Montag, 25. Februar 2019

Wie die Kartoffel nach Thüringen kam (von C.A.)

"Endlich satt essen..."
Im 18. Jahrhundert löste der allmähliche Übergang von der Breikost zur Brotnahrung und die Einführung der Kartoffel (sola'num tubero'sum) in Thüringen einen grundlegenden Wandel in der Volksnahrung aus. Die aus Mittelamerika (Hochland von Peru) stammende Kartoffel wurde zuerst von spanischen Mönchen, dann von Seefahrern vieler Nationen - und nicht allein, wie meist angenommen von Franceis Drake - nach Europa gebracht. Es lassen sich drei Hauptwege ihrer Verbreitung erkennen: Unter dem Namen „Pataoe“, kam sie über England nach Deutschland, wo sich die englische Bezeichnung aber nur in wenigen Küstenorten durchsetzte. Von Holland aus kam der „Aardapfel“ nach Frankreich als „Pomme de terre“ und von dort ebenfalls nach Deutschland als „Erdapfel, Erdbirne und „Grundbirne“. In Italien wurden sie wegen ihres Wachstums in der Erde „Tartufoli“ (Trüffel) genannt und hiervon leitet sich der bis nach Russland verbreitete Name „Kartoffel“ ab.
Friedrich II. von Preußen, der sich nach dem verheerenden Siebenjährigen Krieg sehr um die Verbreitung des Kartoffelanbaus in seinem verarmten Land bemühte, wird gern die Einführung der Kartoffel in Deutschland zugesprochen. Tatsache ist jedoch, dass die Kartoffel in dieser Zeit in Thüringen längst ein Volksnahrungsmittel geworden war. Schon 1590 war sie als Zierpflanze in den botanischen Gärten von Wien und Breslau sowie im Hofgarten in Dessau gezeigt worden, Die ersten verbürgten Nachrichten über die Kartoffel als Nutzpflanze und Nahrungsmittel finden sich dann 1623 in Deutschland und Österreich. Dazu schrieb der später in England verstorbene Johann Joachim Becher:
Historischer Feldbau
„Ich habe die amerikanische „Putatos“ oder Erdäpfel mit sehr gutem Erfolg in Österreich angepflanzt, welche gutes Brot, Wein und Branntwein geben.“
Nach Württemberg wurde sie zuerst 1701 von Flüchtlingen aus Südfrankreich oder Norditalien gebracht. Im Mitteldeutschen Raum führte das erste, quellen mäßig leider nicht gesicherte Vorkommen ins obere Vogtland, wo sie in den Dörfern am Kapellenberg schon 1680 angebaut worden sein soll und unweit davon, in Würschnitz bei Ölsnitz hat sie, der Überlieferung nach, der um 1700 aus England zurück gekehrte Zimmergeselle Löw Kummer mitgebracht und angebaut. Sie sei so selten gewesen, dass man sie wie Butter zum Brot aß.
Urkundlich gesichert ist die Einführung der Kartoffel im Kreis Greiz. Im Erbregister von 1715 des Rittergutes in Brückla hat der Besitzer Johann Christian von Rosenau festgelegt: „Die Fröner sind verpflichtet die „Erdäpfel zu graben und zu hacken.“ Auf dem benachbarten Rittergut Lunitz hat sie der Besitzer Wolf Reimar von Karstedt 1722 eingeführt. 1728 findet sich im Inventar des Rittergutes Hohenmölsen folgender Eintrag: „Der Mühlwegsacker jenseits, 19 Scheffel groß, ist bis auf 4 Scheffel,worauf Kraut, Rüben und Erdäpfel wachsen, mit Korn gesät.“ Auf dem Kammergut Neuärgerniß wurde die Kartoffel zwischen 1742 und 1747 vom Pächter Johann Georg Schaller eingeführt. Aus Lobenstein wird berichtet, dass die Kartoffel um 1711 erstmals von einigen Bauern angebaut worden ist. Aus Ebersdorf (Kr. Lobenstein) wird 1747 über Anbauerfahrungen „mit den großen Jacobs-Erdäpfeln“ berichtet.
Diese frühen Belege zeigen, dass der Thüringer Kartoffelanbau seinen Ausgang im Vogtland hatte. Schon früh folgte der Thüringer Wald, wo die Stiftsdame A.M. Rosina von Hutten-Stolzenberg 1731 die ersten Kartoffeln auch im Werratal pflanzen ließ. Im Harz machte der Oberjägermeister von Langen 1749 die ersten Anbauversuche in der Gegend von Braunlage. Im Thüringer Becken erfolgte der Kartoffelanbau relativ spät. Ein Pfarrer aus Renthendorf b. Triptis hat sie 1752 im Amt Erfurt eingeführt. Herzog Ernst August von Weimar förderte den Kartoffelanbau seit 1757 durch Anbauprämien
Diese Ausführungen zeigen, dass sich der Kartoffelanbau über einen längeren Zeitraum in Thüringen durchsetzte und schließlich eine umwälzende wirtschaftliche Bedeutung erlangte. Eine Akte berichtet 1744: „ im Erzgebirge und im Vogtland wird die Kartoffel in so großen Mengen angebaut, so daß es nicht mehr zu ausufernden Teuerungen gekommen ist. Der gemeine Mann spart durch den Kartoffelanbau die Hälfte seines Brotverbrauches ein, er kann sich bei hohen Getreidepreisen mit den Erdäpfeln behelfen.“
Armeleute-Essen
Das erklärt auch, dass sich der Kartoffelanbau zuerst in den Mittelgebirgen durchsetzte, denn die Gebirgslandschaften sind damals schon Notstandsgebiete gewesen, wo der Hunger unter der Bevölkerung alltäglich war. Das Getreide in den höheren Lagen brachten meist nur wenige Erträge und es gab häufig Missernten. Für die arme Waldbevölkerung war in Hungerjahren bei stets steigende Getreidepreis das Brotmehl unerschwinglich. Da brachte der Kartoffelanbau, der auch in den höheren Lagen und auf minderen Böden mit guten Ernteergebnissen aufwarten konnte, eine Verbesserung der Nahrungsbasis. Eine Quelle berichtet um 1750: „Aus der Kartoffel kocht man Püree, ißt sie mit Butter, röstet sie oder vermischt sie mit Eiern und anderen Dingen und verfertigt Klöße, wohlschmeckenden Kuchen und Strietzel daraus. Sie werden auch scheiben- und Würfelweise geschnitten, auf dem Ofen gedörrt. Sie geben aber auch ein schönes weißes Mehl, das man zu Puder und Stärke gebrauchen kann. Man stellt auch Essig daraus her, während Branntwein, wie ihn die Engländer oder Holländer daraus herstellen, hier nicht gefertigt wird.“
Es ist also anzunehmen, dass viele der heutigen, zahlreichen Kartoffelgerichte schon damals bekannt waren: Kartoffelbrei, Bratkartoffel, Kartoffelsalat und Pellkartoffel mit Butter und Salz, verschiedene Arten von Klößen. Kartoffelkuchen und anderes Pfannen Gebäck. (Heute sind wohl die Pommes das meist gegessene Kartoffelgericht.) Spater erwies sich die Kartoffel besonders bei der Schweinemast auch als ausgezeichnetes Viehfutter,
Wahrscheinlich wurde die Kartoffel anfangs aber meist zu Kartoffelmehl verarbeitet, Dazu werden die Kartoffeln gerieben, geschleudert und in beheizten Kammern getrocknet. Aus 100 kg Kartoffeln erhält man 18 bis 25 kg Mehl. Damit konnte das teure Roggen oder Weizenmehl gestreckt werden. Um auch die anfallenden Rückstände beim Kartoffelreiben zu verwerten, erfand man das Vogtländisch Thüringer Nationalgericht, den „Grünen Kloß“. Seine Entstehung ist der Armut der Waldbewohner zuzuschreiben. Er war damals nicht nur auf den Sonntag beschränkt, sondern er ersetzte auch unter der Woche die bisherigen Mehlklöße. Noch heute erinnern sich alte Leute an die Zeit, als es am Sonntag, Dienstags und Donnerstag grüne Klöße gab und wo am Mittwoch und Freitag, die vom Vortag übriggebliebenen „aufgewärmt“ wurden. Dafür gab es am Sonnabend als Abwechslung die obligatorische Kartoffelsuppe, meist mit einem warmen Kartoffelkuchen aus der Pfanne.
Unglaubwürdig ist die Feststellung, dass keine Kartoffeln für die Branntweinherstellung benutzt worden sind. War doch in Österreich die Branntweinherstellung aus Kartoffeln schon 1692 bekannt und auch alte Unterlagen weisen darauf hin, dass vor allem die Güter Kartoffeln - statt Getreide - für die Branntweinherstellung angebaut haben. Güter und Klöster hatten meist eine Konzession zum Herstellen von Branntwein.
Mühselige Arbeit
Die Einführung der Kartoffel als neue Feldfrucht vollzog sich jedoch nicht reibungslos. Die Bauern hatten von jeher ein Misstrauen gegen alle Neuerungen, denn der Kartoffelanbau brachte auch einen Bruch mit der bisherigen Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft mit sich. In der damals herrschenden Dreifelderwirtschaft mit ihrer strengen Abfolge von Sommerfeld, Winterfeld und Brache, war eigentlich für die Kartoffel kein Platz mehr, es sei denn, man verzichtete auf die Brache. Bei der damals dürftigen Düngung der Felder war aber eine Ruhepause für das Ackerland erforderlich. Außerdem hatten meist umliegende Güter oder Gemeinden Hutrechte auf den brach liegenden Feldern, die sie als Weideland für ihre Schafherden benötigten und die auch den nötigen Dung lieferten.
Eine Ausbreitung des Kartoffelanbaus brachte einige Veränderungen mit sich, und das ging bis zu einer Verkleinerung der Schafherden und eine Änderung der Brachebesömmerung (Sömmern: im Frühjahr säen, im Sommer reifen, im Herbst ernten).
Aus dieser Rechtslage heraus erklärt sich auch, warum die ersten Anbauversuche auf Rittergütern unternommen wurden. Sie konnten, im Gegensatz zu den Bauern, über ihr Brachland frei verfügen
Herzog Ernst August von Weimar erließ 1757 deswegen ein entsprechendes Gesetz über die Änderung der Brachebesömmerung und ermöglichte damit die Ausweitung des Kartoffelanbaus.
Auch das Fronrecht gab Anlass zu Zwistigkeiten. So hatten die Fronbauern des Gutes Lunitz 1722 die neu eingeführten Kartoffeln zwar anzupflanzen, sie weigerten sich aber, sie bei der Ernte vom Feld ins Gut zu schaffen weil sie darin eine ungesetzliche Vermehrung ihrer Fronpflichten sahen. Die Regierung, die anfangs die Forderungen der Gutsbesitzer mit Strafandrohungen unterstützte, entschied nach einer genauen Prüfung, „dass die Handfröner die Erdäpfel von den Feldern nach Hause zu schaffen, nicht schuldig wären, wenn sie es nicht schon 30 Jahre lang getan hätten.“ Erst zwei Jahre später wurde dieser Fronstreit durch Vergleich beigelegt.
Kartoffelblühte
Schließlich wurde auch das Steuerwesen durch die neue Feldfrucht erschüttert. Hier war es die Kirche, die, weil ihr der Zehnt von allen Feldfrüchten zustand, auch den Kartoffel- zehnt forderte. Demgegenüber standen die Gemeinden auf dem Standpunkt, der Ertrag eines Brachfeldes könne nicht zehntpflichtig sein. So strengten die Pfarrer 1752 einen Prozess gegen ihre Gemeinden an. Leider ist über den Ausgang des Rechtsstreits nichts überliefert.. Solche Prozesse beweisen jedoch, dass der Kartoffelanbau um 1750 schon bedeutend gewesen sein muss.
Allen Hindernissen zum Trotz wurde der Anbau der Kartoffel weltweit über kurz oder lang zu einer der Hauptanbaufrüchte, wobei Russland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert mit 25% der Weltkartoffelernte der größte Kartoffelerzeuger der Erde war. Die Kartoffel war im18., 19. und 20. Jahrhundert, vor allem auf dem Land, man kann schon sagen das Hauptnahrungsmittel überhaupt. Sie hat der Bevölkerung über so manche Notzeit verholfen. Es war deshalb üblich, dass sich in Deutschland die meisten Familien über den Winter einen Vorrat an Kartoffeln zulegten. Besonders in Nachkriegszeiten wurde jedes Stück Land auch in den Gärten und Parks genutzt, um Kartoffel anzubauen. Wenn in der Gegenwart (2016) der Kartoffelanbau nur noch in bestimmten Regionen und von speziellen Kartoffel- Bauern erfolgt, bleibt sie - meist auch veredelt - ein beliebtes Nahrungsmittel, ein gefragter Rohstoff für gewerbliche Zwecke und für die Verfütterung.

Quelle: Thüringer Zeitung März/1998 – Henneberger Heimatblätter 12/1928

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen