Freitag, 29. November 2019

Wie kommen die historischen Thüringer ins Französische Tours?

Toronen an Atlantik und "nahe der Hessen"
(Siehe gleichnamiges Video auf YouTube)
Die Region Touraine begleitet den Fluss Loire auf dessen Weg in den Atlantik. Wie in jedem französischen Gebiet, das etwas auf sich hält, wird Wein angebaut und die Geschichte von den Kelten abgeleitet. Hier soll nach römischem Bericht der gallische Stamm der Turonen gelebt haben. Und nicht wenige französische Historiker glauben, dass dieser mit den Thüringern verwandt, wenn nicht gar identisch ist.
Die Hauptstadt von Touraine ist Tours. Bauliche Spuren hinterließen in der Kommune nur Römer, Westgoten und Franken. Die Stadtgeschichte beschreibt, wie man von Arabern, Normannen und Engländern bedrängt wurde. Französische Könige sollen oft und gerne in der alten Bischofsstadt residiert haben. Von keltischen Turonen aber fehlt jede Spur. Tatsächlich jedoch existierte ein gleichnamiger Stamm der Turonen im fernen Germanien. Der griechische Geografen Ptolemäus verortete ihn nahe der Chatten im heutigen Hessen. Ein Zufall? Eine Verwechslung?
Wanderten die Kelten von den  Gleichbergen
 an den Atlantik ab?
Einige französische Forscher glauben an einen gemeinsamen Ursprung der Turonen von Loire und Werra und sehen in den keltischen Oppida auf den Gleichbergen in Südthüringen deren Residenz. Tatsächlich wurden die Höhensiedlungen im Landkreis Hildburghausen gegen 50 v. Chr. aufgegeben. Die Bewohner verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Teile der Kelten sichtete man später am Mittelmeer und am Atlantik. Selbst noch bei den von Norden nach Südthüringen nachwandernden germanischen Hermunduren sehen einige Historiker Zusammenhänge und setzen die Nachsilbe Duren mit Turonen gleich. Schließlich seien Germanen und Kelten verwandte Ethnien mit demselben indogermanischen Hintergrund, nur getrennt durch den mächtigen Rhein und die erste deutsche Lautverschiebung. Wie aus Chatten Hessen wurde, soll der Name der Thüringer aus der Abwandlung von Touroner-Turoni-Thoringi entstanden sein. Wilde Spekulationen?
Tours mit frühen Beziehungen zu Thüringen

Von all dem sieht man in Tours jedenfalls nichts. Hier konzentriert man sich wie überall auf Geschichte, die man anfassen oder lesen kann. Dazu gehört der französische Nationalheilige Sankt Martin, der Begründer des Christlichen Mönchtums und 3. Bischof von Tours. Er soll als römischer Offizier seinen Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt haben. Seine Verehrung und Aufbahrung in Tours wurde vor allem von einem seiner Nachfolger, Bischof Gregor 200 Jahre später vorangetrieben. Und dieser wird nun wieder für die Thüringer interessant. Er war nämlich Vielschreiber und seine Bücher gelten heute als die wichtigsten Quellen für den Übergang von der Antike ins Mittelalter. Und darin spielen die Thüringer eine maßgebliche Rolle.
Gregor von Tours als Historiker über Thüringen
Nicht nur, dass Gregor von Tours die Invasionen seiner fränkischen Könige ins benachbarte Thüringer Reich en detail beschreibt, er widmet wesentliche Passagen den thüringisch-fränkischen Beziehungen. Dazu wartet er mit rührseligen, aber bezeichnenden Geschichte auf: Der fränkische Königsanwärter Childerich habe beispielsweise gegen 450 unserer Zeitrechnung 8 Jahre Exil im Thüringer Königshaus verbringen müssen. Dort verliebte sich Basena in ihn, die Frau des Thüringer Königs, und begleitete in ehebrecherisch zu dessen Krönung nach Frankreich. Gregor von Tours stand auch in Verbindung mit der Thüringischen Prinzessin Radegunde.
Schriftverkehr mit der Thüringer Prinzessin Radegunde
Diese war nach Unterwerfung durch die Franken 531 verschleppt und mit dem Sieger Chlodar I. zwangsverheiratet worden. Der soll sogar ihren Bruder eigenhändig ermordet haben! Radegunde blieb nur das Schicksal als Nonne, Wohltäterin und Heilige, was von ihrem Freund und Priester Fortunatus in Frankreich beschrieben wurde. Solche Geschichten gibt es Dutzende. Woher stammt wohl diese historisch beispiellose Verbindung von Franken und Thüringer noch im Frühmittelalter? Vergessen wir nicht, dass das heutige Franken in Bayern von Paris aus seit 531 zielgerichtet besiedelt wurde und mit Thüringen eine herzogliche Verwaltungseinheit bildete. Tours also Thüringisch? Auch dem belgischen Tournai wird übrigens eine solche Verwandtschaft angedichtet.
Die renommierte Historikerin Heike Grahn-Hoek lehnt heute jedenfalls ein linksrheinisches, also französisches Thüringerreich ab.
Radegundes Biograf: Venantius 
Fortunatus
Sie leitet aber die Herkunft der Thüringer von den Terwingen ab, einem Teilstamm der Ostgoten. Deren Brüder wiederum, die Westgoten, gründeten ja bekanntermaßen 418 an der Atlantikküste ein eigens Reich. Sie kamen 473 auch bis Tours. Die Franken erst 20 Jahre später. Schließt sich hier ein imaginärer Kreis?
Alles Quatsch, sagen andere. Die Wirren der Völkerwanderungen am Ende der Antike verlieren sich im Dunkel der schriftlosen Zeit: Und was ein Historiker nicht lesen kann, lehnt er im Zweifelsfall ab. Namensgleichheiten wie bei den Turonen gibt es mehrere, keltische Oppida zwischen Hessen und Thüringen Dutzende, Cäsar nannte die Kelten um den Thüringer Wald Volkae, für die Verbindung von fränkischen und thüringer Königsdynastien reichen schon ihre germanischen Wurzeln. Sicher ist nur: Die Römer siedelten in Tours auf einem keltischen Hügel und bezeichneten ihn als Caesarodunum - Cäsarenhügel. Die Stadt gilt von Anfang an als wichtige Kreuzung eines Nord-Süd-Handelsweges mit der Loire, wegen den hier auftretenden, leicht zu überwindenden Sandbänken. Vielleicht bezeichnet das indogermanische „Tour“ nur den entsprechend abgebildeten Reiseabschnitt, die Region Touraine nur den dazugehörigen Abhang am Fluss. Doch da sind wir schon wieder am Spekulieren.
Heike Grahn-Hoek: Wie aus Terwingen Thüringer wurden
(Siehe Post in diem Blog)

Völkerwanderung der Gothen
Flüchtige Reiche: Nur die Bewohner blieben
Heike Grahn-Hoek: Kein "linksrheinisches" Reich der Thüringer

Völkerwanderung der Volcae im Post: Als die Kelten abgezogen waren (Post in diesem Blog)
Duren in Hermunduren heute noch offizielle Lehrmeinung über die Herkunft der Thüringer

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