Donnerstag, 19. Januar 2017

Altstraßen, Urwege, frühe Trassen - selber finden


Wer sich mit den Pfaden unserer Altvorderen beschäftigt, trifft auf eine Flut von Büchern und Internetseiten, die alle einen entscheidenden Nachteil haben: Diese Wege lassen sich im Gelände nicht ansatzweise durchgehend nachvollziehen! Meist werden alte Urkunden zu Rate gezogen, die die durchzogenen Städte aufzählen, um dann auf heutige Verkehrsstraßen zu verwiesen, mit denen die alten Trassen identisch sein sollen. Das stimmt in fast keinem einzigen Fall! Denn wer die Überlieferungen mit Satellitenaufnahmen, Flur- und Gewässerkarten vergleicht, wer insbesondere aber versucht, sich diese Altstraßen in der Landschaft direkt zu erschließen, kommt zu ganz anderen Schlüssen: Die historischen Pfade waren durchweg natürliche Zwangsführungen, die man in der Landschaft leicht ausfindig machen kann. Außerdem scheinen die heute bekannten Altstraßen aus dem Mittelalter nur ein Bruchteil des damaligen Wegenetzes ausgemacht zuhaben.
Und: Viele dieser urkundlich festzumachenden Verkehrswege müssen immer auch Vorgänger gehabt haben. Wie sonst sollte die augenfällige Häufung von prähistorischen Wallanlagen und bronzezeitlicher Grabhügeln an mittelalterlichen Straßen erklärt werden? Bernhard Schwade fand auf altwege.de diesen Zusammenhang nicht nur heraus, er trug diese Ur-Altstraßen auch alle in einer Landkarte zusammen. Die Fachwelt hingegen steht solchen - nennen wir sie Urwege - stets skeptisch gegenüber, besonders dem Fernhandel damals. Für sie wurden Bernstein in der Jungsteinzeit oder britisches Zinn in der Bronzezeit stets von Dorf zu Dorf weitergereicht. Sie konnten zwar Pyramiden bauen damals oder Himmelsscheiben zusammen löten - sonst aber war sie halt ein bisschen blöd! Bei der so genannten Heidenstraße von Köln nach Leipzig oder der Hohen Straße von Mainz nach Nürnberg hingegen sind solche Urstraßen auch von Archäologen anerkannt. Davon scheint es aber nicht nur zwei zu geben, sondern unzählige! Um diese "Urstraßen" soll es hier gehen. Das Geheimnis sind die wasserscheidenden Höhenzüge und die aus ihnen hervorstechenden Bergsporne, die als befestigte Versorgungs- und Sicherungsstationen ausgebaut wurden. Wie ein dichtes Netz durchziehen sie Europa in alle Richtungen. Der Mensch konnte von jeher ihre grundsätzliche Richtung vorgeben, aber die Geologie von Mittelgebirgen (Wasserscheiden) und Flüssen (Furten) muss ihren Verlauf bestimmt haben. Diese alten Triften und Trassen sowie die an ihnen errichteten Wach- und Versorgungsstationen leben bis heute in den überkommenen Orts- und Flurnamen fort. Sie wurden damit ein Spiegelbild unserer Geschichte. Die neuzeitlichen Metropolen scheinen so ausnahmslos frühzeitliche Gründungen an Flussübergängen gewesen zu sein. Ihre Ersterwähnung ein zufälliges Datum!
Wenn sich also bronzezeitliche Krieger aus Süddeutschland im Tollensetal an der Ostsee schlugen, Westgoten vom Schwarzen Meer nach Spanien oder Kelten nach Rom zogen - scheinen sie auf allgemein bekannten Pfaden entlang marschiert zu sein. Und die kann man genau in der Landschaft nachvollziehen. Scheinbar aber ist noch niemand solche natürlichen Zwangsführungen komplett abgegangen, hat den Zusammenhang von Verlauf und historischer Entwicklung in vorschriftlicher Zeit beleuchtet, bzw. über Anfangs- und Endpunkte der Wege hinausgedacht. Denn sie sind alle kontinental angelegt, hinter der letzten Stadt geht es immer weiter. Die längst bisher von mir in großen Teilen abgefahrene Urstraße führte von Gibraltar auf der Europäischen Hauptwasserscheide in die Hohe Tatra. Wo es mit dem Auto nicht weiterging, habe ich das Fahrrad genommen. Überall die gleichen Muster! Für meine Untersuchung will ich so nach und nach alle bekannten Altstraßen und ihre begleitenden Merkmale nach den öffentlich verfügbaren Informationen in den kippbaren Luftbildern bei Google Earth abbilden. Leider lassen sich die dort offensichtlichen Merkmale nicht veröffentlichen und ich muss auf Google Earth ausweichen. Dort fehlen Bewuchs und künstliche Geländedeformationen. Wer also über seinen Heimatort hinaus Interesse hat, muss den Verlauf selbst rekonstruieren oder bei mir kostenlos die sog. KML-Dateien anfordern.
Ich beginne zu Hause immer mit Wegebeschreibungen, Luftbildern und Flurkarten. Draußen helfen dann als erstes Richtungsanzeiger am Wegesrand, die auch Rückschlüsse auf ihr Alter zulassen:
  • Vereinzelt Menhire, lange Stein-Stelen unterschiedlicher Größe, die an Abzweigen als Wegweiser fungiert haben müssen, anzusetzen in megalithischer Zeit, etwa ab 4000 v. Chr. bis zum Beginn der Christianisierung (auch z.B. bei uns in Mitteleuropa zwischen den keltischen Oppida auf dem Glauberg und der Angelburg, bei Langenbach am Rennsteig, in der Suhler Schmückestraße, oder der Wetzsteuin bei Buttelstedt); 
  • unzählige Hohlwegebündel, die meisten vom Handel im Mittelalter, vielleicht aber auch aus der Völkerwanderungszeit, ganz extrem beispielseise zwischen Ahlstädt und der Eisernen Hand bei Schleusingen, rechts und links des Altmühltales oder westlich von Saarlouis; 
  • viele Flurkreuze (Sühne-, Schweden-, Hussitenkreuze, Marterl), wahrscheinlich als Nachfolger der Menhire, vielleicht ab dem 8. Jhd., sicher zumeist auch als Richtungshinweis;
  • natürlich ohne Ende hochmittelalterliche Grenzsteine, 
  • manchmal sogar ausgeschilderte historische Flurnamen und
  • immer öfter Wegmarkierungen, die urkundlich belegte Alt-Routen ausschildern.
Damit kommt man schon ganz schön weit. In manchen Gegenden, wie im Kleinen Thüringer Wald, braucht man die Hohlwege nur miteinander zu verbinden und erkennt so ein regelrechtes Netz alter Heer- und Handelsstraßen. Dann muss man nur noch in die Archive und nach den alten Namen forschen. Aus dem Mittelalter finden sich da Bedeutendes:
  • Via Claudia Augustus
  • Via Regia
  • Via Imperii
  • Kupferstraße
  • Hellweg
  • Brabanter Straße
  • Ortesweg usw., usf.
Von allen sind nur die Durchzugsorte und ein paar Abschnitte in der Landschaft bekannt. Trotzdem sind einige auch in der Landschaft ausgeschildert. Selten aber wurden sie durchgehend recherchiert, wie der Hermannsweg, die vielen Lutherwege oder die Schneisen, die Bonifatius geschlagen haben soll. Bei ihnen spielen heute vor allem touristische Aspekte eine Rolle, nach denen der Wanderer vor allem in die Gaststätten kommen soll.
Natürlich erscheint es logisch, dass Reisende zu jeder Zeit die ausgetretenen Wege ihrer Ahnen benutzten. Diese Überlagerung machen die Altersbestimmung auch so kompliziert. Was uns aber weiter bringt, sind die Zeugen am Weg, deren zeitliche Einordnung bekannt ist - trotz Klimawandel, technischem Fortschritt, neuen Machtverhältnissen, Wegeverschleiß, Siedlungsausbreitung und kulturellem Wandel. Die Bewegung war ja noch kein Selbstzweck. Hat man sich so die ersten Altstraßen erarbeitet, erkennt man schnell die Gesetzmäßigkeiten dahinter:
  • Wo irgendwie möglich verliefen die alten Fernwege über wasserscheidende Höhenrücken (Hundsrück, Taunus, Teutoburger Wald, Wiehengebirge, jede Menge Rennsteige etc.). Das scheint bis zum Bau der sog. Kunststraßen im 19. Jhd. so gewesen zu sein. Sie waren so gerade wie möglich, nur geologische Hindernisse konnten Umwege erzwingen.
  • Alle 20 Kilometer - dem Tagespensum eines Ochsenkarrens in der Bronzezeit, bzw. alle 25 Kilometer eines Pferdegespanns im Frühmittelalter - müssen sicherungsfähige Rastplätze mit Quelle gestanden haben. Daraus scheinen sich die befestigten Höhensiedlungen vor allem ab der Urnenfelderzeit entwickelt zu haben. Immer muss es auch zeitlich zuordenbare Gräber, eine vormals gerodete Ackerfläche und oft einen geologisch markanten Kultplatz geben. Während der Christianisierung wurden diese "heidnischen" Burgen oft mit Kapellen besetzt. Diese Merkmale findet man an allen frühen Wegen, aber am Keltenerlebnisweg von Bad Windheim nach Meiningen sind sie sogar ausgeschildert (Siehe Post: „Prähistorische Urwege durch Franken“.).
  • Diese befestigten Wachen oder Siedlungen wurden nicht selten immer wieder überbaut und geben, bei günstiger Lage, heute so manches mittelalterliches Schoss ab. So trägt z. B. der Berg „Heidenhäuschen“ im Oberen Westerwald alle Zeugen Jahrtausende alter Geschichte: megalithischer Menhir, bronzezeitliche Steinkistengräber, Ringwallanlage aus der Hallstattzeit, Kultfelsen, Römerstraße, altgermanische Gerichtsstätte, Wallfahrtskapelle. Und siehe da: Frühzeitliche Urwege werden von dem Berg magisch angezogen: Hohe Straße, Alte Rheinstraße, Königsstraße etc. (In Thüringen stehen z.B. die Henneburg und die Heldburg auf hallstattzeitlichen Wallanlagen.)
  • Flüsse wurden nur im Notfall an Sandbänken in sogenannten Furten gequert. Sie sind durch die Hohlwege gekennzeichnet, die von den Abhängen herab auf sie zuführen mussten. Oft wurden beide Seiten einer Flussniederung mit Befestigungen geschützt. Besonders schön erhaltene Furchen befinden sich an der Alten Salzstraße über die Elbe mit Artlenburg und Stretenburg, mehrene Grabhügeln und mutmaßlichen Siedlungen. Aus diesen alten Furten konnten die meisten Dörfer, später Städte des Frühmittelalters hervorgehen. Auf viele von ihnen deuten Orts-, Straßen- oder Flurnamen hin (Erfurt, Furtwangen, Frankfurt). Innerhalb der Orte weisen uns manchmal Straßennamen den Weg (Furtgasse, Au- und Wiesenweg). Überhaupt scheinen die ältesten Brücken meist an den ehemaligen Furten gebaut worden zu sein. Den Weg aus den Talsiedlungen heraus weisen uns Flurnamen wie Steiger, Hard oder Trift. 
  • Auch andere Landschaftsbezeichnungen kennzeichnen den Verlauf von Altstraßen eindeutig: Hohe Straße, Rennweg, Weinstraße (vom keltischen „Weg“) usw. Oft erkennt man sie auch an den auf Straßensicherung hinweisenden Ortsnamen, Alteburg oder Walldorf. Das müssen Bezeichnungen der ersten Germanen für Objekte sein, die sie vorfanden und manchmal nachnutzten. Dazu zählen auch die vielen Bindewörter, die auf eine Rodung hinweisen, wie Roter Berg, Rode Haag, Kahler Schlag, Bloßenburg, Bleß, Leuchten, Hell etc. Merkwürdigerweise scheint dort, wo das "Rodungswort" an zweiter Stelle steht, die Gründung aus dem Mittelalter zu stammen. Meist liegen diese Flächen auf Höhenzügen und weit weg von heutigen Siedlungen oder bekannten Wüstungen. Oft wurden auch verlassene keltische Siedlungen und Kultplätze religiös verbrämt (Heidensteine, Hoher Loh, Hainberg, Kapellenberg, Hexenplatz, Teufelstal, Petersberg, Ottilienquelle, Michaelskapelle). Da alle römischen Anlagen von den Germanen auch explizit so bezeichnet wurden, scheinen die anderen aus einer Zeit davor zu stammen. So findet sich unter jedem "Galgenhügel" oder "Richtplatz" außerhalb von Ortschaften, immer auch Mehrfachbestttungen, beispielsweise in einem bronzezeitlichen Grabhügel. Die Neuansiedler konnten sich nämlich die vielen Skelette dort nicht anderes erklären.
  • Die hundertfach an Altstraßen anzutreffenden "Warten" und "Wachen" scheinen erst von den germanischen Invasoren, vielleicht ab der Zeitrechnung gebaut worden zu sein. Selbiges trifft auf die "Herrenberge" zu. Sie standen oft auf schwer zu verteidigenden Hügeln und hinterließen im Gelände nicht viel mehr als den Flurnamen. Dagegen hat sich schon mancher „Stein“, "Haug", "Buck" oder „Pöhl“ als wegesichernde Befestigung entpuppt. Manchmal kommen sie auch als natürliche Felsformationen auf einem Plateau daher, in die die Verteidigungsanlagen eingebaut wurden (z.B. Großer Waldstein bei Zell im Fichtelgebirge). Das trifft ebenfalls auf den nicht seltenen Flurnamen "Altes Schloss" zu (beispielsweise in Oberhof am Rennsteig, wo Bewegungen ab der vorrömischen Eisenzeit nachgewiesen wurden). Dort wo die Archäologen gegraben haben, konnten Befestigungen seit der Kupferzeit nachgewiesen werden (3000 v.Chr.). Der Begriff Burg hingegen, von "befestigter Berg", scheint erst nach der Völkerwanderung aufgekommen zu sein. 
  • Oft werden nach Wegen benannte Flurnamen erst plausibel, wenn man nach ihrem altgermanischen oder keltischen Ursprung sucht. Da gibt es ohne Ende sinnlos eingedeutschte Bezeichnungen wie Eiserne Hand (kelt.: eathan annet, Berghaus , meist an so genannten Ausspannen stehend), Kalte Küche (angeblich Grenzkapelle), Ellenbogen (Scharfer Abzweig). Das trifft auch auf einige markante Stammwörter aus Namenszusammensetzungen zu, die man überall in Deutschland immer wiederkehrend findet, wie Asch-, Arns-, Arz-, Simmer- oder Bleß-. Ich habe im Anhang einige zusammengestellt.
  • Dazu kommen auffallend viele Tiernamen wie Hahn-, Hund- oder Katz. Alle Versuche sie zu übersetzen lösen Unzufriedenheit aus. Ich weiß aber, dass sie immer an Höhenwegen und im Zusammenhang mit prähistorischen Siedlungen auftreten (Gickelhahn, Hundsrück, Katzenstein) Dann sind da so merkwürdige Eigennamen wie Widdehuh, Fussekaul oder Kietscht, die sicher nicht aus Witz und Tollerei so benannt wurden, sondern germanisch „verballhornt“ sein müssen. Auch sie könnten schon vor der Zeitenwende entstanden sein. Die Berge, die den Namen Mark enthalten, scheinen zur Orientierung genutzt worden sein, jedenfalls können sie immer lange entlang der Urwege anvisiert werden.
  • Je weiter man in Deutschland nordöstlich zieht, umso schwächer werden diese allgemeinen Merkmale. Immer noch aber ist der Kamm des Erzgebirges als solch ein Höhenweg zu identifizieren und hinter der Elbe geht es anscheinend weiter.
  • Erst nach der Zeitenwende, in römischer Zeit, sollten die Urstraßen Mitteleuropas pö a pö in die Täler gewandert sein. Die Römerwege waren durchgehend gut befestigt und möglichst gerade. Die traditionellen Stationen alle 20 Kilometer scheinen sie beibehalten zu haben. Deshalb sind auch so viele von ihnen noch bekannt. In Ostdeutschland fehlen sie naturgemäß. In Gebirgen, wie Taunus oder Schwarzwald scheinen die Römer aber auch die Höhenwege der Kelten weiter benutzt zu haben.
  • Die nachfolgenden Barbaren konnten die Altstraßen nicht erhalten. Ihre Züge müssen jetzt an Hand der vielen bekannten Hohlwegebündel verfolgt werden, die die Mittelgebirge überqueren (neben den o.g. Beispielen auch am Südhang des Thüringer Waldes, im Spessart oder nördlich von Trier). Langsam scheinen sich Pferdegespanne durchgesetzt zu haben, die zwar ein Drittel teurer, aber auch ein Drittel schneller waren.
  • Die Wege der späteren über Westeuropa herrschenden Franken verlaufen fast durchweg bereits entlang der Bäche und Flüsse. Ihre frühen Siedlungsstränge sind schon ab dem 6. Jhd. mit den Dörfern der Endung - hausen, -heim, -dorf, -bach usw. zu identifizieren. Die neuen Siedler bauten entlang der vorhandenen Wege - die so genannten Straßendörfer entstanden (Sülzdorf bei Römhild, Saint Bonnet le Froid in Frankreich). Dementsprechend verlegen manche Heimatforscher die anders gearteten Haufendörfer in vorfränkische Zeit.
  • Die Fernstraßen im Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sind nur dort befestigt, wo sie auf den alten Römerstraßen verlaufen. Trotzdem verwendete man aus Effektivitätsgründen weiter Wasserscheiden. Die großen Mittelgebirge aber, wie Schwarzwald, Hochrhön oder Thüringer Wald scheinen von den fränkischen Königen, Herzögen und Händlern fast nur noch zur Überquerung genutzt worden zu sein.
  • Erst im 19. Jhd. baute man die so genannten Kunststraßen, mit regelrechten Dämmen, befestigtem Untergrund und massiven Brücken.
Mit solchen Mustern kann man schon viel über seine Heimat aussagen.  Die obenstehenden Verallgemeinerungen sollte man aber nur bedingt Eins zu Eins ins Gelände übertragen. Sicherheit bezüglich des Alters können nur archäologische Grabungen oder alte Urkunden bringen. Trotzdem ist jeder Suchende in der Lage, künstliche Veränderungen im Gelände erkennen! Wenn man lernt, sie vom Altbergbau und neuzeitlichen Mülldeponien zu unterscheiden, ist man den Routen seiner Vorfahren schon ganz nahe.
Bei der Erforschung der begleitenden Burgen kann es hilfreich sein, sich ein bisschen in Geschichte auszukennen. Auch wissenschaftliche Klassifizierungen bringen uns weiter. Wir in Thüringen sind in der komfortablen Lage, das inzwischen jemand versucht hat, alle diese Objekte zu sammeln: Michael Köhler mit „Thüringer Burgen und befestigte vor- und frühgeschichtliche Wohnplätze”, "Heidnische Kultplätze" und "Triften und Trassen". Natürlich konnte er nur die benennen, die auch archäologisch bestätigt sind. Meiner Erfahrung nach gibt es aber mindestens doppelt so viele. Köhler gibt aber eine brillante Klassifizierung der Höhensiedlungen. Ich habe sie nur um ein paar Erkenntnisse ergänzt.
  • Da sind die großen Höhensiedlungen für mehrere hundert Bewohner aus der Bronzezeit, ab 2200 v. Chr. etwa. Sie scheinen einfache Befestigungen getragen zu haben (künstlich versteilte Abhänge, Palisaden). Diese eingefallenen Konstruktionen sind heute noch als deutliche rundumführende Kanten im Gelände zu erkennen. Ihre talwärts liegenden Felder sind großflächig nach den Höhenlinien mit bis zu zwei Meter-Stufen terrassiert. Beispiele: der Runde Berg über Bad Urach, die namenlose Erhebung über Veterov in der Slowakei, Falera in der Schweiz, der Schellenberg bei Kinding oder die Alteburg über Arnstadt. Natürlich muss ausgeschlossen werden können, dass es sich bei der Kante um eine Ackerterrasse handelt (Gleicher Hangwinkel, zu schmale Terrasse). Weitere Indizien für bronzezeitliche Niederlassungen sind: megalithische Bruchsteingräber, Hügelgräber, eigentümliche alte Flurnamen, künstlich abgeflachte Bergspitzen, eine weit oben liegende Quelle und dazu die auf Überbeanspruchung hinweisenden glatten Magerrasenabhänge (Alte Wart Gumpelstadt, Kahlköpfchen-Rossdorf, Wünschberg-Oberkatz). Denn damals soll das Klima besser gewesen sein, was Landwirtschaft bis 1000 Höhnmeter ermöglicht habe. Außerdem sind viele nicht zum Boden gehörende Einzelsteine verdächtig, die u.a. zum Unterlegen für die Pfosten der Häuser gedient haben könnten (Ehrenberg neben Lange Bahn bei Suhl). Von den später auftauchenden germanischen Bauern wurden zwar gerne deren Rodungsflächen genutzt, nicht aber die steinigen Siedlungsflächen. Sie wurden als "Steinsburg", "Steinhügel" etc. beflurnamt. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass in der Nähe solcher befestigter Siedlungen prinzipiell auffällige geologische Formation (Felsen, Höhlen) liegen, die als Kultplätze in Frage kommen (die Höhle auf der Houbirg bei Hersbruck oder die berühmten Externsteine gegenüber Velmertot, Bärenstein und Grotenburg). Bei jedem Ringwall sollte also ein „Heidenplatz“ nicht weit sein. (Siehe Post „Wo die nächsten archäologischen Funde gemacht werden“).
  • Aus der Urnenfelderzeit müssen dann die vielen Wallanlagen auf Bergen stammen (Buchberg bei Neumarkt, Staffelstein, Singener Berg an der Ilm). Der von Wissenschaftlern ab 1250 v. Chr. angesetzte Klimakollaps mit kriegerischen Völkerwanderungen scheint nicht nur zum massenhaften Neubau von befestigten Höhensiedlungen geführt zu haben, sondern auch zur Annexion o.g. Bronzesiedlungen (Gleichberge, Ehrenbürg bei Forchheim). Alle unter 1. genannten Merkmale können also auch hier zutreffen. Nur die eingestürzten Stein-Holz-Mauern - die heute sichtbaren Wälle - sind als Hinweis für eine halbwegs sichere Datierung heranzuziehen (Glauberg über Glauburg, Gleichberge bei Römhild, Milsebuerg). Typisch für diese Zeit scheinen auch die aufwendig gestalteten Ackerterrassen zu sein (Neidhardskopf über Bettenhausen, Schlossberg in Bopfingen, Roßberg bei Tann). Sie können nur mit einem verzweifelten Kampf gegen Bodenerosion erklärt werden. Hintergrund scheint der Dauerregen auf Grund vulkanascheverseuchter Atmosphäre während des Klimakollapses zu sein. Agrarexperten legen diese Feldstufen gerne in das 13. Jhd. unserer Zeit. Dagegen spricht aber meistens ein Aufwandsvergleich mit den wenigen Bewohnern in den umliegenden Dörfern zu jener Zeit. Außerdem fehlen entsprechende Urkunden oder Beschreibungen aus dem Mittelelter dazu, obwohl es immerhin um Grund und Boden gegangen sein soll. Weiterhin kommen die befestigten Siedlungen jetzt gerne als Zwillingsburgen daher, wie auf den zwei Gleichbergen, Öchsen und Dietrichsberg oder die beiden Kuppen der Ehrenbürg. Manchmal sind ganze Hochflächen von mehreren Wällen geschützt, wie bei Kirchzarten oder um den Staffelberg. Für die Urwegeforschung scheinen noch die mutmaßlichen Überschwemmungen während des Kollapses maßgeblich: Ab 1200 v. Chr. fehlen im küstennahen Flachland sämtliche Hügelgräber. Nur die steinernen Grabkisten konnten nicht fortgeschwemmt worden sein und stehen nun als so genannte Dolmen entlang der Nordküste herum. Die von der Urnenfelderkultur angelegten Bergfesten wurden dann während der Hallstatt-, und der Latene-Zeit ausgebaut. Letzterer werden als Ethnie die Kelten zugeordnet, die die gigantischen Oppida wie Manching schufen.
  • Im Gegensatz zu den großen prähistorischen Höhnsiedlungen stehen die kleinen frühmittelalterlichen Sicherungsburgen, ebenfalls vorrangig aus Holz, oft mit Wall und/ oder tiefem Graben versehen. Manchmal können da nur 10 Mann gesessen haben. Sie scheinen nach der Völkerwanderung im Frankenreich entstanden zu sein, denn sie liegen ausnahmslos an frühmittelalterlichen Fernwegen. Mit der Verselbständigung der Grafen und später der Emanzipation der Städte müssen sie ihren Wert verloren haben. Mir sind keine Ausgrabungsergebnisse bekannt, die diese oft als Warten oder Wachen bezeichneten Kleinburgen bereits als Wegesicherung der Germanenzüge ab dem 1. Jhd. v. Chr. ausweisen. Hingegen kann man sich gut vorstellen, dass sich aus ihnen später - bei günstiger Lage - einige mittelalterliche Steinburgen entwickelten.
Doch da wohnten die Menschen schon in den heute bekannten Siedlungen und die Wege verliefen an den Rändern der Täler. Diese Verlagerung hat nicht nur etwas mit Klimaveränderungen zu tun, sondern auch mit Trockenlegung und partieller Melioration des Bodens im Zuge der Siedlungserweiterung. Natürlich haben die Menschen im Mittelalter die Siedlungsplätze ihrer Vorfahren gekannt. Die noch heute bekannten Geschichten von Schätzen, Riesen und Geistern entstanden. Und: die "Neusiedler" lernten, die Errungenschaften der Altvorderen zu nutzen:

  • Steinbrüche: Mindestens die Hälfte aller bekannten frühen befestigten Siedlungen sind durch Steinabbau in Mitleidenschaft gezogen worden. Seit sich Häuser aus Stein durchsetzten, also ab 800 v. Chr. etwa, muss ein Run auf die verlassenen Wälle eingesetzt haben (Gleichberge, Öchsen, Milseburg, etc.). Das scheint ja auch logisch: Nachdem das oberflächliche Material abgetragen war, hat man sich eben im Laufe der Jahrhunderte in die Tiefe gegraben. Solch ein Zusammenhang wurde am Biberg südlich von Salzburg wissenschaftlich nachgewiesen. Manchmal sind dadurch die Bergfesten fast komplett verschwunden, wie der Ölsberg bei Hundsangen, der Neidhardkopf auf der Geba bei Bettenhausen oder der Berg zwischen Brennleite und Grafenforst östlich von Kinding mit seinem gigantischen Hügelgräberfeld. 
  • Wochenendhaus- und Eigenheimsiedlungen: In dicht besiedelten Gegenden werden die Terrassenfelder aus der Katastrophenzeit gerne als Bauland genutzt. Denn für die heutige Landwirtschaft taugen sie wegen ihrer geringen Größe und dem ausgelaugten Boden kaum. (Beispiele: Frauenberg und Aschenberg in Fulda, Hohe Loh und Lautenberg in Suhl, Hasenkopf in Marburg, Eulsberg über Dietzhausen, Hümburg bei Wasungen)
  • Bergkapellen: Auch die Christen haben oft die heiligen Plätze ihrer Vorfahren vereinnahmt. So stehen die allermeisten kleinen Kirchen außerhalb geschlossener Ortschaften auf alten keltischen oder germanischen Siedlungs- oder Kultplätzen. Auch Geländebezeichnungen mit religiöse Bezug gehen überall dort, wo wissenschaftlich untersucht, auf solche Areale zurück: Heiligenberg, Teufelsstein, Hexenhügel, Heidenstein etc.
  • Sportplätze: Nicht wenige Gemeinden in Deutschland haben den bereits zu prähistorischer Zeit für Siedlungszwecke künstlich abgeflachten Berg vor ihrer Haustür genutzt, um Freizeitanlagen für ihre Bürger zu schaffen. So am Königsweg in Steinbach-Hallenberg, zwischen Esch und Dinkelstein im Taunus oder im Oberholz von Ellar. Im Bergischen Land scheint das geradezu Standard zu sein. Auch Golfplätze wurden gerne auf landwirtschaftlich schwer nutzbaren Höhen angelegt (Bsp. Wallerscheid bei Brombach, Wilzenberg bei Schmallenberg oder Kümmelsberg bei Redwitz).
  • Jüdische Friedhöfe: Davon habe ich entlang der Altstraßen Dutzende gefunden, meist nahe prähistorischer - aber weit ab heutiger Siedlungen (Schleusingen, Helmershausen, Aschenhauen, Kleinbardorf). Eine mögliche Erklärung wäre, dass christliche Behörden im Mittelalter den Juden für solche Zwecke nur Grundstücke auf "heidnischen" Boden vergaben.
Urwegeforschung kann auch auf historische Fragestellungen rückwirken. So erscheint der Streit um Burgscheidungen als Ort der Thüringer Entscheidungsschlacht 531 in ganz neuem Licht, wenn man weiß, dass der markante Hügel an der Heidenstraße liegt (Nicht weit vom Fundort der Himmelsscheibe von Nebra.). Oder die alles überragende Bedeutung Frankfurts als Kreuzpunkt der wichtigsten Handelsstraßen seit der Jungsteinzeit. Um das mögliche Alter von Urstraßen herauszufinden, kann es neben den archäologischen Untersuchungen nämlich auch Sinn machen, sich mit den Namen der tangierenden Orte zu beschäftigen. Gründungszeiten aus den Geschichtsbüchern sind rein zufällig und sollten in der Realität immer weit vordatiert werden. Auch wenn Namensforscher oft im Trüben fischen müssen, können ihre Erkenntnisse wie folgt zusammengefasst werden:



Name
Beispiele
Alter
Reine Eigennamen
Mainz, Milz, Bonn, Jüchsen, Trier, Worms, Köln
Vor der Zeitrechnung, ev. sogar  vorkeltisch, also vor 600 v. Chr.
Endungen -ar, -a, -les, lis, -los, -las, -ach, -hall, -loh, -idi
Themar, Geisa, Gärthles
keltisch, von 600 bis etwa 50 v.Chr.
Endungen -ing, -ung
Meiningen, Breitungen, Salzungen, Schleusingen
Alemannisch, von 50 vor bis 200 nach der Zeitenwende
Endungen -stätt, -städt, -stedt, etc.
Widderstatt, Henfstädt
Germanisch, ab Zeitenwende bis 500 v. Chr.
Endung -leben,
Dingsleben
Thüringisch, von 400 bis 531 unserer Zeit
Endungen -heim, -haus, -stein, -burg, -feld
Endungen -wind, -itz
Nordheim, Einhausen
Fränkisch, ab 500 unserer Zeit bis 800
Slawisch, ab 800 unserer Zeit
Endung -bach, -dorf,
Fischbach
Frühmittelalter, ab 800
Endungen -rod, -roda, -reuth, -rieth,  -schlag
Bischofrod, Biberschlag, Reurieth
Hochmittelalter, ab 1.000

Mit Google-Earth heute kann die Altwegeforschung zum Suchtspiel werden. Man zieht beispielsweise eine Linie von einer bekannten keltischen Siedlung zur anderen, modifiziert diesen Strich nach einer Gewässerkarte in Umgehung möglichst vieler Flüsse und Bäche und vergleicht nun das Ergebnis mit einer Flurnamenkarte. Und siehe da: Alte Orts- und Landschaftsbezeichnungen springen einen nur so an. Dazu findet man gehäuft archäologische gesicherte Siedlungen, Gräberfelder und Kultplätze. Selbst Straßen in Großstädten können uns solche Altwege verraten. Jetzt müssen wir nur noch raus ins Gelände und das ganze überprüfen. Ich verspreche Euch: Ihr werdet noch einmal doppelt so viele Hinweise finden, als im stillen Kämmerlein …



Anlage:
Alte Flurnamen, die als Bindewörter hundertfach an Altstraßen auftauchen und die dort, wo archäologisch gegraben wurde, im Zusammenhang mit keltischen oder altgermanischen Artefakten standen. Dabei geht es hier nicht so sehr um die akademische Begriffsbestimmung, sondern um eine jeweils zur Landschaft passende Beschreibung.


  • Arns-, Arno-      Krieger, meist für verteidigungsfähige Berge
  • Arz-                   Steil, ebenso für Kriegersitze
  • Ans-                   Siedlung      
  • Allen-                von alt
  • Asch-                 Höhe
  • Atten-                Berg-
  • Baier-                 Mächtig
  • Banz-                 Berg
  • Bett-                  klein
  • Birk-                   Pferch
  • Bil-                    schroff oder klein
  • Bleß-                 Leuchtend   
  • Bühl-                 Hügel
  • Eier-                  klein
  • Eller-                 langgezogen       
  • Geba-                Wache
  • Doll-                  Hügel       
  • Dom-                 Grab
  • Dürre-n              Wasser-      
  • Hall-                  keltisch salz
  • Harras-              Hof, Burg-       
  • Hahn-                hoch
  • Hardt-                steil, immer der Aufstieg von Altstraßen hinter Furten-       
  • Heid-                 fast nie als Landschaftstyp möglich, wahrscheinlich für Nichtchristen, Gottlose
  • Hell-                  hoch-      
  • Herren-              vielleicht als Bezeichnung für die ersten einmarschierten Germanen
  • Hund-                keltisch Wald-        
  • Höll-                  Fels
  • Hörst-                Sitz-        
  • Katz-                 Gehege, ev. als keltische Siedlung, oft neben alten Grabanlagen   
  • Kalte-                Schmied, Grenz-, oder Übergang (vielleicht von cut) oft nahe entspr. Ausgrabungen 
  • Knock-              Schlag, Berg
  • Linden-             Hof, Gehege-     
  • Loh-                  hoch
  • Oil-                   Fels-
  • Platte-             Ebene      
  • Pfarr-                auch Pfaffen-, oft an Altstraßen, ev. aus der Zeit der militär. Christianisierung
  • Rück              Weg-, Höhenzug
  • Rot-               gerodeter
  • Schul-               Außerorts: eingeebnete Kuppe
  • Sand-                Wasser-    
  • Spiel-                keltisch Abhang, Rand
  • Sulz-                 Matsch-    
  • Scheid-             Pass 
  • Wal-, Wahl-     Wall-      
  • Wein-               indogermanisch für Weg-        

Montag, 9. Januar 2017

Die Provinzialstraße Gotha-Schleusingen-Koburg (von C.A.)

Gotha
1830 entstand die Staats-Straße von Gotha über Zella-Mehlis-Suhl-Schleusingen-Koburg. Sie wurde eine der Hauptdurchgangsstraßen, die durch den ehemaligen Kreis Schleusingen führt. Welche große Bedeutung der Bau dieser Straße damals für den Kreis Schleusingen, besonders für das Gewerbe hatte, ist heute wohl kaum noch nachzuvollziehen. Denken wir uns aber Eisenbahnen und andere schnelle Verkehrsmittel unserer Zeit weg und versetzen wir uns in jene Zeit, in der sich aller Verkehr mit Fuhrwerken auf den Landstraßen abspielte, kann man sich den Zustand dieser Fahrwege leicht vorstellen, es waren bessere Feldwege. Zudem führten sie meist auf den Bergrücken entlang und um z. B. aus dem Werratal über den Thüringer Wald nach Gotha oder Erfurt zu kommen, quälten sich die Fuhrwerke über steile Anstiege oder Abfahrten, teilweise durch tiefe Hohlwege. Solche Wege mit einem Übergang (Pass) am Rennsteig, gab es von Eisenach bis Blankenstein viele. Auch in unserer Nähe führten sog. Urwege vorbei wie die bekannte Route von Themar (aus Würzburg kommend) über Lengfeld, Keulrod, Rückbreche, Dreisbach oder Eiserne Hand, nach Suhl zum Oberhofer Pass. Andere Wege gab es von Grimmelshausen, Veßra über Neuhof oder Zollbrück Gethles zum Roten Haak und weiter zur Eisernen Hand – Suhl.
Schleusingen
Ein uralter Handelsweg führte - auch von Würzburg kommend - in Schleusingen zum Kohlberg hinauf und weiter über die Eiserne Hand nach Suhl. Bekannt auch die uralte Heerstraße über Frauenwald, Ilmenau, nach Erfurt. Es dauerte lange bis eine Wagenkolonne über das Gebirge kam. Radbrüche, oder trotz Vorspann in einem Sumpfloch liegen gebliebene Fuhrwerke behinderten den Verkehr, was aber ganz normal war. Belastungen gab es für die Einwohner der Ortschaften, die in der Nähe lagen. Sie hatten durch Hand- und Spannfron Teilstrecken dieser Wege in Ordnung zu halten.
Unter solchen Umständen ist es begreiflich, dass der Wunsch nach einer ordentlichen und befestigten (chaussierten) Durchgangsstraße immer lauter wurde. Die Freude war schließlich groß, als im Jahr 1820 mit dem Bau einer solchen Straße ernst gemacht wurde.
Coburg
Vorausgegangen war ein Staatsvertrag zwischen den Kleinstaaten Preußen und dem Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha. Er sah vor, dass die Kunststraße von Gotha aus über Zella St. Blasii gehen sollte, wo sie sich in zwei Arme teilte. Einen über Benshausen nach Meiningen, den anderen über Suhl-Schleusingen nach Hildburghausen und Coburg.
Im Winter 1929/30 wurden bei grimmiger Kälte die Arbeiten begonnen und als das Frühjahr kam, war die Linienführung der neuen Kunststraße festgelegt. Verärgert waren nun die Einwohner, deren Felder und Wiesen durch die Straßenführung beeinträchtigt wurden. Offenbar versuchte der eine oder andere, heimlich eine für sie günstige Korrektur vorzunehmen. Am 20. März wurde entlang der Streckenführung eine Bekanntmachung veröffentlicht. Darin wird erklärt: „ Die Signalstangen und Pfähle müssen unverrückt stehen bleiben, und wird jedermann gewarnt; bei nachdrücklichster Strafe, sich daran nicht zu vergreifen.“ Die widerspenstigen Feldbesitzer und Grundeigentümer hatten sich jedoch bald mit dem Straßenbau versöhnt.
Suhl
In Suhl versuchte man durchzusetzen, die Teilung der Straße in die Stadt zu verlegen und die Straße nach Meiningen von hier über über Heinrichs-Rohr zu führen Damit hatte Suhl aber keinen Erfolg.
Dafür bekamen die Behörden jedoch Schwierigkeiten, ausreichend und geeignete Arbeiter für den Straßenbau im Kreisgebiet zu finden. Die kamen dann aus Schlesien, wo in großer Zahl Arbeiter angeworben wurden. Damit erwuchsen vor allem der Stadt Suhl, wo die meisten eine Unterkunft fanden, neue Sorgen. Es waren unruhige Zeiten damals. In vielen Städten herrschte die Cholera und unter den auswärtigen Arbeitern waren auch viele Abenteurer und etliches lichtscheue Gesindel. Das Meldewesen der Stadt Suhl wurde deshalb energisch verschärft. Viele, die sich hier wegen dunkler Geschäfte aufhielten, gaben vor, beim Straßenbau beschäftigt zu sein. Die Hauseigentümer wurden deshalb verpflichtet, „keinen fremden Arbeiter bei dem Chausseebau länger als 24 Stunden, von seiner Ankunft an gerechnet, aufzunehmen und zu beherbergen, der nicht mit einer, von dem Königlichen Polizei- Major Herrn Pfeil eigenhändig unterzeichneten und mit dessen Geschäftssiegel abgestempelten gedruckten Arbeitskarte versehen ist.“ Als Strafe für Nichteinhaltung wurde den Hausbesitzern angedroht, „daß sie dergleichen Personen nöthigen Falls zu ernähren und die etwa deshalb verursacht werdenden Transportkosten in ihre Heimat zu bezahlen hätten.“
Der Straßenbau brachte natürlich Geld ins Land und von Ende 1829 bis Oktober 1830 sind mehr als 110 000 Taler an Löhnen ausbezahlt worden, von denen ein beträchtlicher Teil in Suhl und den anrainer Ortschaften geblieben ist. Das Teilstück von der Struth (Ortseingang Suhl) bis nach Schleusinegn war schon im Oktober 1830 fertig und wurde dem Verkehr übergeben. Im August 1831 war auch das Stück von Schleusingen bis zur Hildburghäuser Stadtgrenze fertiggestellt. Die Straße ist im Kreisgebiet 25,8 km lang; die Gesamtkosten betrugen 559.869,- Taler.
Typische Straßenszene im 19. Jhd.
Da es sich um eine Staatsstraße handelt, die vom Staat unterhalten wurde, glaubten die Gemeinden, auch die Last der Schneeräumung und Schneeabfuhr auf den Staat abwälzen zu können. Der Staat entschied anders. „Da die Wegschaffung eines durch ein Naturereignis entstandenen Hindernisses der Communication, eben so wie die Hilfeleistung bei Feuers- und Wassernoth, als allgemeine Unterthanenpflicht betrachtet werden muß. Es kann hierbei kein Unterschied machen, ob die Straße chaussiert oder nicht, indem durch die Chaussierung einer Straße jenes Naturereignis nicht herbeigeführt wird...“
Natürlich erhob der Staat auch ein Chausseegeld, das auf allen Preußischen Staats- Straßen einheitlich geregelt war. So mussten z. B. entrichten: Eine Extrapost, Kutschen und sonstige Fuhrwerke zum Fortschaffen von Personen, beladen oder unbeladen und für jedes Zugtier 1 Silbergroschen. Lastfuhrwerke für jedes Zugtier 1 bis 3 Silbergroschen. Für den Verkehr auf den Straßen galt auch damals bereits der Grundsatz: Auszuweichen ist nach rechts. Den Postkutschen musste auf deren Hornsignal jedermann ausweichen, bei Vermeidung einer Strafe von 5 bis 10 Thaler. Das Abladen von Dung und das Viehfüttern auf den Kunststraßen war strengstens verboten. Für den Handel, der ja für Suhl und Schleusingen seit jeher von Bedeutung war, war die Fertigstellung der Durchgangsstraße natürlich von größter Wichtigkeit und die hinter der Eröffnung der späteren Bahnlinien nicht zurückstand. Durch die Straße wurden beide Städte und andere Ortschaften an den Verkehr herangerückt und sie erhielten damit – damaligen Zeitverhältnissen entsprechend - eine bessere Verbindung zur großen weiten Welt. Nach Erfurt und Coburg verkehrten bis dahin wöchentlich zweimal eine Fahrpost, zu der nun eine wöchentlich zweimal verkehrende Schnellpost und eine ebenfalls wöchentlich zweimalige Reitpost kam.
Oberhofer Rondell
Als dauerndes sichtbares Symbol der Bedeutung dieses Straßenbaues errichtete der Herzog Ernst zu Sachsen-Coburg-Gotha bei Oberhof auf dem Rondell einen Gedenkstein, an dem wir alle schon einmal vorbeigefahren sind. Dieses Monument, das in den Himmelsrichtungen erbaut wurde, trägt folgende Inschriften: Auf der Nordwest-Seite: „Heil dem schaffenden Sinn, der zum freundlichen Garten die Wildnis umschuf, und der Natur Schrecken in Lieblichkeit kehrt.“ Auf der Nordost- Seite: „ ERRST Herzog zu Sachsen erbauet diese Straße zur Höhe des Gebirges, 2572 Par. Fuß, in den Jahren 1830 – 1832“. Auf der Südost- Seite: „ Wie sich die Straße so sicher und leicht zu den Höhen hinaufschwingt, Länder mit Ländern verknüpft, Handel und Künste belebt.“ Auf der Südwest- Seite: „Entworfen, geleitet und ausgeführt: Die Straße durch F.v. Wangenheim, Geh. Rath; F.v. Erffa, Rgierungsrat; R la Nicca, Ing. Capt; J.v. Plaenkner, Captaine; A. Heimberger, Chaussee-Insp; C. Rodemann, Ingenieur; A. Eberhard, Bauingenieur.“ Das Denkmal durch „G. Eberhard, Hofbmstr.“
Einer der bekanntesten der im Denkmal verzeichneten Persönlichkeiten war der Captaine, späterer Oberst von Plaenkner, an dessen Tätigkeit noch heute die am Südhang des Großen Beerberges gelegene „Plaenkners Aussicht“ erinnert. Ein Platz, der wegen seiner hervorragenden Aussicht von den Besuchern der Berge und Wälder sehr geschätzt wird. Während der Kriegswirren zu Beginn des 19. Jh. bewährte sich Plaenkner als tapferer Kämpe auf den verschiedensten Kriegsschauplätzen. Sein Amt als Oberbauleiter beim Straßenbau über den Thüringer Wald nach Coburg wird ihn zum begeisterten Erforscher dieses Gebietes gemacht haben. Er ist auch der erste, der eine Rennsteigreise im Zusammenhang unternommen hat, der aber auch als Begründer der modernen Rennsteigforschung gilt. Aus den knapp gehaltenen, aber zuverlässigen Angaben Plaenkners schöpften die späteren Forscher, ohne dass sie ihre Quelle nannten. Plaenkner beschränkte den eigentlichen Rennsteig auf die Strecke Förthaer Stein bis Rodacherbrunn und bezeichnete die Endstrecken bis Hörschel und Blankenstein als Fortsetzungen. Die Marschdauer berechnete er auf 43 ¼ Wegstunden. Als er 1848, während der Unruhen, ein Gothaer Bataillon auf den Erfurter Anger aufmarschieren ließ, erlitt er einen Schlaganfall. Er lebte noch 10 Jahre als schwer kranker Mann bis 1858.
Postkutsche
Im Zusammenhang mit dem Straßenbau soll hier auch noch ein weiterer Staatsvertrag erwähnt werden, der dem freien Handel einen gewissen Fortschritt und eine Erleichterung verschaffte. Am 11. Februar 1831 einigten sich Preußen und das Erzherzogtum Sachsen-Weimar, dass zwischen den Landkreisen Erfurt und Schleusingen ein freier gegenseitiger Verkehr zugelassen wurde. Er sah vor, „dass die von den beiderseitigen Untertanen in den Verkehr zu bringende Waren aller Art, wie die eigenen inländischen Waren zu behandeln, also ohne Zoll, zu befördern sind.“ Neben diesem lokalen Vertrag hatte der Straßenbau auch eine große Bedeutung für die politische Entwicklung Deutschlands, um die sich der damalige preußischer Finanzminister v. Motz verdient gemacht hat. Durch den Straßenbau-Vertrag zwischen Preußen und Gotha wurde die Gründung eines von verschiedenen mitteldeutsche Staaten (auch Thüringen) geplanter kleinstaatlicher „Mitteldeutscher Handelsverein“ vereitelt und eine Brücke zwischen dem Norden und Süden des Reiches geschlagen. Als Folge davon gründete sich nämlich der Deutsche Zollverein, der 1871 die Grundlage bildete für die Wiedererrichtung des geeinten Deutschen Reiches durch Bismarck. An dieser Entwicklung soll also die große Kunststraße Gotha – Zella – Suhl – Schleusingen – Coburg einen gewichtigen Anteil gehabt haben. Sicher nur wenn man um sechs Ecken denkt. Die Straße Gotha-Coburg wurde in den 1920-er Jahren asphaltiert. Damals sagte man sie wurde geteert. Bei der Nummerierung der Staatsstraßen bekam sie von Gotha bis Schleusingen die Nummer 247. Ab hier bis Coburg bekam sie die Nr. 4, die ab Schleusingen über Ilmenau nach Erfurt führte. Die Straße nach Coburg hat wohl nach der Grenzöffnung 1989 den größten Verkehr seiner Geschichte erlebt. Wochenlang schoben sich hunderttausende Fahrzeuge in Richtung Coburg, über die ehemalige Grenze in die Bundesrepublik und zurück. Nach dem Bau der Autobahn wurden die Straßen 2005 umgewidmet und zum Teil kommunalisiert. Die 247 von Gotha kommend endet jetzt schon in Suhl. Das Reststück bis Schleusingen ist eine Kreisstraße.

Quelle: Henneberger Heimatblätter 2/Febr. 193.