Sonntag, 22. Oktober 2017

Der Erzgebirgshöhenweg - eine prähistorische Altstraße?


Da hätte man nicht graben müssen...
Ich beginne mal mit einem Postskriptum: Als ich die erste Fassung dieses Artikels schrieb, lachten mich die Heimatforscher und Historiker in Sachsen aus: Das Erzgebirge sei erst im späten Mittelalter besiedelt worden. Genau ein Jahr später gruben Archäologen da oben 4000 Jahre alte Zinnbergbauschächte aus, 4 Kilometer von der von mir vermuteten frühzeitlichen Höhenbefestigung östlich von Altenberg und 5 Kilometer von der hier postulierten Urstraße entfernt. Sie feierten das als geschichtliche Sensation. Dankeschön!

Halten wir zunächst erst einmal fest: Es geht hier um den Mittelgebirgskamm von der Saalequelle bis an die Elbe und seine Nutzung als Verkehrsweg seit vielleicht 4000 Jahren. Denn das Erzgebirge muss nach archäologischen Erkenntnissen über alle Zeiten wie andere Wasserscheiden Europas als Altstraße funktioniert haben. Indizien:
Bei Google Earth: Kammweg rot; Grenze gelb
Zinn aus Britannien während der Bronzezeit in Böhmen gefunden, identische Grabbeigaben in den Urnenfeldern von Frankenwald und westlich der Weichsel, keltische Luxusgüter in der Lausitz, die Südwest-Ausbreitung von Germanen und Slawen. Während der mutmaßlichen Katastrophenzeit um 1200 v. Chr. könnte die Kammlinie sogar ganzen Völkern als trockener Pfad aus der Schlechtwetterzone gedient haben. Aus dem 4. Jhd. v. Chr. sind identische keltische Silbermünzen an der böhmischen Elbe und auf der Alteburg über Arnstadt gefunden worden. Die schmückenden Glasringe von den Römhilder Gleichbergen könnten auch von dort stammen. Vladimir Salac, Archäologe aus Tschechien sieht in der Latenezeit einen Warenaustausch von Keramik nicht nur zwischen Mitteldeutschland und Böhmen sondern auch über einen „Nordweg“ von Böhmen nach Hessen und sogar bis zum Niederrhein.
Die kürzeste, trockenste und sicherste Route kann bei diesem Austausch nur über die Kämme der Mittelgebirge verlaufen sein. Das alles bedeutet in unserem Fall:
Höhenwege entlang der Mittelgebirgskämme
Das Fichtelgebirge muss seit jeher ein Treffpunkt urzeitlicher Verkehrsstränge gewesen sein. Von der Donau über den Böhmerwald kommend, von der Elbe über das Erzgebirge und über Frankenwald, Schiefergebirge, Thüringer Wald, Hessisches Bergland, Eggegebirge und Teutoburger Wald von Ärmelkanal und Britischen Inseln. Es waren nicht nur die schnellsten und sichersten Verbindungen ohne ständiges Auf und Ab, es waren auch nur in Ausnahmefällen Wasserläufe zu überqueren. Noch im 14. Jhd. könnten Luxemburger Ministerialen diesen Weg benutzt haben, um die Böhmische Krone in Prag zu vertreten. Passquerungen des Erzgebirges werden schon in der Antike beschrieben. So soll hier ein Strang der Bernsteinstraße gekreuzt haben, später der Salzweg von Halle nach Prag, dann im 13. Jhd. die „antiqua Bohemiae semita“ von Sizilien bis an die Ostsee führend, oder der Alte Böhmersteg. Archäologen gestehen der Region nördlich und südlich des Erzgebirges eine kontinuierliche Besiedlung zu, in den warmen Klimaperioden sogar bis in die Höhenlagen. Das wird auch durch archäologische Funde (Beile, Äxte, Gräber) aus der  Stein-, Bronze- und Eisenzeit belegt. Die werden zwar immer als Beweis für Gebirgsübergänge benutzt, sie treten aber auch an Orten auf, wo Pässe unmöglich waren. 
Prähistorisch Reisende

Was erzählen uns die Geschichtsschreiber? Als erste Stammesvertreter nennen römische Historiker 100 Jahre vor der Zeitrechnung die keltischen Boier. Nicht viel später scheinen schon die ersten Germanen über unser Mittelgebirge gekommen zu sein: die Sueben. Nach der verlorenen Schlacht gegen Drusus, im Jahre 9 v. Chr. sollen sich die germanischen Markomannen nach Böhmen zurück gezogen haben. Am Ende der Völkerwanderung im 6. Jhd. müssen dann die Slawen in die von den Germanen gen Westen verlassenen Gebiete eingesickert sein. Im 7. Jhd. stoßen sie bis an die Saale vor und reiben sich an den gebietssichernden Franken. Über die Linie Elbe, Saale, Regnitz sollen sie aber nie dauerhaft hinaus gekommen sein. Auch Karl der Große scheiterte 805 mit seinem Böhmenfeldzug. Erst im 13. Jhd., nach den Wendenkriegen, sollen Deutsche begonnen haben, im Erzgebirge zu siedeln. So richtig losgegangen scheint es aber erst mit dem Erzbergbau im 16. Jhd. Dass bis dahin eine spärliche Besiedlung vermutet wird, kann aber auch an der völligen Abwesenheit moderner Archäologie oberhalb von 500 Meter Höhe liegen. Die Tschechen scheinen sich recht gut mit ihrer Geschichte auszukennen, leider ist die kaum ins Deutsche übersetzt. Also habe ich mich selbst aufs Fahrrad gesetzt. Und wie erwartet: allerorts Zeugnisse aus schriftloser Zeit. Herausgekommen ist eine prähistorische Kammwegkarte. (Bitte anklicken!) Ich habe versucht, alle potentiellen und gesicherten frühzeitlichen Zeugnisse einzuzeichnen. Denn die Muster, nach denen die Bronze- und Eisenschmiede unterwegs waren, sind überall gleich. Ob Heidenstraße, Hellweg, Rennsteig oder eine der vielen Hohen Straßen in Deutschland: Folgt man den Spuren der Archäologen und Flurnamenforscher, müssen die meisten außerdem viel älter gewesen sein.
Waldstein auf der Höhenlinie über Zell
Auch auf unserer Höhenlinie Vogtland-Erzgebirge sind Befestigungen mindestens seit der Urnenfelderzeit nachgewiesen: der im Mittelalter ummauerte Felsklotz Waldstein über Zell im Fichtelgebirge, der Mednik beim Kupferdorf Medenec und der Große Schneeberg über Decin. Dazwischen muss es aber viel mehr  frühzeitliche Siedlungsplätze gegeben haben, denn das
Tagespensum eines Ochsenkarrens beträgt nur 20 Kilometer. Und genau in diesem Abstand finden sich künstliche Wall- und Schanzstrukturen, sowie eindeutig kennzeichnende Flurnamen. Von der Größe her stehen sie den andernorts in Deutschland archäologisch untersuchten befestigten Höhensiedlungen in nichts nach, wie der Ehrenbürg über Forchheim oder der Funkenburg bei Westgreußen: unbewachsene eingeebnete Bergspitzen oder -sporne, mit Sicherungskanten und -aufwürfen zum Berg hin, guter Rundumsicht, Quelle und Ackerland. Die oft felsigen Kuppen an unserem Weg waren prädestiniert dafür, konnten sie doch mit Palisaden zwischen den Steinen schnell hergerichtet werden (Am Waldstein nachgewiesen). Überhaupt scheinen alle Flurbezeichnungen mit "Stein" auf Befestigungen hinzuweisen, wie eine Namenskombination mit "Galgen", "Richt", "Asche" und "Brand" auf frühzeitliche Gräber. "Alt" wiederum muss Objekte bezeichnen, die schon da waren, als die ersten germanischen Siedler kamen. Außerdem gibt es da die extrem tiefen Hohlwege überall quer zum Kamm, die aus dem Frühmittelalter stammen müssen. Sie machen nur als Handels- oder Heerstraße Sinn, wie am Hohen Stein nördlich von Kirchenlamnitz, nach Oberbrambach hoch, am Hassberg über der Talsperre Prisecnice oder nach Decin runter. Sie sind auch andernorts in den Hochlagen des Erzgebirges trotz mittelalterlichem Bergbau, extremer Industrialisierung, touristischer Infrastruktur und ehemaligen Grenzanlagen erhalten geblieben.
Kammwegsymbol
Der Gebirgskamm von Fichtelgebirge über Elstergebirge und Erzgebirge bis zur Elbe ist mit seinen 228 Kilometern nicht nur länger und höher als der Thüringer Wald, sondern auch breiter. Einen durchgehenden "Rennweg" gibt es da nicht und der Suchende wird manchen Gipfel umsonst besteigen. Nur selten ist die als „Kammweg“ ausgeschilderte Wasserscheide mit unserer Altstraße identisch, obwohl sie manchmal als „Fahrstraße aus dem Mittelalter“ beschildert ist. Besonders in Tschechien gibt es eine durchgehend beschriebene Fahrradroute, man muss nur deren Sprache verstehen, um eine Ideallinie zu finden. Denn anders als im Thüringer Wald, wo die Germanen viele Altnamen von den Kelten übernommen hatten, wird es hier ja ab 500 slawisch und die heutigen deutschen Bezeichnungen mit Endungen wie -dorf, stein, -bach, kamen erst im Mittelalter dazu.
Vielleicht haben sich in den slawischen Flurbezeichnungen ja solche Urbegriffe erhalten, leider kann ich das nicht einschätzen. Nur selten werden auf Hinweistafeln fremd klingende Eigennamen wie Seifen als altgermanisch (Erzauswaschen) entlarvt. Doch wir wissen ja, dass die Germanen vor allem Richtung Westen aktiv waren.
Wer interessiert sich schon für Frühgeschichtliches im Wald?
So kann es hier in den Höhen auch nur ganz wenige "-ing-Orte" geben, die den Sueben zugeschrieben werden (Geising, Satzung), oder "-stedt-Siedlungen" wie Jöhstadt, die mit den Hermunduren in Verbindung gebracht werden können. Anders als im Thüringer Wald fehlen im Erzgebirge auch die kleinen Wallburgen aus dem Frühmittelalter ab 600 fast völlig. Ich habe nur einen Wartberg östlich von Selb gefunden. Diese Warten und Wachen sollen ja hauptsächlich von den Franken zur Sicherung ihrer Invasionsstränge gebaut worden sein. Hier im Osten setzte der Burgenbau erst nach 1250 ein, natürlich dann aus Stein und scheinbar unter Nutzung lausitzer- (urnenfeldzeitlicher) und vielleicht auch slawischer Vorgängerbauten. Bemerkenswert, dass nur am Anfang im Vogtland zwei Altschanzen mittelalterlich ausgebaut wurden (Waldstein, Epprechtstein). Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass sich viele der prähistorischen Siedlungen an schon damals wichtigen Passübergängen befunden haben müssen. Dort liegen in der Nachbarschaft dann auch die "Vieh"- Berge, wegen der damals typischen großen Herden.

Radeln wir also mal los: Der Erzgebirgskamm zweigt von der Donau-England-Höhenlinie nach Nordosten in der Nähe der größten Erhebung des Fichtelgebirges - dem Schneeberg - ab. Der Übergang ist trotz des Anstiegs nicht ohne Weiteres zu erkennen.
Wasserscheiden als kontinentale Urwege
Höchstens die dreifache Wasserscheide dort, mit Main-, Eger- und Saalequelle, deuten ein mehrfach symbolisches Areal an. Ebenso magisch erscheint nämlich der in der Nachbarschaft liegende mutmaßliche alte Siedlungsplatz Haidberg, an dem wegen einer starken Erzader jeder Kompass verrückt spielt. Er ähnelt dem Oppidum Schellenberg im Altmühltal. Kennzeichnend hier sind mehrere Schanzterrassen um den Berg, der überbeanspruchte Magerrasen am Hang und der inzwischen voll Wasser gelaufene Steinbruch. Hier könnten, wie z. B. an den Gleichbergen bei Römhild nachgewiesen, Neuzeitler zuerst die Wallsteine für den Häuserbau weggetragen haben, um sich später, als die alle waren, in die Tiefe schlagen zu müssen.
Weiter oben erwartet uns der schon mehrfach erwähnte Waldstein. Hier wurden nicht nur in der mittelalterlichen Ruine Keramikscherben aus der Urnenfelderzeit gefunden, sondern es präsentieren sich im Umfeld gleich 3 Anwärter für die damals typischen Kultplätze mit den bizarren Felsformationen „Teufelstisch“, Arndstein und Druidenfels.
Teufelstisch-Kultplatz?
Solche geologischen Besonderheiten lagen, wie z. B. bei der Giechburg über Scheßlitz mit dem vormals heidnischen Gügel, immer dicht neben den prähistorischen Siedlungen und sie zeigen durchweg Abnutzungserscheinungen über das witterungsbedingte Maß hinaus. Die Steinmauern am Waldstein muss man sich aus Holz denken - und schon ist eine keltische Sicherungsstation fertig. Solche großen Felsen wie hier begleiten uns nun beständig, viel mehr übrigens als im Thüringer Wald. Kaum einer ist archäologisch untersucht.
Das sich nun anschließende Waldgebiet strotzt geradezu von Felsenfesten: Bergkopf, Steinklatze, Wolfsfelsen, Schnittchen. Auf dem Kleinen Waldstein ist sogar eine Burg belegt und der Epprechtstein zeigt immer noch seine mittelalterlichen Mauern. Der Höhenweg führt hier die Schlossleite hinunter und südlich an Kirchenlamitz, Niederlamnitz vorbei, über Wellersberg und Wolfsgarten weiter. Eine Alternative wäre stattdessen der Bergrücken über den Kleinen Kornberg, dessen mögliche frühzeitliche Akropolis mit hoher Quelle trotz des gewaltigen Steinbruchs noch gut zu erkennen ist.
Halb Ruine, halb Felsen
Der Reisende müsste dann aber durch die Lamnitz waden, könnte dafür aber mehrere verdächtige Felsen streifen u.a. die Felsenruine Hirschstein. Der ganze Weg dorthin ist ein einziges Blocksteinfeld, gut für Wallanlagen, wie wir sie von der Steinsburg bei Römhild kennen. Oben aber, auf dem Großen Kornberg, war nichts dergleichen zu finden. Die nun näherkommende, unseren Altweg immer wieder tangierende Staatsgrenze, ist auch nur in Ausnahmefällen mit selbiger identisch. Ob das hier vor 3.000 Jahren bewaldet war, weiß natürlich kein Mensch.
Unser Weg schlängelt sich nun im Elstergebirge durch ein heute dicht besiedeltes, damals für Reisende sicher vor allem lästiges Quellengebiet. Auch hier finden sich einige Siedlungsverdachtsplätze, wie der Gaipelu-Park in Asch, der Skaivanci Vrch und der Hengstberg mit seinen typischen Terrassenfeldern am. Auch den Hohen Stein östlich von Erlbach umgeben diese aufwendigen Ackerstufen, die von Historikern gerne ins 13. Jhd. gelegt werden.
Typische Feldterrassen am Südhang des Erzgebirges
Das scheint mir aber weder der Witterungssituation damals, noch der Anzahl der zu jener Zeit dort lebenden Siedler zu entsprechen. Vielmehr finden sich diese Stufenstrukturen hauptsächlich rund um bekannte oder mutmaßliche spätbronzezeitliche Befestigungen, wie an der Hohen Geba in der Rhön, dem Staffelberg oder beispielsweise auf der Alten Wart bei Gumpelstadt. Der extreme Aufwand um Humusboden vor Abschwemmung zu retten, setzt extremen Regen voraus. Das schlimmste derartige Wetter scheint nach jetziger Erkenntnis um 1200 v. Chr. in ganz Europa geherrscht zu haben.
Beispiel einer bronze- oder früheisenzeitlichen Höhensiedlung
Erst ab 800 v.Chr. beschreiben Experten wieder ein deutlich milderes Klima, das selbst rund um die hallstattzeitlichen Salzabbaugebiete in den Alpen Landwirtschaft erlaubte. Umso mehr könnte Ackerbau und Viehzucht auch in den Höhenlagen des nicht so mächtigen Erzgebirges damals möglich gewesen sein.
Von unserem Hohen Stein aus konnte man auch gut den sich nun teilenden Weg bewachen. Die Höhenlinie schlägt hier nämlich einen großen Bogen nach Norden, scheint mir aber mit der mutmaßlichen befestigten Siedlung auf der Hohen Reuth über Schöneck, Schwertweg, Königsweg, Kammweg und Königshübel deutlich ausgeschrieben.
Beispiel einer frühmittelalterlichen Siedlung
Die alternativen Abkürzungen durchs Tal bei Klingenthal machen aber mit dem Burgstall Kraslice und den Schanzringen um Bleiberg und Aschberg einigen Sinn für das verkehrstechnisch besser ausgerüstete Mittelalter. Bei Letzterem stößt man dann auch wieder auf den Höhenweg.
Leider habe ich nach dem Aschberg nun wirklich 35 Kilometer lang kein offensichtliches Lager mehr gefunden. Folgt man aber dem "Ruhe- und Versorgungszwang" von Mensch und Tier müsste spätestens der Buchkamp über Oberwildenthal, der Buchschachtels- oder der Scheffelberg befestigt gewesen sein. Nirgends dort aber entsprechenden Geländedeformationen! Henneberg und Jugel sind ebenfalls nur flaches Land! Die markante Bergnase, auf der heute Johanngeorgenstadt liegt, scheint mir zu weit ab. Erst der mit Schanzkanten versehene Plattenberg über Horni Blatna kommt wieder in Frage.
Wagnerberg
Meinen Frust zerstreute aber besonders der Wagnerberg zwischen Schwarzenberg und Abertamy. Kilometerlang umlaufende Steinwälle machen hier eine große frühmittelalterliche Siedlung wahrscheinlich, wie sie oben symbolhaft dargestellt ist. Viel anders sehen die Steinpferche in der Hochrhön auch nicht aus. Und die werden sogar den Kelten zugeschrieben. Hier wie dort: Die weiten Hochflächen rundherum hätten genug Raum für Äcker und Weide geboten. Der mittelalterliche Zinnabbau zu Füßen des Wagnerberges wird verdächtigt, bereits in der Bronzezeit betrieb worden zu sein. Auch der weiter südlich liegende Pleßberg scheint mit seinen eindeutigen Schanzkanten eine Wachstation getragen zu haben. Diesen "bloßen", also ehemals gerodet vorgefundenen Berg gibt es mehrfach in Deutschland und jedes mal werden die künstlichen Verwerfungen auf ihnen als keltisch eingestuft. Überhaupt begegnen dem Reisenden im Erzgebirge beständig Flurnamen, die er aus anderen Teilen des Landes kennt. Da diese hier im Osten nicht germanischer Ausgangspunkt sein können, müssen sie die alten Siedler mitgebracht haben.
So kann auch der Spitzberg vor Gottesgabe mit einiger Sicherheit eine Befestigung getragen haben. Wie bei Dieburg und Alte Mark in der Rhön haben wir hier eine künstliche Abflachung der Bergspitze, aufwendig gestaltete Schanzkanten, eine hohe Quelle und wieder ein regelrechtes Meer an künstlich platzierten Bruchsteinen (z. B. Pfostensteine der Häuser).
Befestigte Siedlungen auf Fichtelberg und Klinovek?
Dahinter kommen wir an den Giganten Fichtelberg und Klinovek vorbei. Zwischen den beiden scheint schon immer eine wichtige Verkehrstrasse über das Erzgebirge geführt zu haben. Inwieweit die heute völlig überbauten Gipfel Siedlungen getragen haben, lässt sich kaum sagen. Ausschließen möchte ich das nicht. Doch auch wenn diese Berge nicht besiedelt waren - dahinter warten schon wieder einige potentielle Schanzen, wie Wirbelstein und Mednik.
Der alles überragende Spitzberg am Stausee Prisecnice zeigt hingegen keinerlei Siedlungsstrukturen: Er ist viel zu schmal und Wasser gibt es auch nicht. Der Hassberg oder Jeleni Hora nebenan, als Hasiburg ausgeschildert, präsentiert sich aber wieder mit deutlichen Schanzstrukturen, Basaltbruchpotential und der typischen Konzentration an Steinen um den einzigen Zugang herum. Es muss eine starke und lange bewohnte Feste gewesen sein.
So genau rekonstruieren Historiker Altstraßen
Sie könnte die alte Salzstraße von Halle nach Prag bewacht haben, die seit der Hallstadtzeit, also 800 v. Chr., bestanden haben soll. Auch diesen querenden Weg habe ich versucht, von der Furt in Flöha aus mit dem Fahrrad  nachzuvollziehen. Der Höhenrücken Augustusburg, Marienberg war schnell gefunden. Danach aber verlor sich seine Spur auf der schier endlosen Hochfläche südlich von Reitzenhain, dessen Name auf eine vorchristliche Kultstätte hinweist. Am ehesten scheint die Altstraße noch mit der hier heraufkommenden B13 identisch, die - denkt man sich die heutigen Entwässerungsgräben weg - fast trockenen Fußes nach Komotau und weiter führt. Rechts und links liegen auch viele Hohlwege. Ich biete in der Karte eine Wegführung an, die gänzlich ohne Bachquerung in der sumpfigen Gegend auskommt. Unsere Salzstraße stünde dazu im Genuss der Bewachung durch Reizenstein, Hirtstein und unserer o.g. Hasiburg. Der Hirtstein mit seinem markanten Basaltfächer, ist zwar der höchste Punkt im mittleren Erzgebirge, zeigt aber keinerlei Schanzpotential. Trotzdem kann es kein Zufall sein, dass zu seinen Füssen das Dörfchen Satzung liegt, einer von nur zwei Orten, die hier oben sicher auf altgermanische Siedler hinweisen. Die Salzstraße würde dann auf einem Bergrücken nach Kadan hinab führen, das älter als Komotau scheint. Schon Karl der Große soll diese Stadt 805 vergeblich berannt haben.
Doch wir wollen ja weiter nach Osten! Auf dem eigentlich recht flachen Lesna finden sich wieder verdächtige Schanzstrukturen, noch mehr am benachbarten Eduartstein oder dem St. Katharinaberg. Der Bärenstein oder Bernsteinberg in der Nähe würde eigentlich nur durch seine markanten Felsen hervorstechen, wenn da nicht die großzügigen Feldterrassen weiter unten um Gebirgsneudorf wären. Und so geht es weiter: Die künstlichen Abstufungen werden immer großflächiger, die möglichen dazu gehörenden prähistorischen Siedlungsplätze flacher.
Das böhmische Becken von der Jerabina aus
Ähnlich bildet sich die Situation am Jerabina, zu Deutsch Haselstein, mit seinem Turm aus dem 19. Jhd. ab. Die nördlich anschließenden Felder über Einsiedel lassen zumindest eine Wüstung auf der Anhöhe vermuten. Die gleiche Situation finden wir am Zamanek über der Talsperre Flaje (alpine Landwirtschaft noch im letzten Jahrhundert), am Cerny Vrch und am Loucna, zu Deutsch Wirbelstein. Auf lokalen Informationstafeln wird der Übergang der Salzstraße bei Deutscheinsiedel festgemacht. Das kann aber erst im Mittelalter gewesen sein, denn ich habe weder trockene Trassen noch eindeutige Sicherungsburgen gefunden.
Erst der Bournak oder Stürmer bildet sich wieder als eine über allem thronende Schanzsiedlung par excellence ab. Trotz der gnadenlosen Überbauung erinnert er mich an den urnenfelderzeitlichen Herrenberg über Schalkau. Weiter um Zinnwald/ Cinovek herum könnten wieder mehrere frühzeitliche Siedlungen gestanden haben. Nirgends habe ich mehr Hohlwege gefunden als hier.
Altenberg mit Geisingberg
Viel interessanter aber erscheint mir nördlich die Bollwerk-Kombination von Altenberg und Geisingberg. Die Namen deuten auf einen Sitz suebischer Germanen hin, die Geländedeformation in eine noch frühere Zeit. Deutlich lassen sich auf der „Akropolis“ Geisingberg Ringwälle, steineren "Torschwellen" und Bruchsteinkonzentrationen ausmachen. Der Bergrücken davor, bis zum riesigen Steinbruchloch Binge mitten in der Stadt, erinnert an die Situation auf dem Haidberg am Anfang unserer Tour. Rundherum sind noch die Schanzkanten einer möglichen Siedlung auszumachen. Über den Pass Altenberg-Zinnwald muss schon in der Frühzeit eine Heer- und Handelsstraße von der Dresdner Furt Richtung Prag geführt  haben.
Langsam kommen wir zum Ende unserer Tour. Die Berge Traugotthöhe, Homari Hurka, Mravency Vrch und Vyhledy scheinen mit ihren kaum mehr wahrnehmbaren Schanzen wieder eine gigantische Hochfläche terrassierter Felder zu bewachen. Bei letzterem könnte sogar ein Hügelgrab liegen. Zu diesem Ensemble muss auch der Kegel Spitzniak zählen, der wieder mit Steinwällen, künstlichen Flächen und Torsteinen glänzt.
Tyssaer Wände
Auf dem Felsenlabyrinth "Tyssaer Wände" gibt es wieder mehrere prädestinierte Verteidigungsplätze. Sie gehören geologisch schon ins nördlich anschließende Elbsandsteingebirge. Dort liegen ja die Paradebeispiele prähistorischer Siedlungsfelsen, nachgewiesen auf Pfaffenstein, Königsstein, Görisch, Lilienstein und den beiden Zschirnsteinen. So treffen wir am Ende unserer Reise noch einmal auf ein Prachtexemplar solcher Wallanlagen: den Hohen Schneeberg. Dergestalt muss der Königstein gewesen sein, bevor seine Felsspalten im Mittelalter zugemauert wurden. Nur viel größer! Auch wenn archäologische Funde aus der Bronzezeit nur aus dem zu seinen Füßen liegenden Decin bekannt sind: wenn sich überhaupt irgendwelche keltischen Boier über andere aufgeschwungen haben - hier müssen sie gewohnt haben. Vom Hohen Schneeberg aus beherrschte man den Elbdurchbruch, hatte ausreichend Wasser, genug Platz sogar für Landwirtschaft und Vieh. Die Hohlwege zum Plateau sind zu schmal für Steinbruchkarren und zu tief, um von moderneren Wanderschuhen abzustammen. Deutlich auch die Torwälle an den wenigen Zugängen. Wie beim Königsstein verwette ich wieder meine ganze Reputation, dass hier irgendwann Scherben mindestens aus der späten Bronzezeit gefunden werden.
Hoher Schneeberg über das Elbtal weg
Hinter dem Hohen Schneeberg führt unser Erzgebirgs-Höhen-Weg dann runter nach Decin, wo sich auf einem der vielen umwallten Kegelspitzen um die Stadt noch eine Wache für den Elbübergang befunden haben könnte. Erst um 1000 wird eine der typisch hölzernen slawischen Burgen genannt.
Und wohin ging es weiter? Der ganze Osten stand dem Reisenden nun offen, beginnend mit der Lausitz, die eine eigene frühzeitliche Kultur beschreibt. Über die "Böhmische Brücke" kam man zur Nord-Ostsee- bzw. Oder-Elbe-Wasserscheide, die auch Altstraßen nach Norden führte. Wahrscheinlich gab es auch einen Strang ins Riesengebirge. Über die Rolle solcher Fernwege im Rahmen der Völkerbewegungen kann nur spekuliert werden. Die Hunnen beispielsweise mit ihren Beutezügen zu Pferd waren bestimmt nicht hier oben. Bei den zielgerichteten Westwanderungen von Burgunden im Jahr 278, Vandalen 330 und Terwingen um 400 wäre ich mir aber nicht mehr so sicher. Von offizieller Seite werden diese Südwestwanderung zwar immer mal wieder wahrgenommen, welche Wege dabei aber benutzt wurden, ist unbekannt. Am sichersten, schnellsten und bequemsten aber ging es über unseren Erzgebirgshöhenweg! Er liegt übrigens auf einer Geraden mit Warschau, Minsk und Moskau, die es damals natürlich noch nicht gab, aber vielleicht mit solchen Bewegungen befruchtet wurden?

Als Nichteinheimischer habe ich sicher manches Schmuckstück übersehen und andere überbewertet. Die Masse aber der alten Befestigungen und gerade ihre Anzahl am Anfang und am Ende machen einen durchgehenden Urweg am Erzgebirgskamm wahrscheinlich. Wer mehr über vergessene wasserscheidende Ferntrassen in Mitteldeutschland erfahren möchte, dem empfehle ich meinen entsprechenden Post in diesem Blog. Auch die interaktive Karte dort schließ direkt an die unseres Erzgebirgskammweges an.

Samstag, 7. Oktober 2017

Zinnweg, Grenzbarriere, Königsweg? (Mit Google Maps Anleitung)

Vermutete Handelswege in der Bronzezeit aus GEO
Gerne proklamieren Archäologen europaweit Handelsverbindungen schon seit der Vorzeit. Wenn es aber konkret wird, verweisen sie auf eine Weitergabe der Güter von Dorf zu Dorf. Die Wege, auf denen die Güter transportiert wurden, bleiben außen vor. Dabei ist es nicht schwer, die alten Trassen exakt nachzuzeichnen. Die kürzesten, trockensten und sichersten Strecken können nämlich nur über die wasserscheidenden Höhenzüge der Mittelgebirge verlaufen sein, die unseren Kontinent wie ein Netz durchziehen. Und entlang genau dieser Routen fanden auch die großen archäologischen Funde statt.
Das britische Zinn beispielsweise soll um 2200 vor Christus bereits von der Aunjetitzer-Kultur in Mitteldeutschland für Bronzelegierungen benutzt worden sein. Das zeigt nicht nur die Himmelsscheibe von Nebra. Auch in Wien und Budapest finden sich entsprechende historische Legierungen.
Kammwege als Autobahnen?
Die für Schiffe in Frage kommenden Flüsse wie Elbe und Weser fließen diesem Zinnstrom alle entgegen und Treideln kann an den wilden Ufern damals kaum möglich gewesen sein. Über die Kämme aber der Gebirgsketten gelangte man damals schon trockenen Fußes vom Ärmelkanal bis ins thüringische-, böhmische- und ungarische Becken. Dass auch im Erz- und im Fichtelgebirge damals schon Zinn für die Aunjetitzer geschürft worden sein könnte, spricht hier nicht gegen, sondern für dessen Transport über die Höhenzüge.
Wie prähistorische Autobahnen fressen sie sich mit ihren Kammwegen tief ins Herz Europas: Teutoburger Wald, Eggegebirge, Hessisches Bergland, Thüringer Wald, Frankenwald, Erzgebirge, Oberpfälzer und Böhmer Wald. Bis an die Donau wird der Weg nur von 2 großen Flüssen unterbrochen: Fulda und Werra. Und wo die gequert wurden, ist bekannt: Kassel und Hörschel. Auch die alten Kammwege kennt man bis heute. Sie heißen Hermannsweg, Eggeweg, Rhein-Weser-Wasserscheide, Barbarossaweg, Rennsteig oder einfach Kammweg. Nach Tausenden von Jahren könnte man sie immer noch durchgehend mit einer zweirädrigen Kutsche befahren. Selbst die alten Hohlwege längs dieser Höhenrücken sprechen eine eindeutige Sprache. Ich habe sie alle - etappenweise - mit dem Fahrrad abgeklappert. Immer das gleiche Bild: Entsprechend dem Durchhaltevermögen der Zugtiere mussten alle 20 - 25 Kilometer befestigte Versorgungs- und Wachposten eingerichtet werden. Man erkennt sie heute auch ohne archäologische Funde an gesicherter Höhenlage, Befestigungsstrukturen wie Abschnittswälle oder künstlich versteilten Abhängen, Sichtkontakt untereinander, Quelle, potentielles Ackerland, Gräberfeld und Kultplatz. Wenn dann noch die Flurnamen passen, kann man sicher sein, auf den Pfaden der Altvorderen zu lustwandeln. Ich habe also eine interaktive Karte bei Google Maps eingerichtet, die diese alte Verbindung beschreibt (Siehe hier bei Google Maps). Dort wo die begleitenden Artefakte fehlen, existieren bereits andere Karten von mir in diesem Blog.
Ohne Zinn keine Bronzezeit
Natürlich ist die Strecke als Zinnweg nur eine praktische Metapher für ihr historisches Potential. Die Lage der alten britischen Zinnminen in Cornwall und Davon, sowie der nachgewiesene Schiffstransport nach Phönizien, legen die Querung des Ärmelkanals viel weiter westlich nahe. Doch dann hätten 20 Gebirgszüge und 50 Wasserläufe mehr überschritten werden müssen, um nach Mitteleuropa zu kommen. So vermute ich, dass das Zinn zunächst auf dem bekannten Landweg von Cornwall an die Themse transportiert wurde. Wer dann sowieso ein Boot nutzen musste, war auch schnell in den Niederlanden, nahe unserem Höhenweg.
Doch es gibt auch andere Möglichkeiten der historischen Einordnung unseres wasserscheidenden Höhenweges. Es fällt nämlich auf, dass er genau jener imaginären Linie entspricht, die die Römer bei ihren Vorstößen ins freie Germanien 500 Jahre immer wieder anstrebten (Varusschlacht). Der Limes zeigt uns, wie wichtig den antiken Strategen dabei verbindende Kammwege waren. Weniger spekulativ erscheint aber die Nutzung der Wasserscheide für große Heere im Frühmittelalter.
Der Nördliche Teil eines mutmaßlichen
Zinnweges: Teutoburger Wald und Eggegebirge
Die vielen Flurnamen mit "Kamps"-, "Königs"- und "Karls"-Bezügen direkt an der Strecke sprechen Bände. Sicher gilt auch die durchgehende Einordnung unserer Linie als Grenze z. B. der Hermunduren und Catten, oder der Franken zu ihren Nachbarn den Sachsen und Slawen. Menhire und Steinkreuze an Pässen belegen dabei die immerwährende Nutzung als Fernstraße. Was hatten die alten Trosse auch für einen Wahl?
Denn solche hohen schnurgeraden Trassen waren nicht nur von der Nordwest-Südost-Geografie vorgegeben, sondern auch durch die immer währende Technik der Fuhrwerke auf unbefestigtem Gelände, und durch die extreme Versumpfung der Ebenen und Täler bis in die Neuzeit. Und da rede ich noch gar nicht von irgendwelchen Klimaexzessen (Siehe Blog Prähistorisches Europa). Der Höhenweg auf dem Teutoburger Wald hätte sich jedenfalls als Fluchtweg vor Sturmfluten der Nordsee angeboten. Mindestens bis Zeitenbeginn scheinen die Mittelgebirgsrücken so als Fernreisewege dominiert zu haben. Als man aber das Tiefland wieder für Siedlungen nutzen konnte, spätestens seit den Invasionszügen der Franken um 500, scheinen die Hochstraßen an Bedeutung verloren zu haben. Dafür wurden die querenden Pässe über die Mittelgebirge aber immer wichtiger.
Die wegebegleitenden Stationen können sogar als Indikatoren für deren zeitliche Nutzung fungieren.
Befestigte Höhensiedlung der Bronzezeit
Wie heute brachte nämlich jede Zeit ein bestimmtes Muster menschlicher Bautätigkeit hervor: Das waren die trockenen Bergrücken der ersten Bauern, die großen schon leicht befestigten Höhensiedlungen der Bronzezeit (in der Karte als lila Kreis dargestellt), heute erkennbar an den Magerrasenkuppen, Dolmen und Hügelgräbern sowie an den fundträchtigen Kultplätzen in der Nähe (Roter Ikon). Nach dem Klimakollaps und dem Urnenfelderumbruch um 1200 v. Chr. scheinen die erosionshemmenden Ackerterrassen und die großen Fachwerk-Trockenmauern hinzugekommen zu sein, die heute zu Bodenwällen verfallen sind (ebenfalls als Kreis dargestellt).
Henneburg seit der Bronzezeit genutzt
Leicht identifizierbar sind aber auch die kleinen hölzernen Burgen des Frühmittelalters mit Erdwällen, auf denen die Palisaden standen und tiefen Gräben (Lila Burg). Bei andauernder Benutzung der Wege überlagern sich die Befestigungen und nicht selten konnten sich aus ihnen die Steinburgen des Mittelalters entwickeln. Doch selbst als Treideln auf Elbe, Weser und Rhein Usus war, benutze man für den Warentransport von der Nordsee ins Erfurter Becken vorrangig den Landweg: Siehe Straßennetz der Via Regia!
Mit einer frühen Nordwest-Südost-Trasse hatte sich bereits Horst Braukmann in seinem Skript „Alte Heer- und Handelsstraßen zwischen Westfalen und Nordhessen beschäftigt. Er bezieht sich dabei vor allem auf Messtischblätter von 1805, in deren Mittelpunkt Altstraßen zu Füßen von Taunus und Hessischem Bergland stehen. Sie tangieren alle mittelalterlichen Siedlungen dort, womit ihre zeitliche Einordnung klar wird. Die Braukmann-Wege querten damit hunderte Wasserläufe und waren dreimal so lang wie die Wasserscheiden. Hier wird das Reisen aus der Bronzezeit bis ins Frühmittelalter beschrieben.
Der Zinnweg auf ein paar Meter genau bei Google Maps
Begleiten wir also Händler und Heere von damals ein Stück auf ihrem von der Natur vorgegebenen Weg.
Beginnen möchte ich am Ende in Wien, von wo aus die hier beschriebenen Muster gut zu erkennen sind. Besonders die indogermanischen Flurnamen lassen auch ohne Archäologie das hohe Alter der eingezeichneten Artefakte erahnen. Dutzende Lohe-, Kirch-, Teufels, Hexen- und Kreuz-Orte verweisen auf die Vereinnahmung der Plätze durch die Christliche Kirche gegen 800 hin. Das fast völlige Fehlen von mittelalterlichen Burgen auf der gesamten Strecke zeigt, dass diese nach 800 kaum mehr Bedeutung haben konnte. Dort wo die Höhenzüge zwischen Bayern und Böhmen an der 1000-Meter-Marke kratzen, finden sich durchweg alte Hangwege, die die Spitzen umgehen. Dort wiederum bieten sich viele Felsplateaus als Ausguck an, unter denen dann die Reiselager gestanden haben könnten. Bei Bärnau sind die Artefakte von einem Heimatforscher bestätigt worden.
Den Thüringer Wald spare ich aus, weil ich den schon in einem Post beschrieben habe. Hinter Eisenach wartet ein neuer Kontinentalweg von 276 Kilometern auf uns, gespickt mit prähistorischen Fundstätten wie der Hünenburg, den Externsteinen, den Megalithgräbern von Scherfelde und der Wallanlage Dörnberg. Bei einem Tagespensum von 20 Kilometern ist er in 138 Tage zu schaffen. Natürlich haben das früher nur wenige Wagenlenker in einem Stück absolvieren können, weder bei den frühzeitlichen noch den mittelalterlichen Trecks. Auch regional wird die Frequentierung der Teilstücke unterschiedlich gewesen sein. Das zeigt die unterschiedliche Dichte der begleitenden Artefakte. Mittelalterliche Burgen werden nur dann angegeben, wenn sie mutmaßlich oder gesichert aus einer urzeitlichen Anlage hervorgegangen sind. Die Karte sollte eigentlich für sich sprechen, hier nur ein paar Besonderheiten:
Alte Werrafurt bei Hörschel

Da kamen die Kutscher Richtung England also vom Rennsteig die spätere Braugasse in Hörschel bzw. aus dem Erfurter Becken über die Oleite oder den Langen Graben bei Spichra herunter. In beiden Fällen musste nun die Werra gefurtet werden, um über den Höllgraben auf die gegenüberliegende westliche Höhe zu gelangen. Dieses Urwege-Dreieck war wie üblich durch mutmaßlich frühzeitliche Befestigungen auf Kleinem Eichberg, Birkkuppe, Hörschelberg, Tellberg und die Höhe auf dem Kielforst (zerstörtes Hügelgrab) gesichert. Sicherlich bestanden die nicht alle zur gleichen Zeit. Aber auf allen ist die Bergspitze künstlich abgeflacht, gibt es Terrassen, die nur als Schanzkanten Sinn machen, teilweise auch künstliche Stein- und Wallstrukturen, hohe Quellen.
Experimenteller Ochsenkutscher
Befestigte Siedlungen hatten bis zur Zeitenwende mindestens die Größe eines heutigen Fußballfeldes für vielleicht 300 Menschen plus Häusern und Nebengelassen und natürlich war bevorzugtes Baumaterial verwitterbares Holz. Solche Anlagen begleiten uns jetzt auf der Hochfläche Richtung Nordwesten permanent. Dazu kommen Hohlwege bei Archfeld und Altefeld, teilweise mit Namen wie Stegliethe, also einer Bergleite. Die große Senke des Ringgaus wird sicher nur in feuchten Zeiten umfahren worden sein, sonst bietet sich die Abkürzung über Renda an. Die Ruine Boyneburg ist als vorzeitliche „Fliehburg“ bekannt. Das Besondere: Der ehemalige Zugang vom Berg aus ist zu schmal für einen Wagen und die Wallanlage scheint nur mit Eseln versorgt worden zu sein. Weiter geht es ins Tal über den Heidenberg mit seinen für Altsiedlungen typischen Magerrasenterrassen nach Wichmannshausen.
Hohlweg
Dort wird die Sontra beim Altegraben gequert und über Hohlwege die Hubertusliete erobert. Oben gibt es wieder Schanzkanten und ein zerstreutes Hügelgrab. Wir sind jetzt auf dem Barbarossa- und dem Elisabethpilgerweg, Referenz an die alten Reisenden. Vorsicht aber: Der Touristenweg ist nicht identisch mit dem alten Höhenweg. Wer den sucht, muss kurz nach der Lauseeiche ins Unterholz immer Richtung Westen. Er beschreitet den hier eingezeichneten Umweg, der mit mutmaßlichen Wachstationen geradezu gespickt ist. Archäologisch scheint mir besonders die namenlose Anhöhe über Mitterode mit 398 m interessant, die eine mit Bruchsteinen übersäte Innenfläche besitzt, eine eindeutige Schanzkante und einen zerfurchten aber schmalen Zugang. Von Opferberg und Ziegenküppel kann man bis zum Inselsberg im Thüringer Wald schauen. Exzellente Motivation für die alten Zinn-Händler!
Natürlich wird man zu allen Zeiten diesen Umweg nach Waldkappel gemieden haben. Davon zeugen die extrem vielen Hohlwege in den Tälern dazwischen, wahrscheinlich bewacht durch Posten auf Kittersberg und Mäuseberg.
In Waldkappel ging es über den schmalen Schämmerbach. Hier kreuzten im Mittelalter der s.g. Lange Hessen von Frankfurt und die Brabanter Straße von Antwerpen, beide nach Leipzig. Sie verliefen weiter über Datterode, Ifta und Creuzburg, also nördlich parallel zu unserem Höhenweg. Dieser könnte also ihr prähistorischer Vorläufer gewesen sein.
Auf der anderen Seite geht es anschließend nach Nordwesten den im wahrsten Sinne Langen Graben zum Taufstein hoch. Der Wehrberg wird seinen Schutz übernommen haben. Der nun folgende Bergrücken ist zu schmal für eine Besiedlung; nur auf dem Wollstein könnte ein alter Lagerplatz gelegen haben.
Großen Steine bei Reichenbach
Dafür dürften die s.g. Großen Steine eine vorchristliche Kultstätte par excellence gewesen sein. Die 5 Meter hohe Wummis, heute auf dem Gelände einer Jugendeinrichtung, sind nach 2 Seiten doppelt mit tiefen Graben und Wall abgesichert. Sowohl Kindelberg als auch Großer Rohrberg mit überstrapazierten Terrassenfeldern, Schanzkanten und steinübersäten künstlich abgeflachten Kuppen kommen als dazugehörige Bergsiedlungen in Frage. Dort findet man sogar diese kleinen schnurgeraden Rinnen vom Tal zur Spitze hoch, wie am Suhler Domberg. Wahrscheinlich nutzte man sie, um Wasserbehälter auf Schlitten zum Berg hinauf zuziehen. Der Weg führt anschließend in tiefen Hohlwegen weiter zur mächtigen mittelalterlichen Burgruine Reichenbach, sicher auch bereits frühzeitlich genutzt. Von hier hat man einen herrlichen Blick bis Hessisch-Lichtenau, unserm nächsten Ziel.
Dort kreuzte im Mittelalter der Sälzer Weg, auf dem das Salz von Bad Sooden-Allendorf in alle Himmelsrichtungen transportiert worden sein soll. Dahinter geht es trockenen Fußes durch ein großes Waldgebiet mit nicht weinigen prähistorischen Verdachtsplätzen und bestätigten Grabanlagen.
Die Fulda in Kassel
In Kassel, wo es nur spärliche vorchristliche Funde gibt, kreuzt unser Zinnweg die Fulda und die berühmte Haidenstraße, ebenfalls von Leipzig nach Köln. Hinter der großen Furt scheinen die alten Reisenden die bisher genutzte Wasserscheide verlassen zu haben, die hier Richtung Norden und Süden "verschwindet". Dahinter folgen mehrere Varianten, wie sie von Braukmann beschrieben wurden. Ich schlage den in der Karte eingezeichneten Höhenweg vor, den ein Potpourri prähistorischer und frühmittelalterlicher Anlagen begleitet. Dabei mussten die Warme bei Laar und die Diemel bei Warburg überquert werden. Geht es nach den archäologischen Funden dort, muss die Region seit dem Neolitikum ein Kreuzweg der Völker gewesen sein. Während der römischen Okkupation und im Mittelalter sollen sich hier Handelsstraßen aus allen Richtungen begegnet sein.
Hinter Scherfede geht es wieder die Berge hoch. Dort treffen sich auch die Wasserscheiden wieder. Nun konnte man sich nicht mehr verlaufen. Der weitere Weg wird durch die relativ schalen Gebirgszüge von Egge und Teutoburger Wald vorgegeben. Von den tangierenden vorzeitlichen Sicherungsplätzen sind die meisten gut erforscht und ich kann mich kurz fassen. Sie treten besonders konzentriert rechts und links von Pässen spätmittelalterlicher Altstraßen über die Gebirge auf. Das sind bei:
- Bethel: die Kölner Straße nach Bremen
- Hörster Bruch: Hellweg vor dem Sandforte
- Detmold: eine Via Regia von Frankfurt nach Bremen.
- Horn bei den Externsteinen: Hellweg von Paderborn an die Weser, wahrscheinlich auch die Wein-, Wäng- oder Wagenstr.
- Bad Driburg: Westfälischer Hellweg vom Rhein an die Elbe
- Scherfelde, Warburg: Plackweg nördlich der Ruhr, Haar- und Bördenweg, sowie der Eiserweg (nach Braukmann)
So ging es fast 7 Tausend Jahre lang...
Herrmanns- und Eggeweg sind zwar in aller Munde, aber nicht als prähistorische Kontinentalstraße. Im Teudoburger Wald scheinen alle Historiker auf die Varusschlacht und dementsprechend die Heimatforscher auf Römer und Germanen fokussiert. Grabhügel und Großwälle aber müssen aus einer ferneren Zeit stammen. Auffällig auch: Die mittelalterlich beurkundeten Städte rechts und links der Höhenzüge scheinen dem Namen nach viel früher entstanden zu sein, wahrscheinlich noch vor der Zeitrechnung während der ersten Germanenzüge. Beispiele sind Paderborn, Detmold, Lippspringe, Horn, Driburg, usw. Nicht wenige dieser Kommunen tragen Namen, die schon anderen Ortes in Europa vergeben sind: Detmold, Horn, Meinberg, Driburg, Bethel, Halle, Werther, Dissen, Hilter, Iburg, Hagen, Wittenberg, Dörenberg, Tecklenburg, Hörstel, Rheine usw. Sind der Teutoburger Wald und das Eggegebirge also Anfang oder Ende von unbekannten Völkerbewegungen? Dass die Archäologen außerstande scheinen, die besondere Beziehung zwischen prähistorischen Höhensiedlungen, geologisch markanten Kultplätzen und Hügelgräbern herzustellen, kennt man ja. Nirgends aber tritt diese Kombination so deutlich hervor wie hier. Auch die Vereinnahmung ehemals heidnischer Berge durch das Christentum ist selten so augenfällig wie hier: Johannisberg, Petersbrink, Heidebrink, Gröpelloh, Gottesberg, Bußberg, Jakobsberg, Oelberg usw.
Bis heute heidnische Kultstätte: die Externsteine
Was wurde z.B. den Externsteinen nicht alles angedichtet. Dass sie eine ganz normale Kultstätte der mutmaßlichen Höhensiedlungen auf Bärenstein, Waldschlösschen, Preußischer- oder Lippischer Vermerstot gewesen sein könnten, wird nirgends diskutiert. Den Bärenstein beispielsweise klassifiziert man lediglich als Altsteinbruch. Egal aber wie man zu den Ausführungen der Cairn-Forschungsgesellschaft steht, die endlosen Trockenmauern dort können unmöglich aus der Neuzeit stammen. Verfälschende Steinbrüche an frühzeitlichen Stein-Wallanlagen gibt es nämlich überall in Europa. Auch unter den riesigen Kalkbrüchen zwischen Lengrich und Lienen scheinen frühzeitliche Befestigungen gestanden zu haben. Zwischen ihnen müssen nämlich sowohl der Hilinci- als auch der Pickerweg von Münster nach Osnabrück verlaufen sein. Beide Städte hatten im Mittelalter eine ebensolche Bedeutung als Handelsknoten wie Warburg. Der Pass scheint zischen den Siedlungsverdachtsplätzen Künst und Höste verlaufen zu sein. Doch wer recherchiert da schon!
Die Grotenburg unter dem Hermannsdenkmal
Das Hermannsdenkmal kennen alle. Wer aber weiß, dass darunter eine Ringwallanlage namens Grotenburg stand? So scheinen die meisten prähistorischen und frühmittelalterlichen Höhensiedlungen auf Egge und Teutoburger Wald in Vergessenheit geraten zu sein. So denkt bestimmt auch niemand über die Endpunkte des Hermannsweges hinaus und erforscht seine strategische, ja kontinentale Bedeutung seit der Bronzezeit.
Wir dagegen, quasi von der Donau kommend, gelangen nun bis an die Nordsee. An der Ems bei Rheine steigen wir in die Norddeutsche Tiefebene hinab. Witziger weise endet unsere Straße in einem Ort ähnlichen Namens unseres Einstieges: Hörstel/ Hörschel. Wo die Zinn-Händler aus Britannien an Land gegangen und wo sie ins Mittelgebirge hochgestiegen sind, ist bei den ewigen zerstörerischen Sturmfluten am Nordmeer kaum zu rekonstruieren. Es gibt da mehrere Möglichkeiten, auf jeden Fall musste die Ems gefurtet werden. Entweder passierte das auf der Linie Rheine, Arnheim, Utrecht und Amsterdam oder über Lingen Richtung irgendeines untergegangenen Hafens. Wenn man die Linie des Teutoburger Höhenzuges einfach verlängert, landet man erst in Nordhorn (vergleiche Horn, am Knick des Teutoburger Waldes) dann in Hardenberg, zwei Orte, deren Namen uns auf unserer Reise schon einmal begegnet sind. Weiter kommt man anschließend nach Genemuiden, dem vor der Eindeichung weitesten Vorstoß der Nordsee ins Hinterland. Wer also weiß, wo in der Frühzeit die Küste verlief, weiß, wo das Zinn von den britischen Inseln an Land gekommen sein muss. Ausgegraben wurden megalithische Steinanlagen, bronzezeitliche Erdwerke und frühmittelalterliche Ringwälle in der Region „en masse“. Vielleicht nehme ich mir die Gegend ja irgendwann mal vor.