Montag, 21. Januar 2019

La Mutta in Südthüringen?

Frühe Höhensiedlungen in der vergleichenden Archäologie

La Mutta: Christlich besetzter heidnischer Kultplatz
Eine der am besten erforschten urzeitlichen Siedlungsplätze in der Schweiz ist der Parc la Mutta in Falera. Bronze- und Eisenfunde belegen, dass er von 1800 bis zu den Kelten um 400 vor unserer Zeitrechnung bewohnt war. Er beindruckt besonders durch seine vielen Menhire, die astronomische Peilungen zur Sonnenwende ermöglichen sollen, durch Höhlen, Gräben und Wälle auf der mutmaßlichen „Akropolis“ und durch die künstlich versteilten Abhänge des Siedlungsareals, die wahrscheinlich Palisaden getragen haben. Der Vorgängerbau der mittelalterlichen Kirche St. Remigius wollte dann 1000 Jahre später La Mutta für das Christentum vereinnahmen. Deutlich kann man sich vorstellen, wie sich die alten Bauernkrieger auf dem Hügel verschanzten, an den Steinreihen ein heidnisches Gebet abhielten, die Terrassen ringsum für den Ackerbau anlegten und ihr Vieh über die kargen Abhänge trieben.
Archäologisches Museum in Weimar
Nun will sicherlich niemand den Schweizern ihr kulturelles Erbe schmälern, aber identische Anlagen gibt es um den Thüringer Wald herum zu Hauf. Es nimmt sie nur keiner wahr. Wir zelebrieren unsere mittelalterlichen Burgen bis an die Grenze des guten Geschmacks und begnügen uns zur Ur- und Frühgeschichte mit zwei Museen, eins in Weimar und eins in Römhild.
Die haben zwar einen guten Ruf, können aber der realen Dimension dieses Zeitabschnittes in unserer Region nicht gerecht werden. Die frühzeitliche Steinsburg bei Römhild ist auch nur deshalb so gut bekannt, weil extrem zahlreiche Zufallsfunde beim Basaltabbau vor 200 Jahren das Museum zu ihren Füssen füllen konnten. Von ähnlichen Wallanlagen auf Dolmar, Gleitsch oder Geba haben die wenigsten gehört.
Ringwall bei Eisfeld
So kann man zum Beispiel jede Menge Ringgrabenanlagen der ersten Bauern vor 7000 Jahren deutlich auf Luftbildern erkennen, aber keiner gräbt sie aus, wie im Feld östlich von Eisfeld, auf dem Knollenberg oberhalb Dillstädts, am Mittelpunkt Deutschlands bei Heilbad Heiligenstadt oder auf dem Katzenberg über Andenhausen in der Rhön.
Jeder Heimatforscher bewundert die zahlreichen, vielleicht Dreieinhalb Tausend Jahre alten bronzezeitlichen Hügelgräber auf den Höhen um das Haseltal, aber keiner macht sich Gedanken um die dazugehörigen befestigten Dörfer. Wie in La Mutta müssen sie gleich danebengelegen haben, also auf dem Kirchberg über Ebertshausen, dem stark terrassierten Eulsberg in Dietzhausen oder dem Schießberg neben Wichtshausen.
frühmittelalterlicher Wall Laurenze bei Dietzhausen
Immer wenn Archäologen an Flurstücken mit der Bezeichnung z. B. Aschenberg graben, stoßen sie auf Urnenfeldergräber - interessiert hier niemanden. Dabei kommen sogar unter mittelalterlichen Höhenburgen sehr oft urzeitliche Artefakte zu Tage, wie auf der berühmten, das Land prägenden Henneburg oder der Heldburg im Unterland. Nur - da graben sie kaum mehr. Archäologische Untersuchungen gibt es meist nur noch als Notgrabungen, die der jeweilige Grundstückseigentümer zu finanzieren hat. Bloß wenn mal wieder eine Doktorarbeit fällig wird, scheint es Ausnahmen zu geben, wie auf dem Muppberg bei Sonneberg. So werden nur noch Funde in und um die heutigen Talsiedlungen gemacht. Die bedeutendsten urzeitlichen Gemeinwesen aber standen europaweit auf Bergen, wie die keltischen Oppida auf Steinsburg, Öchsen oder Milseburg assoziieren. Dazu zählen auch mehrere Dutzend gut ausgeschilderte, aber wenig bekannte frühe Schanzen, wie der Baier in der Rhön, der Singener Berg hinter Gräfinau-Angstedt, oder der tief im Wald versteckte Falkenstein Floh-Seligental auf dem Höhenweg von Schmalkalden zum Rennsteig.
Vom Steinfachwerk der Kelten blieben nur Wälle übrig
Die Masse solcher Befestigungen aber ist unbekannt und das sind so viele, dass es schon beängstigend wirkt. Alle genau so angelegt wie La Mutta in der Schweiz. Der Trick sie zu finden: Es sind immer die künstlich deformierten Bergnasen an den alten wasserscheidenden Höhenwegen, wie der Hohen Straße bei Roderode. Die Flurnamen der Felssporne dort sprechen Bände. Als die ersten Germanen kamen, waren sie wahrscheinlich schon wieder verlassen, aber ihre noch immer erkennbaren Rodungen müssen die Neuankömmlinge veranlasst haben, viele Flächen nachzunutzen. Im Tal hat haben sie dann ihre Häuser gebaut und an den Hängen Landwirtschaft betrieben. Auf den Spitzen, wo früher die Häuser standen, war es ja zu steinig.
Siedlungssporne über Grub mit Wällen 
und 6 großen Hügelgräbern
Anschauliche Beispiele sind Rabenäußig bei Mengersgereuth-Hemmern, der Aschenberg über Grub, oder der Windberg zwischen Fischbach und Klings. Es sieht wirklich so aus, als ob die meisten Höhen-Dörfer im Dreieck von Rhön, Thüringer Wald und Werra aus solchen befestigten Bergsiedlungen hervorgegangen sind. Wo Wanderer achtlos vorüber gehen, sehen andere, inspiriert vielleicht durch La Mutta, Grabhügel, Menhire, zerstörte Großsteingräber und Kultplätze.
Andere markante Beispiele, die zwar untersucht, aber wieder vergessen wurden sind: Der alles dominierende Bleß über Schalkau, dessen Verteidigungswälle für die Funkmasten plan geschoben wurden; gleich unterhalb: der keltische Herrenberg - heute mit einer Starkstromleitung überbaut; der Weitberg bei Beinerstadt, dessen Grabhügel durch Wege angeschnitten wurden; oder der Dietrichsberg in der Rhön, dessen Steinwälle immer noch gnadenlos dem Großsteinbruch geopfert werden.
Funkenburg aus der Früheisenzeit
Es gibt aber auch Berge, wo prähistorische Zufallsfunde gemacht wurden, die aber nie wissenschaftlich untersucht wurden, wie der Spitzberg zwischen Meiningen und Wallbach, die Alte Mark und die Diesburg in der Rhön, oder die Katzenlöcher zwischen Bibra und Bauerbach.
Der überwiegende Teil solcher alten Denkmale aber ist völlig unbekannt, obwohl immer mehrere Indizien auf ihre frühzeitliche Nutzung hinweisen, wie Schanzen, Gräber oder Flurnamen. Deutliche Verdachtsmomente gibt es z.B. bei der Steinsburg über Suhl, dem Raubschloss hinter Meiningen, an beiden Bergnasen über Altendammbach, oder an der Alten Wart über Gumpelstadt.
Modell einer frühmittelalterlichen Holzburg
Fast schon als Zwilling von La Mutta könnten Großer und Kleiner Hermannsberg über Oberschönau interpretiert werden, nur gewaltiger. Der ganz Südthüringen überblickende Felssporn kommt als gelrechte Zwangssiedlung über uns. Die großen Steinblöcke wurden hier nur umgeworfen.
Selbst im Kleinen Thüringer Wald, der ja archäologisch vorbildlich ausgeschildert ist, kennt kaum jemand die Steinwälle und Steingräber auf den unscheinbaren Kuppen von Ehrenberg und Kirchberg.
Selbst jene Berge, auf denen im 19. Jahrhundert Aussichtstürme im Historismusstil errichtet wurden, weisen oft uralte Bodenveränderungen auf, wie der Domberg über Suhl oder die Hohe Warte über Elgersburg.
Menhier von Buttelstedt
Bis zum Rennsteig hoch müssen die Altvorderen gesiedelt haben, wie die Hügelgräber am Wilden Kopf beweisen.
Für alle diese Sicherungsstationen aber gilt: Nur wissenschaftliche Grabungen können das genaue Alter bestimmen. Sonst kommt es zu Streit unter den Heimatforschern wie beim Ruppberg über Zella-Mehlis, den die einen als keltische - die anderen als frühmittelalterliche Wachstation interpretieren. Das sind vielleicht 1000 Jahre Unterschied!
Zugegeben ist es schwer, sich auf den nackten Hügeln ein quirliges Leben vorzustellen. Einen guten Eindruck aber vermitteln solche historischen Erlebnisstätten wie am Öchsen bei Sünna, oder in der Funkenburg bei Westgreußen. Hier haben Menschen mit den gleichen Intentionen gelebt wie heute - eben nur ohne Schrift, Präzisionstechnik und elektrischen Strom. Dafür brauchten sie aber nicht so gnadenlos ihre Umwelt zu zerstören.
Auch die in der Schweiz so bewunderten Menhire sind in Mitteldeutschland gar nicht so selten. Wiederum aber wird nur den größten unter ihnen ein prähistorischer Status zuerkannt, und die liegen alle im Thüringer Becken: wie der Wetzstein von Buttelstedt oder der Lange Stein vom Ettersberg. Dabei wimmelt es nur so auch südlich des Rennsteiges von diesen Steinstelen. Die meisten Forscher vermuten in ihnen irgendwelche Kultobjekte, dabei stehen sie wieder regelha
Schneekopf am Rennsteig mit Schanzaufwürfen
ft an Kreuzungen, Furten und Abzweigungen von uralten Handels- und Heerstraßen. Das kommt besonders bei den Menhirreihen von Suhl Richtung Rennsteig zum Ausdruck oder bei den Zwölf Aposteln hinter Langenbach, als effektivste Verbindung von Saale- und Maintal. Auch wenn solche Hinweissteine in der Mehrzahl versetzt, umgeworfen oder zu Steinkreuzen bzw. später zu Grenzsteinen umgearbeitete wurden, führen sie uns wieder typischerweise über oder zu wasserscheidenden Höhenwegen. Andere Beispiele in Südthüringen wären der beim Straßenbau gefundene und wieder aufgerichtete Stein bei Rabenäußig, viele wieder auf dem Hahnberg in der Rhön, oder der Hinkelstein auf dem Maßkopf über Seligenthal. Sie alle beschreiben Urwege zur Überquerung des Rennsteiges. Überhaupt spricht einiges dafür, dass der Höhenweg des Thüringer Waldes selbst, bis ins Frühmittelalter hinein eine vielbefahrene Heer- und Handelsstraße war, wie übrigens alle Mittelgebirgskämme Europas. Indizien sind Hohlwege längs der Wasserscheide, typische Flurnamen und eben diese befestigten Höhensiedlungen - übrigens alle 20 Kilometer, dem Tagespensum eines Ochsenkarrens.
Singener Berg mit befestigter Höhensiedlung
Lachende Megalithiker in Falera
Auch der Parc La Mutta liegt an einer Kreuzung zweier Urstraßen in den Alpen. Wie in Mitteldeutschland finden sich wieder alle zwanzig Kilometer solche alten Sicherungsstationen. Die Mittelalterburgen zeigen, dass der Weg bis in die Neuzeit hinein begangen worden sein muss. Zwei Tagesreisen weiter Südöstlich sichert die Anhöhe von Carschenna den Weg zu den Alpenpässen. Sie ist genauso für Landwirtschaft und Verteidigung hergerichtet, wie alle frühen Bergdörfer. Nur die Menhire fehlen. Dafür gibt es hier Felsritzungen mit Spiralen, Ornamenten und kleinen Figuren. Sogar Saumtiere und ein Reiter sind zu erkennen. Wissenschaftler datieren sie wieder in die Bronze- bzw. angehende Eisenzeit. Sie vermuten, dass die Steine für kultische Handlungen bearbeitet wurden. Die Zeichnungen finden sich aber nur an den steilen Felsklippen über dem Tal. So könnten sie auch aus Langeweile von den urzeitlichen Wachposten dort in den Stein gemeißelt worden sein.
Denn Spaß scheinen sie auch vor 4000 Jahren schon gehabt zu haben. Die berühmteste Gravur in La Mutta ist der sogenannte Lachende Megalithiker, ein lustiges Gesicht mit Sonnenstrahlen. Noch heute kommt Freude bei seinem Anblick auf. Und genau solch ein Strichmännchen haben Heimatforscher an einem Menhir auf dem Hahnberg in der Rhön gefunden. Archäologen sind der Meinung, das sei natürlich entstanden. Auf der Steinstele aber ist dazu noch eine exakte Landkarte der Umgebung eingeritzt, mit mehreren noch heute erhaltenen Hohlwegen, einer mutmaßlichen frühzeitlichen Befestigung und sogar dem Steinbruch daneben. Außerdem steht der Menhir in einem chaotischen Haufen von Großsteinblöcken, die hier keinen felsigen Untergrund haben.
Traurige Megalithiker vom Hahnberg
Egal also wann es zu dieser Konzentration kam - das Ensemble ist künstlich zusammengeführt und lässt auf zerstörte megalithische Großsteingräber schließen.
Denn rundum finden sich weitere solche geschliffen wirkenden Brocken im Gelände. Und: das Ganze liegt wieder an einem urzeitlichen Höhenweg, an dem man erst jüngst bei Roßdorf ein Steinbeil gefunden hat. Diese Trasse wurde streckenweise im Mittelalter Salzstraße genannt und kann von Bremen bis Mailand nachvollzogen werden. Und genau an dieser Strecke liegt - raten sie mal - La Mutta und Carschenna! Natürlich wieder neben hunderten anderen Sicherungsstationen alle 20 Kilometer. Aber in solchen Dimensionen denkt kaum jemand und so werden sie von Wissenschaftlern gar nicht wahrgenommen. 
Warum also in die Ferne schweifen? Neben den üblichen prähistorischen Hinterlassenschaften verbirgt der Thüringer Wald nämlich auch Geheimnisse, die einmalig wären. Dazu zählen Heimatforscher das Amphitheater auf dem Domberg über Suhl und den Götzen von Gethles. Beides aber wird von der Wissenschaft nicht ernst genommen.
Götze von Gethles
Andere Bundesländer errichten sich z. B. mit der Himmelscheibe von Nebra vielbesuchte Denkmale internationalen Ranges - hierzulande ist der Hexenhügel, Mitteleuropas mutmaßlich größter Grabhügel, zugewachsen. Während in Bayern alle prähistorischen Siedlungsverdachtsplätze mit dem Bayernatlas öffentlich gemacht sind, wird der Heimatforscher in Thüringen gerne mal mit illegalen Schatzgräbern in eine Reihe gestellt. Der Entdecker des Amphitheaters und der Menhirreihen in Suhl, Ernst Fischer, wurde zeitlebens verlacht. Südthüringen hat sich dem touristischen Keltenerlebnisweg von Meiningen ins bayerische Bad Windsheim angeschlossen, dabei muss es damals ein ganzes Netz solcher wasserscheidender Höhenwege auch bei uns gegeben haben. Alle Welt bestaunt die rekonstruierte Heuneburg aus der Keltenzeit an der Donau, dabei scheint über vielen Orten rund um den Rennsteig eine ganz ähnliche Anlage gestanden zu haben.
Wie die Höhlen um Ranis beispielsweise belegen, ist der Thüringer Wald seit der Altsteinzeit um 7000 v. Chr. etwa bewohnt. Solche Orte aus schriftloser Zeit hätten es verdient, wie die mittelalterlichen Anlagen gewürdigt zu werden. Sie sind nämlich nicht nur tausende Jahre älter, sondern auch viel größer. Die Ruine der Henneburg kennt jeder - die neuzeitliche Wallanlage auf dem Mittelberg daneben nur wenige, und die prähistorische Schanze Alte Schule in der Nachbarschaft fast niemand.
Versteckte Wallanlage am Rennsteig
Lokale Vorträge über wissenschaftliche Grabungen zeigen, dass sich immer mehr Menschen für die Geschichte ihrer Heimat auch aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit interessieren. Doch die Bemühungen der Archäologen scheinen hierzulande monetär und zeitlich begrenzt. Wenn sich die Heimatforscher nicht besser vernetzen, bleibt die regionale Frühgeschichte im Dunklen. Und wer keine Lehren aus der Geschichte ziehen kann, muss sich nicht aufregen, warum die Welt so ist, wie sie heute ist.

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