Sonntag, 12. Mai 2019

Altstraßen im und am Harz


heutige Infrastruktur
Ende April 2019 fand im Museum Tabakspeicher Nordhausen ein Kolloquium zu Altstraßen in Nordthüringen und dem Harz statt. Ehrenamtliche Denkmalpfleger und der Thüringer Heimatbund präsentierten die neuesten Ergebnisse bei der Erforschung der Pfade unserer Vorfahren. Die waren nämlich ganz woanders unterwegs als wir heute. Für Phantasiebegabte eine abenteuerliche Reise in unsere Vergangenheit. So begrenzte sich der Zulauf auf ein Häuflein verwegener Enthusiasten, die sich den noch nicht von der Zivilisation verschlungenen Bodendenkmalen widmen. Diese geben nämlich nicht nur Aufschluss über unser Herkommen, sondern auch über die Beziehungen damals zueinander. 
Nordhausen am Harz
Eine Binsenweisheit, die aber kaum einen Wissenschaftler zu interessieren scheint, obwohl die allermeisten Völkerwanderungen der Frühzeit noch im Dunkeln liegen. Die Teilnehmer der Runde hier aus Thüringen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen - allesamt Insider - lobten zwar die vorbildliche Arbeit der ehrenamtlichen Organisatoren und Referenten. Doch das zeigt nur die halbe Wahrheit.
Mit Altwegerelikten beschäftigen sich meist nur Hobbyforscher, oft kleine lokale Gruppen, in der Mehrzahl Einzelkämpfer, die ihre heimatlichen Wälder durchstreifen. Sie vermessen, kartographieren, beschreiben diese inzwischen seit Jahrzehnten - leider ohne Koordinierung und Sammlung. So entsteht ein zusammenhangsloser Flickendeppich, der sich wieder und wieder mit den bekannten Highlights beschäftigt, um anschließend in irgendwelchen Kommoden oder auf Festplatten zu vergammeln.
Spannender Harz
Daran ändern auch die neuen Methoden luftgestützter Radar- und Laservermessungen nichts. Das inzwischen den ganzen Kontinent erfassende und teure LIDAR- System (Light detection and ranging) lässt detaillierte Oberflächenkarten ohne sichtbehindernde Wälder und Häuser entstehen. Darin sind die altwegebegleitenden Hohlwege und Versorgungsburgen sogar übersichtlicher als vor Ort zu erkennen. Junge Archäologen müssten also gar nicht mehr ins Gelände - allein: niemand stellt zwischen ihnen eine Verbindung her oder untersucht bisher unbekannte Stränge. Archäologie bleibt eben Ländersache! Das immer wieder beschworene Altwegesystem in Europa - ein Mythos. Dessen waren sich in Nordhausen alle Ehrenamtlichen bewusst. Ihre gegenteiligen Versuche blieben bisher immer bei den Ämtern im Sand stecken.
Theoretischer Harzkamm
 

So versuchen sie wenigstens Schwerpunkte zu setzen: Nachdem Südthüringen jahrelang im Fokus ihrer Bemühungen stand, nun der Harz und sein Umfeld. Geostrategisch scheinen Harz und Thüringer Wald das blanke Gegenteil. Am Rennsteig empfiehlt sich der 160 Kilometer lange Kammweg, eingebunden in das Höhenzügenetz der deutschen Mittelgebirge. Auch auf den Wegen von Nord nach Süd war man gezwungen, es irgendwo zu über queren. Der Harz hingegen: ein scheinbar vor dem Mittelalter menschenleeres Haufengebirge, das zudem leicht umfahren werden konnte. Doch der Schein trügt. Analysiert man die wasserscheidenenden Höhenrücken, entsteht das gleiche Zwangswege-System einer Wasserscheide wie am Rennsteig (Siehe Meine Google-Maps-Karte):
Altwege in und um den Harz bei Google-Maps
Es zeigt sich eine natürliche, bequeme und sichere Ost-West-Trasse von der sich dutzende Bergrücken in die Ebenen nach Norden und Süden ziehen. Da der äußerste Westen total mit Tälern durchfurcht ist, musste der Einstieg zum Kammweg bei Goslar entstehen. Von dort zog er nun bis in die Nähe von Eisleben im Osten. Von diesem System konnte nun, wie in anderen Gebirgen auch, Teilstücke je nach Bedarf genutzt werden. Natürlich mit vielen Varianten und Abkürzungen!
Damit kann dieses Wasserscheidenprinzip, neben Hohlwegen und Urkunden, als sicherstes Indiz für die bis ins 19. Jahrhundert hinein unbefestigten Wege im Gebirge herhalten. Das Äquivalent in der Ebene wären Wege auf Höhenrücken zwischen Quellen und Sümpfen hindurch. Flussquerungen gab es nur im Notfall. An solchen Furten entstanden dann meist wichtige Siedlungsknoten. In dieses zunächst hypothetische System passen plötzlich nicht nur die vielen Furchen, hinweisenden Flur- und Ortsnamen, Kreuze, Wegesteine und Geländedeformationen von ehemaligen Sicherungsstationen, sondern auch die historisch belegten Bewegungen von Heerführern, Händlern, Bergarbeitern selbst Hirten. Natürlich alles ausgerichtet nach wirtschaftlichen oder militärischen Interessen.  
Gleiche Ansicht mit anderer Basiskarte
Maik Hauf aus Harzgerode und Udo Münnich aus Pansfelde stellten in dem Kolloquium einige Altwege im Harz vor. Sie sind davon überzeugt, dass Viehhaltung und Bergbau schon immer die Menschen in das Mittelgebirge gelockt haben müssen. Aus ihren Ausführungen und anderen Quellen entstand die o.g. Google-Maps-Karte. Sie versucht, die Stränge so exakt wie möglich nachzuvollziehen. Darin bedeuten:

  • dicke rote Linie: fiktiver Harzkamm mit Wegeteilstücken
  • dünne rote Linie: andere bekannte und vermutete Altstraßen, den Harz tangierend
  • lila Linien: vom Kamm abgehende Bergrücken, die wahrscheinlich als Altwege genutzt wurden
  • hellblaue Linie: Altstraßen nach beurkundeten Orten
  • Kreis-Button: untersuchte neolithische Siedlungen, meist Kreisgrabenanlagen
  • Berg-Butten: nachgewiesene und vermutete spätbronzezeitliche und früheisenzeitliche Siedlungen
  • Burg-Button: Befestigungen ab dem Frühmittelalter, auch wenn da anfangs noch nicht mit Stein gebaut wurde
  • gelbe Stecknadel: weitere auf Altwege hinweisende Relikte, wie Hohlwege, Flurnamen und historische Ereignisse


Es entstand ein Wegenetz völlig außerhalb unserer heutigen Infrastruktur. Der Harz wird dabei von bedeutenden Altstraßen regelrecht eingerahmt. Dazu zählen genau untersuchte, wie die Kupferstraße, mit der Bernd Bahn 1965 den Anstoß für die Altwegeforschung in Mitteldeutschland gab. Außerdem finden sich da viel zitierte, aber lückenhaft klassifizierte, wie die Heidenstraße von Köln nach Leipzig oder die Eggewege, von Osnabrück nach Magdeburg.
Wege gab es, seit es Wagen gab
Es erscheinen aber auch Trassen, die vollkommen vergessen wurden, wie die von der Nordsee nach Donauwörth und weiter (Siehe unten!). Innerhalb dieses Karrees wimmelt es nur so von beurkundeten und zwangsführenden Wegen.
Trotz ständiger Überbauung ermöglichen sie uns manchen interessanten Rückschluss. Beispielsweise lassen sich die bekannten Altstraßenteilstücke im Ohmgebirge leicht miteinander verbinden. Auch die berühmten Fürstenwege im Kyffhäuser finden im Westen Anschluss. Der Fastweg oberhalb des Sösestausees muss dem Fastweg südlich von Hattdorf entsprechen usw. Neben den bekannten Relikten des Harzes sind in der Karte nur solche Flurnamen besonders hervorgehoben, die anderenorts im Zusammenhang mit bestätigten Höhensiedlungen oder frühzeitlichen Wegen stehen. Auch im Harz sind solche Ableitungen zu vermuten. Deutlich wird ebenfalls, wie sich die Flurnamen außerhalb dieses Netzes stark verändern, was auf ihre jeweilige zeitliche Nutzung hinweist. Die an den Wegen müssen sie viel älter sein.
Heinrich I. mit Gemahlin
Hervorzuheben wären zunächst die großen Trassen aus dem Mittelalter. Dazu zählt der Kaiserweg zwischen den Pfalzen Goslar und Tylleda, seit 744 durch den Heerzug des fränkischen Hausmeiers Pipin belegt. Besonders ab dem 10. Jahrhundert scheint es mit Heinrich I. als sächsischer Herzog und König des Ostfrankenreiches auf dem Kaiserweg hoch hergegangen zu sein. Davon zeugen die kleinen noch heute sichtbaren Wallanlagen entlang seines Verlaufs. Schon damals deuten sich mehrere Varianten der Wegeführung an. Ihre Sicherungsburgen damals untersucht Martin Freudenreich vom Landesamt für Denkmalpflege in Halle. Er sieht Verbindungen bis zu den mittelalterlichen Salzstraßen nach Böhmen und Brandenburg.
Eine weitere mittelalterliche Straße durch den Harz ist die sog. Via Romea, die der Abt Albert von Stade im Jahre 1236 von seiner Pilgerreise aus Rom kommend beschreibt. Mit dem Verlauf Ebeleben, Nordhausen, Hasselfelde, Wernigerode und Hornburg wird er sich aber bereits auf heutigen Trassen zwischen den Dörfern bewegt haben. Die bedeutendste Verbindung im Spätmittelalter scheint die Alte Leipziger Straße von Kassel herrührend gewesen sein. Sie lässt sich in unserer Karte übrigens mühelos mit der Hohen Straße und dem Fastweg im Westen verbinden. Zu nennen wären aber auch Deit- und Eggewege, mehrere Heer-, Wein-, Wäng-, und Wagenstraßen. Genau kennt sie alle Pierre Fütterer von der Uni in Magdeburg, der sie für seine Dissertation gesammelt hat. Er ist mit Martin Freudenreich einer der wenigen jungen Wissenschaftler, die sich für das Thema interessieren.
Die Kupferstraße von Bernd Bahn
Bei manchen dieser Hochstraßen wurde die Herkunft aus der Bronzezeit nachgewiesen, wie der Heidenstraße und der Kupferstraße. Das belegen die Funde entlang ihres Verlaufes. Auch die vollkommen vergessene Trasse - Stade-Rennsteig (Alfeld) - Rennstieg (Hainich) - Rennsteig (Thüringer Wald) - Rennweg (Hassberge) und weiter bis Rom könnte nach den begleitenden Flurnamen und Altbefestigungen aus der Frühzeit stammen. Älter jedenfalls als die Wegbeschreibungen unseres Alfred von Stade!
Die Anfänge müssen nicht nur bei der Kaiserstraße mindestens bis ins Frühmittelalter von 500 bis 1000 unserer Zeit zurückreichen, beginnend mit den fränkischen Eroberungen von Thüringen und Sachsen. Die vielen „Pfaffenwege“, Petersberge, Steinkreuze, Zell-, Hexen- und Teufelsplätze deuten auf einen Zusammenhang mit der Christianisierung hin. Insbesondere die Sachsenkriege Karl des Großen könnten auch den Harz erreicht heben (Karlsrode, Karlshöhe, Karlsberg). Selbst die Römer scheinen Bekanntschaft mit den Bewegungslinien der Germanen gemacht zu haben, das jedenfalls legt die Schlacht am Harzhorn 235 n. Chr. nahe.
Doch mit Sicherheit sind die Wege in und um den Harz noch viel älter: Markus Wehmer aus Einbeck hat ein Stück der Alten Leipziger Straße in der Goldenen Aue bei Windehausen ausgegraben.
Kontinentalweg, den Harz tangierend
Er fand eine breite Trasse aus dem 16. bis ins 19. Jahrhundert, unbefestigt, aber immerhin schon mit Straßengraben, dem ältesten überhaupt. Die Chaussee war jedoch das jüngste, was bei den Grabungen zum Vorschein kam. Es fanden sich nämlich auch Siedlungen der ersten Bauern um 5350 v. Chr., solche aus der Bronzezeit ab 2200 v. Chr. bis in die frühe Eisenzeit um 600 v. Chr., dazu ein Wagengrab mit noch angeschirrten Rindern von 3100 v. Chr. Das alles zeugt von einer durchgehenden Umtriebigkeit. Übrigens im gesamten Gebiet rund um den Harz, beispielsweise mit der spätneolithischen Pipinsburg bei Osterode oder der spätbronzezeitlichen Hünenburg bei Watenstedt. Megalithischen Ursprungs könnten die schwer datierbaren Steinbearbeitungen sein, wie auf dem extrem deformierten Regenstein, der Teufelsmauer, der Altenburg und dem Treppenstein, alle im Norden.

Und im Harz selbst? Keine Dolmen, keinen Hügelgräber, keine Ringgrabenstrukturen, keine Terrassenberge! Sonst die sichersten begleitenden Belege für die Vorgänger von Altstraßen, nennen wir sie Urwege. Doch die Experten auf der Tagung in Nordhausen waren sich einig: Obwohl es kaum archäologische Funde gibt, muss auch dieses Mittelgebirge seit der Frühzeit besiedelt gewesen sein. Der Autor Michael Köhler, aus Jena sieht Hochweidebetrieb der Schnurkeramiker, andere frühesten Bergbau.
Es sind vor allem die Flurnamen in den Bergen, die eine voreisenzeitliche Bewegung plausibel erscheinen lässt. Denn als die Germanen ab vielleicht 300 v. Chr. in die Region einwanderten, könnten sie die Orte nach Absonderlichkeiten und Mutmaßungen ihrer vormaligen Nutzung bezeichnet haben: Festenburg, Todtemannberg, Huneberg, Schlosskopf, Kronsberg, Stierberg, Heidenstieg, Alte Burg usw. Solche Namen finden sich nicht nur im Thüringer Wald, sondern auch im gesamten deutschsprachigen Süden. Dort führen sie sehr oft zu ausgegrabenen oder mutmaßlichen Altsiedlungen und keltischen Wallanlagen. Das trifft besonders auch auf fremdklingende oder irreführende Bezeichnungen in Höhenlagen zu, wie bei Katzenstein, Hunderücken, Kaltetal. In Süddeutschland ist das zwar alles intensiver, aber der Zusammenhang scheint unverkennbar! Zumindest deuten sich landwirtschaftliche Stufenstrukturen auch in Clausthal-Zellerfeld, Hohengeiss, Braunlage, sowie an Hoher und Kleiner Äbtissin an.
Christlich überbaute heidnische Kultplätz
Das trifft auch auf die Gewohnheit während der Christianisierung zu, vermeintlich heidnische Kultplätze der Altvorderen mit Kapellen und Kreuzen zu überbauen: Zellerfeld, Kapellenfleck, Kirchberg etc. Letztlich empfehlen sich - wie anderen Orts auch - mehrere Felsplateaus auf der Höhe als prähistorische Wegesicherung. Das trifft besonders auf den alles beherrschenden Wegeknoten östlich von Topfhaus zu. Die fehlenden Grabhügel könnten darauf hinweisen, dass zwischen 1600 und 1200 v. Chr. niemand zugange war. Doch wie nördlich der Alpen auch, müssen die meisten wasserscheidenden Urwege bereits im Mittelalter ihren Sinn verloren haben.
Natürlich ist das alles hypothetisch, können nur Grabungen einen Nachweis bringen. Aber es gibt ja die Vergleichende Archäologie und die Wahrscheinlichkeitstheorie. Und da sind wir bei den handfesten Belegen. So finden sich zunächst an den Pässen, neben den zahlreichen Steinkreuzen auch scheinbar geschliffene Großsteine, die anderen Orts gerne als Wegmarkierungen durch Menhire gedeutet werden.
Wurmberg bei Braunlage
Und dann gibt es diesen sagenumwobenen Wurmberg genau in der Mitte von Gebirge und Kammweg. Der zweithöchste Berg im Harz bei Braunlage ist mit Felsbrocken scheinbar chaotisch übersät und heute touristisch vollkommen überbaut. Trotzdem weist eine Hinweistafel auf vielerlei Rätsel um seine Geschichte hin. Aus den Geröllhaufen schälen sich nämlich eine „Heidentreppe“ aus unbehauenen Bruchsteinen, eine Terrasse mit Trockenmauern, kreisrunde Steinwälle und -haufen, ein quadratisches Fundament und ein großer ovaler Steinwall auf dem westlichen Plateau. Obwohl ein Archäologe bereits 1956 hier eine prähistorische Kultstätte konstatierte, neigt die Wissenschaft heute eher dazu, alles den Machenschaften eines Oberförsters Daubert von 1825 zuzuschreiben. Das aber sehen einige Forscher anders. Z.B. wird das Steinquadrat auch als Kapellenfundament interpretiert, die Absätze auf halber Höhe als Stufenfelder und mehrere Großsteine als Opferstöcke.
Typischer Hohlweg
Der Gleichklang von archäologischen Ergebnissen, Flurnamen, Altwegen, Sagen und strategischer Lage ist doch ziemlich typisch in der Forschungsgeschichte bei Siedlungsfunden. Dass die Ausgräber keine datierungsfähigen Fragmente finden konnten, könnte auf megalithische Zeitstellungen hindeuten, wie sie zwischen 4000-2600 v. Chr. nicht nur um den Harz und an seinen Rändern massenhaft gebaut wurden. Was natürlich noch nicht die Frage klärt, warum sich Menschen in so unwirtlichen Höhen nieder ließen. Unbenommen der Tatsache, dass das Klima damals zumindest partiell viel besser gewesen sein soll, muss die Antwort auf diese Frage wahrscheinlich in den Altwegen, bzw. deren Vorgängern gesucht werden. So hieß der Kaiserweg teilweise früher Heidenstieg. Der Wurmberg überblickt den gesamten Harz, außer nach Norden zum Brocken hin. Dort könnte die Situation mit Teufelskanzel und Hexenaltar ähnlich sein und die Ursprünge des Hexenkultes im Harz erklären. So wie die heidnischen „Herschekloße“ in Südthüringen! Doch das sind Spekulationen. 
Woher stammt der Hexenkult im Harz?
 

Also müssen die Heimatforscher hier weitermachen. Das Kammdreieck in Hohegeiss interpretiert Hans-Joachim Grönke aus Nordhausen als wichtigen Altwege-Knoten ähnlich wie Oberhof am Thüringer Rennsteig. Die Höhe um die heutige Kirche wird mit tiefen Hohlwegen und Terrassen regelrecht eingekreist. Die Situation entspricht gleichen Strukturen anderen Orts, wo spätbronzezeitliche oder früheisenzeitliche Artefakte und Befestigungsanlagen gefunden wurden. Ohne mich am Streit über den Namen Geiss zu beteiligen: Geisberge gibt es Dutzende in Deutschland und viele davon verweisen auf Höhenwege. Udo Münnich aus Pansfelde versucht außerdem das Alter der Wege anhand der Spurweite von Karren und Wagen zu ermitteln (Mittelalter: 85-110 cm, Neuzeit 120-150, Bergbauweg 85, Reitwege 40-50 cm). Die maximale Neigung gibt er bei Karren mit 10 und bei Reitern mit 25 Grad an. Das Tagespensum von Ochsen erkennt er mit 10-20 Kilometer, Pferden 30-50, eilige bis zu 100. Dazwischen aber mussten immer ein Lager, eine Versorgungssiedlung oder eine Sicherungsstation gelegen haben, befestigt selbstverständlich. Das ist in der Karte über den gesamten Kammweg hypothetisch auch nachvollziehbar. Es sind wieder die gleichlautenden Flurnamen, die besonders in Süddeutschland sehr oft zu ausgegrabenen oder verdächtigen Siedlungsplätzen führen. Wer genau hinschaut, entdeckt sie selbst im Westen des Harzes zwischen Clausthal-Zellerfeld und Windhausen, vermutlich fränkisch belegt.
Frühmittelalterliche Burg - heute nur noch
durch Wälle und Gräben erkennbar
Doch all das ersetzt natürlich keine archäologischen Grabungen. Die aber sind begrenzt. Jeder Heimatforscher, der sich ausschließlich auf Urkundenbelege beschränkt, bleibt so im Mittelalter befangen. Andersherum halten sich auch hartnäckig Mythen, wie um die latenèzeitlichen "Fliehburgen", dem Mittelalter zugerechnete Terrassenfelder oder die massenhaft vorkommenden „Galgenberge“, deren offizielle Erklärungen viele Altwegeforscher nicht überzeugen können.

Fazit: Die Altwege-Runde kam überein, dass man selbst in der Frühzeit über den Harz immer noch schneller gewesen sein muss, als Drumherum. Das Seminar in Nordhausenn - für die engagierten Waldläufer sicher ein Genuss - zeigte aber auch die Mängel auf, die sich durch teils unkoordinierte Arbeitsweise zwischen den Ländern in der Archäologie ergeben. Und man hat noch viel zu tun: Besonders der Osten des Harzkammweges zeigt sich bisher wenig erforscht. Er scheint nach den Flurnamen sogar älter als der Kaiserweg gewesen zu sein, nicht aber so lange genutzt. Übrigens: So dicht wie der Harz historisch besetzt war, so sieht es in ganz Europa aus.
Die Höhenwege auf unserem Kontinent können also mehr hergeben, als Trimm-Dich-Pfade, Spaß-Strecken oder Pflanzenschulen. Was eine archäologisch aufbereitete Altstraße bewirken kann, zeigen der Keltenerlebnisweg in Franken, die Hohe Straße in Thüringen und der Kaiserweg im Harz.
Nun mag das den meisten Menschen völlig egal zu sein. Was aber passiert, wenn man sich nicht systematisch erinnert, führen uns die Zerstörungen des letzten Krieges in Nordhausen vor Augen.