Donnerstag, 21. November 2019

„Notschreie“ aus Suhlerneundorf (von C.A.)

Im großen Nordischen Krieg von 1700 bis 1721 wurde die im 30-jährigen Krieg eroberte Vormachtstellung Schwedens im Ostseeraum vernichtet. Friedrich August I. von Sachsen u. Polen, Zar Peter I. von Rußland und Friedrich IV. von Dänemark, hatten ein Bündnis gegen den Schwedenkönig Karl VII. geschlossen und den o.g. Krieg vom Zaun gebrochen. Da Polens König Friedrich August I. auch Kurfürst von Sachsen war, wurden auch die sächsischen Länder mit Krieg überzogen.
So kamen am 25. September 1706 auch 4000 Reiter unter dem schwedischen Obristen Görtz nach Suhl und nahmen 1790 Flinten, 214 Karabiner und 516 Pistolen als Kriegsbeute mit. Obwohl die Suhler dem schwedischen Befehlshaber erklärten, dass ihre Stadt nicht zum Kurfürstentum Sachsen, sondern zu Sachsen-Naumburg-Zeitz gehöre, half ihnen das nichts. Die Stadt musste sogar noch 2050,- Reichstaler Kriegssteuer bezahlen.
Besonders schwer wurde Suhlerneundorf heimgesucht, wie aus einem Brief vom 1.10.1706 des Schultheißen Michael Schlegelmilch von Neundorf an den Herzog Moritz Wilhelm zu Sachsen-Naumburg-Zeitz hervor geht. Er schreibt u.a.:

„Euer Hochfürstlicher Gnaden wird ohne Zweifel schon hinterbracht worden sein, daß der schwedische Oberst Görtz mit einer Partei zu Pferde nach Suhla gekommen und allda etliche Tage mit der Truppe still gelegen, wobei uns arme Suhlerneundörfer das Unglück betroffen, daß die Feinde, welche auf 500 Mann und 600 Pferde stark, sich in unserem Dorf einquartiert und übel mit uns umgegangen ist.
Das Dorf ist klein und arm, und doch sollte es 600 Pferde und 500 Man unterhalten, welche mit dem Bier und Fleisch, das wir liefern konnten, nicht einmal zufrieden waren. Wir müssen gestehen, daß wir nicht genügend hatten, sondern deswegen zu Schleusingen, bei dem Amt, zu dem wir gehören, um Hilfe suchen mußten. Allein es konnte uns weder mit Hafer, Bier, Fleisch noch Brot geholfen werden. Da nahmen wir Zuflucht zu dem Amt Suhl und verlangten von dem selbigen dergleichen. Es wurde uns abgeschlagen und wurden an unser Amt verwiesen, wiewohl uns doch die Suhler mit etwas Hafer, Fleisch und Brot geholfen haben. Von unserem Amt ist uns gar keine Hilfe widerfahren und weil wir nun die Soldaten auch mit dem Nötigsten nicht versorgen konnten, wurde von uns desto mehr gefordert und wir noch übler gehalten. Sechs Nachbarn sind deshalb fortgezogen und unser weniges Getreide wurde uns genommen. Von den Getreidehalmen auf dem Felde wurden die Körner abgeschnitten, um damit Pferde zu füttern. Die Soldaten waren über alles hergefallen.
Ein Schaden von 811 Gulden, 20 Groschen, 2 Pfennige ist festgestellt worden, ohne was in Gärten und Häusern verderbt worden ist. Wir sehen keinen Lichtblick, haben keine Mittel, wie sich unser Dorf wieder in etwas erholen könnte, wenn uns nicht von der Regierung ein Beitrag gegeben wird und wenn es nicht zum Amt Suhl, welches uns am nächsten gelegen und wo wir bei vorfallenden Gelegenheiten am ersten Hilfe haben können, geschlagen werden.
Das Entlegensein des Amtes Schleusingen verursacht viele Kosten; doch müssen wir rühmen, daß Recht und Gerechtigkeit uns von dem selben widerfahren ist. Ew. Hochl., unser Gnädigster Fürst und Herr wolle keine Ungnade auf uns werfen, wenn wir bei diesen Umständen um eine Gnade untertänigst ersuchen und flehen untertänigst, es wolle die Regierung befehlen uns vom Land Henneberg ein Beitrag gezahlt werden möchte, und sodann-uns die Gnade erzeigen, damit unser Dorf zum Amt Suhl geschlagen werden möge.“

Ob der Notschrei des Suhlerneundörfer Schultheißen Erfolg gehabt hat, darüber berichten die Archivakten nichts. Sie melden nicht, ob die Gemeinde von der Herzoglichen Regierung oder vom Amt Schleusingen den Schaden von 811 Gulden, 20 Groschen, 2 Pfennige ersetzt bekommen hat. Das Dorf ist bis 1815 beim Amt Schleusingen geblieben. Nachdem unsere Region an Preußen fiel, wurden die bisherigen Ämter Schleusingen, Suhl, Kühndorf und Benshausen zum Kreis Schleusingen zusammengefasst. Suhl- Neundorf blieb so auch weiterhin mit Schleusingen verbunden. Nach 1945 wurde das Dorf nach Suhl eingemeindet und wird nun Suhl-Neundorf genannt. Der Kreis Schleusingen wurde, nachdem schon 1928 in Suhl neue Gebäude für die Kreisverwaltung gebaut worden waren, aufgelöst und Kreis Suhl Land genannt.

Eine alte Chronik von Suhl-Neundorf berichtet u. a. außerdem folgendes:

Es wird berichtet, dass am 2. Juni 1738 über unser Dörflein ein sehr starkes Gewitter zog, welches ungeheuer viel Regen brachte, wie es seit Manns Gedenken hier nicht gewesen ist. Während des schlimmen Wütens kamen auch die Bauern von den Feldern nach Hause. In dem schlechten wasserreichen Aspenwege waren Werner Schlegelmilch mit 2 Wagen und 7 Ochsen, Caspar Zimmermann mit ein Wagen und 4 Ochsen, Johann Adam Heym mit ein Wagen und 3 Ochsen und Michael Dähn mit 1 Wagen und 3 Ochsen. Das Wasser der Aspenhöhle war bereits bei drei Ellen gestiegen und es kam mit solcher Macht angeschossen, daß es sämtliche Wagen und Ochsen zurücktrieb bis zur Mühle, wo das Mühlwasser raus gehet. Die Bauern konnten sich retten, aber Wagen und Tiere lagen dort wirr durcheinander. Es sind drei 3 Ochsen von Werner Schlegelmilch und 1 Ochse von Joh. Caspar Zimmermann ersoffen, die Wagen waren bis auf einen sämtlich arg mitgenommen.
Am 22. Juni 1738 ist die Brücke beim Armenhaus verdingt worden. Welche die hiesige Gemeinde und die Stadt Suhl gebaut haben zu gleichen Teilen. Dieselbe kostete insgesamt 27 Reichstaler, 3 Batzen.
Nach der Schlacht bei Jena und Auerstädt von 1806, sind die Gefangenen und Blessierten (Verwundeten) zu Tausenden abtransportiert worden. In Suhl haben auch eine große Anzahl Kranker zur Kur gelegen, und zwar aus unserem Ort Georg Christoph Schlegelmilch, Lorenz Schlegelmilch, Fritz, sein Sohn, der mit einer gehackten Kugel am Dickbein verwundet worden war, wurde hier ausgeheilt.
Nachdem im Dezember 1806 den Preußen die Kanonen durch Napoleon abgenommen worden sind, mußten die Hessen und die Henneberger Bauern Vorspann leisten bis nach Schweinfurt. Da hat Sühler-Neundorf auch 66 Stück Ochsen mit zur Anspann müssen geben und Suhl auch viel.
Den 16. August 1807 ist in Wiedersbach ein Brandunglück entstanden. Es sind vom Feuer 5 Häuser und 5 Stadel vernichtet worden. Da hat jede Gemeinde nach ihrem Vermögen einen freiwilligen Beitrag geleistet. Unser Ort gab 6 Taler, 6 Groschen gut Geld. Mehr konnte nicht gegeben werden, weil die Nachbarn aus ihrem eigenen Vermögen ein Stockwerk auf das Schulhaus gebaut hatten.

Im Jahr 1806, den 4. September, suchte der Schullehrer Georg Michael Furch um eine Umtauschung des Schulrodes nach, welches mit Büschen und Ameisenhügel, verwachsen war. Das geistliche Untergericht endlich brachte es soweit, daß 1811 an der „Wanne“ das Schulland geschaffen wurde und bereits am 21. April 1812 war es versteint und gereinigt. Es war gefordert, daß die Versteinerung und Reinigung der Lehrer Furch selbst tragen sollte. Das Konsistorium aber verlangte die Kosten von der „Heilige“. Da der Heiligenkasten aber stets recht mager war, so besorgten die Nachbarn der Gemeinde die Urbarmachung selbst. Es haben dieselben ohne Ausnahme zwei Tage gearbeitet. Es haben 221 Personen daran gearbeitet, männliche und weiblich, und haben nicht die Hälfte urbar gemacht. Der Lehrer Furch hat Korn und Erdäpfel darauf angebaut.
Im Jahre 1814 wurde dem Schullehrer ein Backofen bewilligt. Derselbe hat gekostet 20 Taler, 8 Groschen, 16 Pfennige. Ist ein wenig viel für einen Backofen von Lehm, schreibt der Chronist.

1833 wird in die Chronik eingetragen:

„Im vorigen Jahre und in diesem Jahre hatten wir eine trockene Witterung, wie sich nicht leicht wenige Menschen erinnern. Diese Trockenheit erstreckte sich beinahe durch ganz Europa. Man klagte über Mangel an Regen nicht bloß in Nord- und Mitteldeutschland, sondern auch in Frankreich, Dänemark und Rußland. Das Getreide auf dem Felde und das Gras auf den Wiesen litten sehr. Diese Trockenheit ist in diesem Jahre noch empfindlicher und nachteiliger als im vorigen Jahr. Weil bei uns schon die großer Hitze seit dem 2. Mai eingetreten ist und bis Ende Juni fortgedauert hat. Auf sandigen Feldern haben daher alle Getreidearten sehr gelitten, ja manche sind fast verdorrt. Im lehmigen Boden steht das Wintergetreide fast im Ganzen gut, nur trifft man Felder an, wo der Roggen sehr flache Körner hat und vor der Zeit reif wird. Aber wie sieht es in der Auengegend und auf Feldern mit nassen Böden aus ? Hier erblickt man das Wintergetreide in einem trefflichen Zustande, es hat lange Ähren und dicke Körner. Eben diese Gegenden liefern in trockenen Jahren Ersatz für das, was auf den trockenen fehlt. Sie ergaben reiche Ernten und ersetzen den Ausfall auf den letzteren. Daher treten wohl höhere Preise aber keine größeren Teuerungen ein. Auch stehen bis jetzt die Kartoffeln sehr gut und ob es schon sehr an Futter für das Vieh gebricht und die Heu-, sowie die Grummeternte sehr schlecht ausfällt, so werden doch noch immer genug Kartoffeln für die Menschen übrigbleiben, wenn auch das Vieh viel verzehren sollte. Man baut jetzt alle Jahre weit mehr Kartoffeln und sie ersetzen was hier und da an Getreide fehlt.

Sag ich doch: Die Kartoffel macht es.


Quelle: Henneberger Heimatblätter Nr.10a/1923

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