Samstag, 23. Mai 2015

Die Herrschekloese in Gethles (von CA)

Gethles
In Gethles ist - neben anderen - der uralte Brauch der Herrschekloese erhalten geblieben oder er ist irgendwann wieder aufgelebt. Obwohl unsere Region zu Thüringen gehört, sind Brauchtum und Sprache fränkisch geprägt, denn das Dorf ist eine fränkische Gründung. Auch der Name Herrschekloese kommt aus der ostfränkisch- hennebergischen Mundart, ist ein reines Dialektwort und damit nur schwer ins Hochdeutsche zu übersetzen. Name und Aussprache bedürfen deshalb einer Erläuterung: „Herr Sankt Nikolaus“ soll die Ursprungsform von Herr- sche- kloes und von dessen Namen hergeleitet sein. Nach Meinung von W. Köhler (Ratscher) ist es sehr wahrscheinlich, dass im Wortstamm „Herrsche“... eine Verballhornung des Wortes „heischen“ zu sehen ist, was lt. Duden so viel wie fordern, verlangen, bitten bedeutet. Das angehängte Wort ...„kloes“ oder ...„kloas“ kommt von Nikolaus.
Herrschekloese
Also könnte man übersetzen: „Heischender Nikolaus“. Aber eine solche Wortschöpfung ist im Hochdeutschen nicht bekannt. Bei der Aussprache des Wortes Herrschekloes - entsprechend dem Gethleser Zungenschlag- werden „o“ und „e“ am Ende für sich gesprochen, also nicht als „ö“, bzw. wird das „e“ hinter dem „o“ nur leicht betont oder man verschluckt es ganz. Auch der Suhler Mundartdichter und Sprachenforscher J. Kober bezeichnete den Nikolaus oder Ruprecht und auch die ströhernen Gesellen in Gethles als Herrschekloese, wobei in den wenigen fränkischen Ortschaften, in denen sie ebenfalls noch auftreten, je nach örtlichem Dialekt, Herrschekloas, Herrscheklos, Herrschekloasch oder ähnlich genannt werden. Die Schreibweise Herrschekloes findet sich auch im Begleitheft des Instituts für Deutsche Philologie der Universität Würzburg zur Wanderausstellung „Heimat und Arbeit in Thüringen und Franken“.
In jedem Jahr im Advent beginnt in halb Europa eine Zeit uralter Riten und geheimnisvoller Bräuche und das Dorf Gethles, wo der Brauch der Herrschekloese wie nachfolgend beschrieben zelebriert wird, gehört dazu: Am 23. Dezember haben die Herrschekloese ihren großen Auftritt:
Alle Jahre wieder...
Wenn es Nacht wird, durchziehen in Stroh eingebundene Jugendliche das Dorf. Ihre Gesichter haben sie hinter einer Maske verstecken, damit man sie nicht erkennt. Über den Kopf haben sie einen bis zu 1 Meter hohen „Storm“ gestülpt, der die Form einer großen Zuckertüte hat, die mit Papierstreifen beklebt ist. Lärmend, mit Ruten um sich schlagend gehen sie von Haus zu Haus. Dabei geben sie tiefe, rollende, furchterregende und drohende Laute von sich: Rrrr, Rrrr, Rrrr tönt es aus ihren Kehlen. Am Körper tragen sie dumpf klingende Schlitten- oder Kuhglocken, die sog. „Rollen“. Einige Strohmänner, die sog. „Schleicher“, tragen diese jedoch nicht. Fast lautlos durchstreifen sie das dunkle Dorf, spüren Jugendliche auf, die sich außerhalb der Häuser verstecken. Für diese ist es eine Herausforderung, den ströhernen Gesellen einen Streich zu spielen, mit ihnen ihren Schabernack zu treiben, sie bei ihrem Umzug im Dorf zu ärgern und zu stören.
Kinderschreck?
Wehe, sie lassen sich erwischen... Den Zug durchs Dorf begleiten Männer - sog. „Batscher“ - die mit Fuhrmannspeitschen in die Nacht hinein knallen. Das gruselige und gespenstische Szenario beim Auftritt der Herrscheloese, noch dazu bei abgeschalteter Straßenbeleuchtung, ist gewollt. Sie verschaffen sich so bei den Einwohnern, Kindern und Jugendlichen den nötigen Respekt und schüchtern sie ordentlich ein. Leider ist wahrscheinlich heute das Geheimnisvolle und ein bisschen „Schiss“ vor den Strohmännern nur noch bei den Kindern vorhanden; obwohl das auch ein Trugschluss sein kann.
2 Stunden einbinden...
Zuvor hatte es stundenlang gedauert und viele Helfer waren nötig, bis die 10 oder 12 jungen Burschen in Stroh eingebunden waren. Das geschieht heute immer in der Scheune auf dem Reinhardts-Hof beim Scholzekann (= Schulzen Johann) im Oberdorf. Früher im jährlichen Wechsel auch in der Scheune des Bauern Ehrsam. Nach Einbruch der Dunkelheit kommt dann der Zug der Herrschekloese aus der sog. „Höll“, einem Hohlweg, der auf den Dorfplatz führt. Sie umkreisen ihn drei Mal und auf ein Zeichen des anwesenden Dorfschulzen ziehen sie die Dorfstraße entlang, um an die Türen der Häuser zu pochen. Ab diesem Zeitpunkt ist es Zeit für alle, die sich noch im Freien aufhalten, schleunigst in den Häusern zu verschwinden oder aus der Reichweite der Ruten zu kommen. Zum Umzug der Herrschekloese gehört auch die sog. „Hollefraa“.
Hollefraa
Das ist ein in Frauenkleider (einer alten Tracht) steckender Bursche, der vor dem Gesicht eine Hexenmaske trägt und ein kreischendes hohes Jii, Jii, Jii, ertönen lässt. Auf dem Rücken trägt sie eine „Kütze“ (Huckelkorb), in der früher Nüsse waren, heute außerdem mit Lebkuchen, Apfelsinen und anderen Süßigkeiten gefüllt ist. Damit beschenkt sie Kinder, die mit einem Gedicht oder einem kleinen Gebet die Herrschekloese milde stimme können. Früher war es gang und gäbe und galt unter den Jugendlichen als besonders mutig, den Strohmännern wenig schmeichelhafte und derbe Verse vorzutragen, auch wenn man hinterher seinen blauen Rücken kühlen musste. Auch wenn Kinder, nach Meinung der Eltern, das Jahr über nicht folgsam und unartig waren, bekamen sie schon mal eins auf den verlängerten Rücken. Natürlich ist das heute nicht mehr so. Da hilft meist schon eine energische Drohgebärde der nicht gerade zimperlichen, wilden Gesellen. Vielfach wird noch heute von Eltern gegenüber unfolgsamen Kindern der „erzieherische“ Satz gebraucht: „Warte nur bis die Herrschekoese kommen!“ Erwachsene versuchen auch mit einem Glühwein oder Schnaps die Herrschekloese zu beeinflussen.(Der in anderen Dörfern, wie z. B. Schnett, geübte Brauch, dass einige Schläge auf den Rücken der Erwachsenen, viel Glück im neuen Jahr bringen sollen, ist hier nicht bekannt.) Die Herrschekoese wurden und werden für ihr Auftreten meist reichlich belohnt. Früher gaben die Bauern Naturalien wie Speck, Würste, Eier, Kuchen oder Plätzchen, mitunter auch etwas Geld, das dann gemeinsam im Wirtshaus auf den Kopf geschlagen wurde. Heute, wo im Dorf kaum noch geschlachtet wird, geben die Einwohner meist einen kleinen Geldbetrag. Mit dem Geld wird am Ende des Umzugs eine Tanzveranstaltung im Festzelt finanziert.
Bis auf dieses Tanzvergnügen hat sich an dem uraltem Ritual wenig geändert. Aber durch Presse und sogar Fernsehen(1) propagiert, ist in den letzten Jahrzehnten aus diesem Brauch ein kleiner Volksauflauf oder gar ein Volksfest geworden. Bekannte und Verwandte besuchen aus diesem Anlass Angehörige im Ort, um das Spektakel mitzuerleben. Auch viele Jugendliche und Einwohner aus der Umgebung, wollen sich die Vorgänge an diesem Abend im Dorf nicht entgehen lassen und am Tanzvergnügen teilnehmen. Neuerdings können sie sich bei diesem Treiben in der alten Mosterei Glühwein, Bock- oder Bratwürste schmecken lassen.
Vor dem Auftritt
Der Ursprung dieses Brauches liegt im mythischen Dunkel der Geschichte und es ist leider nicht überliefert, seit wann und warum genau dieser Winterbrauch in Gethles zelebriert wird. Tatsächlich sind stichhaltige Abhandlungen auch in der heimatkundlichen Literatur oder Veröffentlichungen über diese Rituale, wie sie in der Advents- und Weihnachtszeit auch in Siegritz, Schnett, Königshofen und in über ein Dutzend Orte in Franken oder anderswo ablaufen, nur dünn gesät und es gibt auch unter Experten noch unterschiedliche Meinungen über die Herkunft und den Sinn dieser Bräuche.
Meist werden sie jedoch mit den abergläubischen Raunächten in Verbindung gebracht. Den 12 Nächten zwischen dem 25. Dezember und den 6. Januar, wo sie lt. Universität Salzburg tatsächlich ihren Ursprung haben. Sie galten im Volksglauben als unheimlichste Zeit des Jahres, weil sie die Differenz zwischen dem kürzeren Mond- und den längeren Sonnenjahr bilden. In dieser Zeit befragte man Orakel zu Wetter, Glück und Unglück im neuen Jahr und es gab auch besondere Verhaltensregeln für die abergläubische Bevölkerung.
Die viel geäußerte Vermutung es könnte sich in Gethles um einen Brauch germanischen Ursprungs aus vorchristlicher Zeit der Wintersonnenwende handeln, mit der nun die dunklen Nächte der täglich höher steigenden Sonne weichen müssen, wird deshalb für abwegig gehalten. Ethnologen sind der Meinung, dass es keine Belege für einen Zusammenhang zwischen germanisch- heidnischen und den heutigen Bräuchen gibt. Die meisten stammen erst aus dem 15. Jahrhundert. Hier im Ort hat sich bekanntlich die Meinung verfestigt und durchgesetzt, dass mit diesem Brauch am 23. 12., Geister und Dämonen sowie das Böse der langen Winternächte aus dem Dorf vertrieben werden sollen. Sind diese dann davon gejagt, ist ab Heiligabend Ruhe in der Gemeinde eingekehrt und so eingestimmt, steht dem Weihnachtsfest nichts mehr im Wege.
Glaube und Aberglaube in der Advents- und Weihnachtszeit sowie in den 12 Heiligen- oder Rau- Nächten, sie gehen noch heute fließend ineinander über. Nur langsam hatte sich der Wechsel von heidnischen Glaubensvorstellungen zum Christentum vollzogen und in Hinblick auf das örtliche Brauchtum und manchen Aberglauben unter den Menschen scheint dieser Wechsel noch immer nicht völlig abgeschlossen zu sein.
Perchten
Wissenschaftler der Universität Salzburg gingen der Frage nach: „Was sind das überhaupt für Geister, die da in den dunkelsten Nächten des Jahres von Polen bis Portugal als „Wilde Jagd“ oder eben als Herrschekoese durch Ortschaften und Fluren ziehen? Und das nicht nur hier bei uns und in Franken, sondern auch in ähnlicher Verkleidung und Gestalt in vielen Gemeinden Süddeutschlands und den Alpenländern. wo die „Perchten“, „Tschäggättä, „Klökklern“, „Schnappviecher“ und wie sie alle heißen, auftreten. Auch sie in Stroh eingebunden, vielfach verkleidet, auch im Fellkostüm, mit Glocken behangen und mit furchterregenden Teufelsmasken vor dem Gesicht. Dabei laufen von Ort zu Ort ganz unterschiedliche Zeremonien ab.
Buttnmandln
Zum Beispiel, ähnlich den Herrschekloesen: In Stroh eingebunden und Kuhglocken tragend, die „Buttnmandln“ in Berchtesgaden. Mit wildem Gefolge und mit ohrenbetäubendem Lärm sollen sie die Dämonen des Winters und überhaupt alles Böse vertreiben. Mit ihrem ungezügelten Treiben in den Raunächten jagten sie so manchen kreuzbraven Bürger einen gehörigen Schrecken ein, so dass es auch der Kirche zu viel wurde. Waren doch maskierte und zügellose Untertanen der Kirche und der Obrigkeit schon immer suspekt. Konnte man sie auch nicht ganz verbieten, verlegte die Kirche den Brauch kurzerhand von den abergläubischen Raunächten in den Advent und brachten den Heiligen Nikolaus mit ins Geschehen.
Tschäggättä
Dem entsprechend wurden nicht alle, aber viele derartigen, ungezügelten Umzüge „reformiert“. So, wie man an Stelle eines heidnischen Kultplatzes meist eine Kapelle oder Kirche setzte. Mitunter nun inmitten der wilden Gesellen mit ihren Teufelsmasken, der Heilige Nikolaus.
Oder auch in der Steiermark (Bad Mitterndorf), wo junge Burschen heute für einen Nikolausbrauch kunstvoll in Stroh eingebunden werden, die Peitschen knallend und mit großem Lärm durch den Ort ziehen und in Gasthöfen ein altes Jedermannspiel aufführen, Geschenke verteilen, aber auch Almosen für sich fordern.
Ein Vergleich dieser Gestalten mit unseren Herrschekloesen ist durchaus möglich, denn es ist lt. Universität Würzburg in unserer Region ähnlich abgelaufen. In den meisten Dörfern, die eine fränkische Gründung nachweisen, gab es einst und schon sehr früh - von der kath. Kirche anfangs geduldet - diese archaischen Bräuche, die dann auf Drängen der Kirche verändert, d.h. christianisiert oder abgeschafft wurden, in etlichen Dörfern dann aber wieder auflebten.
Schnappviecher
Alle diese Brauchtumsfiguren hatten und haben gemeinsam, dass sie von Haus zu Haus gehen, dass dort evt. noch derbe Sprüche vorgetragen, aber immer Almosen gefordert werden. Meist gebärden sich die unheimlichen Gestalten zur Einschüchterung wild und ungebändigt, mahnen zu christlichem Verhalten und freizügigem Geben. In den Alpenländern werden solche Veranstaltungen und Umzüge in der Adventszeit als christliche „Heischebräuche“ bezeichnet. Sie waren schon in früher Zeit weit verbreitet und brachten ärmeren Leuten ein Zubrot. In dieses Konzept der Heischebräuche passen auch unsere Herrschekloese oder wie sie anderen Orts auch immer genannt werden. Sie haben womöglich nichts mit einer Herrschaft oder einem Herrn zu tun, sondern es sind lediglich heischende, = fordernde, verlangende, bittende Gesellen, die heute im Advent und unter dem „Deckmantel“ des Nikolaus Nüsse oder kleine Geschenke verteilen, aber mit ihrem bizarren und wildem Auftreten eine abergläubische Aufgabe erfüllen ( in Gethles: Geister vertreiben) und dafür Almosen erbitten oder fordern.
Ethnologen der Uni Salzburg sehen darin die simple und nahe liegende Erklärung für das Entstehen und den Ursprung dieser Bräuche: Es waren die ärmeren Leute in den Dörfern, die sich eingedenk ihrer wilden Urahnen oder Überlieferungen, solche Spukgestalten ausdachten. Schließlich haben sich junge Burschen, Hirten, Holz- und Hofknechte in den Raunächten in Stroh eingebunden oder verkleidet wie sie eben konnten und ihr Gesicht hinter einer Maske versteckt. Man wollte nicht als armen Teufel erkannt werden. Mit ihrem materialistischen Auftreten sammelten sie Speck, Würste, Eier und andere Schleckereien von den reichen Bauern, die vor Weihnachten meist ein Schlachtfest feierten. Als Gegenleistung wurde das Böse aus den Häusern und Ställen der Bauern vertrieben. Diese nahmen diese „Dienstleistung“ in ihrem Aberglauben auch gerne an, ließen die wilden Gesellen ins Haus und belohnten sie reichlich. Schon um sie nicht zu verärgern. In jüngerer Zeit wurden hier die gespendeten Nahrungsmittel dann gemeinsam im Wirtshaus oder aber in der Lichtstube verzehrt.
Der Brauch war anfangs - man kann dabei bis ins 15./16. Jahrhundert zurück gehen - sozusagen eine legitimierte Form des Bettelns. In der Ursprünglichkeit derartiger Gepflogenheiten hatte der Nikolaus jedoch noch keinen Platz. Um den Forderungen der Kirche nachzukommen wurde der Brauch auch in Franken in den Advent verlegt und nannte vielerorts die maskierten ströhernen Gesellen einfach Herrschekloese, die nun für ihre „Dienstleistung“ nicht nur etwas forderten sondern als Nikolause auch die Kinder beschenkten oder – bestraften.
Ähnliche Gepflogenheiten gab es in Gethles bis ca. 1940 als Fasnachtsbrauch und wenn in der Nachbarschaft geschlachtet wurde. Verkleidete und maskierte Kinder oder Jugendliche – auch sie wollten nicht erkannt werden – gingen im Dorf umher und „erbettelten“ bei diesen Gelegenheiten mit einem kleinen Gedicht eine kleine Gabe. (Fleischbrühe, Schnitzfleisch, Würstchen, Plätzchen usw.) Dazu deklamierten sie: „Ich bin ein kleiner König, gebt mir nicht zu wenig....“
Ein heidnischer Brauch
Um diesen Brauch der Herrschekloese zu pflegen, als gelebtes Kulturerbe zu bewahren und an kommende Generationen weiter zu geben, hat sich 2007 ein örtlicher Verein unter Vorsitz von Ronny Köppen gegründet. Er hat gegenwärtig (2013) 10 Mitglieder. Der Verein will diese alte Tradition erhalten, aber auch attraktiver gestalten und möchte dabei einen Konsens finden zwischen Brauchtum und Moderne, ohne dass der Brauch vordergründig kommerziell vermarktet wird.
Leider sind heute die Orte, in denen er so oder so ähnlich aktiv gelebt wird, nur noch an einer Hand abzuzählen. Erfreulich ist deshalb, dass in den letzten Jahren ein Wiederaufleben von alten Bräuchen zu beobachten ist.

Anmerk. (1)
Der Fernsehfunk der DDR produzierte schon 1989 über den Brauch und das Spektakel der Herrschekloese einen ersten kleinen Film für das Mittagsmagazin. Redakteur war Hans- Joachim Heß, der aus Gethles stammt.

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