Samstag, 29. April 2017

Durchzug Salzburger Emigranten in Schleusingen im August 1732 (von C.A.)

Erzbischof Leoplold
Die Verfolgung der Protestanten im Erzbistum Salzburg durch den Erzbischof Leopold Anton ist aus der Geschichte bekannt. Nicht nur Religionsfanatismus allein, sondern Geiz und Habsucht waren es, die ihn veranlassten, im Winter 1731/32 etwa 30 000 Einwohner, die sich zum Protestantismus bekannten, aus seinem Land zu vertreiben. Diese mussten nicht nur Abzugsgelder bezahlen, sondern eine großen Zahl von ihnen wurde auch der Prozess als Abtrünnige und Empörer gemacht, wodurch sie meist ihr Vermögen verloren. Den größten Teil der Emigranten, etwa 17.000, nahm 1732 der Preußische König Friedrich Wilhelm I. auf und siedelte sie in Ostpreußen an.
In einem langen Treck in die neue Heimat erreichten einige Tausend von ihnen am 17. August auch Franken und Südthüringen und damit die Grafschaft Henneberg, die damals zu Sachsen gehörte. Der Landesherr, Friedrich August, Kurfürst zu Sachsen – bekannter als August II. oder der Starke - auch König in Polen, war, obwohl wegen der polnischen Krone selbst katholisch geworden, doch nicht abgeneigt eine Anzahl der Emigranten aufzunehmen. Das ließ er in einem Schreiben vom 26. April 1732 (Stadtarchiv Schleusingen) dem Oberaufseher und den Räten zu Schleusingen mitteilen. Es dauerte aber noch bis zum August, eh sich diese näher mit der Sache befassen mussten.
Flüchtlinge 18. Jahrhundertz
Am 3. August lief ein vom 1. August datiertes Schreiben ein, dessen Absender Kommissarius Johann Lorenz Schmidt aus Coburg war. Er hatte von seinem Königlichen Herren den Auftrag „den nach Ostpreußen durchziehenden Emigranten bei der Weiterbeförderung und Unterbringung in allem hilfreich an die Hand zu gehen.“ In dem Schreiben wird mitgeteilt, dass am 1. August mittags 800 Salzburger Emigranten von Erlangen über Bamberg in Coburg eingetroffen sind und diese am 4. August in Hildburghausen und am 5. August in Schleusingen sein werden. Es wird gebeten, diese eine Nacht gütigst aufzunehmen und mit Hausmannskost versehen zu lassen. Auch sollte für 36 Wagen Vorspann gestellt werden.
Auf dieses Schreiben hin wurden am 4. August der Rat, die Gemeinde-Vormünder und die Viertelsmeister der Vorstadt schriftlich auf das Rathaus bestellt. Sie sollten in den Häusern nachfragen und feststellen, wie viele Menschen und Tiere die Hausbesitzer freiwillig aufzunehmen bereit wären. An die Obermeister der Bäcker und Fleischer erging eine Verfügung, damit genügend Brot und Fleisch vorhanden sei. Es wurden Vorkehrungen getroffen, um den Vorspann sicher zu stellen. Unterzeichnet ist dieses Schreiben vom Stadtrichter Georg Friedrich Weber. (Der Stadtrichter stand zu dieser Zeit noch über dem Bürgermeister.)
Schleusingen
Keine Frage! Die Schleusinger ließen ihre Salzburger Glaubensbrüder nicht in Stich. Sie erboten sich in den 4 Stadtvierteln und der Vorstadt 1284 Personen und 22 Pferde freiwillig unterzubringen, zu verpflegen und Futter bereitzustellen.. Auch der Königl. Oberaufseher wollte 50 oder 60 Mann auf dem Schloss und in der Johanniter - Komturei verpflegen und die nötigen Nachtquartiere bereitstellen. Mehr Kopfzerbrechen machte der Vorspann. Mit den damals in der Stadt vorhandenen 16 Paar Ochsen und 14 Pferden konnten nur 10 oder 15 Wagen bespannt werden. Die Bespannung der übrigen Wagen musste das Amt in den umliegenden Dörfern organisieren.
So wurde für den Empfang und den Weitermarsch der Emigranten alle Vorkehrungen getroffen und die nötigen Beschlüsse gefasst. Die Emigranten sollten unter Läuten der Glocken von der Geistlichkeit, von Schulkindern und Mitglieder des Rates empfangen werden. Schon ein Tag zuvor war der Amts-Advokat Christoph Martin Schneider nach Hildburghausen abgeordnet worden, um Verbindung zu den Emigranten aufzunehmen und nähere Informationen einzuholen. Am nächsten Tag berichtete er, dass die Emigranten abends gegen 6 Uhr in Schleusingen eintreffen würden.
Sie bringen 61 eigene Pferde mit, welche in Schleusingen untergebracht und versorgt werden müssten. Der Treck bestehe aus 800 bis 900 Personen incl. deren Kindern. Der Zug ginge am nächsten Tag nach Ilmenau weiter.
Am 5. August 1732 abends 6 Uhr trafen die evangelischen Glaubensgenossen in Schleusingen ein. Sie wurden am unteren Stadttor, vom Weißen Berg kommend, durch 12 Rats-Personen und Gemeindevormündern empfangen. Unter ihnen der Stadt-Syndikus Klett und der Bürgermeister Wilhelm.
Flüchtlinge 21. Jahrhundert
Hier der Bericht über die Einholung der Emigranten:
„Abends 6 Uhr sind die Salzburg-Emigranten von Hildburghausen, nachdem sie unterhalb des Weißen Berges, als biß dahin das Ministerium, Schul, und Deputation des Rates entgegen gegangen, von Herrn Superintendenten Dr. Meißen mit einer Bewillkommungs-Rede angenommen worden, unter Läuten aller Glocken und geistlichen Gesängen in ordentlicher Prozeßion allhier eingezogen und in die Kirche geführet worden. Ob man nun wohl nach geendigtem Gottesdienst und Rede des Kirchenrates von der Kanzel Selbige ordentlich und offeriertermaßen einlogieren wollen, so hat doch dieses darum nicht geschehen mögen, weil Jedes dieselben gern aufnehmen wollen, mithin zugefahren, und was er gekonnt mit sich nach Hause geführet, also daß der wenigste Theil der Bürgerschaft, besonders in der Vorstadt, ob sich wohl jeder dazu anschickt, desgleichen erhalten können.“ Mit anderen Worten und ohne die damalige schwülstige Formulierung: Die Aufnahmebereitschaft der Schleusinger war größer, als überhaupt Emigranten angekommen waren.
Bereits am folgenden Tag, dem 6. August 1732, mittags gegen 11 Uhr, erfolgte der Weitermarsch der Emigranten nach Ilmenau. Nach einer von Archidiakonus Streitlein gehaltenen Morgenpredigt geleitete man sie mit denselben Zeremonien wie tags vorher bis an den Rindermannshof, wo Superintendent Dr. Meiß eine Abschiedsrede hielt und ihnen den Segen erteilte. Amts-Advokat Schneider begleitete den Zug bis Ilmenau, nicht nur wegen der Vorspanntiere, sondern weil die Königliche Oberaufsicht Wege - und Zehrgeld (Viatikum) für die Emigranten genehmigt und bereitgestellt hatte und das Schneider aus unbekannten Gründen abends erst in Ilmenau auszahlte.

In ganz ähnlicher Weise vollzog sich nur wenige Wochen später ein zweiter Durchmarsch von Salzburger Emigranten durch Schleusingen. So trafen, wieder von Coburg vorher angemeldet, am 21. August abends in Schleusingen ein . Auch diesmal erklärten sich die Bürger freiwillig zur Aufnahme der 894 Emigranten bereit. Auch für den zweiten Schub wurde Vorspann für 26 Wagen angefordert. Der Zug hatte insgesamt 55 Wagen, die mit 88 eigenen Pferden bespannt waren. Davon wurden untergebracht: 63 Pferde in Stallungen, die von Einwohnern freiwillig zur Verfügung gestellt wurden. Von den 63 Pferden kamen auch in den Gasthäusern Hirsch 6 , Schwarze Henne 2 und im Stern 4 Gäule unter. Vom den restlichen 25 Pferden wurden 10 Pferde dem Postmeister Clauer, 10 Pferde dem Nikolaus Hirn und 5 Pferde dem H. Schmidt zugewiesen ohne dass Heu oder Stallgeld dafür bezahlt worden wären. Sie bekamen jedoch je Achtel Hafer Futtergeld in Höhe von 3 Batzen. Als Vorspann für die 26 Wagen stellten die Bürger der Stadt 9 und das Amt aus den Dörfern 17 Pferde zur Verfügung. Der Weitermarsch sollte diesmal von Schleusingen nach Suhl gehen, was dem dortigen Stadtrat und Bürgermeister durch ein Schreiben vom 21. August mitgeteilt worden war.
Da keine Anweisung der Regierung zur Zahlung von Wege- und Zehrgeld für diesen Zug vorlagen, gab es von Seiten der Amtes Schleusingen Bedenken ohne Befehl weitere Beträge auszuzahlen. Der Amtmann ließ deshalb noch spät abends beim Bürgermeister und Stadtrat nachfragen, „ob sie eine solche Beysteuer aus dem Rats-Kasten verschreiben wolle.“ Die Antwort lautete dahin gehend, dass die Stadt-Kasse gänzlich erschöpft sei, dass sogar beim vorigen Durchzug der Emigranten zur Bezahlung der Vorspanne man habe die Kosten stunden lassen müssen. Das Wege-und Zehrgeld fiel also diesmal aus. Einholung und Empfang der Glaubensgenossen geschah genau wie das erste mal, nur wurden sie diesmal nicht in die Kirche geführt, weil es schon so spät war. Der Weitermarsch nach Suhl erfolgte am 22. August mittags, nachdem am Vormittag Kirchen-Rat Dr. Meiß eine erbauliche Predigt gehalten hatte.
Und noch einmal hatte die Stadt einen solchen Durchzug von Emigranten zu bewältigen. Es waren erneut 804 Menschen, die wegen ihrem Glauben die Heimat verlassen mussten und die in gleicher Weise wie die ersten beiden Züge von Coburg angekündigt worden waren. Sie kamen am 30. August mittags in Schleusingen an und sollten alsbald ihren Weg nach Suhl fortsetzen. Der Magistrat wurde nur um Hausmannskost und Vorspann für 24 Wagen gebeten. Der Bürgermeister Wilhelm war den Emigranten nach Eisfeld entgegen geschickt worden, um den Aufbruch von Schleusingen nach Suhl schon am Mittag des 30. August zu organisieren und möglichst zu beschleunigen, damit die Vorspanntiere nicht all zulange den Bürgern bei der Ernteeinbringung entzogen würden. Wegen der Kürze des vorgesehenen Aufenthaltes scheint eine feierliche Einholung, wie am 5. und 21. August nicht durchgeführt worden zu sein. Wahrscheinlich war es auch den Schleusingern langsam zu viel des Guten. Immerhin hatten sie innerhalb 4 Wochen fast 2.000 Menschen und eine große Anzahl Pferde Obdach und Verköstigung gewährt, hatten Vorspann gestellt, waren sie doch um diese Zeit unermüdlich mit der Einbringung der Ernte beschäftigt.
Ein Schreiben des Eisfelder Magistrats mit der Ankündigung, dass die Emigranten am 30. August 1732 nicht vor 10 Uhr vormittags in der Stadt eintreffen, wird das Aktenbündel über den Durchzug der Salzburger Emigranten in Schleusingen geschlossen.

Quelle Stadtarchiv Schleusingen Anr. 1732/1012

Donnerstag, 13. April 2017

Was hat die Via Claudia Augusta mit Ötzi zu tun?


Übersicht VCA
Über die älteste Römerstraße durch die Alpen findet man so viel Literatur, dass jede weitere Betrachtung nur zusätzliche Verwirrung stiften kann. Wer weiß schon, dass der heutige offizielle Radweg höchstens auf 10 Kilometer mit der Altstraße exakt übereinstimmt. Ich gebe hier auch nur deshalb meinen Senf dazu, weil die in diesem Blog behandelten prähistorischen Nord-Süd-Kontinentalstraßen durch Thüringen und Franken ja irgendwohin „abfließen“ mussten. Und wie immer bei solchen Altstraßen: Hunderte touristische Hochglanz-Karten beschreiben die in alten Quellen genannten Durchzugsorte - nicht aber deren historischen Verlauf. Von den 357 Kilometern von der Donau bis Venedig sind so auch nur etwa 20 durch Flurnamen, 10 durch entsprechende Geländestrukturen und vielleicht 2 durch Ausgrabungen belegt. Und da ist der römische Straßendamm im Forggensee schon dazugerechnet, der bei Niedrigwasser zum Vorschein kommt. Aber bei solchen frühen Verbindungen gelten ja immer die gleichen Prinzipien (Siehe Post: Altstraßen selber finden“). Die so entstandenen Zwangsführungen müssten uns eigentlich bis auf wenige Meter genau an ihren tatsächlichen Verlauf heranbringen. 

Die VCA als Teil des Urweges von der Adria
bis Skandinavien
Den Ausbau der alten Römerstraße soll Kaiser Augustus bereits 15 v. Chr. befohlen haben. Aber schon die alten Kelten, die 390 v. Chr. Rom berannten, oder die ersten Germanen mit gleichen Ambitionen, müssen ja irgendwie über das Hochgebirge gekommen sein. Der Brennerpass war jedenfalls erst seit der Zeitenwende bekannt. Auf Luftbildern wird deutlich, dass es sich bei der Via Claudia Augusta tatsächlich um die kürzeste und einfachste Trasse über die mittleren Alpen handelt, geeignet noch dazu für große Menschenmassen. 95 % der Strecke weisen nur eine geringe Steigung auf. Ins Auge fällt bei Satellitenaufnahmen eigentlich nur der große "Umweg" über Reschenpass und Vinschgau. Wie man diesen abkürzt, wusste aber schon die Gletschermumie Ötzi in der Kupferzeit! Doch dazu später.
Die so genannten KML-Dateien passen bei Maps und Earth
Auf Google Maps habe ich versucht, den Verlauf nach eigener Befahrung zu rekonstruieren.
In der Karte "Via Claudia Augusta" (VCA) bedeuten:

  • Kleine Bergspitze: frühzeitliche Wälle und Schanzen nach Ausgrabungen oder den noch heute sichtbaren Bodenstrukturen, aus Bronze-, Urnenfelder- und keltischer Zeit. Manchmal wurden sie aber später von Römern oder Germanen überbaut (z.B. Auersberg).
  • Kleine Burg: römische und frühmittelalterlicher Befestigungen, die anfangs aus Holz, später aus Stein errichtet waren. Aus ihnen entwickelten sich viele der heutigen Burgruinen, Schlösser, ja Städte und Dörfer. Diese habe ich aber nur markiert, wenn eine antike oder frühzeitliche Nutzung angenommen werden darf. Da es nur wenige archäologische Ausgrabungen bei den Bodendenkmälern gibt, sind zeitliche Überlappungen nicht auszuschließen.
  • Drei Punkte: Weitere Besonderheiten die mit dem Weg in Verbindung stehen könnten, wie Flurnamen, erforschte Gräberfelder oder archäologische Funde. Grabhügel (GH) stammen zumeist aus der Bronzezeit, also zischen 2200 - 1000 v. Chr.
  • Die unterschiedlichen Weg-Varianten sind zeitlich durch Farbe markiert.

  • Das Höhenprofil täuscht!

    Im Sommer scheint es also kinderleicht von Donauwörth nach Venedig zu kommen, selbst wenn man sich die heutige Infrastruktur wegdenkt. In der Alpen benutzte man die
    miteinander verbundenen Täler. Es gibt nur 3 gefährliche Knackpunkte:
    1. Der Lech-Übergang bei Füssen, als Einstieg ins Hochgebirge.
    2. Der Fernpass als Barriere vom Lech- ins Inntal.
    3. Und der felsige Aufstieg vom Inn nach Nauders hoch.
    Ansonsten scheint es relativ gemütlich für die alten Reisenden zugegangen zu sein. Nicht einmal die Engstelle an der Ehrenberger Klause oder mehrere Flussübergänge scheinen Probleme bereitet zu haben.
    In Donauwörth müssen schon während der Bronzezeit mindestens zwei Urwege zusammen getroffen sein, die aus Skandinavien kamen.
    (Siehe Posts: Die Kupferstraße; Altstraßen durch Südthüringen und Prähistorische Altstraßen durch Franken) Auf ihnen wurde nachweislich Feuerstein hin und Bernstein zurück bewegt. Eine weibliche Mumie aus Dänemark von 1300 v. Chr. konnte genetisch aus Süddeutschland stammend identifiziert werden.
    Diese beiden Urwege müssen sich noch vor dem Thüringer Wald getrennt haben. In Jütland - noch gemeinsam - hießen sie Ochsenstraße, in Niedersachen Salzstraße, zwischen Harz und Thüringer Wald Kupferstraße. Hinter Arnstadt führte der eine als Weinstraße über Oberhof nach Süden, wo er als heutiger Keltenerlebnisweg, verlängert bis zur Donau, aufgegriffen wurde. Die zweite Route kämpfte sich über Saalfeld und Eisfeld durchs östliche Franken und verband dort alle großen keltischen Wallanlagen miteinander. Sie wird im 15. Jahrhundert vage als Kupferstraße beschrieben. Besser wäre wahrscheinlich, sie als frühzeitliche Höhenrücken-Alternative der mittelalterlichen Via Imperii zu interpretieren. Die kam später ebenfalls an der alten Furt in Donauwörth heraus, verlief aber bereits durch die langsam trocken fallenden Auen von Main, Regnitz und Rednitz. Sie habe ich nur nach den durchzogenen Stationen eingezeichnet.
    Ochsenkutscher
    All diese Trassen in den Süden konnte die Via Claudia Augusta in römischer Zeit nun bündeln. Der wasserscheidende Höhenrücken zwischen dem Lech einerseits sowie Schmutter und Wertach andererseits muss dazu aber schon in vorrömischer Zeit fähig gewesen sein. Diese Variante ist rot eingefärbt. Bei der Mündung der Wertach in den Lech war mit Augsburg zwangsläufig eine altehrwürdige Siedlung entstanden. Hier muss außerdem eine zu allen Zeiten wichtige europäische Verkehrsachse von West nach Ost gekreuzt haben, die durch den geografischen Zwang von Alpen und Böhmischem Massiv, die Alt-Route von Basel nach Wien entstehen ließ. In keltischer Zeit wird in Augsburg zusätzlich ein Strang vom Oppitum Manching hinzu gekommen sein. Das Gründungsdatum von Augsburg mit der römischen Invasion zu verbinden, wäre also recht spät angesetzt.

    Die VCA im Forggensee
    Südlich von Augsburg müssen sich im Laufe von 500 Jahren Besatzungsmacht mehrere Römerstraßen über die Alpen entwickelt
    haben, dafür sprechen die erhaltenen Flurnamen. Auf der Höhe Waal scheinen vier Römerstraßen Richtung Süden geführt zu haben. Erst an der alten keltisch-römischen Wallanlage auf dem Auerberg müssen sie wieder zusammen geflossen sein. Am Forggensee dann das archäologisch interessanteste Stück der Via Claudia Augusta, wenn bei Niedrigwasser der alte Römer-Straßendamm aus dem Wasser guckt. So etwas haben die Straßenbaumeister Europas erst wieder im 19. Jahrhundert - 2000 Jahre später - hinbekommen. In Füssen, mit seinem alten Römerkastell über der Stadt, wird viel darüber diskutiert, wo denn nun der Übergang über den Lech stattgefunden habe. Schließlich muss ja Pinswang aus den Urkunden angesteuert werden. Sicher wird der Felsdurchbruch hinter dem Lechfall auch keine große Hürde für die erfahrenen römischen Brückenbauer gewesen sein. Doch eigentlich war hier überhaupt noch kein Uferwechsel notwendig. Wer den Stauraum des Lechs südlich von Füssen gesehen hat, die Menge an Kies, die er aus den Bergen mit sich führt und die günstigen Sandbänke zwischen Füssen und Reutte, ahnt, wo die alten Kutschen furten konnten. Ich habe zwei denkbare „trockene“ Routen zumindest für die Bronze- und die keltische Zeit eingetragen. Hinter Pinswang führt die Altstraße dann quer durch eine Kerbe des Kohlberges, der ein besonders ausgeprägtes Exemplar einer Wall-Graben-Siedlung mit Akropolis und wehrhaften Eingang darstellt. Angeblich kennt niemand diese befestigte Anlage. Ich würde sie der Hallstattzeit zuordnen.
    Frühzeitliche befestigte Siedlungen heißen oft "Ehrenberg"
    Hinter Reutte dann das imposante Burgenensemble am Ehrenberg aus dem 13. Jahrhundert. Hier mussten die Reisenden das Lechtal Richtung Fernpass und Intal verlassen. Es ist also anzunehmen, dass auch in grauer Vorzeit an dieser Stelle Befestigungen angelegt waren. Die mittelalterliche Klause sperrte das ganze Tal ab. Die Festung Schlosskopf nebst Ruine Ehrenberg sowie Fort Claudia sicherten die umliegenden Berge. Letztere soll nicht nach unserer Straße benannt worden sein, sondern nach der damaligen Landesherrin Claudia von Medici. Heuten verbindet eine moderne Hängebrücke die beiden Festen.
    Dahinter bei Lähn die unspektakuläre Wasserscheide, obwohl die Barriere des Fernpasses erst ein paar Kilometer später kommt. Die aber soll erst vor 4000 Jahren durch einen gewaltigen Bergsturz entstanden sein. Da war Ötzi schon 1.200 Jahre im Eis eingesperrt! Und wirklich belegen archäologische Funde im Umfeld das Passes die Reisetätigkeit von Menschen schon seit der Bronzezeit.
    Den kürzesten Weg über die Alpen kannte bereits Ötzi
    So eröffnen sich bei Imst mit drei Tälern gen Süden, wenn man so will, drei Zeitfenster: Sie erlauben einen Blick auf unterschiedliche Wege über die Alpen im Laufe der Jahrtausende. Die älteste und gleichzeitig kürzeste Strecke hat uns Ötzi mit seinem Tod am Similaun gezeigt (Rot). Er kam aus dem Süden hoch und sein Ziel kann nur das Tal von Sölden gewesen sein. Dieser Weg war aber um 3200 v. Chr. nur zu Fuß und ohne große Lasten möglich. Im Tal nebenan konnten Reisenden vielleicht ab 1500 v. Chr. (Bronzezeit) schon Esel über die Saumpfade des Himmelsjochs führen (Lila). Für die großen Heerzüge aber der Kelten und Römer ab 500 v. Chr. etwa musste der Umweg über das Inntal erschlossen werden, die spätere Via Claudia Augusta. Zunächst scheint das über das heutige Wenns erfolgt zu sein, wie die Opfergaben auf der Pillerhöhe beweisen (Orange). Erst während der Völkerwanderungszeit scheint der Talweg über das feuchte Landeck hinzu gekommen zu sein. Demgegenüber muss die Straßenbezeichnung Via Claudia in Fiss ein PR-Gag sein. Kein Kutscher hätte einen Umweg hier hoch gemacht, auch wenn die Burg Laudegg daneben aus einem römischen Wachturm hervorgegangen sein soll. Unten am Inn muss es zu römischer Zeit ja trockene Wege gegeben haben.
    Finstermünz in typisch mittelalterlicher Verzerrung

    Zwischen Pfunds und Nauders wartet dann das anstrengendste Stück. Der Reisende zum Reschenpass steht vor einem gigantischen Bergmassiv. Die heutige Kajetansbrücke und die in den Fels geschlagene Straße Richtung Italien waren ja erst 1854 gebaut worden. Auch die jetzige Trasse im Inntal weiter versperrten in der Frühzeit riesige Felsen. Die offizielle Via Claudia führt so auch im Inntal weiter nach Altfinstermünz, wo ein einzigartiges Befestigungsensemble aus dem 15. Jahrhundert den Übergang über den Inn und einen Weg hoch nach Nauders bewacht. Ein Stich von 1679 zeigt, wie der Weg zunächst über die Turmbrücke und auf der anderen Seite am Ufer entlang führte. Bei dem befestigten Aufstieg dahinter kann es sich nur um das Tal des Stillen Baches handeln, weil das die einzige Stelle ist, wo man zum Rechenpass hochkommt. Heute ist davon wegen mehrerer gigantischer Bergrutsche nichts mehr zu sehen. Die Wegführung im Mittelalter scheint also geklärt - doch was machten die Römer? Sie benutzten den gleichen Übergang, wie Münzfunde in einer Höhle dort beweisen. Ihr Aufstiegsweg dann ist auch noch ein gutes Stück zu verfolgen, biss eben jene Bergstürze ein Weiterkommen unmöglich machten. Noch in der Neuzeit musste die Straße nach Nauders mehrfach verlegt werden, bis die heutigen Tunnel einige Sicherheit brachten.
    Römer: Meister des Straßenbaus
    Heimatforscher glauben, dass das mittelalterliche Altfinstermünz eine römische Vorgängerbrücke gehabt haben muss. Darauf deutet neben der rätoromanischen Bezeichnung „Vestmezia“ für Finstermünz auch der typische Baustil des Wachturms hin. Die Kelten - garantiert noch ohne Brücke - können sich aber nur durch den Fluss gequält haben. Eine Furt des Inns war aber wegen der steilen Abhänge überall nur in der Nähe des Tals vom Stillen Bach möglich. Dort muss es im 15. Jhd. wiederum ungünstig gewesen sein, eine Sperrbrücke zu bauen. So könnte der Brückenturm an der „Veste Mezia“ vom Anfang unserer Zeitrechnung bis nachgewiesen 1854 als Zollstation gedient haben. Den Umweg nach Nauders über das Schweizerische Martinsbruck, ab 1779 als Zollstätte genannt, kann es davor noch nicht gegeben haben. Die neuralgischte Stelle des frühzeitlichen Aufstiegs ist der Ausgang des "Tals des Stillen Baches" auf die Hochfläche von Nauders. Hier konnten ein paar Mann ganze Heerscharen aufhalten. Die heutige Festung dort ist aber erst 1840 in den Felsen getrieben worden.
    Das untergegangene Dorf im Reschenstausee

    Nun konnte auf dem Trip in die Sonne nicht mehr viel passieren. Die Burg in Nauders soll wieder aus einem römischen Wachturm hervorgegangen sein. Der Reschenpass dann ebenfalls schön flach, fürs Auge höchstens der Stausee dahinter, aus dem ein Kirchturm mit wieder römischen Wurzeln ragt. Der extreme Abstieg danach erforderte ordentliche Bremsbalken vor den Rädern. Im Vinschgau könnte über das Schnalstal Ötzi ins Gebirge eingestiegen sein, bei Meran die bronzehandelten Eselstreiber. Bozen, erst im Mittelalter entstanden, scheint bis zur Zeitenwende weiträumig umgangen worden zu sein, denn das Tal am Zusammenfluss von Etsch und Eisack war immer stark versumpft. Der Abzweig der Via Raetia hier zum Brenner hoch und weiter nach Innsbruck war später im 2. Jhd. gebaut worden. In Trient dann soll sich die Via Claudia Augusta geteilt haben. Die Hauptmagistrale nach Rom verlief über Verona - durch dessen Alpenausläufer ist wohl jeder Italienreisende schon einmal gefahren.
    Altinum: Alles unter der Erde verschwunden
    Der Abzweig in die östlichen Hochgebirgstäler führte zu der heute vergessenen Ausgrabungsstätte Altino; Venedig in der Lagune dahinter gab es ja damals noch nicht. Außer einem modernen Kuhstall und einem kleinen Museum gibt es hier kaum etwas zu sehen. Aber das römische Altinum an der Adria muss eine Metropole gewesen sein, die einst in einem Atemzug mit Pompeji genannt wurde. Sie soll bereits 800 v. Chr. existiert und in Glanzzeiten mindestens 20.000 Einwohner beherbergt haben. Die kerzengerade Via Claudia Augusta Altinate zielt von hier genau auf den Durchbruch des Piave bei der heutigen Abtei St. Eustachio, die auch ein ehemaliger römischer Wachturm gewesen sein soll.
    Wegemarkierung Römersäule
    Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches und mehreren Überschwemmungskatastrophen, wurde die Hafenstadt komplett unter den Sedimenten aus den Alpen begraben. Ihr Alter macht aber deutlich, wie wichtig der adrianische Handel über die Jahrtausende immer gewesen sein muss. Von hier aus wäre beispielsweise der Ostsee-Bernstein leicht nach Ägypten zu verschiffen gewesen. Die Bedeutung Altinos in römischer Zeit kann sich nach der geografischen Lage nur aus dem Handel mit den Provinzen nördlich der Alpen ergeben haben. Dass die Via Claudia Augusta Altinate in Donauwörth beginnt, könnte einen Warenaustausch mit den germanischen Hermunduren und Markomannen jenseits des Limes anzeigen. Das waren unseren Vorfahren im fränkischen Thüringen!