Historiker vermuten, dass das Gemeindebackhaus nach 531 mit den Franken nach Thüringen gekommen ist. Es ist entwicklungsgeschichtlich eng an das Haufendorf mit seiner Gewannflur gebunden. Nach dieser Wirtschaftsform war nach Gründung der Dörfer, die Gesamtflur genossenschaftliches Eigentum freier und gleicher Gemeindemitglieder. Sie haben die Äcker und auch Weide und Wald gemeinschaftlich, bewirtschaftet, die Ernte geteilt. Auch sonst strebten sie im Dorf nach gemeinschaftlicher also genossenschaftlicher Organisation. Das drückte sich aus in dem durch Gemeindebeschluss geregelten gemeinsamen Arbeits- und Bebauungsplänen für die Felder (Flurzwang), die gemeinsamen Jagd- und Fischereirechte wie auch in einem genossenschaftlichen Backofen, der in den meisten der neu gegründeten Ansiedlungen in einem Gemeindebackhaus errichtet worden war.
Mit dem allgemeinen Übergang zum Lehnswesen im Laufe der Feudalherrschaft(1) vollzog sich jedoch ein grundlegender Wandel. Wenn in unserer Region auch keine Leibeigenschaft herrschte, so mussten doch die Bauern durch Zins- und Fronverpflichtungen den Besitzanspruch des Lehnsherren an Grund und Boden anerkennen. Mit dem Besitz des Bodens gingen auch die genossenschaftlichen Gerechtsame wie Weiderecht, Fischfang und Jagd an den Grundherren über - ebenso das Gemeindebackhaus. Diese hatten damit eine weitere und neue Einnahmequelle. Sie erhoben nun für die Benutzung der Backhäuser eine Gebühr in Geld oder Naturalien. Um die Einnahmen sicher zu stellen, wurde die Errichtung und Benutzung privater Backöfen für die Gemeindemitglieder verboten und damit entstand der Zwangsbackofen. Er scheint in Thüringen und Franken im Mittelalter allgemein üblich gewesen zu sein. Eine Urkunde, die das bestätigt, stammt aus dem Jahr 1349. Nachgewiesen ist aber auch, dass es in den Dörfern, die in der II. Siedlungsperiode, also nach 10/1100 gegründet wurden, bei den größeren Bauern private Backöfen betrieben wurden.
Das Backhaus, ursprünglich von den Dorfgründern genossenschaftlich zur allgemeinen Nutzung gebaut, wurde nun für die Dorfbewohner zur drückenden Last. Versuche den Backhauszwang zu umgehen führten zu Streitigkeiten mit den Lehnsherren. So hatte der Herr vom Gut Graitischen einen Backofen in der dortigen Mühle zerstören lassen, weil er sich durch ihn in seinen Rechten verletzt glaubte. Er musste ihn aber nach einem Richterspruch des Abtes vom Kloster Bürgel wieder errichten lassen. Die Mühle war nämlich Eigentum des Klosters und der Abt übte auch die hohe Gerichtsbarkeit über den Besitz des Klosters aus. Nur ein Beispiel von vielen. Auf der anderen Seite hatte der Abt dem Hans von Meusebach die Erlaubnis erteilt, auf seinem Hof frei zu backen gegen die Verpflichtung jährlich ein Rind und ein Schwein für das Kloster zu mästen. Erfüllt er diese Verpflichtung nicht, muss er wieder im Dorfbackofen des Klosters backen und dafür die geforderten Gebühren entrichten..
Die Ausdehnung des Zwangsbackrechts auch auf den niederen Adel deuten darauf hin, dass dieses Recht ursprünglich dem Landesherren zustand und nur durch Verlehnung, Verpfändung oder Kauf in die Hände der Kirche, einer Gutsherrschaft oder eines bürgerlichen oder bäuerlichen Pächters gelangt ist. Die Backhäuser wurden in gleicher Weise wie die Bauerngüter gegen Geld-und Naturalabgaben sowie Fronverpflichtungen verpachtet. Der Pächter des Zwangsbackofens in Witterda zahlte z..B an den Grundherren im Jahr 1496,40 Groschen, einen Fisch und ein Christbrot (Stollen). Außerdem stand dem Lehnsherren die Hälfte aller Backlohneinnahmen zu. Erhoben wurden z.B.für einmaliges Brotbacken: …..1 Brot
- für Fladen (flache Kuchen) und Eierkuchen je Stck: ….................................... 1 Pfennig
- für gemeine Kuchen aus Butter und Griefen sog Striezel je Stck …..................3 Eier
- für das Braten von Fleisch im Backofen.........................................................…1 Pfennig
Das Zwangsbackrecht wurde schließlich wie andere Gerechtsame auch, zur reinen Handelsware. Für bis zu 500 (!) Gulden wurden um 1595 Backhäuser verkauft. Die Besitzer kassierten zwar den festgelegten Backlohn, taten aber wenig zur Erhaltung der Backhäuser, so dass einige unbrauchbar wurden und die betroffenen Gemeinden unter Umgehung des Zwangsbackrechts einen zweiten Ofen im Dorf errichteten, was ihnen immer Ärger mit der Obrigkeit einbrachte.
Die Gutsherren, Klöster usw. - sie waren meist auch die Lehnsherren - hatten für ihren Hausbedarf meist eigene Bäcker, die unentgeltlich und in unbegrenzten Umfang kneten und backen mussten, aber auch für den Transport der Backwaren ins Gutshaus oder Kloster usw. verantwortlich waren. Der Bäcker erhielt jedoch für seinen Eigenbedarf eine bestimmte Menge Teig als Backlohn, ebenso seine Gesellen als Knetelohn.
Die lehnsrechtliche Organisation der Zwangsbacköfen blieb im allgemeinen bis ins 19. Jahrhundert hinein unverändert erhalten. Erst mit dem Ende der Wirtschaftsform der Feudalzeit Anfang/Mitte des 19. Jahrhundert, änderten sich die oben beschriebenen Zustände. Es begann der Übergang vom Zwangsbackofen wieder zum Gemeindebackhaus oder den Privatbacköfen der größeren Bauern. Meist wurden die bestehenden Backhäuser an die Gemeinden verkauft. Mitunter verpachteten diese das Gemeindebackhaus an einen Landwirt, der nebenberuflich Bäcker war oder backen konnte. Er erhielt als Backlohn je Brot einen Teller Streumehl und 15 Pfennige, von den Pferdebauern 10 Pfennige, ebenso für jeden Kuchen 10 Pfennige, außerdem zur Kirmes eine Gabe an Kuchen oder Geld, zu Weihnachten einen Stollen und beim Schlachtfest eine Schlachtschüssel von jedem Benutzer des Backofens. Alles in Allem also Reste der alten Naturalentlohnung. Die Pferdebauern mussten für ihren verbilligtem Backlohn dreimal jährlich aus dem Gemeindewald das Backholz unentgeltlich anfahren.
Erst später im 20 Jahrhundert wurden nur noch bestimmte Geldbeträge für das Backen im Gemeindebackhaus erhoben. Die Bäuerinnen oder eine Mamsell vom Gesinde waren in der Regel in der Lage Brot oder Kuchen selbst zu backen. Dafür musste ein festgelegter Betrag für die Benutzung des Backofens an die Gemeinde bezahlt werden. Sie war für den Erhalt des Backhauses verantwortlich. Die Gemeinden erließen meist eine Backhausordnung, in der festgelegt war, welche Beträge für das Backen von Brot, Kuchen und andere Nutzung des Gemeindebackofens zu entrichten waren. Festgelegt waren auch die Backzeiten und Dienste der einzelnen Familien im Ort beim Anfeuern des Ofens, beim Backen und Saubermachen hinterher. Langsam aber sicher sind dann schon vor, im und nach dem Krieg 1939/1945 die meisten Backhäuser in den einzelnen Gemeinden aufgegeben worden
Gegenwärtig (ab 1990) wird in manchen Dörfern ein großer Aufwand betrieben, alte Backhäuser und Öfen wieder zu restaurieren und großartige Backhausfeste zu feiern. Wo sich ein „Könner“ findet, wird auch wieder an bestimmten Tagen für die Bürger Sauerteigbrot oder Zwiebelkuchen gebacken. Alte Tradition lebt so wieder auf.
Ob es in Gethles nach Gründung des Dorfes - wahrscheinlich schon bald nach 1150 - ein genossenschaftliches Backhaus gab, aus dem später ein Zwangsbackofen wurde, ist nicht überliefert. Auch in der Ortschronik finden sich keine Hinweise auf die Backverhältnisse in der Gemeinde. Wahrscheinlich ist, dass die größeren Bauern im Dorf einen Privatbackofen betrieben haben und die Nachbarn dort ihr Brot oder ihren Kuchen backen konnten. Fürs 19. bis Anfang 20. Jahrhundert ist das verbürgt. Erst in den 1930-er Jahren hat dann ein Bäcker im Dorf eine Bäckerei gegründet, der ein Kolonialwarenladen angeschlossen war. Arbeiterfamilien, für die die Landwirtschaft nur noch ein Nebenerwerb war, kauften fortan das Brot und die Semmel beim Bäcker oder ließen ihre vorbereiteten Brote und Kuchen dort backen. Der Bäcker in Gethles belieferte auch umliegende Dörfer mit seinen Erzeugnissen, die kein Gemeindebackhaus hatten oder es nicht mehr nutzten. Im Nachbarort Ahlstädt z.B. konnten die Einwohner noch bis in die 1950-er Jahre hinein ihre Brote und Kuchen im Gemeindebackhaus backen.
Nicht unumstritten ist die von einigen Forschern vertretene Ansicht, dass die Slawen (hier die Sorben/Wenden) den Privatbackofen in Teile Thüringens gebracht haben. So auch in die Gegend südlich Walkenried und in die Helme-Niederung, ebenso in die sog. Erfurter Küchendörfer, aber auch in Teile Südthüringens westlich des Rennsteigs. Sie sind der Meinung, dass anfangs vor allem östlich der Saale der Privatbackofen im Dorf bestimmend war, während im Westen das Dorfbackhaus überwiegt. - Der Autor Klaus Wähler glaubt nun, diesen Gegensatz ethnisch erklären zu können. Er hält das Gemeindebackhaus für eine seit 531 von den Franken eingeführte, höher entwickelte Form des genossenschaftlichen Gemeinschaftsgeistes der Germanen, der noch von den fränkischen Siedlern gepflegt wurde.
Den Sorben/Wenden wird dagegen eine individualistische Geisteshaltung zugesprochen, die auf der primitiven Stufe des Privatbackofens verharrten. Sie sollen die Privatbacköfen nach Thüringen gebracht haben, als sie nach Westen vordrangen. oder aber (als Gefangene ?) von deutschen Grundherren angesiedelt worden sind, wie das ja auch für unserer Region belegt ist.
Der Historiker Hävernick glaubt dagegen verschiedene andere Ursachen für die Verbreitung der Backofentypen angeben zu können. Er weist darauf hin, dass für ausgesprochene Kleinbetriebe ein eigener Backofen wirtschaftlich nicht tragbar ist. Da nun infolge der verschiedenen Erbgewohnheiten, die Hofgröße in Thüringen, die in Franken (westlich des Rennsteigs) schon um 1550 weit übertrifft, so sei das Festhalten am Privatbackofen in Thüringen verständlich. Durch die fränkische Realteilung, bei der im Erbfall jeder Nachkomme erbte, wurden die ursprünglich großen Güter in immer kleinere Höfe zersplittert, für die ein Privatbackofen nicht rentabel war.
Weiterhin führt Hävernick landesherrliche Feuerordnungen an, die einen steten Kampf der staatlichen Gewalten gegen die feuergefährlichen Privatbacköfen beweisen.
Meines Erachtens gehen beide von vereinfachten, schematischen Lösungen aus, wobei sie völlig übersehen, dass der Zwangsbackofen wahrscheinlich der Schlüssel zur Lösung der Backhausfrage ist. Die Vernetzung mit der gesellschaftlichen Entwicklung von den Anfängen der Dörfer bis in die Gegenwart wird schlicht und einfach außer acht gelassen. Ich denke, dass die Entwicklung in den Dörfern nach Aufhebung des Feudalnexus (Mitte 19. Jahrhundert) und Aufgabe der Zwangsbacköfen, das Nebeneinander von Privatbacköfen und Gemeindebackhaus begünstigt hat. Dabei ist es im Grunde wenig von Interesse, wer welche Backöfen in die Region gebracht hat.
Lassen wir es dabei: Privatbacköfen werden im 19./20. Jahrhundert mit Sicherheit in den ausgesprochen größeren Bauernwirtschaften betrieben, wohingegen nach der Industrialisierung Arbeiter und Handwerker mit geringem Landbesitz entweder bei einem Nachbarn oder beim Berufsbäcker backen, der sich nun in fast allen der gemischten Bauern- und Arbeiterwohndörfer niedergelassen hat. Eine zufriedenstellende Aussage über diese Thematik wird man wohl wegen der fehlenden Urkundendichte nicht erhalten.
Literatur: Thüringer Heimat Heft 2/56 H. Rosenkranz
Anmerkung: Feudalismus = die im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein geltende Staats-und Gesellschaftsform. Der König als Feudalherr verfügt über den Grund und Boden, das an die Untertanen verlehnt, (verpachte)t wurde. Auch andere Dienste ( z.B. Backhäuser) oder Königsgüter konnten verlehnt werden.