Samstag, 26. Oktober 2019

Geschichte von 1815 bis 1900 am Beispiel der Stadt Suhl (von C.A.)


Suhl: im Zentrum Europas oder am A... der Welt?
Es gibt stille, verträumte Meeresbuchten, deren Wasserspiegel sich nur im Winde kräuselt, wenn draußen auf dem Ozean die Wellen der Hochsee stürmisch dahin rollen. Wenn aber die Meereswogen mit Wucht auf den Strand treffen, dann lassen sie meist nur Trümmer zurück.
Nicht anders verhält es sich mit der Geschichte vieler Landschaften, kleiner Städte und Ansiedlungen, die abseits der großen Straßen liegen. So unterbrechen dann schwarze Tage, die beschauliche Ruhe einer Region, einer Ortschaft, indem die Weltgeschichte mächtig über sie hinweg geht. So auch am St.- Gallus-Tag 1634 in Suhl, als die Kroaten die Stadt abgebrannt haben. Solche Tage bilden Marksteine in der Lokalgeschichte. Der Chronist unterbricht die Aufzeichnungen des Alltagsgeschehens, um solche Taten für die Geschichte festzuhalten.
In diesem Aufsatz ist der Ausgangspunkt für die Geschichte der Stadt Suhl die Zeit der Befreiungskriege. Von allen kämpfenden Staaten hatte Suhl Truppen in seinen Straßen gesehen: Franzosen, Rheinbündler, Preußen und Russen. Sogar das russische Hauptquartier unter Kaiser Alexander hatte zeitweise in Suhl Quartier bezogen. 30 Suhler hatten zudem im sächsischen Kontingent bis zur Schlacht von Leipzig unter der französischen Flagge gekämpft. Der Friedensvertrag löste nun nach langen Verhandlungen in Wien, die Region um Suhl und Schleusingen aus dem sächsischen Staat heraus und schlug sie dem jungen, aufstrebenden Staat Preußen zu.
Erbsymbol: Franken, Henneberger
und Sachsen
Fast 250 Jahre hatte Henneberg zu Sachsen gehört, das aber mit diesem Gebiet, das von seiner Herkunft her fränkisch war, nichts Rechtes anzufangen wusste. Wesensfremd musste auch den Menschen in der Region der neue Staat erscheinen. Nichts verband sie mit dem Staat der norddeutschen Ebene, der nunmehr auf den Südhang des Thüringer Waldes Fuß fasste. Aber schnell hatten die Einwohner hier, die bisher behaglich auf dem sanften Kissen des alten Herkommens geruht hatten, das frische Leben dieses neuen Staates angenommen.
Schnell wurde das Gerichtswesen dem preußischen Vorbild angepasst und die Verbindung von staatlichen und kommunalen Verwaltungsbehörden mit der Justiz beseitigt. Es galt fortan das preußische Landrecht und zum Entsetzen der Menschen erlebte man die Einführung der allgemeinen in Preußen geltenden Wehrpflicht. Es verschwanden auch die Steuer-, Laub-, Kronen-, Spezistaler, die Schleusinger oder Suhler Bauruten, Metzen, Achteln, die Suhler Ohm und Eimer, und man musste sich daran gewöhnen, nach preußischem Münz-, Maß- und Gewichtssystem zu rechnen. Wenig beliebt waren auch die neuen preußischen Steuern, die Suhl als eine wohlhabende Stadt auferlegt wurden.
In der Tat erfreute sich Suhl mit seinen damals 5685 Einwohnern eines recht ansehnlichen Wohlstands. Gab es doch schon seit Jahrzehnten Krieg in aller Welt. Daher waren Waffen gefragt und der neue Landesherr war darauf bedacht, die weit und breit bekannte, ja in aller Welt berühmte Suhler Waffenindustrie zu fördern.
Von der gut florierenden Waffenproduktion profitierte auch die Stadt Suhl selbst. So konnte man endlich ein schon vor Jahren begonnenes Werk zu Ende führen. Am 28. September 1817 wurde das obere Rathaus eingeweiht, das seit dem Brand 1753 in Schutt gelegen hatte. 1820 entstand auch der neue Marktbrunnen, der 600 Taler kostete und von dem man hoffte, dass er Hunderte von Jahren stehen würde. Der Wunsch ging allerdings nicht in Erfüllung.
Heimkehr der Freiwilligen...
Sujet von 1833, M.D.Opperheim
Bestehen blieb unter all den Neuerungen die alte Stadtverfassung. Es blieb damit zunächst der von der Behörde der Stadt eingesetzte Justizamtmann v. Schellwitz auch als Bürgermeister im Amt. Neben ihm stand der auf Lebenszeit gewählte Rat von 12 angesehenen Bürgern. Sie wurden vertreten durch den Bürgermeister, den vier Gemeindevormündern und den fünf Viertelsmeistern. Aber nur die Einwohner, die das Bürgerrecht besaßen, durften wählen. Die anderen waren die „Mietlinge“ oder „Hintersättler,“ die kein Anrecht auf Gemeindenutzungen hatten, dafür aber von gewissen Lasten befreit waren, wie z.B. die Pflicht Nachtwache zu halten. Erst 1838 wurden festbesoldete Nachtwächter eingestellt. Sie bekamen im Jahr 26 Taler, 24 Silbergroschen und 7 Pfennige.
Suhl war zu dieser zeit noch eine kleine, vom Verkehr und der Politik weitab liegende Stadt, in der neben den Gewerken aber auch noch viel Landwirtschaft betrieben wurde. Ruhig und friedlich verlief der Alltag. Die Folgsamkeit gegen König und Obrigkeit, hatte der letzte kursächsische Aufsichtsbeamte der Region, Freiherr von Seckendorff, als einen schönen Zug des hennebergischen Nationalcharakters gepriesen. Etwas von der Müdigkeit, die das ganze deutsche Bürgertum nach den schlimmen Jahrzehnten überkam, war auch in Suhl anzutreffen.
Nur die Webergesellen machten mit einem Tumult 1823 von sich reden, als sie einen Berufsgenossen gewaltsam aus der Fronfeste (Gefängnis) befreien wollten. Nichts hören wir aber sonst von einer Teilnahme an den allmählich einsetzenden geistigen Bewegungen des Bürgertums, die auf mehr Mitspracherecht abzielten. Man schickte zwar einen Abgeordneten, den Senator Nicolas Ruck, in die bald als unzulänglichen erkannten Provinzialstände nach Merseburg, erfuhr aber von all den Revolutionen in Frankreich, Belgien, Polen und Sachsen lediglich aus der Zeitung.
Die meisten Einwohner waren damals noch mit der
Landwirtschaft verbandelt
Wichtiger war den Vorfahren vielmehr die Ausfälle bei den Ernten. Besonders die Kartoffelernte spielte das ganze Jahrhundert hindurch in allen Berichten eine wichtige Rolle. Denn Suhl lag noch immer sozusagen „aus der Welt“. Seine Zugangswege waren bei allen Fuhrleuten gefürchtet. Ein Fuhrwerk soll, so wird berichtet, für den Weg von der Stadt bis zum Fröhlichen Mann, oft einen ganzen Tag gebraucht haben. So blieb die Stadt auf sich und die nächste Umgebung angewiesen. Fiel die Ernte schlecht aus, dann hatte es große Schwierigkeiten Nahrungsmittel aus reicheren Gebieten herbei zu schaffen. Darum rühmte man auch in Suhl lange Zeit den Kommissar bei der Gewehrprüfungskommission, Baron v. Kurowski-Eichen, genannt Erbsenbaron, dem es gelang im Hungerjahr 1817 Hülsenfrüchte für Suhl zu besorgen.
Die preußische Straßenpolitik war es endlich, die Suhl einen besseren Anschluss an die große weite Welt verschaffte. Preußen, das auf die Beseitigung aller innerdeutschen Zölle hinarbeitete, brauchte eine Straße über den Thüringer Wald hinüber nach Franken und weiter nach Bayern und Württemberg. Gaben sich doch die mitteldeutschen Staaten die größte Mühe den natürlichen Austausch zwischen Nord und Süd durch hohe Zölle zu unterbinden. Durch Verhandlungen mit Sachsen-Coburg-Gotha kam aber eine Einigung über den Bau einer zollfreien Straße nach dem Süden zustande. Es ist die Straße von Gotha über Oberhof, Zella-Mehlis, Suhl, Schleusingen, Hildburghausen nach Coburg. In Zella zweigte eine Straße nach Meiningen ab. Im Dezember 1829 wurde das Stück von der Struth bis zum Friedberg begonnen. 1831 konnte es dem Verkehr übergeben werden. Suhl gewann erst jetzt die Möglichkeit, seine Erzeugnisse ohne Zölle aus- und andere Waren einzuführen.

Auch konnte die Postverbindung auf je zwei wöchentlich verkehrende Schnellpostkutschen und zwei Fahr- und Reitpostler gesteigert werden.
Nach der revidierten preußischen Städteordnung wurde im Jahr 1831 auch in Suhl die städtische Selbstverwaltung eingeführt, die bis 1851 gültig blieb. 18 Stadtverordnete, zwei besoldete und zwei unbesoldete Magistratsmitglieder wurden gewählt. Bürgermeister wurde Justiz- Kommissar Moritz August Weiß aus Dresden, mit einem jährlichen Gehalt von 700 Talern und freier Wohnung.
Jahre friedlicher Entwicklung folgten. 1831 wurde in Suhl eine Straßenbeleuchtung mit 70 Lampen installiert. In jedem Monat wurden die Öllampen jedoch 10 Nächte nicht angezündet, weil dann der Mond die Beleuchtung übernahm.
Still verschwand 1838 das Bergamt aus Suhl. Ein uralter Erwerbszweig, der Bergbau, war aufgegeben worden, der einst den Ruhm und die Grundlage für die Waffenindustrie begründete. Die nun weiter ausgebauten Verkehrswege, die einen leichteren Bezug von Eisen von außerhalb ermöglichten, aber auch ein bestimmter Holzmangel, ließen die nur noch wenig Gewinn abwerfenden Bergwerke eingehen.
Ansicht Suhls (die und weitere von German Hunting Guns)

Eine andere wichtige Industrie folgte: Die Barchent - und Kattunweberei. .Jedoch wurde durch die Kontinentalsperre die Rohstoffzufuhr erschwert. Die heftigen Zollkämpfe nach den Befreiungskriegen nahmen ihr, besonders durch das unfreundliche, preußenfeindliche Verhalten Kurhessens, auch noch das Hauptabsatzgebiet am Niederrhein. So ging die Zahl der Webstühle dauernd zurück und 1831 arbeiteten in Suhl nur noch 282 Stück, Viele Weber erschienen bald in den Unterstützungsverzeichnissen der öffentlichen Wohlfahrtspflege. Es war die Zeit, in der auch der mechanische Webstuhl in Deutschland Einzug gehalten hatte. Besonders in Sachsen entstanden nun moderne und große Webereien. In Suhl aber misslang trotz mehrfacher Versuche die Umstellung auf die neue Technik und Fabrikationsmethode.
Auch die Art der Herstellung von Waffen entsprach bald nicht mehr dem industriellen Fortschritt. Die in der ganzen Stadt zerstreute handwerksmäßige Anfertigung der Waffen machte große Schwierigkeiten So ließ das preußische Interesse an der Erhaltung und Förderung der Suhler Waffenindustrie merklich nach und die Staatsaufträge gingen zurück. Nur wenn irgendwo in Europa ein Unruheherd entstand, wusste man wo Suhl zu finden war und mit Tempo setzte die Militärwaffenerzeugung wieder ein. Das ganze Jahrhundert hindurch wechselten sich Zeiten mit großen Arbeitsaufträgen und Zeiten schwerer Arbeitslosigkeit und schlimmer Not ab. Ein Wesenszug der Waffenproduktion, der ihr noch lange anhaften sollte.
Wappenkunde: Suhl von Schuh-sohle!!!

So bot Suhl kein erfreuliches Bild in jenen Jahren auch unter den Preußen. Es war auch eine Zeit der Neuorientierung für ganz Deutschland, die Industrialisierung erlebte einen weiteren Schub. Die neuen großen Industriezentren fingen an, in der Nähe und Nachbarschaft von Kohle und Eisen, mit Hilfe der modernen Verkehrsmittel ihre wirtschaftliche Macht zu entwickeln. Suhl aber lag abseits der neuen deutschen Verkehrszonen und nur die unregelmäßig einlaufenden Staatsaufträge vermochten noch eine Zeitlang über die Verschiebung der wirtschaftlichen Lage hinwegzutäuschen.
So nahte das Sturmjahr 1 8 4 8 heran. Gerade um Suhl hatte man nach den stürmischen Tagen in Berlin ernste Bedenken. War es doch wegen der Getreideverteuerung bereits im Jahr zuvor zu einem Sturm auf zwei Mühlen gekommen. Besonders aber fürchtete man sich, dass Suhl eine Art Waffendepot für Aufständische werden könnte. Aber wegen der für dieses Jahr eingegangenen Staatsaufträge und der damit verbundenen guten Beschäftigung, blieb es in Suhl ruhig. Auch die zunächst sehr zahlreich besuchten stürmischen Volksversammlungen verloren im Laufe des Jahres merklich an Interesse.
Im nächsten Jahr waren die Staatsaufträge erfüllt und die Arbeitslosigkeit und Not setzte wieder ein. Die Zahl der Gewehrarbeiter ging von 774 auf 390 zurück. Es begann die Auswanderung vieler Familien nach Amerika. Suhl verlor in den folgenden Jahren fast 1000 Einwohner. Damals erwarb sich der Kreisgerichtsrat Keferstein als Wohltäter Suhls, große Verdienste um die arbeitslose Bevölkerung der Stadt. Noch heute wird er mit einer Tafel am Domberg geehrt.
Unter der Unruhe und Sorge der Zeit ging auch die Neuordnung der städtischen Selbstverwaltung einher. Nach dem Gesetz vom 11. März 1850 und dessen Abänderung vom 30. Mai 1853, war es dann bis in den 1. Weltkrieg hinein gültig Diese Änderungen in der Stadtverwaltung erfolgten ohne großes Interesse der Bürger. Ja, das Interesse an öffentlichen und städtischen Belangen war so gering, dass im Jahr 1856 von 532 eingetragenen Wählern, gerade 4 ihr Wahlrecht ausübten.
Suhler Waffen: Markenzeichen und Unheilsbringer

Ständig stiegen die Anforderungen, die an die Stadt gestellt wurden, gleichzeitig gingen die Einnahmen zurück. Dazu kam eine Reihe schlechter Ernten. Die überhand nehmende Straßenbettelei in Suhl rief den Armenpflegeverein ins Leben. Vorübergehend brachte der Krimkrieg Nachfrage nach Waffen, weil auch ein großer europäischen Krieg möglich war. Sogar Belgien kaufte Gewehre in Suhl. Aber noch immer gab es Auswanderungen nach Übersee. Daneben gingen viele Suhler nach Sachsen in die entstehenden Zuckerfabriken oder in die Landwirtschaft, auch in weiter entfernteren Gegenden. Mit dem österreichisch - sardinischen Krieg begann für Suhl eine bessere Zeit. Vor allem aber brachte der Krieg der Nordstaaten in Amerika gegen die Südstaaten, die zur Aufhebung der Sklaverei gezwungen wurden, von 1861 an eine fieberhafte Tätigkeit. Agenten deutscher, englischer und französischer Exporthäuser erschienen in Suhl und rissen sich um die fertigen Gewehre. Anschließend zwang die sich abzeichnende Spannung zwischen Preußen und Österreich die deutschen Mittelstaaten, ihre Waffenbestände zu ergänzen und gute Aufträge nach Suhl zu geben.
Für die Suhler Eisenhütte kam allerdings das Ende. Der Mühlwiesenhammer und der Lauwetterhammer wurden zu Porzellanfabriken umgebaut. Auch der Weberei ging es schlecht. 60 bis 80 Weber wurden von der Stadt unterstützt, die Auswanderung hörte dadurch aber nicht auf. Im Waffengang mit Dänemark 1864, wurden in Suhl nur wenige Gewehre eingekauft, das lähmte auch die Kauflust der Bürger.
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Für Suhl brachte das Jahr aber eine große Neuerung . Die 80 Lampen der Straßenbeleuchtung wurde auf Gas umgestellt. Ein Herr Theodor Weigel aus Arnstadt hatte eine Gasfabrik erbaut, die später von der Thüringer Gasgesellschaft übernommen wurde. Von neuem lähmte der Krieg mit Österreich 1866 die Wirtschaft. Nur langsam gewann man auch in Suhl Zutrauen zur Politik Bismarcks, die schnellen Siege brachten den Umschwung.
Mit Kriegsausbruch hatte Preußen seine Aufträge in Suhl zurückgezogen, weil es seine entlegene Waffenwerkstätten nicht wirksam schützen konnte. Und in der Tat besetzten am 30 Juni 1866 feindliche bayerische Truppen den ganzen südwestlichen Teil des Kreises Schleusingen bis zur Linie Steinbach, Breitenbach, Suhl und Benshausen . Suhl war besetzt von einem Bataillon Infanterie, eine Eskadron Reiter und einer Artillerieabteilung. Sie blieben bis zum 2. Juli morgens. Nach Eintreffen der Nachricht von der Niederlage der Hannoveraner, bei Langensalza, denen sie zu Hilfe kommen wollten, zogen sie in Richtung Meiningen und Schleusingen wieder ab.
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Die eingezogenen Suhler machten den Feldzug vorwiegend bei den preußischen Regimentern 31 und 71 sowie bei den 4. Jägern mit. Drei fielen im Kampf, vier starben an der Cholera, die die heimkehrenden Soldaten auch mit in die Heimat brachten. In Suhl erkrankten 39 Bürger, von denen 18 starben.
Die nach 1866 einsetzende deutsche Einigungspolitik brachte Suhl wieder gute Geschäfte. Das Land Baden, das damals schon gerne dem Norddeutschen Bund beigetreten wäre, bewaffnete sein Heer nach preußischem Muster.
Das Großherzogtum Hessen musste notgedrungen Preußen Gefolgschaft leisten und beide Staaten brauchten neue Waffen. Die Unzulänglichkeiten dieser Staatsaufträge hatte man aber längst erkannt. Regelmäßig folgten den Jahren der relativen Vollbeschäftigung eine traurige Periode der Arbeitslosigkeit. Die Arbeiterschaft war in einer ständigen Unruhe. Immer wieder wanderten Büchsenmacher aus. Nicht nur im Jahr 1877 kam es vor, dass 60 Waffenarbeiter auf einmal nach Russland auswanderten. Suhl schuf sich so im Ausland seine eigene Konkurrenz.
Vorbedingungen für eine bessere wirtschaftliche Grundlage Suhls musste zunächst einmal der Anschluss an das Eisenbahnnetz sein. Seit 1862 waren Bestrebungen im Gange, Suhl eine Bahn nach Grimmenthal zu verschaffen. Die Süddeutsche Bahngesellschaft, die die Werrabahn betrieb, war auch nicht abgeneigt. Ein Waggon Kohle von Dortmund bis Grimmenthal kostete 110 Mark Fracht. Die Anfuhr aber von Grimmenthal nach Suhl mit Fuhrwerk 72 M, bei schlechtem Wetter auch mehr. Man rechnete für Suhl und Umgebung eine Frachtersparnis von 23330 Talern jährlich aus, die in der Hauptsache die Lebensmittelzufuhr, auf die Suhl angewiesen war, betraf. Da kam der Krieg 1870/71 dazwischen. Suhl hatte wieder 9 Gefallene zu beklagen. Ihnen und den Toten von 1866 wurde 1873 das Denkmal am Kirchberg gesetzt.
Industrielle Revolution in den Bergen
Der Krieg hatte Suhls unzulängliche Verkehrsverhältnisse noch einmal deutlich gemacht. Rohmaterialien kamen nur schwer herein, Fertigwaren brachte man kaum fort. Aber erst im Jahre 1879 war das Vorhaben einer Bahn gesichert. Preußen, das anfing die Bahnen in Staatseigentum zu überführen, wollte selbst eine Verbindung von Erfurt aus mit dem bayerischen Netz. Suhl musste allerdings die Grunderwerbskosten übernehmen. Notgedrungen gab man nach. Denn nach den guten Jahren, hatten 1877 wieder einmal die Staatsaufträge plötzlich aufgehört. Auf dem Balkan drohte durch den Konflikt zwischen Russland und der Türkei, sich ein allgemeiner Krieg zu entwickelt. Der Waffenbedarf wurde aber bereits in den meisten Staaten in eigenen Staatsbetrieben gedeckt, so dass man Suhl nicht mehr brauchte.
Immerwährende Wahrzeichen der Stadt
Durch Notstandsarbeiten suchte die Stadt zu helfen. Eine Suppenanstalt, so wie sie auch heute wieder in vielen Städten der BRD notwendig sind, musste eingerichtet werden, um den hungernden Menschen wenigstens eine warme Mahlzeit zu verabreichen. Wieder ging die Einwohnerzahl zurück und bei den kargen Verdienstmöglichkeiten war es kein Wunder, dass auch die Auswanderung wieder zunahm. Sind es doch die Jahre, in denen die deutsche Auswanderung enorme Zahlen erreichte, bis sie in den Jahren 1881 und 1882 mit einem jährlichen Verlust von 250 000 Menschen an Amerika ihren Höhepunkt erreichte.
Vorübergehend hatte der Bahnbau, der 1884 abgeschlossen wurde, etwas Erleichterung gebracht. Dafür hatte aber die Stadt eine Schuldenlast von 500 000 Mark auf sich nehmen müssen. Erst 1896 wurden ihr davon 300 000 M erlassen, nachdem sie 200 000 M abgezahlt hatte. Dabei erforderten wichtige Kulturaufgaben einer dringenden Lösung. Noch waren in Suhl längst nicht alle Straßen in gutem Zustand., noch fehlten überall die Bürgersteige. Ein Krankenhaus musste gebaut werden. Es gab keine Wasserleitung, obwohl die unzulängliche Wasserversorgung durch Brunnen, häufig Typhusgefahr hervor rief. Die langen Holzrohrzuleitungen verlangten ständig eine teure Unterhaltung. Dazu fing die Stadt an, sich nach dem Bahnhof hin auszudehnen. Wie fast überall in Deutschland, hatte man den Bahnhof außerhalb der Stadt angelegt. Die Post verließ ihr Heim in der Poststraße und baute sich hinter der Kreuzkirche ein neues Postgebäude. Der Steinweg musste mit der Bahnhofstraße dem wachsenden Verkehr angepasst werden. Bürgersteige wurden gelegt, die Straßen gepflastert und ein weiterer Zugangsweg zum Bahnhof von der Aue her, die heutige Ellerstraße, geschaffen.
Der Marktbrunnen noch ohne Waffenschmied

Wie der Krieg 1870/71 das äußere Gerüst des Reiches verändert hatte, so verlangte auch die neue Zeit eine Neuordnung im Inneren. Der Verwaltungsbericht von 1871 erwähnt zum ersten Mal den zunehmenden Klassengegensatz als eine Kriegsfolge und die Herausbildung eines starken Kapitalismus. Die soziale Frage, an der sich auch heute noch die Parteien die Zähne aus beißen, konnten mit ihren großen Problemen nicht gelöst werden. Im Anschluss an die soziale Gesetzgebung entstand 1880 die allgemeine Ortskrankenkasse. Das bisherige Kassenwesen einzelner Berufsgruppen wurde einheitlich geregelt, die Weberkasse ganz aufgelöst. Die größeren Firmen schufen sich eigene Betriebskrankenkassen.
Noch immer hielt die schlechte Zeit an. Als gar das Reich von seiner Freihandelspolitik zu Schutz- und Finanzzöllen überging, meinte man in Suhl, dass die Gewehrindustrie überhaupt zu Grunde gehen müsste. Man hatte sich daran gewöhnt, die Jagdgewehrläufe als Damastrohre ausschließlich aus Belgien zu beziehen, weil man sie bei ihrem geringen Preis hier nicht so billig herstellen konnte. Es war das Verdienst der Firma Sauer u. Sohn, die belgischen Einfuhren durch gebohrte deutsche Stahlläufe zu ersetzen.
Die alte Schmiede der Waffenproduzenten

Mit Beginn der 1890-er Jahre wurden noch einmal größere Staatsaufträge nach Suhl vergeben. Es war die sog. „Karabinerzeit“ als das Heer mit der neuen Waffe ausgerüstet wurde. Die Stadt benutzte die günstige Lage um die Wasserleitung und die Kanalisation fertig zu stellen. Allerdings mussten auch die schweren Hochwasserschäden von 1890 in Höhe von rund 50 000 M beseitigt werden. In diese Jahre fällt auch die Errichtung zweier Elektrizitätswerke. Seit 1892 lieferten die Firmen Gebr. Luck sowie Klett u. Schlegelmilch elektrischen Strom. Im Dezember 1877 hatte die „Henneberger Zeitung“ gemeldet, dass eine staunenerregende Erfindung vorgeführt worden sei: das Telefon. Von der Fa. Siemens u. Halske erfunden und hergestellt. Schon im Jahr darauf wurde die erste Telefonleitung zwischen Suhl und Heinrichs gezogen. Aber erst am 10. November 1896 wurde das Suhler Fernsprechnetz mit 15 Teilnehmern dem Verkehr übergeben. Der Telegraph war schon 1862 in Suhl bei der Post in Betrieb gegangen, nachdem die Leitungen in die benachbarten Städte gezogen worden waren.
Ihren Grundbesitz hatte die Stadt Suhl durch das ganze Jahrhundert hindurch bewahrt. Nur 1895 kam es zu einem vieldiskutierten Waldaustausch zwischen dem städtischen Besitz am Aschenhof, Otternkopf und in der Höchstedt gegen fiskalischen Wald am Domberg.
Von den kommunalen Betrieben hatte das Holzmagazin immer wieder Zuschüsse gefordert. Ein Sorgenkind blieb auch trotz aller Verbesserungen, die städtische Brauerei. Am 14. Juli 1893 wurde sie daher von einer Kommanditgesellschaft übernommen.
Heute versperrt der Wald solche Assichten
Der Überblick über die Geschichte von 1815 bis 1900 am Beispiel der Stadt Suhl, offenbart eine schicksalhafte Verkettung mit der deutschen Geschichte. Die industrielle Revolution und die Herausbildung des Kapitalismus brachten es mit sich, dass die Arbeiterschaft schamlos ausgebeutet und mit Löhnen abgespeist wurden, von denen sie nicht leben konnten. Man könnte dafür auch eine andere Stadt in der Region zum Vergleich heranziehen. Der Anschluss an Preußen hatte unsere Region aus dem Dornröschen Schlaf geweckt, in der sie unter der sächsischen Herrschaft versunken war. Die deutsche Zolleinigung hatte besonders Suhl einen erweiterten Markt gebracht, zu dem es durch den Straßenbau einen guten Zugang gewonnen hatte. In industriellen Hinsicht hatten jedoch günstiger gelegene Gebiete Suhl in jeder Hinsicht überflügelt. Die Waffenherstellung wurde beim Absinken der anderen Erwerbstätigkeiten der Hauptfaktor im gewerblichen Leben. So wurde die Waffenindustrie die Geschichte Suhls. Aber die Waffenerzeugung war eng verbunden mit der Politik. Ihr Wechselspiel wirkte sich schroff im Erwerbsleben der kleinen Stadt aus. Als aber die so unstetig. erteilten Staatsaufträge überhaupt nicht mehr erteilt wurden, galt es, neue Waren zu produzieren und neben dem deutschen Markt sich auch ausländische Absatzmärkte zu sichern. Dafür wurde man nun wieder in alle Krisen des Weltmarkts, die oft noch durch eine deutschfeindliche Zollgesetzgebung verstärkt wurden, hineingerissen.
Die sozialistische Bezirkshauptstadt in den Achtzigern

Auch nach 1900 bis in die Gegenwart (2010) gab es ein Auf und Ab in der Geschichte der Stadt Suhl mit einer zeitweise starken und kämpferischen Arbeiterschaft. - Eine blühende Stadt, auch zu DDR-Zeiten mit all den Vorzügen einer Bezirkshauptstadt. Ein tiefer Absturz nach1989! Natürlich ist der Bekanntheitsgrad der Stadt historisch durch die hervorragende Handwerksarbeit zur Waffenherstellung geprägt. Dennoch haben auch andere Industriezweige wie Fahrzeugbau, Porzellane, Mess- u. Elektrogeräte sowie Spezialmaschinen mit ihrem hohen Qualitätsstandard dazu beigetragen, das Können der Suhler in alle Welt hinauszutragen.

Literatur: Suhler Zeitung 1930 (Beitrag: Dr. Erich Jäger)