit tangierenden Flurnamen, die auf vorgermanische Bezüge vereisen. Diese Übereinstimmung ist umso verwunderlicher, als die Antsanvia selten schmale Höhenzüge nutzt, die den Verlauf in eine exakte Linie drängen. Hier hätte es teils sonst wo lang gehen können.
Denn kaum ein Altstraßenforscher scheint seine Objekte auch selber abzufahren. Wenn sie überhaupt deren Existenz schon in der Frühzeit anerkennen, führen sie uns durch damals noch versumpfte Täler, durch Orte, die erst mit den fränkischen Siedlern entstanden waren, entlang von Flurbezeichnungen, die auf das Mittelalter verweisen. Ich aber bin auch die Antsanvia mit dem Fahrrad abgefahren und kann so ausnahmsweise mal den von den Menschen in der Wikipedia als „offiziell“ wahrgenommenen Verlauf bestätigen. Entsprechend habe ich ihn bei Google-Maps eingezeichnet. (Bitte anklicken!)
Legende:
Antsanvia auf Google-Maps mit urzeitlichen Relikten

- rote Linie: Altstraßen auf Höhenrücken, die schon in der Bronzezeit begangen worden sein müssen
- lila Linie: theoretischer Verlauf der Antsanvia und anderer hier genannter Altstraßen, meist nach Durchzugsorten und Flurnamen
- drei Ringe: ausgegrabene oder mutmaßliche Höhenbefestigung
- 3 Punkte: frühzeitliche Relikte, die mit dem Weg in Verbindung stehen könnten
- kleine Burg: Mittelalterliche Befestigungen, die wahrscheinlich auf vorzeitlichen Höhensiedlungen stehen
Doch es gibt auch hier Anmerkungen. Der Autor leitet den Name vom lateinischen antiana via – alte Straße her. Sie muss also bereits am Ende der Antike und im Frühmittelalter „alt“ gewesen sein. Urkundlich belegt ist die Bezeichnung nur zwischen Fulda und Eisenach, in der Altstraßenforschung als sog. Kurzer Hessen bekannt. Der Rest ergibt sich aus Reisebeschreibungen und neuzeitlichen Flurkarten. Zwischen Mainz und Fulda tauchen so Namen wie Hohe Straße, Reffenstraße, Alte Straße und Kärrnersweg auf. Auch danach gibt es eine Hohe Straße bei Marksuhl, einen Königsstieg auf den Seebergen, den Hohenweg hinter Erfurt oder die Alte Salzstraße in Leipzig. Dass sich die lokalen Namen in Karten durchgesetzt haben, könnte daran liegen, wie Flurnamenregister seit dem Mittelalter aus regionalen Befragungen entstanden waren. Überall war die Wahrnehmung der Fernreisenden anders.
Die Antsanvia als Bestandteil der Via Regia

Bemerkenswert: Auf der gesamten Strecke wird die Antsanvia von der Via Regia begleitet, der berühmtesten Europäischen Kontinentaltrasse. Sie läuft teils parallel, teils überlappend, wie eine Art Tal-Variante unserer Straße. Das zeigt sich besonders entlang des Kinzigtals. So könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Via Regia aus der Antsanvia hervorgegangen ist, nämlich als Keltern und Römer wieder begannen die Täler und Flussauen zu besiedeln. Genauso umgekehrt könnte die Antsanvia in verregneten mittelalterlichen Jahren als Ausweichtrasse hergehalten haben.
Zwischen Eisenach und Leipzig sind die beiden Altstraßen identisch. Da ich die Via Regia dort bereits als Teil der Brabanter Straße beschrieben habe, beschränke ich mich hier auf den Abschnitt Mainz-Eisenach (Siehe entsprechenden Post in diesem Blog).
Wegkennzeichnung im Laufe der Jahrtausende:
Menhir, Marterl, Wanderschild 

Für mich greift die Antsanvia die Wanderungsrichtung der ersten Westbauern auf, von den Archäologen als Kulturkomplex Hinkelstein-Großgartach-Rössen bezeichnet. Auf gleicher Trasse müssen später die Glockenbecherleute, Kelten, Römer und Germanen marschiert sein - teils natürlich umgekehrt. Ihr Beginn in der Rhein-Niederung bei Mainz legt nahe, dass sie vor der letzten alles vernichtenden Flut des Nordmeeres in die deutsche Tiefebene hinein um 1200 v. Chr. entstanden sein muss. Nach dieser Welle nämlich scheinen Taunus und Hundsrück den Warenverkehr übernommen zu haben, in Umgehung der zwangsläufig versumpften Rheinaue. Erst ab 800 v. Chr. sind archäologisch wieder Siedler in der fruchtbaren Ebene fassbar. Kelten und Römer werden die alten bronzezeitlichen Wege aufgegriffen haben. Ihre typischen beidseitigen Furtsicherungen in Mainz vermute ich nach den alten Straßennamen an den eingezeichneten Stellen. Der weitere Verlauf erklärt sich selbst. Auf der Höhe von Hofheim die erste von mehreren gleichaltrigen Nord-Südverbindungen im Rhein-Main-Dreieck. Sie stützen sich wieder auf Konzentrationen von befestigten Höhensiedlungen, beziehungsvollen Flurnamen, Wasserscheidenwegen und bekannten Römerstraßen. Davon gibt es hier massig, wie vier hessische Altwegeforscher überzeugend berichten:
www.altwege.de,
www.altstrassen-in-hessen.de
http://www.taunusreiter.de
https://www.roemerfreunde-weser.info/alte-heer-und-handelsstraßen-zwischen-westfalen-und-nordhessen.pdf
Teilabschnitt bei anderen Altwegeforschern
Die lila Linie ab Höchst zeigt den in der Wikipedia beschriebenen Weg. Es ist gut zu erkennen, auf welche Flurnamen sich der Autor bei der Altstraßenführung stützt. Wahrscheinlich meint er über weite Strecken auch die von mir befahrende Höhenlinie. Hinter Hitzkirchen allerdings favorisiere ich die gelbe Linie als urzeitlichen Verlauf. Dafür sprechen die Beibehaltung der Wasserscheide, die extreme Anzahl urzeitlicher Bodendenkmale und die typischen Flur- und Ortsnamen, wie sie hundertfach an anderen Höhenwegen im deutschsprachigen Raum auftreten. Insbesondere -hain als Gehege oder Befestigung tritt hier hervor. Markant auch der vergessene Abschnittswall bei Kirchbracht. Geschützt von Schanzen und Terrassen um Herchenhain trifft unser Urweg bei der sog. Bonifatiuskanzel auf den bekannten Ortesweg. Dieser verband nach den gleichen Prinzipien seit Urzeiten Köln und Bamberg. Auf diesem ging es nun munter weiter bis zur nächsten Bonifatiuskanzel auf dem Horst neben Gunzenau, wo später die mittelalterliche Abkürzung von Hitzkirchen eintraf. Auf ihr sind zwar auch urzeitliche Relikte zu finden, es waren aber 8 weitere Wasserläufe zu queren. Eine Frage also von Wetter, Klima und Jahreszeit!
Langer (grün) und Kurzer (braun) Hessen

Um Fulda herum erscheinen weitere alternative Wege und Schanzen, die ich beim Ortesweg beschrieben habe. Als Querung des Flusses Fulda habe ich die sog. Furt bei Kämmerzell gewählt, weil es die berühmte Klosterstadt vor dem 6. Jhd. noch gar nicht gab.
Erst mit der Antsanvia respektive Via Regia wird die früheisenzeitliche Bedeutung der beiden Keltenoppida Öchsen und Dietrichsberg am Werraübergang bei Vache deutlich. Spannend dann auch der direkte Aufstieg zum Rennsteig. Die mittelalterliche Variante über Marksuhl verbot sich ja vordem schon des Namens wegen: Suhl-Suhle-Morast. Die Reisenden mussten also auf einer Höhenlinie bleiben, um über die bedeutungsschwangeren „Klafter“- oder „Wagnersberg“ über den Thüringer Wald zu kommen. Das umso mehr, als dort um die Wartburg herum eine der größten Konzentrationen frühzeitlicher Befestigungen auf sie warteten. Als die berühmte mittelalterliche Wartburg gebaut wurde, scheint die Hoch-Zeit der Trasse schon längst überschritten gewesen sein. Über den weiteren Verlauf bitte ich Sie, sich beim Post über die Brabanter Straße zu informieren.
Nur am Ende unseres Urweges möchte ich noch auf die gewaltige neolithische Ringgrabenanlage Eythra kurz vor Leipzig hinweisen. Sie erinnert uns daran, in welchen Zeiten wir unterwegs waren: Vielleicht 4500 v. Chr. Wer kann sich so etwas vorstellen?
Erst mit dem Bau der sog. Kunststraßen im 19. Jhd. war das Schicksal der Antsanvia besiegelt. So wie heute Orte ohne Autobahnanschluss das wirtschaftliche Nachsehen haben. Geschichte wiederholt sich eben doch immer wieder. 

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