Montag, 7. November 2016

„-ing“ wie Schleusingen


Postkarte: Schleusingen
Jüngst erklärte Prof. Jürgen Udolph in seiner MDR-Radio-Sendereihe die Herkunft des Namens Schleusingen: http://www.mdr.de/mdr-thueringen/ortsname-schleusingen-100.html Mir reicht das aber nicht!
Udolph verwies auf den Namen Slusungen, mit dem die spätere Residenz der Grafen von Henneberg ab 1232 mehrfach bezeichnet wurde. Er bezog Slus auf den Fluss Schleuse, merkte aber an, dass es den Begriff Schleuse damals bei uns noch nicht gegeben haben kann. Er schlage die Herleitung vom mittelhochdeutschen slōz vor, was irgendeine Form von Matsch bedeuten könne, oder vom mittelniederdeutschen slūse, was auf eine Vorrichtung zum Einfangen von Fischen hindeute. Er leitet das ganze recht überzeugend ab und man kann Wissenschaftlern nur dankbar sein, wenn sie ihr Herz der Heimatkunde öffnen. So neu aber ist das alles nicht!
Schleusingen lag nie an der Schleuse!
Bereits 1932 zur 700-Jahr-Feier war Prof. Theodor Lorentzen, ein anerkannter Historiker und ehemaliger Schüler des hiesigen Gymnasiums, zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen. Er bezieht den Namen Schleusingen auf so genannte Fischwehre, lateinisch sclusen, die von den Mönchen aus dem Kloster Veßra angelegt worden sein könnten. Auch seine Begründungen ergeben einigen Sinn, besonders in Bezug auf den Alt-Standort der villa slusungen, die nicht dem heutigen entsprochen haben könne.
Auch der Matsch von slöze wurde schon vorgeschlagen, und zwar von Christian Junker, 1707 Konrektor wieder am Gymnasium, in seinem unveröffentlichten Werk "Ehre der gefürsteten Grafschaft Henneberg".
Und es gibt noch mehr: Willhelm Obermüller übersetzt 1873 in seinem Deutsch-Keltischen Wörterbuch Schleusingen mit slios-duingen, was so viel wie Berg-Abhang-Burg bedeuten soll. Dort finden wir auch den Namensvetter Schleussig, bei Leipzig. Er wird als sluis-tigh, Schloss-Ort angeboten. Andere Keltenforscher leiten -ing, -ung  vom gälischen "uisguinge" Wassergeher ab.
Doch damit sind wir mitten im Streit der Keltisten mit den Germanisten, der seit etwa 150 Jahren regelmäßig von Letzteren gewonnen wird. Doch es geht um mehr als Schreibstuben-Gezänk. Eine keltische Vergangenheit würde den so bezeichneten Fluren und Siedlungen ja ein wesentlich höheres Alter bescheinigen. Schleusingen - 2500 Jahre? Das geht nun gar nicht!
Nicht weit: Keltisches Oppidum Steinsburg
Und doch behaupten Frank Weiske und der verstorbene Ernst Fischer aus Suhl, dass ein bedeutender Eisenerzhandel zwischen dem keltischen Oppidum Steinsburg bei Römhild und den Bergbaugruben in Suhl genau über das spätere Schleusestädtchen verlaufen sei. Historiker zeichnen sogar einen Urweg von Bad Königshofen über Schleusingen, Oberhof, bis Arnstadt an Hand ausgegrabener Artefakte aus der Bronzezeit nach. Das wären dann mehr als 3000 Jahre! Wer sich jetzt an den Kopf greift, recherchiere mal die neuesten archäologischen Erkenntnisse zum Werra-Dörfchen Harras, das nachgewiesen mehr als 6000 Jahre auf dem Buckel hat. Hier werden auch schön die Muster deutlich, nach denen unsere Altvorderen ihre Siedlungen an Furten angelegt haben. Ein Vorbild für die Schleuse?  
Die Wanderung der Elbgermanen
Keine Angst! Natürlich ist zumindest der Name Schleusingen jünger. Denn das verrät uns die Nachsilbe -ingen. Prof. Udolph erklärt dazu lediglich, dass das Suffix von -ungen abgewandelt wurde und altgermanisch sei. Das aber geht konkreter. „-ingen“-Orte gibt es zunächst überall, wo Germanen während der Völkerwanderungszeit irgendwie mal zugeschlagen haben - von England bis Italien. Die Endung wird mit "Kinder von" bzw. "Nachfahren" gedeutet. Eine Zuordnung von Ingen müsste also über Siedlungsräume einzelner Stämme möglich sein. Tatsächlich ordnen viele Heimatforscher Siedlungsgründungen mit der Endung Ingen den Schwaben oder, hier gleichbedeutend, den Alemannen zu. Zwischen Donau und Main, wo jeder zweite Ort eine solche Endung hat, bekennen sich auch immer mehr Gemeinden offiziell als Gründung der suebischen Alemannen. Leider aber lehnen die meisten etablierten Linguisten eine solche Entsprechung ab. Dabei ist allgemein anerkannt, dass spätestens seit 400 n. Chr. germanische Okkupanten ihre Gründungen zur Unterscheidung von den Alteingesessenen mit ganz bestimmten Endungen versahen, wie -leben durch die Thüringer, oder -heim und -hausen durch die ersten Franken. Sogar wenn letztere die alten Ortschaften vereinnahmten, ist das an der Endung erkennbar, wie die ganzen -ingheims, -inghausen oder -ingrode beweisen.

Es gibt alleine in Deutschland 839 Ing- und 47 Ung-Namensendungen. http://www.ling.uni-potsdam.de/~kolb/DE-Ortsnamen.txt Schaut man sich deren Verteilungskonzentration an, entdeckt man Schwerpunkte nördlich vom Harz und im Schwäbisch-Alemannischen Raum. http://www.blogrebellen.de/2016/01/05/visualisierung-deutscher-ortsnamen-endungen/ Dazwischen gibt es einen breiten Gürtel in Richtung Süden, den westlichen Thüringer Wald querend. Auf dieser Route sind allein die Suebischen Stämme zugange gewesen, denen man Semnonen, Hermunduren, Quaden, Markomannen und Langobarden zuordnet. Alle begannen noch vor der Zeitrechnung Richtung Süden zu wandern. Die beiden letzteren waren nach Böhmen und Ungarn unterwegs. Die Quaden, zunächst auch am Main aktiv, landeten schließlich irgendwo im Osten. Unsere um das Mittelgebirge agierenden Hermunduren kamen nur bis zum Main. Die einzigen, die bis Süddeutschland zogen und sich dort nach und nach verbreiterten, waren die Semnonen. Sie werden als Hauptstamm der Sueben angesehen und in den römischen Quellen als Neckar-Sueben bezeichnet. Auch Teile der Quaden tauchen in der Forschung als Donau-Sueben auf.
Muster in Namensverteilungen
Die Diskussion, wer, wann, in welcher Koalition über das Römische Reich hergefallen ist, tut hier nichts zur Sache. Für unsere Untersuchung halten wir lediglich fest, dass die Sueben kurz vor der Zeitrechnung losmarschiert und 50 nach Chr. am Neckar angekommen waren. Hier expandierten sie langsam in alle Richtungen, um sich ab 350 etwa  auf den Höhen des Schwarz- und des Odenwaldes niederzulassen. Unter der Bezeichnung Alemannen arrangieren sie sich mal mit den Römern, mal legen sie sich mit ihnen an. (Erst später tauchte wieder der Name Sueben in der Bezeichnung für Schwaben auf.)Von allen anderen Stämmen, die wahrscheinlich den Thüringer Wald querten (Goten, Burgunden, Vandalen), ist bekannt, dass sie zielgerichtet südwestlich unterwegs waren und andere Räume okkupierten. Die Thüringer hinterließen südlich des Rennsteigs kaum Spuren, die Franken waren zwar überall, aber nachgewiesen erst später. Einzig die Sueben brauchten bis etwa 400 an den Flussfurten permanent Siedlungen, um die Trecks in den Süden infrastrukturell sichern zu können. Schutz wird kaum nötig gewesen sein, denn in dieser Zeit gab es keine nennenswerten Feinde ringsum. Und so kann es kein Zufall sein, dass die meisten Ingen-Orte auf o.g. Verteilungskarte an Flussübergängen zu finden sind, besonders an Werra, Main und Neckar.
Germanen und Römer
Entsprechend dieser lokalisierten Südwanderung müssen sich bei uns diese Siedlungen an Werra und Schleuse südwestlich des Thüringer Waldes konzentrieren. Und da sind sie auch: Salzungen, Breitungen, Schwallungen, Wasungen, Meiningen und Schleusingen. Genau auf der Marschroute der Sueben.
Furten gibt es auch an der Schleuse jede Menge. Nur die Lage von Alt-Slusungen ist nicht klar. Lorentzen verlegt sie an den Eichenhof unterhalb des Galgenrains, Heimatforscher bieten abwechselnd Haardt, Weißer Berg, Einfürst, Maiburg, Sand oder "Hügel" über Heckengereuth an. Allein die Menge alter Siedlungsoptionen zeigt an, dass die Gegend immer von Interesse gewesen sein muss. Dass der Unterlauf der Schleuse ab Schleusingen bis ins Hochmittelalter hinein der verlängerte Bach Vesser war, scheint nur formell von Bedeutung. Kompliziert wird die Sache hauptsächlich deshalb, weil der Fluss Schleuse die Stadt Schleusingen eigentlich niemals berührt hat. Und da ist ja auch noch der ominöse Schleuseberg hinter Wiedersbach, der ebenfalls weitab vom Fluss liegt. Ein Heimatforscher hat neulich diesen Höhenrücken mit seinen Abschnittsterrassen gar mit der prähistorischen Wallanlage Altenburg über Arnstadt verglichen. Dieser Berg und das mittelalterliche Scheusingen haben gemeinsam, dass von ihnen aus ein halbes Dutzend Altstraßen über den Thüringer Wald kontrolliert werden konnten...
Die Flurnamen um Schleusingen sprechen 
"germanische" Bände
Die Quintessenz: Im Namen Schleusingen scheint lediglich die Endsilbe einige Sicherheit zu geben. Doch das würde bedeuten, ihre Gründungszeit um die Zeitenwende anzunehmen. Schon höre ich die Archivstöberer tönen: Wo steht das geschrieben?! Nirgends, die Schreiberlinge begannen bei uns erst gegen 800 den Federkiel zu wetzen. Warum wissen das Koryphäen wie Prof. Udolph nicht!? Der weiß das sicher, scheint sich aber an die gängige Lehrmeinung und das urkundlich gesicherte deutsche Wort zu halten. Natürlich kann alles auch ganz anders gewesen sein, aber nach Auswertung aller mir zugänglicher Bruchstücke geschriebener und ergrabener Geschichte, sehe ich kein anderes Bild, würde mich aber über eine Kontroverse freuen.

Samstag, 29. Oktober 2016

Das Kloster Veßra (von C.A.)

Der Henneberger Graf Gotebold und seine Gemahlin Liutgard waren es, die 1131 das Prämonstratenser-Stift Kloster Veßra gründeten.
Graf Gotebold hatte den Ordensgründer der Prämonstratenser, Norbert von Xanten, auf einem Hoftag in Würzburg 1130 selbst kennengelernt und von ihm die Anregung zur Gründung eines Klosters auf seinem Territorium bekommen. Abgesehen von den religiösen Motiven, hatten die Henneberger aber auch handfeste Gründe für die Stiftung eines Klosters. Bisher fehlte in ihrem Herrschaftsgebiet eine solche Einrichtung, von einem Hauskloster ganz zu schweigen, das die Funktion einer Grablege für die eigene Familie, eine Versorgungsanstalt für Angehörige sowie eine Ausbildungsstätte für Beamte und Schreiber des Hofstaates wahrnehmen konnte. Außerdem erhoffte sich Gotebold auch die Unterstützung der Mönche bei den Rodungen und der Besiedlung des Schleuse- Gebietes.
Die Entscheidung für Veßra war gut bedacht. Es lag nicht zu fern von den zu erschließenden Forsten, aber auch nahe genug am alten Siedlungsraum. In dieser Hinsicht muss man das spätere Schleusingen als Residenz und Veßra als Hauskloster der Henneberger als eine Einheit betrachten.
Es überragte später alle anderen Klöster in der Region an ökonomischer Macht und politischen Einfluss. Es entwickelte sich zu einem Zentrum der mittelalterlichen Kultur. Seine überregionale Bedeutung widerspiegelte sich auch im Äußeren der Klosteranlage, die mit rund 6 ha umfassende Fläche die größte im Gebiet war und die Ausdehnung einer mittelalterlichen Kleinstadt erreichte.
Aus einer Urkunde von 1135 geht hervor, dass in Veßra Prämonstratenser angesiedelt wurden und das Kloster sich noch im Aufbau befand. Der zog sich auch über die nächsten Jahrzehnte hin. Die Klosterkirche konnte jedoch schon 1138 geweiht werden. Ein Jahr zuvor hatte der Bischof von Würzburg dem Kloster die pfarreilichen Gerechtsame verliehen. Damit konnten die Chorherren in Veßra taufen, predigen, Kranke besuchen und Tode bestatten. 1141 wurde das von Papst Innocenz II. bestätigt. Das Kloster hatte nach seiner Gründung die erste Besatzung mit Chorherren aus Magdeburg vom Prämonstratenser Kloster „Unsere lieben Frauen“ erhalten. Die Verbindung nach Norden wurde aber 1224 gelöst und Veßra kam direkt unter Verwaltung des Mutterklosters in Premontre.
Als Prämonstratenser-Niederlassung war Veßra eigentlich kein Kloster, sondern ein Chorherrenstift. Da die Mitglieder des Ordens jedoch mehr oder weniger „klösterlich“ lebten, bürgerte sich auch für Veßra die Bezeichnung Kloster ein. Bemerkenswert ist ferner, dass Veßra zunächst als Doppelstift mit Männer und Frauen belegt worden war. Das war bei den Prämonstratensern üblich und hatte neben den bald eingerichteten Schulbetrieb vor allem wohl ökonomische Gründe. Obwohl beide Konvente in der Klosteranlage streng getrennt waren, untersagte das Generalkapitel von Premontre schon 1137 diese Doppelniederlassungen. Nach einem Brand im Kloster Veßra 1175, bei dem die Frauenklausur abbrannte, wurde diese in das nahe Trostatdt umgesiedelt.
Aus finanziellen und anderen Gründen übergab 1135 Graf Gotebold das Kloster an den Bischof Otto von Bamberg. Dieser erweiterte das Kloster mit Einkünften aus etlichen Dörfern vor allem im Rodacher Raum. So kam es, dass die Bamberger Bischöfe Lehnsherren der weltlichen Güter des Klosters wurden, in geistlicher Hinsicht unterstand es jedoch dem Bischof von Würzburg. Die Schutzherrschaft hatten die Grafen von Henneberg. Eine Reihe von Veßraer Urkunden aus dem 12. bis 14. Jahrhundert belegen auch die Bedeutung des Klosters als Förderer der Rodungs- und Siedlungstätigkeit, mit der Veßra sicher die von den Henneberger Grafen zugedachte Rolle beim Landesausbau gerecht wurde.
Dem Kloster gelang es einen großen Grundbesitz aufzubauen. Neben zahlreichen Schenkungen, die zur eigenen Seelenrettung von Grundbesitzern vorgenommen wurden, konnte das Kloster vor allem die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Adels, in die dieser infolge einer Agrarkrise im 14. Jh. geraten war, ausnutzen, um günstig Land aufzukaufen.
Der Vorsteher des Klosters führte zunächst den Propst Titel. Er vertrat das Kloster nach außen und war Disziplinarvorgesetzter aller Insassen. Sein Einfluss stieg mit dem ökonomischen Wachstum des Stiftes. Er wurde oft als Berater, Schiedsmann, päpstlicher Beauftragter in zahlreichen weltlichen und kirchlichen Landesangelegenheiten herangezogen. 1333 wurde er zum Abt erhoben. Nach Unterlagen aus dem Jahr 1523 wurde der Abt unter Aufsicht eines Ordens-Visitators vom gesamten Konvent der Mönche gewählt. Allerdings mischten sich zu dieser Zeit die Henneberger schon stark in diesen Vorgang ein. Der Abt führte zur Demonstration seiner Sonderstellung ein eigenes Siegel.
An der Spitze des Konvents der Mönche stand der Prior. Weitere Ämter waren: Schulmeister, Singmeister, Siechenmeister und Küster. Wirtschaftliche Funktionen hatte der Kellermeister und der Obleier. In der Spätzeit des Klosters gibt es einen Prokurator, der die gesamte Wirtschaft leitet. Der Konvent der Mönche bildete die Gesamtkörperschaft gegenüber dem Klostervorsteher. Sie besetzten auch die auswärtigen Pfarr-, Vikar- und Propststellen des Klosters.
Refektorium
Der Konvent versammelte sich im Kapitelsaal, der in der Nähe des östlichen Kreuzgangflügels der heutigen Klosteranlage vermutet wird. Gegessen wurde im Refektorium, das in seiner letzten Gestaltung im wesentlichen noch erhalten ist. Das Schlafhaus (Dormitorium) ist verschwunden. Laienbrüder mussten die körperliche Arbeit leisten. Es ist aber auch körperliche Arbeit der Mönche selbst bezeugt worden. Seit dem 15. Jh. waren im Kloster aber auch Knechte beschäftigt, die nicht zur Klosterfamilie gehörten, sondern für Lohn arbeiteten. Schließlich wohnten im Kloster auch noch die Schüler, die zum Teil für den eigentlichen Priesternachwuchs bestimmt waren.
Nach bisherigen Forschungen hatte Veßra in ca. 170 Ortschaften Grundbesitz, der nur einige Einkünfte (Zehnten), aber auch das ganze Dorf betreffen konnte. Ein Problem war die große Streuung des Besitzes für das Kloster. Die Besitzungen erstreckten sich vom mittleren Werra–Raum südlich Breitungen bis an den Main. Der Grund und Boden war meist an Bauern verlehnt (verpachtet), die jährliche Zinsen in Geld und Naturalform zahlen mussten. Jedoch hatte das Kloster, im Gegensatz zu den weltlichen Grundherren, ihr Salland meist nicht verlehnt sondern bewirtschafteten es selbst.

So gehörten zum Veßraer Haupthof 1567 noch 1303 Acker Artland und Wiese, mehrere Hundert Acker Wald, 38 Jagdgründe, 37,5 Acker Teiche, 3 Forellengewässer und Hutrechte in 11 umliegenden Ortsfluren, darunter auch in der Gemarkung Gethles.
  • 1 Acker = 0,21 ha
  • Artland = zum Pflügen und Ackerbau geeignetes Land)
  • Salland = Land, das zum Klosterhof gehört.
Der Viehbestand betrug zu dieser Zeit: 100 Stück Rindvieh, 27 Pferde, 100 Schweine, 800 Schafe, ferner Ziegen, Gänse, Hühner, Enten, Tauben, Fische und Bienen.
Außer Scheunen, Speichern und Ställen gehörten eine Büttnerei, Schmiede, Mühle, Brauerei und ein Backhaus zur Klosteranlage.
Außer dem Haupthof besaß Veßra zur Bewirtschaftung des außerhalb liegenden Sallandes, zusätzliche Wirtschaftshöfe. Das waren in erster Linie der Schweighof und der Georgenberg bei Rodach, Haard bei Münnerstadt und Ottelmannshausen bei Königshofen. Zusammen waren das noch einmal 1213 Acker Artland und Wiesen, 33,5 Acker Weinberge, 3 Gärten mit 171 Obstbäumen und Wald. Auch hier war die Viehhaltung beträchtlich. Besitz an gewerblichen Anlagen spielten nur eine untergeordnete Rolle. Bekannt sind das feudale Obereigentum an der Veßraer Ziegelei, der Rappelsdorfer Mühle oder der
Themar
Themarer Badestube. Die Veßraer Klosterschenke war meist verpachtet. Die Geldeinnahmen des Klosters betrugen zwischen 1556 und 1573 pro Jahr 3652 Gulden. An Naturalien wurden eingebracht: 2900 Malter Getreide und 25 Fuder Wein.
  • 3 Gulden kostete zu dieser Zeit ein Mastschwein
  • 1 Malter Getreide = 142 Kg
  • 1 Fuder Wein = 800 Liter
Entsprechend den Kompetenzen musste jeder neu gewählte Abt nach Bamberg ziehen, um dort um seine Belehnung mit den weltlichen Gütern des Klosters nachzusuchen. Das heißt, Veßra konnte nicht frei über seine Besitzungen verfügen. Bei Kauf, Tausch usw. musste die Genehmigung des Bischofs in Bamberg eingeholt werden. Auch die Grafen von Henneberg verstanden es, eine enge Beziehung zum Kloster herzustellen und sie übten ihre Schutzfunktion konsequent aus. Oft musste das Kloster mit größeren Geldsummen für die Henneberger einspringen. Veßraer Kanoniker waren hennebergische Hauskaplane, Diplomaten und Hauschronisten. Vor allem im Zuge der Stabilisierung der landesherrlichen Gewalt seit dem späten 15. Jh. betrieb
Schloss in Schleusingen

Schleusingen gegenüber Veßra eine verstärkte landeskirchliche Politik und griff immer öfter in die inneren Angelegenheiten des Klosters ein. Das musste zwangsläufig zum Zusammenstoß mit Würzburg führen, denn in kirchlicher Hinsicht unterstand Veßra dem Bischof in Würzburg. Wie jeder neugewählte Abt nach Bamberg ziehen musste, um mit den weltlichen Gütern belehnt zu werden, hatte er auch in Würzburg anzutanzen, um sich kirchlich alle Vollmachten übertragen zu lassen. Den Grafen von Henneberg, in deren Herrschaft Veßra lag, war das schon ein Dorn im Auge. Vor allem die ständigen Auseinandersetzungen (sogar Fehden) der Henneberger mit Würzburg, in denen es auch um territoriale Ansprüche ging, sind in die Geschichte eingegangen.
Burg Henneberg
Trotz gewisser Chancen, die sich aus dem Streit um weltlicher und kirchlicher Macht für Veßra ergaben, und trotz des ökonomischen Potentials, hat es Veßra nicht geschafft, ein eigenes Staatswesen, wie etwa Fulda oder Hersfeld aufzubauen. Trotzdem hatten die Äbte eine gewisse weltliche Gewalt. Sie übten die Gerichtsbarkeit über ihre bäuerlichen Lehensnehmer aus und beherrschten auch die Verfassungen der Gemeinden, in denen sich Veßraer Besitz konzentrierte. Auch hatten sie Aufsichtsrechte und Disziplinargewalt über die ihnen unterstellten Klöster Frauenbreitungen, Hausen, Frauenwald und Trostadt. Im Streit der Franziskaner und Johanniter 1507 in Schleusingen traten sie als Schiedsrichter auf.
Henneberger Land
Das Verhältnis des niederen Adels zum Kloster war in den ersten Jahren der Existenz desselben dadurch bestimmt, dass der Adel im Kloster eine Versorgungsanstalt für ihre Familienangehörigen sah und deshalb auch zahlreiche Schenkungen machte. Tatsächlich lässt sich in vielen Fällen nachweisen, dass die Mönche, Pröpste und Äbte im 12. bis 14. Jh. adelige Herkunft waren. In vielen Fällen entstammten sie den führenden Familien der Umgebung. Das trifft z.B. für den Abt Hermann II. von Bibra (1338- 1362) zu, der einem der mächtigsten Geschlechter im Henneberger Raum angehörte. Aber schon 1345 tauchte mit den Chorherren Berthold Glantz der Vertreter einer bürgerlichen Themarer Ratsfamilie in Veßra auf. Das führende Themarer Bürgertum stellte schließlich ab 1484 auch die Äbte. Als, infolge von krisenhaften Erscheinungen am Vorabend des Bauernkrieges, sowohl das Kloster als auch der Adel sich gezwungen sahen, ihre ökonomischen Positionen zäh zu verteidigen, schlug das bisher von gemeinsamen Interessen getragene Verhältnis zeitweise um. Erbitterte Prozesse und Gewalttätigkeiten waren jetzt oft an der Tagesordnung und rissen auch nach dem Bauernkrieg nicht ab. In diesen Streitigkeiten, die nicht selten mit Fehden ausgetragen wurden, ging es meist um Grundstücke und ganze Güter. Auch die Städte Themar und Rodach, die im Brennpunkt der Veßraer Interessensphären lagen, fochten einen ständigen Kampf um Grundbesitz und Abgaben aus. Seit dem 15. Jh. versuchte Veßra, wie andere Grundherren auch, ökonomische Schwierigkeiten durch verstärkte Ausbeutung der Bauern aufzufangen.
In der Frühzeit Veßras scheinen das religiöse Leben und die geistige Grundhaltung durchaus den strengen Reformwillen des Ordensgründers Norbert von Xanten entsprochen zu haben. Das Kloster verschloss seine Kirche grundsätzlich nicht der Öffentlichkeit.
Dem erklärten Ziel des Ordens gemäß versuchte Veßra bald, die Pfarrseelsorge in den umliegenden Ortschaften an sich zu bringen, was aber nicht immer gelang. War doch bisher von der Mutterkirche Leutersdorf aus, das gesamte Werra-Tal mit seinen Randzonen und ein großer Teil des Schleuse-Gebietes pastorrisiert worden. Die Mutterkirche wurde jedoch 1345 in das Kloster Veßra einverleibt und es übernahm damit auch dessen Funktionen. Veßra war nun kirchlich für rund 50 Orte zuständig. Diese Aufgabe wurde anfangs so bewältigt, indem die Mönche zu Gottesdienste und Seelsorge in die Dörfer ritten und anschließend in das Kloster zurückkehrten. Das ließ sich aber auf die Dauer nicht durchhalten. In bestimmten Hauptorten wurden deshalb weitere Pfarr- und Vikarstellen geschaffen, zu denen eine größere Anzahl andere Dörfer gehörten. Pfarr- und Vikarstellen waren z.B. in Reurieth, Themar, Vachdorf, Belrieth, Lengfeld, Marisfeld, Frauenwald, St.- Kilian, Roth und Steinbach b. Schmalkalden. Dass mit diesen Stellen natürlich auch deren Pfründe dem Kloster zuflossen ist ebenso offensichtlich, wie der gewaltige Einfluss auf die Bevölkerung der gesamten Umgebung. Das betrifft den Einfluss im positiven Sinne, wie auch später mehr und mehr im negativen Sinne des geistig- kulturellen und religiösen Verfalls des Klosters. Es spielte außerdem eine große Rolle in der ideologischen Unterstützung der Henneberger Grafen bei der Ausübung ihrer landesherrlichen Gewalt.
Grabkapelle
Es gab auch Beziehungen zu Klöstern und Stiften anderer Konzessionen in der Region, die über die ökonomischen-politischen hinausgingen. Eine besonders enge Beziehung bestand zu den Johannitern in Schleusingen, den Benediktinern in Reinhardtsbrunn und den Augustinern in Schmalkalden..
Veßra hat, wie bereits erwähnt, seinen geistlichen Nachwuchs von Anfang an z.T. selbst herangezogen. Nachrichten darüber gibt es seit der Gründung des Klosters. Auch in den folgenden Jahrhunderten werden Schulmeister und Schüler in Akten öfter genannt. Es kann deshalb mit Recht behauptet werden, dass Veßra die älteste Schule der Gegend überhaupt unterhielt. Vor allem in der Spätzeit diente sie nicht nur dem eigenen Nachwuchs, sondern stand auch Söhnen von Adeligen und Bürgern offen, die nicht in den geistlichen Stand treten wollten. Namhafte Veßraer Schüler waren z.B. der spätere Würzburger Bischof Lorenz v. Bibra (1495-1519), der Meininger Dichter Georg Dott, der Theologe Johann Ußleuber und auch der Heidelberger Humanist Adam Ernher v. Themar.
Seine karitativen Aufgaben sah das Kloster in der Unterhaltung eines Hospitals und Siechenhauses. Die Siechenmeister zogen entsprechende Heilkreuter zur Linderung von Krankheiten im Klostergarten heran.
Klosterkirche
Nicht zuletzt war das Stift eine Heimstatt künstlerischer und wissenschaftlicher Betätigung. Von Baukunst, Bildhauerei und Malerei geben die erhaltenen Reste aus dieser Zeit ein beeindruckendes Zeugnis. Von der einstigen Veßraer Bibliothek und der Schreib-und Malkunst der Mönche zeugen noch herrliche mehrfarbige Pergamenthandschriften. Veßraer Mönche führten über große Zeiträume Chroniken und Annalen, in denen sie die wichtigsten Begebenheiten ihrer Zeit aufzeichneten. Die „Annales Vesserenses“ sind leider nur noch als Bruchstücke überliefert. Mit der ältesten erhaltenen hennebergischen Chronik, dem „Chronicon Hennebergense“, aber auch den zahlreichen Urkunden aus Veßraer Schreiberhand, hat uns das Kloster ein Erbe hinterlassen, das für die Kenntnis der mittelalterlichen Geschichte des Henneberger Landes von unschätzbaren Wert sind.
Die häufigen Auseinandersetzungen um ökonomische Positionen, die Veßra in den letzten Jahrzehnten des 15. Jh. mit Adel, Städten und Bauern führte, waren jedoch schon ein Hinweis darauf, dass die wirtschaftliche Situation des Klosters am Vorabend des Bauernkrieges nicht mehr die beste war. Im großen und ganzen war auch Veßra von den Zersetzungserscheinungen gezeichnet, die den Klerus dieser Zeit prägten. Es machte sich bemerkbar, dass das neue (evang.) Gedankengut den Klöstern die geistige Grundlage entzog und ihr Bildungsmonopol brach. Der Sittenverfall und die Verweltlichung des Klerus wurden immer mehr spürbar. Seit den 20-er Jahren des 16. Jhd. werden nur noch selten beachtenswerte Kulturleistungen aus Veßra gemeldet. Die Visitationsberichte von 1555 sprechen von einem erschreckenden Bildungsstand der Mönche und später auch der Pfarrer und Vikare. Diese führten z.T. ein völlig weltliches Leben und hatten auch Kinder von irgendwelchen Frauen. Auch die Klosterschenke stand nicht im besten Ruf und war z.B. 1514 der Schauplatz übler Schläger- und Messerstechereien. Zwar hat es nicht an Versuchen gefehlt, dieser Entwicklung durch Reformen zu begegnen, aber selbst einer energischen Persönlichkeit wie dem Abt Peter, der Veßra von 1484 bis 1511 regierte, ist es nicht gelungen, eine Verbesserung herbeizuführen. Was blieb war eine straffere Wirtschaftsführung, die auch die Interessen des Adels und der Städte berührte und die bäuerlichen Rechte weiter beschnitt. Dadurch wurde das Kloster immer mehr isoliert und der Zorn der revolutionären Bauern 1525 heraufbeschworen.
Das Kloster wurde im Bauernkrieg zweimal besetzt. Im ersten Fall zog eine größere Gruppe von Einwohnern und Bauern von Themar sowie der umliegenden Dörfer (nicht aus Gethles), am Ostertag nach Veßra, um ihren Unwillen gegen die Mönche und den Abt Luft zu machen. Es war eine spontane Aktion, bei der es keine Plünderungen oder Zerstörungen gab. Eine zweite Aktion war schon zielgerichteter und diente der Verproviantierung des Bildhäuser Bauernheeres. Auch dabei wurde nichts zerstört. Andere, auswärtige Höfe des Klosters kamen nicht so glimpflich davon. Einige wurde geplündert und niedergebrannt, wie auch die Stammburg der Henneberger.
Durch den Sieg der Fürsten über die Bauern konnte sich auch Veßra schadlos an ihnen halten. Sie wurden hart bestraft, mussten Schadenersatz leisten und unbedingte Treue schwören. Das hielt die Bauern jedoch nicht davon ab neue Angriffe des Klosters auf ihre Rechte und ihren Besitz abzuwehren. Alte Streitigkeiten mit den Städten Themar und Rodach entbrannten wieder in alter Schärfe.
Grabkapelle
Die Jahre des Klosters aber waren schon gezählt. Nach dem Bauernkrieg hatten die Henneberger in Schleusingen selbst mit der Auflösung des Klosters geliebäugelt, um sich seines Besitzes und wirtschaftlichen Potentials bedienen zu können. Ihre eigenen finanziellen Sorgen und Nöte waren ja sprichwörtlich. Aber da hatte ja auch Bamberg und Würzburg ein Wort mitzureden. 1540 ließen die Henneberger endgültig Veßras Interessen fallen und zogen sich als Schutzmacht zurück. Seit 1544 führten sie in ihrem Land die Reformation durch, wobei auch alle Klöster aufgelöst wurden. Den Mönchen, die in Veßra bleiben wollten, wurde das zwar erlaubt und sie wurden auch bis an ihr Lebensende hier versorgt, ja sie konnten sogar ihren Abt wählen, die Ausübung des katholischen Kultus wurde ihnen aber seit 1545 untersagt. Veßra wurde schrittweise in eine Domäne umgewandelt, deren Einkünfte kontinuierlich in die Kasse des Landesherren flossen. Als 1573 der letzte Abt starb, war dieser Prozess abschlossen. Die Verwaltung übernahm ein Klostervogt, der vom Grafen eingesetzt wurde. Dieser hatte die Domäne zu verwalten und von den Bauern die Abgaben einzutreiben.
Torkirche
Nach dem Aussterben der Henneberger 1583 und Übernahme der Grafschaft durch die sächsischen Wettiner, kam unser Gebiet schließlich von der Albertinischen Linie 1718 an Kursachen und 1815 an Preußen. Alle Obrigkeiten versuchten soviel wie möglich aus der Domäne herauszuholen. Besonders schlimm erging es dem Gut und seinen Bewohnern im 30-jährigen Krieg. In den Jahren 1634 bis 1644 wurde es des öfteren ausgeplündert, so dass der Wirtschaftsbetrieb für längere Zeit zum Erliegen kam.
Später wurde die Verwaltung des Klostergutes so verändert, als alle Abgaben der Bauern den einzelnen Ämtern zugewiesen wurden, in denen die betreffenden Dörfer lagen. Der eigentliche Wirtschaftshof mit dem Salland wurde dagegen verlehnt, wobei der Pächter noch die Amtsbezeichnung „Klostervogt“ trug. Einzelne Teile des Klosters wie Mühle, Wirtshaus und Schäferei wurden besonders verpachtet. Das betraf auch das Gestüt, das hier von 1677 bis 1843 bestand und der Domäne ein besonderes Profil verlieh, ja es zeitweise berühmt machte. Das
Torkirche
Stutenhaus bei Vesser gehörte zum Gestüt der Domäne. Auf die Bergwiesen am Adlersberg wurden die Stuten mit ihrem Nachwuchs zur Sommerweide gebracht. Nach neueren Erkenntnissen sind das Gestüt in Veßra und das alte, ursprüngliche (heute nicht mehr vorhandene) Stutenhaus bei Vesser offenbar schon vor 1677 gegründet worden. Das heutige Stutenhaus entstand 1662 als Jagdhaus des Herzogs Moritz von Sachsen-Naumburg-Zeitz. Die einstige Klostermühle verkaufte der Staat 1878 an den Pächter. An ihrer Stelle entstand 1893 eine Porzellanfabrik, die 1932 ihren Betrieb einstellte. Sie wurde später als Ausbildungsstätte für Holzfacharbeiter (Möbel- u. Bautischler) umgebaut.
Die Bodenreform 1945/46 brachte auch das Ende der Domäne. Aus dem noch immer 108 ha großen Staatsgut wurden 10 Neubauernstellen geschaffen. 1953 gründete sich im ehemaligen Kloster eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) und 1975 entstand dort das Agrarhistorische Museum, aus dem nach 1990 das „Hennebergische Museum“ wurde. Durch die jeweilige Nutzung nach Auflösung des Klosters über die Jahrhunderte hinweg, führten an der Anlage zu Veränderungen durch Umbauten, Verfall und Zerstörung. Durch die Gründung des Museums zu DDR-Zeiten 1975 wurde dem Einhalt geboten und das wertvolle historische Erbe zur gesellschaftlichen Nutzung erschlossen. Damit wurde auch dem gewachsenen öffentlichen Interesse am Kloster Veßra Rechnung getragen, war es doch in der bisherigen Geschichtsschreibung sehr stiefmütterlich behandelt worden und vielen Generationen ging die einstige Bedeutung des Klosters verloren.

Beschreibung:


Sehr markant weisen die beiden Türme der Klosterkirche St.- Marien auf eine einzigartige Komplexität des Klosters in Veßra hin. Einer mittelalterlichen Kleinstadt vergleichbar, umschloss die Mauer den gesamten bebauten Klosterkomplex. Sie ist in großen Teilen erhalten und weist noch heute die beachtliche Länge von 780 m auf. Ein als Mühlgraben von der Schleuse (bis 1535 Vescera genannt) abgezweigter Nebenarm stellte die heutige südliche Begrenzung dar. Trotzdem darf angenommen werden, dass sich das mittelalterliche Kloster bis zur Schleuse erstreckte. Der alte Zugang zum Kloster an der Nordseite des Geländes ist mit einem Turmbau markiert. Unter dem Turm befindet sich die Zufahrt mit großem verschließbaren Tor, daneben ist die Pforte für Fußgänger. Tor und Pforte sind einheitlich mit einer reich ausgebildeten Fassade gerahmt, die um 1190 entstanden ist.
Torturm
Der Turm, dessen Erbauungszeit (um 1200 ?) nicht klar nachgewiesen werden kann, wurde in der Mitte des 19. Jh. abgetragen und erst im Rahmen der Gesamtrekonstruktion des Torbereiches zwischen 1979 und 1985 wieder aufgebaut. Die sich anschließende Torkirche ist ein Saalbau 7 x 9 m im Grundriss, vermutlich aus der Mitte des 13. Jh.. Heute wird die Kirche vom Museum als Vortrags- und Konzertraum genutzt. Im Torbereich gruppierte sich außerdem ein Gasthaus mit Schmiede, später kam noch eine Scheune hinzu. Das Wappen des Grafen Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen über dem Klostertor stammt aus dem Jahre 1532. Es wurde nach der Wende rekonstruiert und, von einem Gönner gesponsert, neu angebracht. Die frühere farbige Gestaltung des Wappens ging dabei verloren.

Südlich vom Torbereich – die Grenze markiert der alte Pferdestall – wurde das Gelände sehr weitläufig als Klosterfriedhof genutzt. Er wurde schließlich durch die landwirtschaftliche Nutzung (Stutengarten) auf den Bereich nördlich der Klosterkirche reduziert und ummauert.
Dem kleinen turmartigen Gebäude an der Nord-Ost-Ecke kann noch nicht eindeutig einer Funktion zugeordnet werden. Jedenfalls war es im 19. Jh. als Backhaus in Betrieb und wurde später als Eiskeller, Ziegenstall und Schuppen genutzt. In der Nähe sind zwei Brunnen gefunden worden, die die Wasserversorgung sicherstellten und die im 16. Jh. bereits über eine Holzrohrleitung erfolgte.
Klausur und Kreuzgang
Im Zentrum der Anlage steht die Ruine der Klosterkirche und der zum großen Teil erhaltenen Klausur. Südlich davon Brau- und Darrhaus und die Mühle. Westlich des Klausurkomplexes befand sich der Wirtschaftshof, der noch heute erkennbar ist, mit den immer wieder durch Neubauten ersetzten Ställen, Speichern und Scheunen. Außerdem müssen hier die Werkstätten der Klosterhandwerker gesucht werden. Das Gebäude des Klosterspitals, das sich nordöstlich des heutigen Mauerrings befindet (heutiges Gasthaus „Goldener Löwe“ und Nachbarhaus), war offensichtlich mit einer besonderen Mauer umgeben. An der östlichen Klostermauer sind noch heute zwei Fischteiche erhalten.
Die 400-jährige landwirtschaftliche Nutzung der Klosteranlage hat außer der Bausubstanz relativ wenig Originale aus der Geschichte des ehemaligen Prämonstratenser-Stiftes übriggelassen. Ein Brand vernichtete 1939 auch noch die Klosterkirche, die damals als Scheune genutzt wurde. Heute sind nur noch die Umfassungsmauern sowie die Querhauswände zu sehen, sowie die beiden stattlichen Türme der Kirche, die das weithin sichtbare Wahrzeichen des ehemaligen Klosters sind. Zusammen mit der angefügten Henneberger Kapelle (1182 als Grablege der Henneberger geweiht) und der 1201 erbauten Südkapelle, stellt die Ruine der Veßraer Marienkirche das bedeutendste romanische Baudenkmal der Region dar. Errichtet wurde sie im 12. Jh. als kreuzförmige dreischiffige Pfeilerbasilika mit zweitürmigem Westbau. Der Gründer des Klosters, Graf Gotebold (gest. 1144) und seine Gemahlin Gräfin Liutgard, waren als erste in der Basilika der Klosterkirche begraben worden.
1566 ließ Graf Georg Ernst v. Henneberg-Schleusingen, die Grablege aus der Henneberg- Kapelle und der Basilika nach Schleusingen in die Ägidienkapelle der Schleusinger Stadtkirche verlegen und veranlasste auch die Überführung der bis dahin in Veßra aufgestellten Epitaphien.

Im Museum ist ein Modell der gesamten Klosteranlage in der Zeit um 1500 zu besichtigen. Es ist auf der Grundlage von archivalischen Unterlagen, als auch Bauuntersuchungen und Grabungen entstanden.

Das seit 1975 im Klostergelände untergebrachte Hennebergische (bis 1990 Agrarhistorische) Museum hat sich zu einem Zentrum der regionalgeschichtlichen Forschung mit reichem Ausstellungsangebot entwickelt. Es erfolgte die Umsetzung zahlreicher alter ländlicher Fachwerkbauten und eine historische Gartenanlage in den Museumsbereich. Geboten werden Ausstellungen zur Klostergeschichte sowie zur hennebergischen Geschichte und Volkskunde. Publikationen, Vorträge, Veranstaltungen, Konzerte sowie andere vielfältige Angebote für Schulen und der zahlreichen Besucher stehen auf dem Programm des Museums. Backhaus, Mühle und Brauhaus sind dafür, funktionstüchtig wie in alter Zeit, wieder in Betrieb genommen worden. Es ist auch Sitz des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins.
Quelle:


  • Dr. G. Wölfing: „Geschichte des Henneberger Landes“
  • Henneberger Heimatblätter
  • Fleyer des Museums

Montag, 10. Oktober 2016

Marodeurs und Deserteurs (von C.A.)



7 Nationen beim gegenseitigen Totschlagen
Der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763) war bekanntlich auch mit Hilfe Suhler Gewehre für Friedrich den Großen günstig ausgefallen. Die Grafschaft Henneberg gehörte zu dieser Zeit zum Kurfüstentum Sachsen, das mit seinen Truppen auf Seiten Österreichs gegen Friedrich kämpfte. Nach Ende des Krieges machten abgedankte Soldaten, Deserteure und Marodeure auch die Straßen und Ortschaften Hennebergs unsicher. Die meisten führten, sehr zur Beuruhigung der Bevölkerung, ein regelrechtes Räuberleben.
Gegen diese Soldateska machte die Regierung nun mobil. Am 13. November 1763 verfügte die Schleusinger Ober-Aufsicht „Zur Arretierung der Marodeurs und anderem liederlichen Gesindels werden Schutz-Patrouillen nach Frauenwald, Eichenberg und Neudambach gelegt.“
Zersplittertes Deutschland
Nach Frauenwald kamen 4 Mann von der Kavallerie, die auch die Sächsische Postkutsche von Steinbach bis Frauenwald zu begleiten hatten. Je 1 Gefreiter und 3 Mann Musketiere kamen nach Eichenberg und Neudambach. Nach Suhl werden abkommandiert: 1 Korporal und 6 Mann, in die Ämter Kühndorf und Benshausen je 2 Korporale und 12 Mann. Sie bekommen den Auftrag „fleißig zu patrouillieren und dabei herum streifende Deserteure und abgedankte Soldaten aufspüren, das Gesindel eventuell zu arretieren und in die Ämter einzuliefern.“
Die nach Suhl abkommandierten 7 Mann sollen die „in die äußersten Häuser, nach dem „Fröhlichen Mann“ zu, einquartiert werden.“ Später kommen nach Suhl noch 2 Reiter, die mit der Infanterie Hand in Hand arbeiten sollen. Der Amtmann zu Kühndorf, Bleymüller, gibt an die dort stationierten Soldaten folgenden Anweisungen heraus: „Die Sicherheits-Patrouillen haben täglich auszugehen und abzuwechseln:

  1. gehet die Patrouille von den Infanterie und 1 Unter-Offizier auf der Meininger Landstraße, wo solche in die Rohrer Landstraße einfällt, visitieret die Dorfwacht zu Rohr, gehet sodann auf die Landstraße durch den Hölschberg bei Kloster Rohr vorbei bis nach Eichenberg, nimmt den Rückweg von Eichenberg auf Mäbendorf oder Wichtshausen, visitieret die Dorf-Wachten im Grund und kommt zu Kühndorf wiederum an.
  2. die 2te Patrouille wird von den beiden „Cuirasiers“ wechselweise verrichtet, durch Schwarza auf Ebertshausen, Benshausen bis an die Landstraße bei Mehlis, von der schlägt sich die Patrouille von der Straße ab, gehet durch die Waldung auf Viernau, visitiert überall die Dorf-Wachten und nimmt den Rückweg durch Schwarza auf den Köhler
  3. gehet die Patrouille wechselweise von hier aus gegen Utendorf auf Christes, visitieret die Mezel'ser Landstraße hinter dem Dolmar und nimmt den Rückweg durch Schwarza.
  4. die Patrouille gehet von hier aus auf den Köhler über den Lammers bis auf den Aschenhof und nimmt den Rückweg über Mäbendorf, Dietzhausen, Wichtshausen und Dillstädt, visitieret allenthalben die Dorfwachten und wenn sich die bestellten Wächter nicht antreffen lassen, so muß jeder 1 Gulden zur Strafe der Patrouille erlegen, oder wird mit anhero gebracht.
Dorfleben 18. Jhd.
Diese vier Touren der Patrouillen werden täglich wechselweise von der Infanterie und Kavallerie verrichtet, auch keine gewisse Zeit und Stunde gehalten, sondern hierunter das Ausgehen und Ankommen verändert.
Wenn die Patrouille in den Ortschaften eintrifft, so muß jeder Schultheiß, wann und wie die Patrouillen ankommen, zur Legitimation ein paar Zeilen erteilen, welche der Unteroffizier bei dem Rapport einreichet.

Amt Kühndorf, den 15. November 1763
gez. Bleymüller

Hier einige Bescheinigungen von Dorfschulzen in Original-Orthographie:

Dietzhausen: „Daß der Herr Corporal Funk heute Abend 12 Uhr mit seiner Mannschaft hier gewesen, alles visitieret und nichts Verdächtiges angetroffen, wird hierdurch mit Grund der Wahrheit attestieret.“
Eichenberg: „Hir mit Attestire ich das der Corporal F Mid 6 Mann Hier Her Batrolirt Had Nach Eigen Borch (Eichenberg) ist Kommen den 16. Martz um Ein ur Had Nitz Pasirt.“
Dillstedt „Heute dato den 17. Mertz sind Zwei reuter hier Patroliren gewesen, welches ich hiermit attestiere.“
Aschenhof: „ich Endunterschriebener bescheinige, daß heite um 10 uhr zwei reitter hier gewesen und Weitter nichst basieret ist.“
Rohr (Rohra): „Daß der Herr Corporal F. Mit seiner Mannschaft heute den 16. Märtz früh 6 uhr Hier eingetroffen und solche ihre patrouille Verrichtet und nicht verdächtiges angetroffen, solches wird ihnen hiermit Attestieret.“
Propagandiertes Heldentum
Christes: Daß der Corporal Mit 6 Man um 1 uhr allhier in Christes angekommen Zur batrol. (Patrouille), Hätte aber nichts an droffen, sein von Utendorf auf der Mezel'schen Straße her Kommen.“

Ob diese Patrouillen zur Beruhigung der Bevölkerung beigetragen haben ???

Quelle: Nach Akten des Staats-Archivs Magdeburg

Freitag, 12. August 2016

Der Rennsteig als prähistorische Altstraße?


Rennsteig-Werbung
Einführung
Knapp 130 Rennsteige, -wege, -stiege, -straßen, -pfade, -berge, -höfe, -rode und -weiher habe ich in Deutschland gefunden. Ganz nahe liegen nicht nur der Kammweg des Thüringer Waldes, sondern auch der in den Haßbergen, einer bei Hildesheim oder der Bergrücken östlich von Forchheim (Siehe Anlage!). Nicht zu vergessen der Weg über den Hainich in Thüringen! Sie alle haben eins gemeinsam: Es sind Wasserscheiden, die uralte Handels- und Heerstraßen getragen haben müssen. Das belegen die archäologischen Funde entlang ihrer Strecke.
Thüringens Premiumwanderweg also eine vorzeitliche Magistrale? Zumindest bis in die Spätbronzezeit erscheint eine durchgehende Nutzung wahrscheinlich. Doch der Reihe nach.
Überquerungen des Rennsteiges sollen ja seit alters her Usus gewesen sein. Denken wir an die bekannten Völkerwanderungen: Die ersten Bauern, die um 4.500 v. Chr. in Süddeutschland aufschlugen, könnten hier ins Erfurter Becken gekommen sein.
bekannte Völkerwanderungen
Das gleiche gilt für die Glockenbecherleute vor 4.200, für die Urnenfelderkultur vor 3200 und für den keltischen Handel vor 2.600 Jahren. Umgekehrt scheinen immer wieder Massen ab 3900 v. Chr. nach Süden gelangt zu sein, wahrscheinlich auf der Flucht vor Klima- oder Flutkatastrophen. Noch vor der Zeitenwende zogen die Sueben Richtung Schwaben, ab 200 - jetzt unserer Zeitrechnung - die Hermunduren, auch Burgunden und Vandalen, um 400 die Thüringer und ab 531 die Franken. Alle haben vermutlich das Mittelgebirge überschritten. Bei Oberhof wurden eine "frühzeitliche" Spitzhaue, ein Eisenbarren aus der Keltenzeit und eine römische Kasserolle gefunden. Diese Relikte werden dem Passieren des Mittelgebirges zugeordnet. Doch wie erklären wir, dass die gleichen keltischen Silbermünzen, wie sie von der Elbe in Böhmen bekannt sind, auf der Alteburg über Arnstadt gefunden wurden? Ein langer Zick-Zack-Kurs durch die Täler? Über die Höhenzüge Fichtelgebirge und Thüringer Wald dazwischen brauchte man nur ein Drittel der Zeit.
Wanderungen der Altvorderen
Auch die schmückenden Glasringe der Römhilder Gleichberge könnten aus dem heutigen Tschechien stammen. Wie sollte Feuerstein aus dem östlichen Alpenraum an den Niederrhein gelangt sein? Was wäre der effektivste Weg, den britisches Zinn in der Bronzezeit nach Böhmen genommen haben könnte? Der Rennsteig ist Bestandteil der solche Orte verbindenden Höhenzüge. Der Dorf zu Dorf-Handel, wie ihn namhafte Historiker verbreiten, widerspricht nicht nur den archäologischen Funden sondern auch der menschlichen Natur.
Noch im 11. Jahrhundert wird der Thüringer Wald als Louvia oder Loibe bezeichnet. Sprachwissenschaftler leiten das Wort von Leite ab, was die Wikipedia als steilen Abhang definiert. Dabei wird ignoriert, dass tausende Leiten, Liten, Leuben in Deutschland ausnahmslos Zubringerwege zu Höhenstraßen "leiten". Warum soll etwas anders heißen, als es "heißt? (Siehe Post „Die Flurbezeichnung Leube…“ von C.A.). Dass solche wasserscheidenden Kämme seit neolithischer Zeit gerne als Straßen genutzt wurden, ist ja bei der Heidenstraße von Köln nach Leipzig und der Hohen Straße von Speyer nach Nürnberg nachgewiesen worden.
Hohlwege entlang des Rennsteiges
Warum sollte man denn einen Umweg um das Mittelgebirge - heute Thüringer Wald genannt - machen, wenn oben effektiver, sicherer und trockener Transport möglich war? Tatsächlich zeugen unzählige tiefe Hohlwege nicht nur an seinen Rändern sondern vor allem entlang des Rennsteiges vom regen Verkehr der Altvorderen. Die tiefsten finden sich gleich bei Hörschel am Anfang, an der Alten Ausspanne bei Ruhla, nahe der Neuhöfer Wiesen, natürlich um Oberhof und bei Spechtsbrunn. Nur am Ende zur Saale runter fehlen sie. Warum, dazu später. Historiker datieren diese Fahrrinnen in das Mittelalter, aber der Ausbau der berühmten Wartburg im 11. Jhd. an der berühmten Via Regia zeigt, dass damals schon der Überquerung Vorrang eingeräumt wurde. Es gibt auch viele Hohlwege, die älter als 2000 Jahre sein müssen, weil sie einfach keiner mittelalterlichen Altstraße zugeordnet werden können, wie zischen den frühzeitlichen Höhensiedlungen von Dolmar, Gleichberge und Geba.
Zwangsführung NW-SO: Rennsteig
Solche Trassen können natürlich nicht in schriftlichen Quellen auftauchen. Der Schwerpunkt des Rennsteiges als Fernweg, muss also davor, wahrscheinlich zwischen 3000 vor Christus und der Völkerwanderung am Ende der Antike gelegen haben. Einige Forscher glauben, dass z. B. um 1200 v. Chr.  Atlantikerdbeben, Tsunamis, Flutwellen, die die Flusstäler hoch kamen, und ein Klimakollaps mit Dauerregen die Menschen auf die Berge getrieben haben. Festgemacht am Siedlungsabbruch in den Niederungen, dem massenhaften Auftreten von Höhenburgen und dem Anlegen von Terrassenfeldern. Doch gegen 800 v. Chr. wurde es wieder wärmer und trockener. Die Zeit der extrem versumpften Täler ging in unserer Region mit dem Abzug der Kelten, der Invasion der Germanen, nachweislich aber  mit den Zügen der Franken, endgültig vorüber. Man siedelte wieder im Tal. Das könnte auch für unseren Rennsteig das Aus bedeutet haben. Trotzdem wird die Wasserscheide darüber hinaus als Fernweg genutzt worden sein, verkürzt sie doch z.B. die Strecke aus dem Hessischen ins Böhmische um mehr als 12 Tagesreisen für Fuhrwerke - ohne das Risiko einer Flussüberquerung.
Prähistorischer Rennsteig in Google-Maps
Bei Google-Maps sieht das dann so aus: Der Rennsteig als prähistorischer Fernweg. Bitte öffnen sie den Link als separates Browser-Bild zum Vergleich.
Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick: Der Thüringer Wald scheint in der Mitte eines uralten Europäischen Fernwegenetzes zu liegen, wo man auf Höhenzügen von der Donau via Gabreta Silva fast trockenen Fußes bis an die Nordsee gelangen konnte oder vom Warschauer Becken und der historischen Landschaft Podlachiens bis an den Rhein (Siehe entsprechende Posts in diesem Blog). Solch ein Straßensystem kennen wir von den Römern. Die waren auch die ersten, die ihre Wege aufwendig befestigten und mit Brücken versahen. Außerhalb ihres Dunstkreises, also auch bei uns, mussten die Reisenden zu allen Zeiten nach Wasserscheiden und Furten suchen. Erst von den Franken wissen wir sicher, dass ihre Heerzüge generell am Rande der großen Flussauen verliefen. Das könnte auch den Grund dafür liefern, warum oben am Rennsteig keine frühmittelalterlichen Burgen stehen.
Wartburg zur Sicherung des Via Regia Passes am Rennsteig
Die berühmte Wartburg muss schon als Wache für den hochmittelalterlichen Königsweg "Via Regia" gedeutet werden, der genau an ihren Grundmauern den Thüringer Wald passiert hat. Hier, so weit oben am Kammweg, hätte die Stammfeste der Ludowinger militärisch zur Sicherung einer Talstraße bei Eisenach keinerlei Sinn ergeben. Beschäftigt man sich weiter mit den Bergkuppen zwischen Wartburg und Höhenweg, den Flurnamen, künstlichen Geländedeformationen, archäologischen Funden, tut sich ein Quell prähistorischer Bezüge auf (Siehe weiter unten). Die erscheinen viel logischer in Bezug auf einen prähistorischen Weg entlang des Rennsteiges. Mit derartigen historischen Vergleichen und Schlüssen müssen wir uns auf der gesamten Strecke herumschlagen. Da sich der Begriff "Altstraßen" in der Forschung durchgesetzt hat, diese aber nur bis ins Mittelalter zurückreichen, benutze ich gerne den Begriff "Urwege". Die Grenze zwischen beiden sollte formal um 500 unserer Zeitrechnung angesetzt werden. Seit Jahren versuche ich, sie alle nach und nach mit dem Fahrrad abzuklappern (Siehe Post „Altwege durch Südthüringen“). Oft muss man bei der Suche nach begleitenden Relikten durchs Unterholz kriechen.
Bronzezeitliche Befestigung
Das ist nicht für jeden etwas, auch deshalb diese Präsentation. Beginnen möchte ich mit dem Thüringer Wald, einfach weil der 1330 erstmals so genannte Fernweg für mich ein Heimspiel ist. Dabei ist es müßig, über die Herkunft des Namens zu streiten - "Renn-" von schneller Bewegung, Reiten, Rain (Grenze, Scheide) oder "-steig" von Anstieg oder Steg (schmaler Weg) - die hier interessierenden Zeiten liegen sowieso weit vor der ersten Nennung. Es gibt außerdem mehr Rennstiege als -steige und ein Stieg ist im Thüringer Wald immer noch ein Bergweg.
Und wie weisen wir nun die prähistorische Nutzung des Rennsteiges nach? Etwa alle 20 Kilometer - dem Tagespensum eines Ochsenkarrens - müssen sicherungsfähige Rastplätze oder befestigte Höhensiedlungen gestanden haben. Die brauchten typischerweise eine hoch liegende Quelle, Acker- und Weidefläche, ein Gräberfeld und eine geologische Besonderheit als Kultplatz. Das war an allen frühen Wegen so, wie am Keltenerlebnisweg von Bad Windheim nach Meiningen zum ersten Mal nachgewiesen (Siehe entsprechender Post in diesem Blog). Doch wer kennt hierzulande solche Wachstationen? Ich habe bisher von niemandem entsprechendes gehört! Diese Befestigungen sollten besonders auch an den bekannten historischen Nord-Süd-Gebirgspässen stehen. Denn Auf- und Abgänge muss es ja zu jeder Zeit gegeben haben. Wenn wir zusätzlich noch Stationen dazwischen finden, könnte das als Nachweis einer Ferntrasse gelten, weil diese ja sonst keinen Sinn machen. Da es bisher keine wissenschaftliche Grabungen gab, müssen uns künstliche Geländedeformationen, Flurnamen und Menhire weiter helfen. Steinkreuze stammen schon aus dem Früh-, Grenzsteine aus dem Hochmittelalter. Der Altstraßenforscher Michael Köhler hat mit seinen Enzyklopädien über Thüringer Burgen, befestigte Wohnplätze, Kultstellen und alte Trassen viele Muster für solche Wegführungen zusammengetragen (Siehe Post "Altstraßen - selber finden"). Obwohl der Rennsteig alle seine Thesen vorbildlich bestätigt, glaubt der Experte für das Mittelalter und das Thüringer Becken nicht an dessen durchgehende Nutzung als Urweg. Also braucht es diesen Post!
Denken wir uns nun alle heutige Infrastruktur weg. Sie werden sehen: Es wimmelt nur so von frühhistorischen Bezügen!

Legende:
  • Rote Linien markieren meist metergenau die wasserscheidenden Höhenwege auf den großen Mittelgebirgsketten.
  • Blau sind die bekannten querenden Altwege eingefärbt. Auch ihr Verlauf dürfte ziemlich exakt sein. 
  • Grau: Die mittelalterlichen Hauptwege Via Regia, Kurzer und Langer Hessen, sowie die Via Imperii sind nur zum Vergleich eingezeichnet. Sie verliefen meist auf heutigen Trassen und markieren hier nur die berührenden Orte.
  • Alle roten Punkte haben entweder einen archäologischen oder historischen Bezug zum Rennsteig.
  • Rote Kreise bilden nachgewiesene und mutmaßliche frühzeitliche Befestigungen ab. Blau sind die Hauptwachen nach der 20-Kilometer-Regel. Mittelalterliche Burgen wurden nur dann in die Karte aufgenommen, wenn unter ihnen frühe Befestigungen erwartet werden dürfen.
  • Mit "Wall" bezeichne ich solche Höhen, die offensichtlich solch eine Befestigungsanlage vorweisen, meist Abschnittswälle. 
  • Eine "Schanze" weist auf eine entsprechend rundumführende Kante hin, die künstlich versteilt wurde und ausschließlich Verteidigungszwecken gedient haben kann (Palisaden, Graben). Dort wo archäologische Erkenntnisse über solche "Burgen" vorliegen, werden sie explizit genannt.
Hörschelbergsporn
Verlauf:
Beginnen wir bei Hörschel, obwohl der Verkehr genauso gut andersherum plausibel erscheint. Das schmale Hörscheltal gilt in der Literatur als Einfallstor aus dem Westen ins Thüringer Becken. Schon immer müssen dabei der Hörschelberg-Sporn, die Werra-Mäander, Sümpfe und Sandbänke als Zwangsführungen gewirkt haben. Die mittelalterlichen Via Regia, Kurzer- und Langer Hessen sollen hier nur insofern Berücksichtigung finden, wo sie auf  urzeitlichen Trassen verliefen. Insgesamt führen im Westen drei Höhenwege an den Rennsteig heran, die gleichzeitig seine Südostorientierung vorweg nehmen und damit eine beabsichtigte Querung ausschließen:
  1. Nordwestlich, aus dem Kielforst, der spätere Lange Hessen, der als früher Fernweg bis nach Amsterdam verfolgt werden kann (Siehe Post "Der Zinnweg…"). Dieser kam über Hohlwege direkt am Zusammenfluss von Werra und Hörsel an. 
  2. Westlich über den sog. Sallmannshäuser Rennsteig, wobei die Werra dort schon am Hehrtweg oder in Gerstungen gefurtet worden war.
  3. Südwestlich, die Hohe Straße, aus der Rhön kommend, die Werra bei Vacha querend, später teilweise Kurzer Hessen bzw. Via Regia. 
Wer vom Kielforst bei Hörschel runterkam, konnte über eine Furt südlich von Spichra, den tiefen Hohlweg zur Oleite auf den Hornberg hinauf und in Richtung Erfurter Becken weiter fahren. Die berühmte Alte Furt bei Hörschel weiter südlich (vor dem Zufluss der Hörsel) macht aber nur Sinn, wenn man den Rennsteig erklimmen wollte.
Vachaer Stein
Wie bei jeder Flussquerung brauchte es in prähistorischer Zeit eine Wachstation. Hier bieten sich gleich drei Erhebungen an, nämlich die Birkuppe, sowie der Kleine und der Große Eichelberg. Alle haben rundumführende Schanzkanten, künstlich eingeebnete Bergspitzen und sind übersät mit Bruchsteinen, die geologisch "nicht hierher gehören". Der Große Eichelberg könnte sogar eine befestigte Siedlung getragen haben.
Weiter, den Rennsteig nach oben, hinter Clausberg der Vachaer Stein: Hier soll nach Meinung der Altwegeforscher neben der Via Regia auch der Kurze Hessen aus Frankfurt kommend den Rennsteig Richtung Eisenach gekreuzt haben. Die B 84 heißt hier am Pass dementsprechend auch Frankfurter Straße. Doch das deutet schon ins Hochmittelalter! Unsere prähistorischen Urstraßen vermieden ja Furten und hier am Südwesthang des Thüringer Waldes mussten alle ankommende Straßen  erst die Elte überwinden, ein kleiner Nebenfluss der Werra. Es sei denn, man bog an entsprechender Stelle auf den sog. Sallmannshäuser Rennsteig nach Osten ab. Der machte sich einen Höhenzug parallel zum "richtigen" Rennsteig zu nutzte und führte den Verkehr ohne Wasserquerung auf selbigen hoch. Alles mit Hohlwegen nachvollziehbar! Wer aber in den Raum Eisenach wollte, für den war das ein Umweg. So gibt es drei Stellen, an denen man die Elte leicht hätte furten können: (Ober)-ellen, Förtha und Wolfsburg-Unkeroda. Die Händler nach Gotha, Erfurt oder Leipzig reisten hier viel komfortabler. Sie konnten ja auch auf dem Kammweg, je nach Bedarf, noch ein Stück weiter nach Osten fahren, bevor es in die  Tiefebene nördlich des Thüringer Waldes hinunter ging. Diese Option ist aus meiner Sicht ein wichtiges Indiz für die Nutzung des Rennsteigs auch im Mittelalter.
Hier am Vachaer Stein haben wieder 3 Berge das Potential als Sicherungsposten oder befestigtes Lager: Stiebelskuppe, Rüsselskopf oder Schmidts Wand. Die Befunde sind aber nicht eindeutig.
Wilde Sau
Weiter geht es am Wolfsrück entlang zur Kreuzung Wilde Sau, mit dem ältesten Steinkreuz am Rennsteig. Es sieht aus, wie aus einem Menhir heraus gehauen. Hier quert die sog. Hohe Straße als weitere Variante der Via Regia. Dass die auf ihrem Weg von Fulda durch die Rhön von so vielen keltischen Oppida begleitet wird, könnte als Hinweis auf ihr frühgeschichtliches Alter gedeutet werden. Denn nachdem die Via Regia den Rennsteig gequert hat, steuert sie über einen Bergrücken ein wahres Potpourri prähistorischer Befestigungen oberhalb von Eisenach an: Die frühzeitliche Viehburg mit ihren Wallresten, die Eisenacher Burg, seit Beginn der Eisenzeit, also gegen 1000 v. Chr. besiedelt, die spätere Wartburg, deren Ursprung sicher als Kultfelsen zu suchen ist und den dem Mittelalter zugewiesenen Metilstein.
Viele alte Schanzen um die Wartburg herum


In Oberfranken sind solche behauenen Felsen gut erforscht und vereinzelt in die Urnenfelderzeit datiert. Die Menge alter Schanzen um die Wartburg und ihre Klassifizierung legen die Überzeugung nahe, dass es sich hier nicht nur um das mittelalterliche Haupteinfallstor nach Thüringen gehandelt haben muss, sondern auch während der Bronze- und der La-Tene-Zeit.
4 Kilometer weiter am Rennsteig liegt der heutige Hauptpass an der so genannten Hohen Sonne. Hier scheint, nach den Hohlwegen, ebenfalls eine Variante der Hohen Straße von Süden angekommen zu sein. Außerdem verlässt an dieser Stelle die sog. Weinstraße den Rennsteig nach Norden, die von Süddeutschland kommend, direkt auf ihm verlaufen war. „Wein“-Straßen gibt es mehrere in Deutschland. Sie sollen aber nicht nur das begehrte Getränk aus den wärmeren Regionen herangebracht haben: Sprachforscher leiten den Namen gerne vom indogermanischen „Weg“ oder "Wagen" ab. Wenn dem so ist, müsste es sich jeweils um einen "herausragenden Weg" gehandelt haben. Tatsächlich führt die Weinstraße nicht nur über die Hochrhön eine Trasse aus dem alten Siedlungszentrum Würzburg heran, sondern - weiterführend über den Kamm von Oden- und Schwarzwald - eine solche von den ersten "Westbauern" der Burgunder Pforde und das Rhonetals (Siehe Blog Prähistorisches Europa). Solch ein Kontinentalweg erlaubt die Einordnung des neben der Hohen Sonne liegenden Hirschsteins mit seinen Schanzkanten als frühzeitliche Wache oder Rastplatz. Der gegenüber thronende Gickelhahn und der nicht weit davon liegende namenlose Berg mit dem Wasserwerk zeigen hingegen keinerlei Spuren frühzeitlicher Nutzung.
altsteinzeitliche Drachenschlucht?
Neben der schier unendlichen Brummi-Kolonne der Jetztzeit, kommt hier vor allem die magische Drachenschlucht von Eisenach hoch. Ich beteilige mich nicht an den Spekulationen, wonach sie mit den Felsen und Höhlen der Umgebung steinzeitliches Refugium wären.
Dann aber schließen sich auf dem weiteren Weg zwei zunächst unscheinbare Bergrücken an, die es in sich haben. Beide sichern sich mit schroffen Felsen gegen die Täler ab und geben grandiose Blicke in alle Himmelsrichtungen frei. Der erste, der Hangstein, soll angeblich über seinen schmalen Rücken eine weitere "Alte Weinstraße" über den Kamm führen. Hohlwege gibt es da, sie enden aber nach Norden und Süden in sumpfigen Tälern. Vermutlich muss der zuweisende Flurname am südlichen Hang o.g. Weinstraße zugeordnet werden, die an der Hohen Sonne abfließt und vordem kilometerlang den Rennsteig begleitet hat.
mutmaßlicher Abschnittswall Hangstein
Der gegenüber vom Hangstein liegende Wachstein ist nicht nur vom Namen her als solcher interessant, sondern auch künstlich eingeebnet und außerdem zu 90 % mit schroffen Abhängen gesegnet. Es sind sogar Reste eines Abschnittswalls zu erkennen: Am Bergübergang, auf der Linie Zollstock (Sperre?) - Todtemann (Körpergräber?) - Ringelberg (Ringschanzen?) Außerdem befindet sich dort auch heute noch eine hohe Quelle. Flurnamen und Geländestruktur machen so eine vergessene befestigte Höhensiedlung hier ziemlich sicher. Da aber deutliche Querungshinweise fehlen, hätten wir hier die erste Wache, die auf eine Längsnutzung hinweist.
Auch der Bermer über Ruhla, kurz vor dem Pass Ascherbrück (Urnengräberfeld?), besitzt entsprechende Wälle. Dazwischen, die so genannte Rennsteiggrotte, deren Deckenschwärzungen sicher nicht von Lagerfeuern der Steinzeit stammen, sondern von Wildcampern heute. Ein Stück weiter, am Ruhlaer Häuschen, kommt nun endlich der o.g. Sallmannshäuser Rennsteig von Süden hoch, der ja bis hierher parallel zum Rennsteig unter Meidung der Elte verlaufen war. Gewürdigt durch einen nachträglich beschrifteten Menhir! Hier trifft auch die bis zur Hohen Sonne den Kammweg direkt begleitende Weinstraße aus dem keltischen, germanischen und fränkischen Machtzentrum in Würzburg ein. Nur Werra und Fränkische Saale mussten dabei gefurtet werden. Auch auf dieser Strecke sind archäologisch untersuchte Wallanlagen aus der Frühzeit und dem Frühmittelalter wie an einer Perlenkette aufgereiht.
Ehemaliges keltisches Oppidum Marienberg als Schwester
der latenezeitlichen Seeberge bei Gotha?  
Auf den folgenden Bergnasen kommen immer wieder Varianten dieser Würzbergroute von Süden am Rennsteig an, die mehr und mehr auf die frühen Zentralorte des Thüringer Beckens im Norden zielen. Das zeigt zunächst einmal die historisch starke Verbindung beider Gebiete an und nährt die These von einem "2000 jährigen einheitlichen Reichsgebilde um den Thüringer Wald herum" (erst keltische Volcae, dann Hermunduren, Thüringer und zum Schluss Franken - siehe Post "Die Heden-Wege"). Die Variantenvielfalt zeigt aber nicht nur Querungen an. Denn auf der anderen Seite, ab Ruhlaer Schutzhütte, geht es nur in die schroffen und feuchten Täler um Ruhla herum. Das erzwang automatisch eine Weiterreise längs des Kammweges. Damit wird eine Stoßrichtung der Würzburg-Trasse Richtung Nordwesten sichtbar, über Hörschel-Kassel bis an den Kanal nach England (Siehe "Zinnweg" in diesem Blog). Das sind immerhin die alten Stammgebiete der Franken. Hier am Rennsteig muss solch eine wichtige Zuführung von einer befestigten Siedlung bewacht worden sein. Prädestiniert wäre der Höllkopf nebenan, dessen Besatzung sich von den Feldern auf der Schlauchentalwiese und dem Schaumborn ernähren konnte. Man findet aber nur einen Altsteinbruch und verwaschene Schanzen.
mystisches Felsensemble am Göckner
Auf unserem weiteren Weg werden dann wieder die bizarren Felsen des Glöckners interessant. Sie könnten als typischer Kultplatz für die mutmaßlichen Siedler auf dessen Kuppe hergehalten haben. Diese weist ebenfalls, rundumführende teils felsige Schanzkanten auf und lose herumliegende Monstersteine. Ein Stückchen weiter, nach der heutigen Passstraße zwischen Ruhla und Steinbach, scheinen Gerberstein und Kleiner Weißberg ebenfalls ein prähistorisches Paar von Siedlung und Kultplatz herzugeben. Hier stößt auch von Norden, konkret vom Wartberg über Seebach, wieder eine der Alten Weinstraßen hinzu. Nach der Rennsteigquerung heißt sie dann Lutherweg und führt runter nach Altenstein mit seinem Bonifaciusfelsen.
Altenstein
Dieser Berg über Steinbach trägt aber nicht nur frühmittelalterliche sondern auch jede Menge  prähistorische Siedlungsspuren. Das alles weist wieder auf die mehrfach beschriebene Würzburg-Rhön-Strecke hin, die sich am Rhöner Bleßberg geteilt haben könnte. Mehr noch: Die Weiterführung über den Renn-"stieg" im Hainich könnte immerhin eine Nord-Südverbindung der Elbgermanen aufmachen. Eine wichtige Kreuzung also da am Kleinen Weißberg. Der Berg zeigt sich als künstlich abgeflachtes Felsplateau, übersäht mit dolmenartigen, aber auch handgroßen Bruchsteinen. Alle scheinen bearbeitet worden zu sein. Der Flurname "Weiß" kann übrigens sehr oft mit prähistorischen Artefakten zusammen gebracht werden. Noch wahrscheinlicher wird eine befestigte Besiedlung hier oben angesichts des langen Bergrückens "Gerberstein. Er besteht aus einer langen Kette mannsgroßer natürlich gewachsener Felsen, von denen 3 wie Gesichter aussehen. Anziehender können Kultfelsen nicht werden!
Der Große Weißberg, weiter auf dem Rennsteig, mit Dreiherrnstein und Waldschänke lässt Siedlungsspuren hingegen ganz vermissen. Der Name bezieht sich vermutlich auf seinen kleinen Bruder. Trotzdem zweigt hier auf einem Höhenrücken der so genannte "Ur-rennsteig" oder "Breitunger Rennsteig" ab. Dass Breitungen ein Zentrum seit der ersten germanischen Südwanderung gewesen sein muss, ist ja bekannt. Meiner Meinung nach handelt es sich aber hier nur um einen zusätzliche Variante der Würzburgroute. Der Weg dorthin führt am Questenstein vorbei, der auch an die Hundert Namensvettern in ganz Deutschland besitzt und allerorts als germanisches oder keltisches Heiligtum interpretiert wird. Es könnte der Kultplatz von der mutmaßlichen Schanze „Gehege“ über Brotterode in der Nachbarschaft gewesen sein.
Inselsberg
Jetzt kommen wir in den Dunstkreis des alles überragenden Inselsberges. Ich glaube, dass er trotz der extremen Witterungsbedingungen eine frühzeitliche Wache getragen haben könnte. Seine Felder und Weiden müssten natürlich im südlichen Brotteroder Kessel gelegen haben. Dafür sprechen die deformierte Struktur der Bergspitze, die unmittelbare Tangierung der Höhenwegtrasse und die bekannten klimatischen Schwankungen: Zur Bronzezeit, dann wieder um 1000 v. Chr. und um die Zeitenwende herum sollen hierzulande nach Meinung ausgewiesener Klimaexperten wesentlich bessere Bedingungen geherrscht haben, als heute. Außerdem gibt es archäologische Hinweise auf Siedlungen damals am Rennsteig in ähnlicher Höhenlage, wie auf dem Bleß bei Schalkau oder dem Wilden Kopf an der Suhler Ausspanne. Logischerweise müssen daneben Ackerbau und Viehzucht betrieben worden sein. Alle weit über 800 Meter!
historisches Klimamodell
Außerdem scheint es um den Inselsberg herum, der Flurnamen wegen, immer recht turbulent zugegangen zu sein: Am Torstein auf dem Kleinen Wagenberg im Norden wurde nicht nur eine frühmittelalterliche Spornburg gefunden, sondern auch ein Steinhammer aus der Urnenfelderzeit, also um 1200 v. Chr. Die Flurnamen Stolzenburg, Poppswiese, Trockenberg, Reitstein verweisen ebenfalls ins Frühmittelelter. Heideschänke, Stein und Kalte Haide dagegen, lassen Anlagen aus der Keltenzeit vermuten. Über letzteren Berg gelangt man auch trockenen Fußes nach Schmalkalden. Bei solcher Konzentration frühzeitlicher Orte braucht man nicht zu erwarten, die nächsten 20 Kilometer eine weitere alte Wall- oder Raststätte zu finden. Auch auf dominierenden Bergen, wie Kleiner Jagd-, Heu- oder Spießberg fehlen solche Hinweise völlig. Trotzdem zweigt zwischen Letzteren ein sog. Königsweg nach Norden ab, über den noch zu sprechen sein wird.
unvollendetes Possenröder Kreuz
Dort steht auch das Possenröder Kreuz, eines von mehreren Steinkreuzen am Rennsteig. Was wird diesen mittelalterlichen Steinmetzarbeiten nicht alles durch Sagen und Märchen angedeutet. Ich unterstütze eher die Theorie, dass sie aus den wegweisenden Mehiren der megalithischen Zeit hervor gegangen sein könnten, teilweise sogar aus ihnen herausgemeißelt wurden. Das sieht man besonders schön am "Sühnekreuz" zwischen Arnstadt und Rheinsfeld und eben hier am "unfertigen" Possenröder  Kreuz.
Interessant wird es dann erst wieder an der Ebertswiese, nachweislich altes Acker- und Weideland. Hier kann man deutlich die Veränderung der Wegführungen im Laufe der Jahrtausende unterscheiden.
  1. Die bronzezeitliche wird die noch heute versumpfte Wiese des Quellgebietes Spitter großzügig umfahren haben.
    Altsteinbruch an der Ebertswiese unter Mittleren Höhenberg 
    Denn an seinem äußersten Radius steht der Mittlere Höhenberg, bei dem trotz der Verwerfungen durch den Steinbruch (Bergsee) mehrere Indizien für eine alte Wallanlage sprechen: deutliche Schanzkante ganz oben, teilweise Grabenansatz nach Norden, künstliche Fläche mit Steinen übersät, weit oben liegende Quelle. Auf seiner Spitze stehen sogar bemooste Trockenmauern, die aber auch jünger sein können.
  2. Im Mittelalter dann scheint der Reisende ausweislich der vorhandenen Hohlwege direkt über die Ebertswiese gefahren zu sein.
  3. Der heutige Rennsteig wiederum schneidet das Quellgebiet auf kürzestem Weg und quert den Bach-Ablauf Spitter.
Bevor wir jedoch weiter marschieren, möchte ich noch auf den namenlosen Hügel westlich des großen Steinbruches Spittergrund hinweisen. Nicht nur seine umlaufende Schanzkante und künstliche, steinige Oberfläche deuten auf einen befestigten Ort hin. Er ragt auch bis in den Steinbruch hinein. Nach meiner Erfahrung liegen die allermeisten alten Steinabbaugruben am Rand prähistorischer Wallanlagen, vornehmlich keltischer Oppida (Gleichberge, Öchsen, Milseburg, etc.). Was ja auch Sinn macht: Als die Menschen um 800 herum anfingen, steinerne Häuser zu bauen, holten sie sich das Baumaterial dort, wo es lose massenhaft und herrenlos herumlag: die früheren Trockenmauerwälle! Als die Steine dann aufgebraucht waren, musste man sich in die Tiefe graben. So werden heute historische Steinbrüche zu Indikatoren frühzeitlicher umwallter Siedlungsplätze. Und die machen sich auf dem weiteren Marsch recht rar. Nichts an der Hohen Leite auf dem Glasberg und nichts auf dem Nesselberg, obwohl hier eine Wache fällig wäre. Denn an der Alten und Neuen Ausspanne, fällt der erste Höhenzug nach Tambach-Dietharz ab. „Alt“ heißt hier, was schon im Frühmittelalter alt gewesen sein muss und „ausgespannt“ wurden die Zugtiere der Vorspanndienste aus dem Tal.
Sperrhügel am Rennsteig
Selbst der herausragende Sperrhügel mit seiner Schmalkalder Loibe hat außer seinem beziehungsvollen Namen und tiefen Hohlwegen nichts Prähistorisches zu bieten. Weiter zieht es sich dann bis zu den Neuhöfer Wiesen hin, wo eine der in Deutschland oft anzutreffenden Hohen Straßen von Süden heraufführt. Diese hier aber ist aus mehreren Gründen besonders: Zunächst kann man mit ihr wieder nachweisen, dass der Rennsteig zumindest partiell ein frühzeitlicher Urweg war. Denn die sog. Hohe Straße aus dem Süden muss ihn nun ganz offensichtlich mehrere Kilometer nach rechts oder links begleitet haben. Es gibt zwar auch eine Wegquerung des Kamms, die aber scheint viel jünger zu sein. Denn es fehlen die notwendigen Hohlwege nach Norden und vor Tambach-Dietharz landet man in einem tiefen, feuchten Tal. Unsere Hohe Straße aber heißt ja nicht aus Spaß nur so! Sie kommt vom südlichsten Punkt der Werra bei Ober- und Untermaßfeld, ohne ein einziges Tal respektive einen Wasserlauf gequert zu haben. Das sind über 30 Kilometer! Neben großen Wallanlagen und Hünengräber am Weg ein sicherer Hinweis auf prähistorische Zwangsführungen.
Links die Wallkuppe auf dem Dolmar
Prominentester Wachposten dort: Der Dolmar mit seiner hallstattzeitlichen Wallsiedlung und bronzenen Gräbern. An der Strecke gibt es aber auch frühmittelalterliche Flurnamen und mehrere Königsgüter. So heißt einen Trasse von Steinbach herauf auch Königsweg und wird wohl die sächsischen Kronenträger von ihren Residenzen um den Harz herum zu den  Reichstagen ins südlichen Rohr geführt haben. Nach den Relikten an der Hohen Straße aber muss diese viel älter sein. Da sie den Rennsteig in der Frühzeit aber kaum gequert haben konnte, muss sie sich bei den Neuhöfer Wiesen geteilt haben.
  1. Einmal scheint es nach Norden zum gleichnamigen Königsweg am Possenröder Kreuz gegangen sein.
  2. Alternativ dazu biegt kurz vor dem Rennsteig der eben beschriebene "Königsweg" nach Osten ab.
Dieser führt dann unterhalb des Kamms am Hang entlang und spart sich so einige Anstiege. Am Wachsenrasen (Bestimmungswort "Wache") verbindet sich der Königsweg dann wieder mit dem Rennsteig. Auch hier würde eine Überquerung wieder in dem feuchten Tälerwirrwarr an der heutigen Schmalwasser-Talsperre landen. So zwang die Geografie die Würdenträger weitere 2 Kilometer nach Osten. Einen trockenen Höhenzug nach Norden gibt es nämlich erst wieder am alles dominierenden Donnershauk. Der dort abzweigende Weg ist die Meinoldes-, sprich Meininger Straße und sie verweist darauf, dass ihr Ausgangspunkt die Hohe Straße von den Neuhöfer Wiesen bzw. die Königsstraße gewesen sein muss. (Für Nicht-Einheimische: Meiningen und Rohr liegen an der gleichen Strecke.) Dieser Höhenzug vom Donnershauk nach Gotha kann vom verlängerten Königsweg auch nur aus Richtung Westen angefahren werden, weil im Osten eine Quellwiese jede Überquerung unmöglich macht. Das kleine Dörfchen Gräfenhain Richtung Gotha ist heute noch nach dieser Altstraße ausgerichtet.
Donnershauk
Der diesen Abgang nach Norden kontrollierende Berg Donnershauk präsentiert sich wieder als Paradebeispiel einer befestigten Höhensiedlung: Umlaufende Schanzkante, künstlich abgeflacht, Hausgruben, unnatürliche Steinkonzentrationen, hohe Quelle, windgeschützte Ackerfläche und jede Menge potentielle Kultfelsen nebenan: Kachelofen, Katzenstein, Hohe Möst und Petersberg. Auch die große "Zufahrtsrampe" sieht künstlich aus, und nicht wie ein forstwirtschaftlicher Weg aus der Neuzeit. An seinem Abhang soll ein riesiger Menhir liegen, den hab ich aber noch nicht gefunden. Schon alleine das würde als Indiz für eine frühzeitliche Anlage ausreichen. Auch am Donnershauk war eine direkte Querung des Rennsteigs unmöglich, weil der Südabhang einfach zu steil ist. Das Pflaster auf dem Rennsteig beim Zimmerkopf in der Nähe scheint aber mittelalterlich.
Auf der Höhe Oberhof dann, zwischen Grenzadler und Rondel, kreuzt die Zellaer Leube. Sie bringt den Höhenweg vom Reichsgut Schwarza hoch, der von den Schanzen Reisinger Stein, Metze und Ruppberg bewacht wird. Letzteren interpretieren die Experten in Zella-Mehlis als keltische Wachstation. Doch dafür ist er viel zu klein und muss wohl ins Frühmittelalter datiert werden. Die Zellaer Leube quert den Rennsteig in einer tiefen Weghole zum Schlossbergkopf in Oberhof, der sich wieder mit steilen Schanzkanten, künstlicher Fläche und einer weit oben liegenden Quelle als prähistorische Wachstation ausweist. In seiner Nähe wurde jener keltische Eisenbarren und kupferzeitliche Steinwerkzeuge gefunden. Anschließend verläuft die querende Passstraße entlang des Herrenweges über Triefstein, Steigerhohle bis Alteburg über Arnstadt und Erfurt, mit ihren bekannten prähistorischen Befestigungen. Ein Abzweig am Siegelberg brachte die Bronze- und Eisenschmiede hingegen nach Gotha.
Weiter geht es nun am Rennsteig von Oberhof über tiefe Hohlwege zur Suhler Ausspanne.
Schneekopf
Dort verbindet sich der Rennsteig mit der Suhler Loibe, die einen Zweig der Kupferstraße von Italien nach Skandinavien heran führen soll. Diese könnte ebenfalls seit der Bronzezeit benutzt worden sein. Außerdem schlägt hier ein weiter Höhenweg von Rohr kommend auf. Der hatte vordem die vermuteten Wälle auf Dürrberg, Bock und den beiden Dombergen sowie die Kultstätte Ehwed mit ihrem prähistorischen Amphitheater tangiert. Am heutigen Schießstand Zella-Mehlis querte er das jetzige Industriegebiet und kam als weitere Loibe auf der Suhler Ausspanne an. Solch eine wichtige Kreuzung bedurfte einer mächtigen Befestigung und die muss auf dem Wilden Kopf gestanden haben. Wichtigstes Indiz: An seinem Abhang liegen zwischen tiefen Hohlwegen zwei mutmaßlich bronzezeitliche Hügelgräber. Er ist nach 3 Seiten durch steile Abhänge und im Norden durch ein Hochmoor geschützt. Quelle und Flächen ringsum zeigen wieder starke Spuren menschlicher Siedlungstätigkeit an. Auf 900 Meter Höhe wohlbemerkt! Bei der Suhler Loibe kann man auch gut zwischen den mittelalterlichen und den frühzeitlichen Hohlwegen unterscheiden. Der sog. Königsknübel unterhalb des Wilden Kopfes scheint erst im Mittelalter so benannt worden zu sein.
Weiter am Rennsteig folgt dann der lange Marsch unterhalb des noch heute versumpften Beerberges. Eine weitere Altsiedlung bietet erst wieder der Schneekopf mit 978 Metern an, wo ähnliche Bedingungen wie auf dem Inselberg herrschen. Die landwirtschaftliche Situation wurde dort diskutiert. Dessen Grenzwiese liegt ebenso windgeschützt, wie die Senke hier zwischen Höllkopf und Teufelsstein. Und beide haben diesen scheinbar "aufgesetzten" Hügel auf dem eigentlichen Berg mit rundumführender Schanzkante und möglichen Terrassenfeldern. In Oberhof übrigens, auf gleicher Höhe gegenüber, ist Landwirtschaft seit eh und je belegt.
Alte Burg Arnstadt
Nebenan, über der Schmücke, der Fichtelkopf: Er besitzt ebenfalls eine rundum führende Schanzkante und wird den frühmittelalterlichen Weg bewacht haben, der sich über die Posten Sachsenstein, Mönchshof und Schöffenhaus nach Ilmenau aufmachte. Außerdem wurde hier ein weiterer frühzeitlicher Weg herangeführt: Von den Wällen auf den Reinsbergen über Plaue, die Alte Burg beim Autobahntunnel, über den Steinigen Hügel bei Gehlberg und wieder mal über einen Berg namens Brand. Diese Trasse begleitet den Rennsteig jetzt wieder ein Stück Richtung Süden, um am vermeintlichen Wall Finsterberg, mit Schanzkanten, möglichen Kultfelsen und hoher Quelle, endlich nach Süden abzuzweigen. Er führt in mehreren Varianten nach Schleusingen, dessen Endung -ing, wie -ungen, auf die suebischen Wanderungen von der Elbe Richtung Süden verweist. Einer dieser Wege nimmt den Höhenzug über die Wegscheide nach St. Kilian, einer den über Eisenberg, Schmiedefeld und die so genannte I-Linie. Das Vessertal dazwischen ist zwar noch heute für Wagen kaum passierbar, aber Namen wie Burgberg oder Herrenberg darüber zeugen von weiteren Alternativen. Beiden haben wieder Dutzende Namensverwandte in ganz Deutschland - letzterer ist vielleicht hermundurisch oder thüringisch einzuordnen. Zwischen Rennsteig und Breitungen findet sich übrigens die größte Dichte an Hohlwegen im ganzen Thüringer Wald. Das hängt sicher mit dem mittelalterlichen Eisenerzabbau an der Crux und dem Residenzstatus von Schleusingen ab dem 13. Jahrhundert zusammen. Die Henneberger Grafen hatten nämlich zeitweise auch Besitz in Ilmenau übern Berg. Von Schleusingen bestand über die Hohe Straße dort auch seit alters her ein Anschluss zu den keltischen Oppida auf den Gleichbergen. Allerorts strotzt es nur so von vorzeitlich bedeutsamen Flurnamen und Hohlwegen.
Nach dem Finsterberg brauchte es keine weitere Sicherung bis zur Großen Hohen Wart nördlich vom Bahnhof Rennsteig. Die bewachte wahrscheinlich den frühmittelalterlichen Pass, der einen Abzweig der I-Linie heranbrachte und über den Schlossberg in Stützerbach nach Ilmenau entließ. Noch vor Allzunah, kommt dann einer der beiden uralten Haupttrassen von der Donau hoch (Siehe Post „Urwege durch Franken“). Im Mittelalter hieß sie Frauenstraße bzw. Hohe Straße und war ein bekannter Heer- und Handelsweg (Siehe Post: Die Straße über den Wald“ von C.A.). Der Große Hundskopf könnte sie beschützt haben. Leider sind auf ihm außer dem Steinbruch keine weiteren Geländeveränderungen auszumachen. Die Frauenstraße führt weiter bis zum Dreiherrnstein, um dort in Richtung des wieder verdächtigen
Kickelhahn
Kickelhahns nach Ilmenau hin abzufallen. Oben geht es via Rennsteig immerfort zum Großen Burgberg, der aber auf Grund ineffizienter Lage und Struktur nicht lange als solcher fungiert haben kann. Wahrscheinlich ist sein Name bloß von dem "Kleinen Burgberg" nebenan abgeleitet, der im Gegensatz deutliche Schanzringe trägt und einen Weg von Schönbrunn hoch gesichert haben könnte. Eine andere Variante wäre, dass hier wieder nur eine Längssicherung am Rennsteig stattgefunden hat. Denn erst in Neustadt am Rennsteig stößt erneut ein bedeutender Strang der Kupferstraße aus dem Norden hinzu, wahrscheinlich von den urnenzeitlichen Siedlungen in und um Erfurt: Er führt über die frühzeitlichen Befestigungen von Riechheimer, Haun- und Singener Berg, Mönchs-, Stiefel- und Edelmannskopf. Dieser Urweg muss anschließend den Rennsteig wieder ein Stück Richtung Süden begleitet haben. Am Hohen Stock, hinter Kahlert, passieren wir zunächst seine Abkürzung über Altenfeld. Erst an den deutlich erkennbaren Abschnittswällen auf dem Langertstein (ehemals Großer Stein) fällt er als Altstraße Richtung Nürnberg ab. Er passiert dabei mutmaßliche bronze- und eisenzeitliche Ringwallstrukturen wie auf dem Simmersberg bei Schnett oder dem Irmelsberg bei Eisfeld. Es war der letzte Höhenzug ins Erfurter Becken, ab jetzt bringt uns jeder Bergrücken nach Norden unweigerlich ins Saaletal. Auch vor Masserberg, die Schillerhöhe, könnte solch eine kleine Wache gewesen sein. Hier läuft nämlich der „Masserberger Höhenweg“ von Waffenrod, Rittersberg und Burgberg über Crock auf. Auch da unten um den Priemäusel herum findet eine wahre Orgie alter Flurnamen statt.
Bleß und Großer Herrenberg
Auf dem Rennsteig passiert jetzt wieder knapp 20 Kilometer lang nichts, außer der frühmittelalterlichen Eisfeldern Ausspanne vielleicht. Die kann übrigens wegen fehlender weiterführender Bergrücken nach Norden nur aus fränkischer Zeit stammen. Erst Siegmunds-"burg" lässt wieder aufhorchen, dessen namensgebende Befestigung ich aber beim besten Willen nicht dingfest machen konnte. Immerhin stößt hier ein Urweg von den bronzezeitlichen Siedlungen um Coburg herauf, mit Höhenburgen auf Lauterberg, Steinhügel, Kleiner Herrenberg, weiter oben Großer Herrenberg und dem mächtigen Bleß. Die letzten beiden müssen zwar wieder mit einer unwirtlichen Lage kämpfen, sind aber urnenfelderzeitlich belegt. Auf dieser Strecke steht übrigens auch ein die Weggabelung anzeigender Menhir namens Marterstein und könnte damit in megalithische Zeit verweisen.
Das gewaltige Oppidum Manching
Der Rennsteig führt hinter Limbach dann zur sog. Schanze auf den Sandberg hoch. Was gibt es hier zu beschützen? Tatsächlich kommt über die Hohe Wart auf dem Kieferle, östlich von Steinheid und dem Ritterhügel, der zweite Strang des Urweges von der Donau hoch (Siehe Post „Prähistorische Urwege durch Franken“). Wahrscheinlich hat auch er den Rennsteig jetzt ein Stück begleitet, denn gegenüber gibt es nur noch Sumpf und steile Berge. Der nächste durchgehende trockene Höhenzug ins Erfurter Becken lag nordwestlich, beim schon passierten Neustadt am Rennsteig. Wer hingegen ins Saaletal wollte, musste dem Kamm weiter nach Südosten - nach Neuhaus am Rennweg folgen. Dort kamen die Reisenden mit nur einer Talquerung der Lichte in Wallendorf oder unterhalb der Schanze Petersburg direkt ins Tal von Saale und Ohra. Die unzähligen Wallanlagen um Pößneck herum warteten schon. Natürlich war die Furt der Lichte nicht optimal, aber eine Alternative ohne große Umwege gab es nicht. Dieses alternative Wegeangebot - Saaletal/ Erfurter Becken - zähle ich wieder zu den Belegen für die alte Nutzung des Thüringer Waldes entlang seiner Wasserscheide.

Auf der Teufelskanzel
Doch weiter! Zwischen Neuhaus und Spechtsbrunn wird es unübersichtlich. Gleich mehrere Berge hätten das Potential einer Wachstation. Der Brand über gleichnamiger Gaststätte besitzt zwar Schanzringe, grenzt sich aber nicht eindeutig zum Rennsteig ab. Vielleicht ist sein Wall ja in dem riesigen Altsteinbruch dort begraben. Der Hirschstein über Piesau nahe der Teufelskanzel wartet sogar mit einem großen Wall zum Berg hin und einem markanten Felsen auf. Aber er liegt relativ weit ab. Auch der kleine namenlose Knuppel nordöstlich von Spechtsbrunn hätte das Zeug für eine frühmittelalterliche Bastion. Seine Terrassen machen als Feldraine keinen Sinn, weil es im gleichen Hangwinkel nach der Kante weiter geht.
Von Süden kommt nicht weit von hier ein weiterer Zweig des oben genannten großen prähistorischen Urweges durch Franken hoch. Ab dem Mittelalter ist er als Heer- und Handelsstraße von Nürnberg nach Leipzig belegt. Ihr Kreuzpunkt mit dem Rennsteig ist die so genannte "Kalte Küche", deren mutmaßliche keltische Übersetzung „Grenzkapelle“ seit Jahrhunderten mündlich weitergegeben wird. Davon existieren wieder mehrere Pedants in Deutschland, alle an einer Altwegekreuzung. Der Jahrtausende alte Weg aus Franken hatte wieder nur eine Chance nicht in den Tälern des Nordens sprichwörtlich zu versumpfen: Er musste dem Rennsteig ein Stück Richtung Westen folgen, um an o.g. Schanze Brand über die Piesaufurt, Schmiedefeld und die bereits erwähnte Poststraße ins Saaletal zu gelangen. Unter diesem Gesichtspunkt liegt der Hirschstein nun doch nicht so weit ab!
Eine Alternative wäre die "Querverbindung" zu einer Trasse, auf die ich noch zurück komme.
Nach der Kalten Küche folgen wir jetzt der heutigen Frankenwaldstraße, entlang des sog. Karlsgeräumt, welches das Ende immerhin andeutet. Doch bis dahin sind es noch knapp 40 Kilometer. Also brauchten Ochsen und Pferde einen weiteren Zwischenstopp. Exakt auf halber Strecke liegen die Schieferberge um den Wetzstein.
Neugebauter Altvaterturm auf Wetzenstein
Der alles überragende Berg muss wieder eine Wallanlage getragen haben, was bei den extremen Deformationen durch Altbergbau, Radaranlagen aus dem Kalten Krieg und dem neuen umstrittenen Altvaterturm sicher nur schwer nachgewiesen werden kann. Den Namen gibt es mehrfach im deutschsprachigen Raum als Menhir. Aber das Umfeld hat weiteres Potential, wie die Wacht am Osthang des Eppenberges oder die weggesprengten Bergsporne am Schieferpark Lehesten. Solch eine Konzentration von Sicherungsstationen verlangt geradezu nach alten Wegen. Diese kommen tatsächlich in Form zweier Bergrücken von Kronach herauf, um über Lehesten an die Saale abzufließen.
Danach müssen wir wieder 20 Kilometer bis zur nächsten Befestigung warten. Die erscheint uns in dem schon halb weggebaggerten Kulmberg. Er trägt nicht nur eine markante Schanzkante, sondern behütete auch einen wichtigen Abzweig. Hier müssen wir Urweg-Jäger nämlich den Rennsteig verlassen, denn sein Abgang zur Saale nach Blankenstein könnte sich als Sackgasse entpuppen. Es gibt dort weder nennenswerte Hohlwege, noch frühzeitliche Flurnamen. Lediglich das Dorf Harra deutet, wie das Harras an der Werra, auf einen uralten Flussübergang hin. Zwar gibt sich Blankenstein selbst mit furtfreundlichen Sandbänken in der Saale, der Blankenburg und dem folgenden Höhenzug zur Via Imperii im Osten sehr frühmittelalterlich, allein es fehlen die Relikte aus der Frühzeit!
Die findet, wer am Kulmberg scharf vom Rennsteig nach Süden abzweigt. Hier am nahtlosen Übergang zum Frankenwald kommt man ganz ohne Flussquerung weiter nach Osten. Der dazugehörige Weg steigt über einen Bergrücken vom nördlichen Saalfeld herauf, überquert den Rennsteig an besagtem Abzweig und führt nach Süden zum Wall Wachberg und der Schwedenwache im Tal von Langenbach. Gegenüber zeigen 12 megalithische Menhire den kürzesten Weg vom Maintal ins Saaletal an (Versteckt im Wald sind weitere große Steinzeichen aufgereiht). Den Namen 12 Apostel können sie natürlich erst in Christlicher Zeit verpasst bekommen haben. Unser Urweg zieht nun als Frankenwaldhochstraße weiter, über die mutmaßlichen prähistorischen Befestigungen Wasserwacht, Frankenwarte, Döbraberg, Hohberg und Karlberg, bis zur
Wall Waldstein an der Dreierscheide Main, Saale, Eger
Dreifachwasserscheide von Main, Eger und Saale. Dieser magische Punkt wird vom Siedlungsverdachtsplatz Haidberg bewacht, an dem, wahrscheinlich wegen einer Erzader, jeder Kompass verrückt spielt. Hier kreuzt nicht nur die mittelalterliche Via Imperii von Nord nach Süd, hier teilt sich auch unsere Urstraße: Der eine Zweig führt auf das Mittelgebirge, das heute als Oberes Vogtland und Erzgebirge weiter nach Osten zieht. Der andere weist über Franken- und Böhmerwald, von den Römern als Gabreta Silva bezeichnet, bis zur Donau (Siehe entsprechende Posts in diesem Blog).

Mein Resümee:
Der Rennsteig stellt eine regelrechte Zwangsführung für frühzeitliche Reisende dar. Ihre Hinterlassenschaften erschließen sich auch ohne schriftliche Quellen und archäologische Grabungen! Nach der 20-Kilometer-Regel für Ochsengespanne finden wir allerorts ehemalige befestigte Höhensiedlungen als Wachstationen. Die scheinen zwischen 3000 vor und vielleicht 1000 nach Christus gebaut worden zu sein. Mit 9 derartiger in der Karte ausgewählter Anlagen (= 180 km) kommen wir der heute ausgewiesenen Länge des Kammweges sehr nahe (= 170 km). Die zusätzlichen Befestigungen finden sich durchweg an Passübergängen. Sicher sind auch nicht alle zur gleichen Zeit betrieben worden. Eine genaue Datierung können aber nur wissenschaftliche Grabungen bringen. Inzwischen gehen aber auch etablierte Archäologen von einer viel höheren Anzahl bronzezeitlicher Siedlungen aus, als heute. Natürlich nicht in Bezug auf die absolute Anzahl der darin lebenden Menschen!
Auch wenn eine durchgehende Nutzung des Rennsteiges in vorschriftlicher Zeit nur partiell nachgewiesen werden konnte, die Karte zeigt ihn als Mittelpunkt eines Wegenetzes aus jener Zeit. Die aufgeführten Indizien, insbesondere zur Wegesicherung, scheinen eindeutig.
Schon höre ich Bergromantiker und akademische Schreibtischtäter tönen: Wo sind die Urkunden und Belege. Ich sage ihnen: Hochfahren, abseits der Wege durchs Gebüsch kriechen, vergleichen und geschichtliche Muster heranziehen. Ein Hohlweg ist ein Hohlweg, und längs des Rennsteigs spricht er Bände. Auch die künstlichen Absätze auf Bergkuppen können da oben nicht als Feldraine abgetan werden. Siedlungen waren in dieser Höhe auch mit wärmeren Klima schwer zu erhalten und können nur strategischer Natur gewesen sein. Sicher werden Einheimische weitere Hinweise kennen. Vielleicht bin ich ja manchmal auch übers Ziel hinaus geschossen, war mehr der Wunsch der Vater des Gedankens. Doch wenn auch nur die Hälfte der hier beschriebenen Ansätze stimmt, könnten sie uns zwingen, die Geschichte am Rennsteig umzuschreiben. Auf jeden Fall überquere ich jetzt meinen Rennsteig nur noch voll Demut angesichts der Leistungen unserer Altvordern.

Anlage:
Erweiterte Liste mit Flurnamen-Verbindungen zu "Renn-"
  • -wege, -stiege, straße: Thüringer Wald, Hainich, Haßberge, Sallmannshausen, Fürth, Forchheim, Taunus, Rüdingsheim, Schwarzerden, Düren, Porz, Heilbronn, Ebelsbach, Hallstadt, Oberreifenberg, Breitungen, Kyffhäuser, Sternenfels
  • -berg: Bleicherode, Ipsheim, Aufseß, Neumarkt,
  • -hofen: Emskirchen, 
  • -pfad: Bingen, 
  • -rod: Herborn, 
  • -weiher: Heroldsberg