Mittwoch, 26. Dezember 2018

Ein Schleusinger Major will in den Krieg (von C.A.)



Türkenkrieg
Es ist ein recht interessantes, 18 Folio-Seiten langes Aktenstück aus dem Jahr 1717, das von dem Major der Henneberg-Schleusinger Landmiliz, Johann Theobald Schneider, handelt, der um Urlaub und Geld bei seinem Landesherren, Herzog Moritz Wilhelm zu Sachsen, nachsucht, um an dem Türkenkrieg in Ungarn  im Jahr 1717  teilnehmen zu können.

Aus Schleusingen, seinem Ruhesitz, schreibt am 12. April 1717 der 67-jährige Miliz-Major  Joh. Theobald Schneider an seinen Herzog: (Briefe  sind v. Verf. gekürzt worden) 

„Es ist Hochfürstliche Durchlaucht bekannt – siehe das weiter unten erwähnte Attest des Feldzeugmeisters v. Erffa – dass ich im Kriegsdienst aufgewachsen bin. Treulich habe ich Durchlaucht gedient, insbesondere im Türkenkrieg: 4 Schlachten und 3 Belagerungen – Ösen, Fünfkirchen und Belgrad – habe ich mitgemacht. Ich bitte darum, daß ich noch einmal zu dem Feldzug gegen die Türken einberufen werde, mich also von meinem hiesigen Amte – Major der hiesigen Landmiliz – zu entbinden.
Meine jährliche Besoldung von 100 Reichstaler reicht nicht zum Nötigsten, Unentbehrlichen aus. Im Türkenkrieg hoffe ich einige Feldzüge  mitzutun, die mich finanziell aufbessern sollen. Für mein im Hennebergischen Lande – Schleusingen – bleibendes Weib und für meinen Sohn, der Student ist, und für meine Einkleidung bitte ich für die nächsten  zwei Jahre um 200 Taler pro Jahr.“ 

Schleusinger Schloss aus dem Mittelalter
Das im Brief an seinen Herzog erwähnte Attest des General-Feldzeugmeister, Georg Hartmann v. Erffa,  lautet:
„Ich bescheinige, daß Herr Joh. Theobald Schneider, Major über die Miliz im Sachs.-Henneberg-Schleusinger Lande, bis zum Jahre 1709  Dreihundertzwölf (312) Monate lang Kriegsdienst getan hat und zwar: 15 Monate als Musketier, 6 Monate als Gefreiter, 10 Monate als Corporal , 30 Monate als Fourier, 41 Monate als Proviantmeister und 138 Monate als Leutnant in dem mir anvertrauten Regiment, dann noch 72 Monate im Dalberg'schen Regiment als ältester Hauptmann, dabei hat er vielfach die Majorsstelle mit versehen. Allzeit war Herr Major Schneider ein treuer Mann, der überall ganz seine Schuldigkeit getan hat: Im Türkenkrieg des Ungarnlandes, im Französischen Krieg am Rhein, in Bayern und in der Oberpfalz. Tapfer war er bei Sturmangriffen, bei Belagerung und Eroberung verschiedener Festungen und in den Feldschlachten. Stets hat er sich so verhalten, daß ihn der Name eines guten Soldaten und eines verständigen Offiziers zugelegt werden kann und weiteres Avancement  (Beförderung) gern vergönnt werden muß.“ 

Schlacht um Belgrad 1717
Der Brief des Majors  Schneider an seinen Landesherren wird am 22. April 1717 mit einem Brief an die Oberaufsicht in Schleusingen beantwortet. Drin wird angeordnet, dass  die Oberaufsicht den Major begutachten und  darüber schriftlich an den Herzog berichten soll. Am 22. Mai 1717 schreibt die Oberaufsicht in Schleusingen an den Herzog:
„Trotz der hohen Verdienste des Majors Schneider um das Kriegswesen, so will doch der verlangte  Vorschuß seiner Besoldung auf 2 Jahre – pro Jahr 200 Taler -   bedenklich  fallen, weil er ein Mann bei Jahren – 67 Jahre zählt er -  und leichtiglich, ehe die 2 Jahre zu Ende, sterben könnte. Die Oberaufsicht  zu Schleusingen ist gegen den Vorschuß auf 2 Jahre. Wollten aber Hochfürstliche Durchlaucht dem verdienten Major eine besondere Gnade erweisen, so bitten wir, ihm eine halbjährige Gage im Voraus zahlen zu wollen.“ 

Die von der Oberaufsicht in Schleusingen vorgeschlagene „besondere Gnade“ ist dem Miliz-Major Schneider auch vom Herzog erwiesen worden, was so auch in einem Brief Herrn Schneider  mitteilt wurde. Damit ist dieser aber nicht zufrieden gestellt und er schreibt noch 2 Briefe an seinen Landesherren. Der letzte Brief lautet:
Tod im Bett
„Ich bin ein 67jähriger Kriegsmann, habe langjährige treue Dienste gegen Türken und Franzosen  getan, habe Leib, und Leben, Gut und Blut geopfert. Ich bitte dringend um die volle Gage (200 Taler). Ich verpfände meinem Fürsten mein Haus, das einen Wert von 1200 Taler hat. Sollte ich aus dem Türkenkrieg nicht zurück kehren, so möge der Landesherr die Summe, die er  mir im voraus zu viel bezahlt, durch den Verkauf des Hauses einziehen.“ 
Am 13. Juli 1717 schreibt der Landesherr, Herzog Moritz Wilhelm von der Moritzburg an der Elster, an die Oberaufsicht in Schleusingen:
„Es bleibt bei der halbjährigen Gage im Voraus. Die Oberaufsicht mag den Major Schneider in diesem Sinne bescheiden. Und wenn er sich nicht dabei beruhigen will, so soll die Oberaufsicht es ihm freistellen, es zu halten wie es ihm gefällig sein möchte.“ 

Major Schneider bekam also, wie von der Oberaufsicht vorgeschlagen, nur 50 Taler Vorschuss. Dafür zog er allerdings nicht in den Türkenkrieg nach Ungarn. Er soll schon 1 Jahr später, wie von der Oberaufsicht  befürchtet, in Schleusingen in seinem Bett gestorben sein.






Quelle: Nach Akten im Staatsarchiv Magdeburg


Sonntag, 9. Dezember 2018

Die alte Heidenstraße - auf den Meter genau?




Premium-Wegbegleiter
Heute brauchen wir für die 500 Kilometer von Köln nach Leipzig mit dem Auto 5 Stunden, die Eisenbahn vor 100 Jahren noch 12, das Pferdegespann vor 500 Jahren mindestens 17 Tage und der Ochsenkarren in der Frühzeit sogar 25. Ich lag mit meinem Fahrrad auf dem Niveau der Ochsen. Allerdings nicht an einem Stück und ich habe auch jeden prähistorischen Siedlungsverdachtsplatz untersucht. Prähistorisch? Natürlich erkennen Historiker für die alte Fernhandelsstraße nur die mittelalterlichen Dokumente dazu an. Und davon gibt es massig. Oft auch unter anderen Namen. Kaiser Otto III. z.B. wird als Reisender an seinen Urkunden identifiziert, die Jakobs-Pilger durch ihre Übernachtungen. König Karl IV. soll 1349 hier unterwegs gewesen sein und während der mittelalterlichen Religionskriege plündernde Soldateska. Selbst Napoleon muss die Trasse auf seinem Marsch nach Russland genutzt haben, allerdings die Sieger dann auch Richtung Paris.
Die Heidenstraße: Heute zivilisationsferne Idylle 
mitten in Deutschland
Schwedensteig-Heidenstraße von Heidi Bücker
Die Belege beschreiben dabei genau, wo es lang ging. Allerdings - wie immer - nur die berührenden Orte und die stammen meist aus dem Mittelalter und liegen in den verbindenden Flussauen. Versucht man heute allerdings solche Altstraßen abzufahren, wird deutlich, dass zumindest der frühe Verkehr - wie üblich - die quer durch Deutschland ziehenden wasserscheidenden Höhenrücken genutzt haben muss. Befestigte Wege gab es damals nicht, außer vielleicht die Römerstraßen, und auch die nutzten am liebsten Wasserscheiden. Die Täler waren noch durchweg versumpft und bis ins Frühmittelalter hinein mieden die Reisenden große Flussquerungen. In unserem Fall sind das von Leipzig aus Weiße Elster, Saale, 2 mal Unstrut, Wipper, Werra, Fulda, Lenne, Repe, Bigge, nochmal eine Wipper in Marienheide und Rhein.
Kontinental: 500 Kilometer über Höhenrücken 
von Köln nach Leipzig
Alle anderen Rinnsale können bis heute umgangen werden. Eine Zwangsführung entstand, als hätten die Altvorderen einfach nur eine gerade Linie zwischen den beiden Städten gezogen. Leicht zu finden! An ihr entlang reihen sich Unmengen frühzeitlicher Gräber, Höhensiedlungen, Menhire und Steinkreuze auf, allerdings nur wenige mittelalterliche Burgen. Die Hauptreisezeit damals scheint also erst nach Sicherung der Fränkischen Reichsgrenzen eingesetzt zu haben. Noch heute ziehen sich von den Kammwegen tiefe Hohlwege zu den Talsiedungen hinab, wie sie in den Urkunden beschrieben werden. Anerkannt ist auch, dass die Heidenstraße in Köln einen Anbindung nach Paris hatte und in Leipzig nach Breslau. An Rhein gab es auch noch den Mäusepfad als Nord-Süd-Tangente, durch Leipzig zogen Via Regia und Via Imperii.
Nicht nur im Sauerland taucht dieser bedeutungsschwere Name auf: Die Heidenstraße.
Wallanlage Monraburg, seit 5000 v. Chr. besiedelt,
an der Kreuzung von Heidenstraße und alter Kupferstraße
Namensforscher datieren sie nämlich in die Zeit der Christianisierung, konkret die der Sachsen um 800 unserer Zeitrechnung. Erich Röth sieht auf ihr die Franken bereits bei ihrem Einfall in Thüringen 531, einzelne Historiker legen sie - wegen der vielen Ringwälle am Weg sogar in die Keltenzeit. Botaniker hingegen beziehen sich auf die Heidelandschaften am Weg. Davon habe ich aber nichts gesehen. Was mir allerdings ständig über den weg kam, waren Hohlwege längs der Höhenrücken und mindestens alle 20 Kilometer - dem Tagespensum eines Ochsenkarrens - eine mutmaßliche oder nachgewiesene ehemals befestigte Bergnase, mit künstlich versteilten Abhängen oder Wallanlagen (heute oft mit Magerrasen überwachsen.). Die kann man überall in Europa oft schon von Weitem an ihren künstlichen Terrassen erkennen. Dazu fanden sich Hügel- und flache Steingräber, sowie ständig altgermanische Flurnamen, die auf noch ältere Relikte hinweisen (z.B. mehrere „Alteburgen“).
Bitte reinzoomen: Die Heidenstraße auf Google-Maps 
mit prähistorischen Relikten
Meine Vermutung ist daher, dass die ersten Germanen sehr wohl erkannt hatten, dass auf dem Höhenweg schon vor ihnen Menschen zu Gange waren und das konnten nur die Heiden gewesen sein. Entsprechend die Bezeichnung. Ich habe nun alle mir untergekommenen Relikte in eine Karte auf Google Earth eingetragen und nach geländetechnischen und historischen Gesichtspunkten verbunden. Herausgekommen ist ein mutmaßlicher Verlauf der Heidenstraße in prähistorischer Zeit auf wenige Meter genau. Denn natürlich gab es in Abhängigkeit von Zeit, Technik und Landschaft mehrere Verästelungen, aber der Hauptstrang ist durch Bergrücken und Hohlwege eindeutig auf diesen beschränkt. Dabei bedeuten wieder
Mustergültiges Beispiel: Kreuzung Heidenstraße-Rothaarstieg 
bei Winterberg

  • lange rote Linien: Heidenstraße und bedeutende tangierende Altwege
  • kurze rote Linien: tiefe Hohlwege oder markante Rillenbündel
  • drei Kreise: Ring- und Abschnittswälle, bzw. künstlich versteilte Abhänge vorzeitlicher Holzbefestigungen (sog. Schanzen), rot markiert solche nach der 20-Kilometer-Regel u.a. bedeutende Altsiedlungen
  • kleine Burg: frühmittelalterliche Befestigungen (oft als Überbauung vorzeitlicher Anlagen)
  • drei blaue Punkte: andere historische Hinweise am Weg, meist Flurnamen, wie sie ähnlich hundertfach in Deutschland vorkommen und anderenorts eine archäologische Bestimmung gefunden haben
  • drei grüne Punkte: Durchzugsorte der Heidenstraße nach den Urkunden
Schwedensteig an der Heidenstraße
Damit folgt die Heidenstraße genau den Mustern aller vorzeitlichen Altstraßen, wie ich sie bereits dutzendfach in diesem Blog beschrieben habe (Siehe Post: Altstraßen selber finden). Dort steht auch, wie die begleitenden Sicherungsstationen mit Hilfe der vergleichenden Archäologie zu datieren sind und was es mit Beinamen wie Schweden-, Kalt-, Katz-, Hahn-, Loh-, Hühn-, Kamp-, Wahl-, Stein-, ÖL-, Bühl- usw. auf sich hat. Die gibt es nämlich überall im deutschsprachigen Raum.).
So bleibt es hier nur noch einige Hinweise zu geben:
Die Heiden-Trasse scheint regelrecht zwingend im bekannten Austausch der große Zivilisationen in der europäischen Geschichte:
Die Heidenstraße als Bindeglied aller 
prähistorischen Kulturen Europas

Verbreitung der Megalith- und der bronzezeitlichen Glockenbecherkultur nach Osten, Expansion der indoeuropäischen Sprache nach Westen, römischen Feldzüge in die freie Germania, Völkerwanderung der Germanen umgekehrt, Invasion der Franken später wieder nach Osten. So ist es sicher auch kein Wunder, dass die sog. Rössener Kultur, die zwischen 4990 und 4500 v. Chr. aus dem Westen nach Mitteleuropa eingewandert sein soll, genau an unserem Urweg ihre Spuren hinterlassen hat: in Rössen bei Leuna und Deiringsen bei Soest. Sensationell die beiden Römerlager weit hinter der Rheingrenze: Hedemünden und Hackelbich. Geklärt wäre damit auch, warum der sog. Rheinübergang 406 durch Vandalen, Sueben und Burgunden bei Köln und nicht bei Mainz stattgefunden hat.
Köln liegt in der Rhein-Einbuchtung der Deutschen Mittelgebirgsschwelle und war so nach der letzten großen Flut um 1200 v. Chr. prädestiniert, mit ihren Sandbänken eine Furt zur Wiederbesiedlung der Norddeutschen Tiefebene zu stellen.
Die Heidenstraße (gelb) im Altwegesystem 
des Sauerlandes
Leipzig hingegen im unendlichen Mitteldeutschen Becken scheint von den ersten Bauern vor 7000 Jahren aus dem Nahen Osten heraus besiedelt worden zu sein. Das belegt die erst jüngst entdeckte, ungewöhnlich große Kreisgrabenanlage in Leipzig Eythra. Auch sie könnte einfach als „Infrastruktur“ aus der Furt über die Weiße Elster entstanden sein, wie auch Kassel dann an der Fulda. Es wird auch deutlich, dass Furten prinzipiell rechts und links der Flussläufe zusätzlich gesichert waren (siehe die unüberbauten Bergsiedlungen an Unstrut und Wipper).
Die alten Bastionen konzentrieren sich besonders an den Kreuzungen der Heidenstraße mit anderen großen Nord-Süd-Tangenten:

Am Weg: typische Ringstrukturen neolithischer Siedlungen 
bei Heilbad Heiligenstadt
  • um Winterberg der Rothaarstieg,
  • in Kassel der Urweg vom Ärmelkanal kommend über Thüringer-, Fränkischen- und Böhmerwald an die Donau nach Wien und weiter (Siehe Post über den Zinnweg),
  • genau am Mittelpunkt Deutschlands bei Heilbad Heiligenstadt der völlig vergessene Kontinentalweg von Basel über Schwarz- und Thüringer Wald nach Bremen (veröffentliche ich demnächst)
  • die beiden bekannten Stränge der Kupferstraße von Altinum an der Adria nach Haithabu in Jütland über Schmücke und Finne (Siehe Post über die Kupferstraße. Das war bisher meine längste Tour.)
Am Horizont über Flinsberg: Die Warte am Mittelpunkt 
Deutschlands, mit Altstraßenkreuzung, Menhirreihe, 
Hügelgrab, Steinkreuz

Auch sie funktionierten nach dem gleichen Muster.
Immer wieder deuten auf der Heidenstraße Flurnamen und ehemalige Befestigungen wahrscheinlich zeitlich alternative Strecken an, wie gleich östlich von Köln oder zwischen Schmallenberg und Winterberg. Die Konsequenz war immer zusätzliches Furten. Besonders deutlich wird das zwischen Meinerzhagen und Attendorn: Die offizielle Strecke im Tal weist sich mit „Alte Handelsstraße“ und den Ortsnamen (besonders 3 „-hausen“-Orte) als durchweg Fränkisch aus. Immer noch musste die nach der 20-Kilometer-Regel erst durch den Vestenberg, dann durch Valbert (Ersterwähnung Wallebrecht) dazwischen gesichert werden. Diese Strecke führt ständig hoch und wieder runter entlang überschwemmungsgefährdeter Bäche, dazu waren ein Dutzend weitere Wasserläufe zu überqueren. So etwas muteten sich die Kutscher erst ab dem Frühmittelalter zu. In vorfränkischer Zeit aber muss der trockene „Höhweg“ zwischen den beiden Orten auf dem nördlichen Bergrücken als Fernstraße funktioniert haben, der dazu noch mehrere frühzeitliche Schanzen aufweist. Die Hohlwege von ihm zu den „offiziellen“ Heidenstraßenorten sind wieder ein sicherer Beleg. Mit dem Fahrrad war ich „oben lang“ auch fast doppelt so schnell.
Hoffentlich Unvergessen!
Die vielen „Weinberge“ am Weg, auch nach Norden ausgerichtete, könnten vielleicht den Streit der Altstraßenforscher um die Herkunft des Namens von „Way- oder Wagen-„ schlichten. Die zahlreichen „Leiten“, „Liethen“, den um den „Bergabhang“. Die 40 Kilometer lange Hainleite muss vor allem als „leitender“ Weg von den Menschen wahrgenommen worden sein.
Insgesamt ein Ausflug in greifbare 7000 Jahre Siedlungsgeschichte unserer Heimat! Sie sind noch deutlich erkennbar die Relikte aus schriftloser Zeit. Ich weiß nur von drei Gleichgesinnten, die mehr als 10 Kilometer auf der alten Heidenstaße lustwandelt sind und darüber berichtet haben: Ulrich Lange mit „Die alten Verkehrswege im Sauerland…“, Bernd Koldewey auf via-jakobsweg.de und Herbert Nicke, der gleich mehrere Bücher verfasste.
Unzufrieden bin ich mit den vielen Verästelungen zwischen Köln und Grevenbrück. Eine furtfreie Route habe ich hier einfach nicht gefunden. Hoffentlich sind mir in der Karte nur wenige Flüchtigkeitsfehler unterlaufen. Am schönsten war es übrigens immer, wenn nach etwa 20 Kilometern die Suche nach einer prähistorischen Befestigung ohne Ausnahme erfolgreich war…

Sonntag, 25. November 2018

Die Wolkenbrüche im Kreis Schleusingen im Mai 1936 (von C.A.)

Gethles, in einem flachen Höhental
Gethles, Ahlstädt, Neuhof, Bischofrod, Eichenberg, also die den südlichen Kreisteil bildenden Ortschaften sind, wie wir bereits berichteten, von den wolkenbruchartigen Regen am Dienstag schwer heimgesucht worden. Die Fluren, vor kurzem noch in frischem, prangendem Grün des Frühlings, die Felder alle wohl bestellt, bieten einen trostlosen Anblick. Stellenweise ist der Mutterboden völlig weggeschwemmt, so dass nur noch Ödland übrig geblieben ist. Die tiefer liegenden Felder sind mit Schlamm bedeckt und an den Hängen hat das Wasser tiefe Gräben gezogen.. Die Arbeit eines Herbstes und eines Frühjahrs ist umsonst gewesen.
unbefestigte Dorfstraße bis 1961
 Am meisten von den genannten Orten hat Gethles gelitten. Während anderswo auch einzelnen Gehöfte betroffen und hier und da Sachschäden angerichtet wurden, hat dort die Gewalt des Wassers unheimlich gewirkt. Sonst fliest durch den Ort weder ein Fluss noch ein Bächlein, lediglich Gräben sind vorhanden zum Abfluss des Regenwassers. Am Dienstag standen die Straßen 70 Zentimeter hoch unter Wasser. Sie wurden teilweise bis auf die Kanalisationsröhren aufgerissen und Steine von erheblichem Umfang wurden einfach weggeschwemmt. Der Dorfplatz ist eine einzige Geröllhalde, ebenso sind die Wassergräben im gesamten Ortsbereich tief ausgespült, die Einfassungen fortgerissen. Gartenzäune und andere Hindernisse wurden von der Gewalt des Wassers beseitigt.
richtige Kanalisation erst seit der Überschwemmung
Besonders bei dem gegen 9 Uhr niedergehenden zweiten Unwetter herrschte eine unheimliche Stimmung. Blitze zuckten und erhellten die dunkle Nacht. Die schweren Einschläge gingen bis auf wenige Ausnahmen meist in den umliegenden Wald. Die Wassermassen in den Straßen brausten und gischten, überall in den Kellern quirlte und gluckste es. Das unruhig gewordene Vieh rüttelte an seinen Ketten, und es war gut, dass seitens des stellvertretenden Landrats die Feuerwehren des Umgebung und die Arbeitsdienstabteilung 2/233 herbeigerufen wurden, die denn auch tatkräftige Hilfe leisteten. Vor allem waren es die Männer des Reichsarbeitsdienstes, die überall nützliche Arbeit verrichteten.
Straßenbau, Melioration und Klima ordneten mit der 
Zeit die Verhältnisse

So galt es unter anderem ein Haus wegen Einsturzgefahr zu räumen, außerdem musste in vielen Fällen das Vieh aus seiner verzweifelten Lage in den Ställen befreit werden, was glücklicherweise überall gelang.
Am Donnerstag Vormittag und auch noch am Nachmittag fanden wir die Einwohnerschaft und den Reichsarbeitsdienst fleißig bei der Arbeit. Es galt den Schlamm aus den Häusern, Ställen, Kellern und Höfen zu entfernen, Wasser umzuleiten, die größten Schäden auf den Straßen zu beseitigen usw.. Trotz der schweren Nacht, die die Einwohner hinter sich hatten, und trotz der Schäden, die fast alle an ihrer Habe erlitten hatten, sah man keinen untätig oder mit hängendem Kopf. Alle griffen wacker zu. Es wird Wochen dauern, bis alle Spuren des Unwetters verwischt sein werden.
Der einst überflutete Dorfplatz 2002
Außer dem stellv. Landrat Pg. Reitz weilte auch Dr. Stöhr von der Wirtschaftsberatungsstelle Schleusingen, ferner Amtsvorsteher Kummer in Gethles. Überall wurden die Flurschäden aufgenommen, der Bedarf an Saatgut festgestellt und die zu ergreifenden Maßnahmen erwogen in dem Bewusstsein, dass hier schnelle Hilfe und rasches Handeln viel Schaden gutmachen können.
Sehr beachtlich sind auch die Schäden, die an dem Bahndamm der Eisenbahnstrecke Themar- Schleusingen entstanden sind. Auf diese Bahnstrecke treffen mehrere Täler, die sich von dem hochgelegenen Gethles und von Neuhof her auf den Bahnkörper hinabziehen. Diese schmalen Seitentäler brachten gewaltige Wassermassen mit herunter, die den Bahndamm überfluteten und den Schotter des Bahndammes wegspülten, so dass die Gleise frei in der Luft hingen. Auch hier war an mehreren Stellen Reichsarbeitsdienst neben Kräften der Reichsbahn eingesetzt, um unverzüglich die Ausbesserung der Strecke vorzunehmen.. An der Stelle, wo der Roßbach, der von Neuhof herunterkommt auf die Bahnstrecke trifft, ist nicht nur die Gleisanlage unterspült, sondern das Wasser hat dort auch einen Teil einer steinernen Straßenbrückenmauer glatt umgelegt, obwohl die Mauer aus ziemlich großen Steinen besteht. Diese Schadenstelle befindet sich halbwegs zwischen Zollbrück und Kloster Veßra.
Bei all dem Unheil, das angerichtet wurde, muss es als großes Glück betrachtet werden, dass sowohl alles Vieh in Sicherheit gebracht werden konnte, als auch dass keine Menschen in Gefahr gekommen sind. Die Wassermassen konnten dank der günstigen Lage des Ortes nach verschiedenen Seiten abfließen , so daß keine großen Stauungen mit ihren bekannten verheerenden Folgen eingetreten sind. Trotzdem sind diejenigen, die von dem Unwetter betroffen wurden, wegen des von ihnen erlittenen Schadens sehr zu bedauern.

Quelle: Suhler Zeitung 8. 5. 1936

Montag, 5. November 2018

Zeitliche Horizonte altgermanischer Flurnamen


"Alteburg" Langenenslingen
Keine Flur- oder Ortsbezeichnung ohne Sinn! So könnte man all die schlauen Wälzer dazu zusammenfassen (Siehe Referenzen im Anhang!) Die deutsch klingenden Flurbezeichnungen sind zwar allgegenwärtig, werden aber doch historisch kaum wahrgenommen. Gilt es Geschichte zu ergründen, wälzt man Urkunden. Dabei lassen sich Orts- und Geländebezeichnungen vielfach zeitlich einordnen, auch ohne Geschreibsel oder archäologische Grabungen.
Wenn wir nämlich rauskriegen, warum ein Name entstanden ist, können wir leicht einen historischen Bezug herstellen. Bsp.: Zwei Dutzend „Alte Burgen“ im deutschsprachigen Raum entpuppten sich als von den ersten Germanen vorgefundene Wallanlagen, die aber bereits zwischen 1600 und 50 v. Chr. erbaut worden waren. Selbst bei den vielen „Stein“- und „Herrenbergen“, auf denen gegraben wurde, kamen vorzeitliche Relikten zutage.
Für solch eine Datierung müssen wir wissen, wie sich wann die Deutsch-Sprecher durch Europa bewegt haben. Dabei stellen Linguisten und Onomatologen fest, dass viele landläufige Bezeichnungen
  • lange vor der allgemeinen Schriftlichkeit (ab 1000),
  • sogar noch vor den großen Germanenwanderungen in Deutschland (ab 300 v. Chr.), 
  • ja letztlich vor der indogermanischen Großinvasion (nach 1200 v. Chr.).
entstanden sein müssen. Das Gros der Flurbezeichnungen scheint als Zusammensetzungen über uns gekommen zu sein und sowieso klar einordenbar: Heer-, Furth-, Aue-, Münden-, Brück-. Leider alles wegen einer möglichen Vornutzung zeitlich indifferent!
Andere Namen sind für uns „Hochdeutschverblendete“ erst auf den zweiten Blick erkennbar (Werder- und Wörth-Insel, Haak-Gehege, Bühl-, Hauk- und Brink-Hügel, Anger-Gemeindeplatz).
Manchmal muss der Laie aber auch die Experten fragen (Weimar-wih und mer-Wimeri 984-Heiliger See).
Über alle Zeiten: Ost- und Westeuropäer
Die Erkenntnisse der Archäologie aber reichen bei allen der eben genannten Beispiele viel weiter in die Vergangenheit zurück. Wieso? Weil die Bezeichnungen der ersten Germanen natürlich das beschrieben, was sie vorgefunden hatten. Und was haben die Leute da gesprochen? Hier wird es kompliziert: Die Sprachforschung kommt nämlich nicht immer zu den gleichen Ergebnissen wie die Archäologie und die wiederum verzettelt sich gerne in Details. Grundsätzlich aber scheinen sich trotz aller Kulturenvielfalt in Mitteleuropa seit der neolithischen Expansion zwei konträrere Kulturen und damit Sprachen aufeinandergetroffen zu sein. Was ich als erste West- und erste Ostbauern bezeichne, nennen Altgeschichtler Megalithkultur und Bandkeramiker bzw. später Glockenbecherkultur und Schnurkeramiker. Die Linguisten sprechen von Alteuropäern und Indogermanen, Genetiker von R1a- und R1b- Chromosomenträger, Alternativhistoriker wie bei Vanaland.de sagen Stein- und Waldleute. In meinem Post über die Ausbreitung der frühzeitlichen Westkulturen beschreibe ich die Bewegungen innerhalb dieser Dualität. Dort wird auch über die Ursachen der Wanderungen spekuliert. Für diesen Post hier aber sind nur die darin untersuchten Zeiten relevant: 
  • Ab 4500 v. Chr. muss sich der Rhein als diffuse Grenze zwischen den o.g. Gruppen entwickelt haben. Manche Historiker wie Marija Gimbutas sehen östlich erste indogermanische Referenzen.
  • Die östlichen Schnurkeramiker sollen ab 2800 v. Chr. bis zu dieser Flussgrenze vorgestoßen sein. Sie könnten die ersten indogermanischen Wurzelwörter mitgebracht haben (Siehe Beispiel Weimar). Ab 2600 v. Chr. überschreiten die westlichen alteuropäischen Glockenbecherleute den Rhein und siedeln in kulturdifferenter Nachbarschaft der „Ossis“.
  • Ab 2200 v. Chr. verschmolzen Teile der Becher- und der Schnurleute in Mitteleuropa zur Aunjetitzer Kultur.
  • Ab 1600 scheinen Indoeuropäer nach Griechenland und Anatolien vorgedrungen zu sein. Auch die Hügelgräberkultur in Mitteleuropa wird als verstärkter kultureller Druck aus dem Osten gewertet. Im Westen muss aber immer noch Alteuropäisch dominiert haben (Iberisch, Ligurisch, Baskisch).
  • Ab 1200 v. Chr. dringt Indoeuropäisch bis in den letzten westlichen Winkel des Kontinents vor. Die erste sog. Lautverschiebung schält die germanische Ursprache heraus (Bsp. altgriechisch Püs wird foot und später Fuß). Die heutigen Sprachen entstehen aus der Vermischung mit anderen alteuropäischen Dialekten (über griechisch, keltisch, italisch).
  • Ab 500 v. Chr. entwickelt sich daraus in der 2. Lautverschiebung Althochdeutsch (Bsp.: der germanische Stamm der Chatten entwickelt sich zu den Hessen. Chatti (ca. 100 n. Chr.) - Hatti - Hazzi -Hassi (um 700 n. Chr.) - Hessi (738 n. Chr.) - Hessen)
  • Ab der Zeiteinführung schreiben die Römer und ab 500 die Franken alles Wichtige auf, allerdings immer noch wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
  • Ab 800 brachte die oft gewaltsame Christianisierung noch einmal einen extremen Schub in Sachen Flurbezeichnungen (Gottes-, Kirch-, Hexen-, Teufel-), auch mit Namen von Heiligen (Ottilie-, Michel-, Peter-)
  • Wahrscheinlich schon ab 500, sicher aber um 1000 spielt die fränkische Reichsverwaltung bei der Namensgebung eine wichtige Rolle (Franken-, Graf, Vogt-, Burg-, Warte-). 
  • Erst Luther gibt eine Orientierung für die Rechtschreibung auch bei Landschaftsbezeichnungen.
"Werra" - alteuropäisch, indogermanisch 
oder Slawisch?
Zu diesen Zeiten sind sich die Experten längst einig, sie werden aber in der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert, dank medialer Oberflächlichkeit, der Deutungshoheit von Wikipedia und der Tatsache, dass lokale Geschichte den Heimatforschern überlassen werden muss. Die schreiben ihre Zahlen zu 99 Prozent irgendwo ab und kommen so nicht weiter als bis ins Frühmittelalter, bestenfalls in die Antike. Bei uns im Mittelgebirge liegt aber fast jeder Ort unterhalb seiner prähistorischen Gründungssiedlung, die oft auch an den Flurnamen erkennbar ist. Man muss nur rauskriegen, welchen Wurzeln und damit Zeiten sich die Namen zuordnen lassen: (Slawisch), Germanisch, Keltisch, oder Alteuropäisch. Das ist ziemlich kompliziert und so fanden sich auch überregionale Onomastiker und teils große Geister auf diesem Gebiet. Dazu zählen Altgermanist Grimm, Keltenmeister Obermüller oder der Rechtsetymologe Köbler. Das Problem nur: Jeder behauptet - sehr überzeugend - etwas anderes. 
"Leitenweg" auf der Höhe zum Schwarzensee
Beispiel: die tausendfach vorkommende „Leite“. Germanisten deuten sie als Führung, Keltisten als Abhang, Alteuropäer als Südwiese. Und das, obwohl das Wort immer im Zusammenhang mit Zuleitungen zu wasserscheidenden Höhenwegen steht (Hohlen, Trassen, Altstraßen, Triften).
Offiziell werden den Alteuropäern nach Wolfgang P. Schmid gar keine Namensrelikte mehr zugestanden, alles soll indoeuropäisch sein. Das Grabfeld um die Gleichberge herum ist aber nachweislich seit 7000 Jahren kontinuierlich besiedelt. Soll da nichts hängen geblieben sein? Einige Fachgelehrte sind auch der Meinung, Kelten und erste Germanen hätten kulturell fast nichts unterschieden, deutsche Dialekte wären angeblich erst im Frühmittelalter entstanden. Wer aber in Wald und Flur mit alten topografischen Karten unterwegs ist, erlebt in beiderlei Hinsicht eine ganz andere Realität:
1. Es dominieren bei aller Verschliffenheit stark die verständlichen germanischen Namen (Rode-Bewuchsfrei, Renn-schnell, Steig-Bergweg, Spahn-Spähen), nur wenige sind nicht ableitbar und könnten keltisch oder älter sein (Mainz, Jüchsen, Brix, Milz). Selten erscheinen die großen Flüsse und Siedlungsberge, die auch alteuropäisch einordenbar wären (Rhone, Geba, Marseille). Nur solche Namen konnten sich bis in unsere Zeit retten, wo Siedlungslücken nicht länger als eine Genration gedauert haben.
2. Flurnamen entstanden nie willkürlich: Sie zeigen die typische Namensvergabe von Invasoren und Einwanderern, die Vorgefundenes und Neues entsprechend ihren eigenen Erfahrungen nach dem absolut Besonderen bezeichnet haben. Die ersten Germanen müssen Befestigungen, Rodungen und Wege ihrer bronzezeitlichen und keltischen Vorfahren auch als solche bezeichnet haben (Elle-Strecke, Wein-Weg, Hain-Umhegung). „Alt“ bezeichnet also generell Objekte vor deren Einmarsch, wie wir wissen um die Zeitenwende herum.
3. Es findet sich meist ein direkter Bezug zwischen der Bedeutung des Flurnamens und dem Erscheinungsbild des Objektes in der Landschaft bzgl. Bodendeformationen oder Bewuchs (Warte-, Rode-, See-, Grub-)
4. Dort wo nicht, sollte nach germanischen Wurzeln gesucht werden (Hahn-Hoch, Culm -Höhe, Bleß-Bloß (ohne Bewuchs), Lauter-Rein, Betten-Beten, Rupp-Rau)
5. Völlig unbekannte Bezeichnungen können auch aus gleichlauten bekannten Beispielen hergeleitet werden. So finden sich oft frühzeitliche Artefakte auf Plätzen mit Namen wie Arz-, Arn-, Barch, , Haid-, Heun-, Simmer-, Harras (immer an Furten) und Hall- (immer mit Salzbezug).
6. Immer wieder tauchen gleiche Endungen oder Vorsilben zu fest umrissenen Zeiten auf und können verallgemeinert werden (Siehe weiter unten!)

Indogermanisches "keltisch" und was davon übrig blieb
Neueinsteiger in die Onomastik unterliegen gerne der Faszination keltischer Wörterbücher. „Neues vom Keltenerbe“ von Garhard Joachim Richter liest sich wie ein Krimi. Bis man merkt, dass dort immer wieder auf die gleichen Grundwörter von Wald, Wiese, Wasser Berge, groß und klein - natürlich in hunderten Variationen reflektiert wird. Da zweifelt selbst der Laie. In Thüringen wird gerne ein Übergewicht auf slawische Wurzeln gelegt. Obwohl historisch nur in ganz wenigen Dörfern die Zwangsansiedlung von wendischen (windischen) Kriegsgefangenen um 800 herum belegt ist, finden selbst angesehene Namensforscher unablässig Flurbezeichnungen auch westlich der bekannten Grenzlinie von Saale, Regnitz und Rednitz (Dolmar-Tolmarsdorf, Primäusel-Auengrund).
Da weiß man doch bei den deutschen Wurzeln woran man ist. Sie überwiegen in Wald und Flur und selbst die meisten unbekannten Worte lassen sich indogermanisch ableiten. Hier einige Zeitbezüge, wie ich sie bereits in anderen Posts beschrieben habe: 
  • Bronzezeitlich (vor 800 v. Chr.) Galgenhügel, Richtplatz, Tote Männer, (Körpergräber, die die ersten Germanen sich nicht anders erklären konnten)
  • Urnengräberkultur (nach 1200 v. Chr.): Aschenplatz, -berg, -hausen
  • Vorchristliche Kult- und Siedlungsplätze (vor 800): Heiligen-, Ehren-, Lohe-, Oel-, Weiß-, Heide-,Hege-, Wünsch-, Kirch- (christliche Vereinnahmung heidnischer Plätze)
  • Typische Höhenbefestigungen (meist zwischen 1200 und 50 v. Chr.) Heg-, Wall-, Platte-, Herren-, Stein-, Burg-, sogar Wart-, Wacht-, Schloss-, Staffel-, manche Onomatologen beziehen sogar Berg ein.
  • keltische Niederungssiedlungen (genutzt von 800-50 v. Chr.) Endungen -ar, -a, -les, lis, -los, -las, -ach, -idi
  • Alemannisch (von 50 vor bis 200 nach der Zeitenwende) Endungen -ing, -ung
  • Frühmittelalter (500-1000): Ritter-, Königs- Pfaffen-, Grafen-
  • Hermunduren (ab Zeitenwende bis 400 n. Chr.) Endungen -stätt, -städt, -stedt, etc.
  • Fränkisch (ab 400 unserer Zeit bis 800) Endungen -heim, -hausen, -Feld
  • Mittelalter (ab 800) Endung -bach, -dorf,
  • Spätmittelalter (ab 1.000) Endungen -rod, -roda, -reuth, -rieth, -schlag

Schloss Katzenberg - einst Berg der Schmiede?
Außerdem fallen dem Feldforscher die vielen Berge mit Tiernamen auf. Ross-, Ochsen- und Kuhberge liegen meist an Fernhöhenwegen und scheinen die bis in die Völkerwanderungszeit hinein notwendig großen Viehherden versorgt zu haben. Warum aber sollten germanische Siedler so viele Erhebungen nach Katzen, Hähnen, Hunden, Ziegen, Wölfen oder Widdern benennen? Das waren meist Einzeltiere und dazu nicht ortsgebunden. Auf all den so bezeichneten Höhen aber, auf denen auch archäologisch gegraben wurde, kamen frühzeitliche Relikte lange vor den Germanen zum Vorschein. Und so lassen sich einige auch deuten: Katz-Schmiede, Hahn- und Hund-Höhe (mehrere Hundsrück-Höhenwege). Bei anderen häufig auftretenden Flurnamen kann man nur spekulieren: Cam-, Döll-, Kickel-, Munich-, Vieret-.
Ohne sprachwissenschaftlich interessierte Heimatforscher geht da gar nichts. Nicht jeder kann da so fundiert forschen wie ehemals der Thüringer Verleger Erich Röth besonders für den Hainicher Dialekt („Mit der Sprache in die Steinzeit“, Verlag Rockenstuhl).
So muss es bei den lokalen Namensjägern zu folgenschweren Irrungen und Wirrungen kommen: In Dutzenden Orten mit Bern- (keltisch Kluft/niederdeutsch Brennen) wird nach einer der legendären Bernsteinstraßen gesucht. Tausende Kalte-Orte sollen eine niedrigere Temperatur als in der anders bezeichneten Nachbarschaft gehabt haben. Während man bei den Sachsen-Dörfern die Ansiedlung von Kriegsgefangenen zwischen 700 und 800 akzeptiert, wollen die meisten Historiker den Wendendörfern im östlichen Deutschland eine langlebige slawische Invasion andichten. In meiner Heimat Südthüringen vollzieht sich Flurnamenforschung nach folgendem Prinzip: Gottfriedsberg ist eben dem Gottfried sein Berg gewesen, der Hexenhügel war ein spätmittelalterlicher Ausguck, die Weinberge auf 500-Meter-Höhe hatten nichts mit Urwegen zu tun. Oder erzählen sie mal den ganzen Schweine-ortschaften bei uns oder in Franken, dass sie genau auf der Linie der Viehtreiber liegen, wo die Thüringer zwischen 531 und etwa 1058, jährlich jeweils 500 Schweine zu den fränkischen Herrschern in Würzburg treiben mussten. Geht gar nicht!
Kein Ort erhielt seinen Namen aus Jux und Tollerei
Dabei werden altgermanische Flur- und Ortsnamen gerade in Bezug zu frühzeitlichen Ereignissen wie Völkertriften lebendig. Während man bei Namensgleichen wie dem ägyptischen Karnak und dem französischen Carnac noch im Trüben fischen muss, wird es bei den nicht seltenen englisch anmutenden Ortsbeschreibungen deutlich: Queste-, Finne-, Hardt-, Way-, Middel-, Knock-, Painten, First- oder Artern machen Sinn, wenn man die indogermanische, sächsische und anglische Westwanderung in Rechnung stellt. Was nämlich alle Namen vereint, sind vorgermanische Siedlungsverdachtsplätze, Urwege und bronzezeitliche Gräber. Das trifft auch auf viele eigentlich anderslautende Begriffe wie Sand-, Schmücke-, Schul-, Singen-, Spiel- und Brenn- zu.

Fazit: Deutsch klingende Flur- und Ortsnamen sind der wichtigste Schlüssel bei der Untersuchung unserer Geschichte aus schriftloser Zeit. Oft beziehen sie sich auf vorgermanische Relikte. Manchmal gelingt sogar eine Datierung. Man muss sich ihnen nur wieder intensiver widmen! Dass gestandene Ortschronisten nach solchen Auflistungen hier ihre Heimat neu durchforsten, ist wohl nicht zu erwarten. Aber vielleicht können sie einigen Neueinsteigern helfen, typische Fehlinterpretationen bei der Erkundung ihrer Heimat zu vermeiden.





Donnerstag, 25. Oktober 2018

Die Entwicklung des Eisenbahnwesens in Thüringen (von C.A.)



Die Überwindung von Raum und Zeit durch den modernen Verkehr, wie Flugzeuge, Eisenbahn und Schiff sind heute zur Selbstverständlichkeit in unserem Leben geworden, genau wie Telefon, Funk, Fernsehen und Internet. Sie lassen uns die Welt kleiner als früher erscheinen. Nachrichtenübermittlung und Reisen, die noch vor hundert Jahren Wochen und Monate in Anspruch nahmen, werden gegenwärtig in Minuten und Stunden erledigt.
Einer der größeren Verkehrsträger allerorten ist die Eisenbahn. Im ersten Viertel des 19. Jahrhundert entstanden, eroberte sich das neue Verkehrsmittel in kurzer Zeit die ganze Welt. Sie gehört zu den revolutionärsten Errungenschaften des technischen Fortschritts im Zeitalter des Kapitalismus. Die erste Dampfeisenbahn Deutschlands verkehrte am 7.12.1835 auf der 6.2 km langen Strecke von Nürnberg nach Fürth. Das „Wunderwerk Eisenbahn“ besitzt heute auf unserem Erdball eine Gesamtstreckenlänge von fast 2 Millionen Kilometer.

Die ersten Eisenbahnpioniere waren Vertreter des fortschrittlichen Bürgertums und sie brachten die Menschheit mit ihrer segensreichen Verbindung von Dampfkraft und Schienenweg ein weites Stück voran. Ihre Projekte waren aber nicht immer uneigennützig und für das Wohl des Volkes bestimmt, wie es manche Historiker hinstellen, sondern sehr oft Gegenstand wilder Spekulationen, gewinnsüchtiger Betrügereien und schließlich auch militärischer Aggressionsabsichten .
In Deutschland tauchten erste Eisenbahnpläne schon sehr frühzeitig auf. Doch die daran geknüpften Hoffnungen des Herrn Geheimrates Goethe, die er 1828 gegenüber dem Landes- Politiker Eckermann äußerte, dass sich die Entwicklung der Eisenbahn fördernd auf die deutsche Einheit auswirken würde, sollten sich erst viel später oder gar nicht erfüllen. Auch die großen Worte bei den Eröffnungsfeierlichkeiten von Eisenbahnstrecken, die vom „völkerverbindenden Schienenband“ sprachen, blieben vorerst nur die Ideale einiger national gesinnter Menschen. Der beschwerliche Weg, den der Eisenbahngedanke noch beschreiten musste, bis er sich endgültig durchsetzte, verlangte so manches Opfer. Kleinstaatliche Willkür und Beschränktheit machten aus den nationalen Eisenbahnplänen Friedrich Lists Stückwerk. Das gegenwärtige Eisenbahnnetz trägt noch heute die Spuren von deutscher staatlicher Zerrissenheit im 19. Jahrhundert.

Thüringen, durch seine günstige Mittellage zum Durchgangsland des deutschen und europäischen Handels und Verkehrs prädestiniert, bot bereits im Mittelalter dem Verkehr ein ausgebautes Handels- und Heerstraßennetz. Als Vermittler zwischen Ost und West, Nord und Süd trafen sich hier die Handels- und Geleitzüge des süddeutschen Raumes, der Mittelrheingegend und der Ost- und Nordseehäfen mit denen Sachsens und Osteuropas. Im Mittelpunkt dieses Verkehrsnetzes erblühte die alte Handelsstadt Erfurt. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen sich in Thüringen neue Industriezweige herauszubilden. Salzvorkommen, Eisenerzgruben, Schieferbrüche und der Holzreichtum bildeten die Grundlage der neuen Industrien. Dieser neuen Entwicklung genügte das alte Straßennetz nicht mehr. So konnten z.B. auf den Passstraßen (meist Hohlwege) des Thüringer Waldes, die Frachtwagen sich nicht ausweichen und mussten am Vormittag in einer Richtung bergauf und am Nachmittag in der Gegenrichtung bergab befahren werden. Das Reisen auf den schlechten Straßen war eine Tortur, der Transport von Massengütern sogar unmöglich. Bereits waren Pläne aufgetaucht, die beabsichtigten, die beiden Thüringischen Grenzflüsse Werra und Saale im Thüringer Raum schiffbar zu machen. Es blieb bei den Plänen, die Schwierigkeiten waren zu groß. Es gab zwei Möglichkeiten, das Verkehrswegenetz zu verbessern: einmal den Aus-und Neubau von Straßen und zum anderen den Bau von Eisenbahnen. Man nahm beides in Angriff. Der Ausbau des thüringischen Straßennetzes erfolgte von 1830-1860 und auch die Verwirklichung der ersten Eisenbahnpläne kamen voran. Die Aufhebung der Zollschranken innerhalb Deutschlands (1833) hatte sich dazu begünstigend ausgewirkt.
Um die Entwicklung der Eisenbahn in Thüringen haben sich zwei Männer besonders verdient gemacht, Friedrich List aus Reutlingen und Josef Mayer aus Gotha. List, als Nationalökonom bekannt, trat bereits 1828 mit einem Plan an die Öffentlichkeit, der eine Bayrisch-Hanseatische Eisenbahn vorsah, die durch Mitteldeutschland geführt werden sollte. In einer Anlage zu seiner 1833 erschienenen Schrift: „Über das Sächsische Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnnetzes und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden“, plante List Eisenbahnstrecken für Deutschland, in dem Thüringen von zwei Bahnen durchquert wurde. .Beide Linien sind später auch gebaut worden und entsprechen ungefähr den Strecken Erfurt-Meiningen, bzw. Leipzig-Weimar-Erfurt-Gotha-Eisenach.

Doch nicht allein mit Plänen unterstützte der unermüdliche Schwabe die Thüringische Eisenbahnprojekte. Mit großer Energie, die diesem „tragischen Deutschen“ auszeichnete, wandte er sich gegen die preußischen Pläne, die den Bau einer Eisenbahn von Halle nach Kassel vorsah und dabei den alten Handelsweg über Weißenfels-Naumburg-Erfurt-Gotha-Eisenach unberücksichtigt ließen. Für die Thüringer Staaten hätte das große wirtschaftliche Nachteile gebracht. List operierte sehr geschickt mit Argumenten, die Preußen schließlich von den wirtschaftlich größeren Vorteil und der strategisch wichtigeren Bedeutung der Verbindung durch Thüringen überzeugte.
Aber nicht nur Preußen versuchte List zu gewinnen. Sein Wirken veranlasste die thüringische Herzogtümer Sachen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Gotha und das Großherzogtum Sachsen-Weimar zum gemeinsamen Handeln. Die drei Staaten schlossen sich zum Thüringischen Eisenbahnverein zusammen. 1840 schlossen sie einen Staatsvertrag darüber ab. Zu den Hauptverhandlungen wurde allerdings List nicht mehr eingeladen und schließlich mit einem Ehrengeschenk von 100 Taler verabschiedet. Wieder einmal hatte er, wie so oft, vergebens auf eine feste Anstellung gehofft, er war erneut enttäuscht worden. Obwohl die Uni Jena seine Verdienste würdigte und ihn am 15. November 1840 mit dem akademischen Grad eines Doktors der Rechte auszeichnete, fand der glühende Verfechter eines deutschen Eisenbahnsystems in seinem Vaterland keine gesicherte Existenz. Am 30 November 1846 beendete er sein Leben in Verzweiflung und Not durch Selbstmord.
Als man im Herbst 2008 das 150-jährige Jubiläum der Werrabahn beging, wurden auch die Verdienste eines anderen Vorkämpfers für die Eisenbahn in Thüringen, Josef Mayer, gewürdigt. Der Gründer des Bibliographischen Institutes in Gotha und Herausgeber des großen Konversationslexikons war mit List befreundet.
Mit der Gründung des Thüringischen Eisenbahnvereins 1840 und mit dem Staatsvertrag vom 20. Dezember 1841, der zwischen Preußen , Kurhessen, Sachsen-Weimar und Sachsen Coburg-Gotha abgeschlossen wurde und die Verbindung Halle-Kassel über Thüringen festlegte, war man Lists und Mayers Plänen gefolgt. Sie hatten darin auch einen Abzweig von diese Strecke in Eisenach nach Bamberg über Meiningen-Hildburghausen-Coburg vorgesehen.

Inzwischen hatte Mayer zusammen mit dem Arnstädter Ingenieur, Rost, ein neu überdachtes „Deutsches Zentral-Eisenbahnnetz entworfen, dessen Zentrum in Thüringen liegen sollte. Neben diesem Plan – nahezu alle in diesem Zentralnetz vorgesehenen Strecken sind heute in Betrieb - ging der Blick von Mayer noch viel weiter. Seinen Zeitgenossen weit voraus erkannte er den Zusammenhang zwischen Eisenbahn, Kohle und Stahl und hoffte Thüringen mit seinen Bodenschätzen - wie in Westfalen- zum Mittelpunkt einer deutschen Eisenbahn-Großindustrie zu machen. Doch dieses Werk kam nie richtig in Gang. Auch als sich Josef Mayer abermals um die Konzession für den Werra-Bahnbau bewarb, wurde das abgelehnt. Der national gesinnte Vertreter des fortschrittlichen Bürgertums war durch mehrere Schriften während der Revolutionszeit 1848 den thüringischen Fürsten unbequem geworden. Er erlebte den Bau der Werra-Bahn nicht mehr.
Erst als die Erfolge der Leipzig – Dresdener-und der Nürnberg-Fürther Eisenbahn bekannt wurden, waren die mitteldeutschen Unternehmer bereit, Eisenbahnaktien zu kaufen. Beim Bau der ersten Eisenbahnen stand das Streben der privaten Initiative nach Dividenden meist höher im Kurs als der volkswirtschaftliche Nutzen und das nationale Interesse. Die Thüringer Herrscher unterstützten den Bahnbau, weil einmal der erhöhte Verkehr mehr Steuern einbrachte und weil sie zum anderen darauf bedacht waren ihre absolute Stellung im Deutschen Bund auch beim Bahnbau zu bewahren. Aber allein der Streit z.B. zwischen den Thüringischen Staaten wegen des Anschlusses der Stadt Eisenach an die Werra-Bahn verzögerte deren Bau um mehrere Jahre.
Die große Masse des Volkes stand der neuen Verkehrseinrichtung teils neugierig, teils ablehnend gegenüber. Fuhrleute und Gastwirte befürchteten durch die Eisenbahn ihren Broterwerb zu verlieren. Die von ihnen abhängigen Handwerker wie Sattler, Wagner u.ä. sahen ebenfalls eine Einschränkung ihrer Erwerbszweige voraus. Ganz große Pessimisten warnten vor den gesundheitlichen Schäden, die der Reisende durch die hohe Geschwindigkeit der Eisenbahnfahrt (ca. 30-40 km/h) erleide. Einige verlangten, dass man die Menschen durch einen hohen Bretterzaun entlang der Schienenwege schützen möge. Die Bauern waren erbost, dass ihnen Feldstücke abgenommen wurden und dass Bodenspekulanten sie um den Gewinn betrogen. Sie verjagten deshalb die Vermessungstechniker von ihren Feldern und erst behördliche Anordnungen machten die Trassierungsarbeiten in bestimmten Teilen Thüringens möglich.

Der Bahnbau brachte vielen Menschen neuen Verdienst. Neben den in Italien angeworbenen Bahnarbeitern, die besonders für die schwierigen und gefahrvollen Tunnel-und Stützmauerarbeiten eingesetzt wurden, arbeiteten die deutschen Bahnbauer unter den gleichen schwierigen Bedingungen. Soziale Einrichtungen waren so gut wie unbekannt und der durch einen Unfall verletzte Arbeiter war sich selbst überlassen. Selbst die Versorgung der Arbeiter war schlecht organisiert. Aus der „Weimarischen Zeitung“ vom 5.Mai 1847 wird wie folgt darüber berichtet: „Hier und da wird der Mangel an Brot für die Arbeiter beklagt. In den Dörfern ist keins aufzutreiben. So konnten neulich für 600 Arbeiter, welche bei einem Brückenbau über die Fulda beschäftigt waren und die einem Weg von ungefähr 3 Stunden von Kassel zur Arbeitsstelle zurücklegen mussten, mehrere Tage lang kein Brot beschafft werden.“. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die hungernden Menschen oft zur Selbsthilfe griffen. In den Akten finden sich deshalb Beschwerden der Bevölkerung über das ungebührliche Treiben der Bahnarbeiter.
Der erste thüringische Staat, der den Nutzen einer Eisenbahn erfuhr, war Sachsen-Altenburg. Die sächsischen Eisenbahnunternehmen drängten auf eine Verbindung Leipzig mit Bayern. Sie fürchteten in der geplanten Werrabahn einen Konkurrenten zu erhalten, die Sachsen von der Verbindung nach Süddeutschland abschnitt. Nach Verhandlungen mit Bayern wurde das Kapital recht schnell durch Aktien zusammengebracht. Das Eisenbahnfieber ließ die Aktionäre vor den Börsen in Leipzig und Altenburg Schlange stehen. Bereits in 4 Vormittagsstunden waren 45 000 Aktien zu je 100 Talern verkauft.

Am 1. Juli 1841 begann der Bahnbau unter Leitung des Erbauers der Leipzig-Dresdener Bahn, Karl Theodor Kunz. Am 19. September 1842 erfolgte die Eröffnung der Teilstrecke Leipzig-Altenburg. Bis zur Vollendung der gesamten von Leipzig nach Hof führenden Bahn vergingen jedoch noch 10 Jahre. Große Schwierigkeiten machten die Überbrückung der Elster und des Gölschtals. Sie verteuerten den Bau über den Kostenvoranschlag hinaus. Außerdem flossen die finanziellen Mittel nicht mehr so reichlich, wie am Anfang der Aktienverkäufe. Die damaligen Krisenjahre machten sich auch im Bahnbau bemerkbar. Für die Verbindung von Halle nach Kassel über Weißenfels-Erfurt-Eisenach, entlang der alten Handelsstraße Leipzig-Frankfurt, hatte List bereits Argumente gefunden. In den größeren Städten entlang der geplanten Strecke bildeten sich Aktienvereine. Das erforderliche Kapital von 9 Millionen Talern war aber vorerst in den beteiligten Ländern nicht zu beschaffen. Die Aktienzeichnungen wurden ein Misserfolg. Ein Eingreifen der Regierungen hielten das Projekt jedoch aufrecht. Preußen und die Thüringischen Herzogtümer übernahmen ein Viertel des Aktienkapitals und leisteten Zinsgarantie. Nachdem den Unternehmen das Risiko nicht mehr so groß erschien, kauften sie auch wieder mehr Aktien und sicherten damit den Bahnbau nach Kassel.
Sitz der Direktion der Thüringer Eisenbahngesellschaft wurde Erfurt. Unter Leitung des Oberingenieur Mons begann der Bahnbau. Rund 9 Millionen m³ Erdmasse mussten bewegt werden. Die Bauakten berichten von 15000 Arbeitern, die zeitweise auf der Trasse beschäftigt waren. 11900 to Schienen wurden aus England geliefert. Auch bei diesem Bahnbau gab es Schwierigkeiten wegen einer Fehlplanung. Es waren die Erfurter Festungsanlagen, in deren Bereich die Eisenbahn angelegt werden sollte und die den Bau von 2 Tunnels notwendig gemacht hätten. Das heutige Reichsbahndirektionsgebäude, ursprünglich als Erfurter Bahnhof gebaut, verdankt seine Lage dieser (Fehl) Planung..

Am 20.6.1846 wurde der Streckenabschnitt Halle Weißenfels, am 19.12.46 Weißenfels - Weimar, am 1.4.1847 Weimar-Erfurt, am 10.5.47 Erfurt-Gotha, und am 24.6.1847 Gotha-Eisenach eröffnet und in Betrieb genommen. Im schwülstigen Zeitungsstil der damaligen Zeit berichtet die „Gothaische Zeitung“ vom 3.5.1847 über die erste Probefahrt: „Heute Nachmittag um 3 Uhr kam der Zug mit der Lokomotive „Gotha“ auf ihrer ersten Probefahrt auf der Thüringer Eisenbahn hier an und ward von einer großen, jubelnden Zuschauermenge auf dem hiesigen Bahnhof empfangen. Die Lokomotive hatte, unter der unmittelbaren Leitung des Oberingenieurs Mons, die Strecke von Erfurt bis hierher, wenn man die Aufenthalte auf den Unterwegsbahnhöfen abrechnet, in 20 Minuten zurückgelegt. Eine Strecke, für die ein Fuhrwerk mindestens 5 Stunden benötigt. Seine Hoheit, der Herzog, geruhten durch Anwesenheit auf dem Bahnhof, die Feierlichkeit zu erhöhen um den lebhaftesten Anteil, welchen Sie an diesem wichtigen Ereignis nahmen, zu erkennen zu geben. Mit dem Zug, bestehend aus zierlichen und bequemen Wagen aller drei Klassen, waren der Königlich Preußische, Großherzoglich Sachsen-Weimarische und der Herzoglich Sachsen-Coburg-Gothaische Kommissarius sowie die Mitglieder des Direktoriums der Thüringer Eisenbahngesellschaft angekommen. Sie gingen dann zur Mittagstafel ins Palais, nach deren Beendigung um 6 Uhr abends, dieselben auf der Eisenbahn nach Erfurt zurückkehrten.“ Die weiteren Ausführungen der Zeitung ersparen wir uns. Sie sind nur ein Loblied auf die Hoheiten, die wahrscheinlich den Eisenbahnplänen am Anfang genug Steine in den Weg gelegt hatten und die für die Bahn-Arbeiter kein Wort des Dankes hatten.
Für den Betrieb der Thüringer Eisenbahn, wegen ihrer Bedeutung auch thüringische Stammbahn genannt, wurden 15 Lokomotive aus England und 6 von Borsig, Berlin, gekauft. Die Strecke Halle-Kassel wurde nach kurzer Zeit zweigleisig ausgebaut. Ihre Wirtschaftlichkeit erhöhte sich durch den Bau von Zubringerbahnen. Von ihnen ist besonders die Bahnlinie Erfurt-Sangerhausen erwähnenswert, weil sie später den direkten Anschluss an Magdeburg brachte. 1872 bekam die Magdeburger-Halberstädter Eisenbahngesellschaft die Bauerlaubnis. Die Bauarbeiten verzögerten sich jedoch und hörten Ende der 1870-er Jahre ganz auf. Erst nachdem Preußen diese Eisenbahngesellschaft in Staatlicher Verwaltung übernahm, konnte die Strecke am 24.10. 1881 eröffnet werden.
Während der Wirtschaftskrise und der Revolutionsjahre im 19. Jahrhundert ruhte die Bautätigkeit auf dem Gebiet des Eisenbahnbaues in Deutschland. Niemand war bereit, in dieser Zeit Eisenbahnen zu bauen. Auch das große Unternehmen von Josef Mayer ging Bankrott. Erst als die Bourgeoisie ihre Positionen wirtschaftlich wieder gefestigt hatten, begannen neue Bahnprojekte Boden zu gewinnen.
Jetzt ging es um die Vervollständigung des Eisenbahnnetzes und um Anschlüsse an bereits vorhandene Bahnlinien. Noch immer war die Werra-Bahn nicht gebaut. Zwei Verbindungen, wurden von der Thüringer Eisenbahngesellschaft in Angriff genommen, die den Anschluss an das sächsische Eisenbahnnetz herstellten. 1856 wurde die Strecke Großkorbetha-Leipzig und 1859 die Bahnverbindung Weißenfels-Zeitz-Gera in Betrieb genommen. 
Durch Nebenbahnen suchte man größere Städte an die Hauptbahnen anzuschließen. Arnstadt erhielt 1867 einen Anschluss nach Neudietendorf und damit an die Strecke Halle-Kassel. 1879 wurde diese Strecke von Arnstadt nach Ilmenau verlängert. Es folgte die Strecke Nordhausen-Erfurt. Schon 1870 war die Strecke Gotha-Leinefelde, 1871 Gera-Eichich und 1876 Gotha-Ohrdruf eröffnet worden. Sie erschlossen das Thüringer Hinterland dem Verkehr. Der Bau der Werra-Bahn hatte sich durch Streitigkeiten verzögert und die Verbindung Norddeutschlands mit Bayern durch Thüringen schien aussichtslos. Doch Coburg drängte entschlossen zum Bahnbau, drohte mit einer anderen Verbindung und belebte das Projekt aufs neue. Wieder war es eine Privataktiengesellschaft, die 1855 das Kapital aufbrachte und den Bau begann. Vom Frühjahr 1856 bis Herbst 1858 wurde gebaut. Am 2. November 1858 wurde Streckenabschnitt Eisenach-Coburg und am 24. Januar 1859 der Streckenabschnitt Coburg-Lichtenfels in Betrieb genommen. Bis 1875 übernahm die Thüringer-Eisenbahngesellschaft die Verwaltung der Werra-Bahn. Erst als in Meiningen die Werra-Eisenbahngesellschaft eine eigene Bahnverwaltung errichtete, wurde das Südwestthüringer Eisenbahnnetz durch Nebenbahnen vervollständigt. Nach dem Werra-Bahnbau wurde auch das alte Projekt der Bahnstrecke Weimar-Gera wieder aktuell. Der bereits 1855 geplante Bau wurde nach dem Krieg mit Frankreich 1872 begonnen und 1876 vollendet.
Im Laufe der Jahre hatte die Thüringer Eisenbahngesellschaft die führende Stellung in der Verwaltung der thüringischen Eisenbahn eingenommen. 1881 verwaltete sie rund 500 km Bahnstrecke und beschäftigte 5200 Mann. Die Beamten trugen eine eigene Uniform von blauer Grundfarbe mit dunkelblauem Kragen, silbernen Knöpfen und Abzeichen. Bei festlichen Gelegenheiten wurde ein Degen zur Uniform getragen, aber nur vom Lokführer aufwärts.
Im Zuge der preußischen Machtentfaltung, die sich auch in der Eisenbahnpolitik deutlich abzeichnete und mit der ab 1879 erfolgten Verstaatlichung des gesamten Eisenbahnnetzes, wurden von 1882 bis 1895 auch die thüringischen Eisenbahnen vom Preußischen Staat erworben. Dieser politische Schachzug des Königreiches Preußen gegen das kleinstaatlich zerrissene Thüringen sollte auch zu langen Diskussionen und Streitereien zwischen den Herzogtümern führen. Doch die rechtmäßig abgeschlossenen Verträge ließen zu, dass künftig die Verkehrsentwicklung in Thüringen durch Preußen bestimmt wurde und die Einnahmen der verstaatlichten Bahnen in das preußische Staatssäckel flossen. Preußen muss zugebilligt werden, dass es sich um den weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes verdient gemacht hat. Trotz der Vielstaaterei waren die deutschen Eisenbahnen, verglichen mit anderen Strecken der Welt, hervorragend geplant und von hoher Wirtschaftlichkeit. In nur 50 Jahren war die Eisenbahn in Deutschland der nahezu alleinige Träger des Personen-und Güterverkehrs geworden.
Bisher hatte man von der direkten Überschreitung des Thüringer Waldes abgesehen und die Schwierigkeiten gescheut. Nunmehr erarbeitete die Preußische Staatsbahn ein Projekt für die Eisenbahnverbindung von Erfurt nach Ritschenhausen und begann mit dessen Verwirklichung. Am 20.9.1882 wurde der zweigleisige Streckenabschnitt Suhl-Grimmenthal und am 1. August 1884 der von Plaue bis Suhl eröffnet. Durch die Maximalsteigung von 1:50, ihre hohen Stützmauern bei Gehlberg und dem 3039 m langen Brandleitetunnel, gelegen im schönsten Teil des Thüringer Waldes, dürfte diese Strecke wohl mit zu den technisch, aber auch landschaftlich interessantesten Teilen des deutschen Eisenbahnnetzes gehören. Die Staatsbahn baute weiter und stellte weitere Verbindungen zu den Hauptbahnen her. Unter anderem 1892 Gräfenroda-Ohrdruf und Georgenthal-Tambach-Dietharz, 1894/95 Saalfeld-Arnstadt. Auch in unserer Region wurden die Nebenstrecken Themar- Schleusingen 1888, Schleusingen-Ilmenau 1904 und Suhl-Schleusingen 1911 eröffnet. Für die Nebenbahnen musste oft ein harter Kampf mit den Behörden geführt werden, um die Wünsche der Industrie und der Bevölkerung durchzusetzen. Ursprüngliche Pläne für Nebenbahnstrecken wurde meist nicht berücksichtigt, sondern immer die kürzeste Strecke bzw. billigste Variante gebaut. Aber, schon 1910 hatte Deutschland ein Streckennetz von 28 000 km Länge und damit England, das Mutterland der Dampfeisenbahn überflügelt, das zu dieser Zeit nur 24 000 km Eisenbahnlinien besaß.
Kurz vor dem ersten Weltkrieg konnte das deutsche Eisenbahnnetz als ausreichend angesehen werden und deckte den Transportbedarf der einheimischen Industrie wie auch den des Handels. Die Vermittlerrolle Thüringens als Durchgangsland blieb bewahrt. Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung spielte sie sich nicht mehr auf dem unzureichenden Straßen der Voreisenbahnzeit ab, sondern mit der Eisenbahn stand nun ein technisch gut aufgestelltes Transportmittel von West nach Ost und von Nord nach Süd zur Verfügung.

Am 17.September 1825 führte Georg Stephenson einen dampfgetriebenen Zug namens Locomotion auf der soeben fertiggestellten Stockton-Darlington-Linie in England, die erste durch Maschinenkraft betriebene öffentliche Eisenbahn. Diese erste Fahrt bildete den Anfang einer Revolution, die für immer die Weltgeschichte veränderte. Für das weitere 19. sowie 20. Jahrhundert war die Eisenbahn das wichtigste Transportmittel der industriellen Revolution. In der Mitte des 20. Jahrhunderts gingen die Eisenbahnen von der Dampfkraft zur Elektrizität, dann zum Dieselantrieb über und schließlich wieder zurück zur elektrischen Kraft, um sich erfolgreich gegen Flugzeuge und Automobile wehren zu können. In jüngster Zeit ist mit der Entwicklung elektrischer Hochgeschwindigkeitszüge ein weiterer Versuch unternommen worden, den Schienenverkehr am Leben zu erhalten. Die Eisenbahn wird sicher nicht sterben; aber die Tage ihres Transport-Monopols sind lange vorüber.

Quelle:. Thüringer Heimat Heft 1/59 W. Nöckel