Donnerstag, 25. Oktober 2018

Die Entwicklung des Eisenbahnwesens in Thüringen (von C.A.)



Die Überwindung von Raum und Zeit durch den modernen Verkehr, wie Flugzeuge, Eisenbahn und Schiff sind heute zur Selbstverständlichkeit in unserem Leben geworden, genau wie Telefon, Funk, Fernsehen und Internet. Sie lassen uns die Welt kleiner als früher erscheinen. Nachrichtenübermittlung und Reisen, die noch vor hundert Jahren Wochen und Monate in Anspruch nahmen, werden gegenwärtig in Minuten und Stunden erledigt.
Einer der größeren Verkehrsträger allerorten ist die Eisenbahn. Im ersten Viertel des 19. Jahrhundert entstanden, eroberte sich das neue Verkehrsmittel in kurzer Zeit die ganze Welt. Sie gehört zu den revolutionärsten Errungenschaften des technischen Fortschritts im Zeitalter des Kapitalismus. Die erste Dampfeisenbahn Deutschlands verkehrte am 7.12.1835 auf der 6.2 km langen Strecke von Nürnberg nach Fürth. Das „Wunderwerk Eisenbahn“ besitzt heute auf unserem Erdball eine Gesamtstreckenlänge von fast 2 Millionen Kilometer.

Die ersten Eisenbahnpioniere waren Vertreter des fortschrittlichen Bürgertums und sie brachten die Menschheit mit ihrer segensreichen Verbindung von Dampfkraft und Schienenweg ein weites Stück voran. Ihre Projekte waren aber nicht immer uneigennützig und für das Wohl des Volkes bestimmt, wie es manche Historiker hinstellen, sondern sehr oft Gegenstand wilder Spekulationen, gewinnsüchtiger Betrügereien und schließlich auch militärischer Aggressionsabsichten .
In Deutschland tauchten erste Eisenbahnpläne schon sehr frühzeitig auf. Doch die daran geknüpften Hoffnungen des Herrn Geheimrates Goethe, die er 1828 gegenüber dem Landes- Politiker Eckermann äußerte, dass sich die Entwicklung der Eisenbahn fördernd auf die deutsche Einheit auswirken würde, sollten sich erst viel später oder gar nicht erfüllen. Auch die großen Worte bei den Eröffnungsfeierlichkeiten von Eisenbahnstrecken, die vom „völkerverbindenden Schienenband“ sprachen, blieben vorerst nur die Ideale einiger national gesinnter Menschen. Der beschwerliche Weg, den der Eisenbahngedanke noch beschreiten musste, bis er sich endgültig durchsetzte, verlangte so manches Opfer. Kleinstaatliche Willkür und Beschränktheit machten aus den nationalen Eisenbahnplänen Friedrich Lists Stückwerk. Das gegenwärtige Eisenbahnnetz trägt noch heute die Spuren von deutscher staatlicher Zerrissenheit im 19. Jahrhundert.

Thüringen, durch seine günstige Mittellage zum Durchgangsland des deutschen und europäischen Handels und Verkehrs prädestiniert, bot bereits im Mittelalter dem Verkehr ein ausgebautes Handels- und Heerstraßennetz. Als Vermittler zwischen Ost und West, Nord und Süd trafen sich hier die Handels- und Geleitzüge des süddeutschen Raumes, der Mittelrheingegend und der Ost- und Nordseehäfen mit denen Sachsens und Osteuropas. Im Mittelpunkt dieses Verkehrsnetzes erblühte die alte Handelsstadt Erfurt. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen sich in Thüringen neue Industriezweige herauszubilden. Salzvorkommen, Eisenerzgruben, Schieferbrüche und der Holzreichtum bildeten die Grundlage der neuen Industrien. Dieser neuen Entwicklung genügte das alte Straßennetz nicht mehr. So konnten z.B. auf den Passstraßen (meist Hohlwege) des Thüringer Waldes, die Frachtwagen sich nicht ausweichen und mussten am Vormittag in einer Richtung bergauf und am Nachmittag in der Gegenrichtung bergab befahren werden. Das Reisen auf den schlechten Straßen war eine Tortur, der Transport von Massengütern sogar unmöglich. Bereits waren Pläne aufgetaucht, die beabsichtigten, die beiden Thüringischen Grenzflüsse Werra und Saale im Thüringer Raum schiffbar zu machen. Es blieb bei den Plänen, die Schwierigkeiten waren zu groß. Es gab zwei Möglichkeiten, das Verkehrswegenetz zu verbessern: einmal den Aus-und Neubau von Straßen und zum anderen den Bau von Eisenbahnen. Man nahm beides in Angriff. Der Ausbau des thüringischen Straßennetzes erfolgte von 1830-1860 und auch die Verwirklichung der ersten Eisenbahnpläne kamen voran. Die Aufhebung der Zollschranken innerhalb Deutschlands (1833) hatte sich dazu begünstigend ausgewirkt.
Um die Entwicklung der Eisenbahn in Thüringen haben sich zwei Männer besonders verdient gemacht, Friedrich List aus Reutlingen und Josef Mayer aus Gotha. List, als Nationalökonom bekannt, trat bereits 1828 mit einem Plan an die Öffentlichkeit, der eine Bayrisch-Hanseatische Eisenbahn vorsah, die durch Mitteldeutschland geführt werden sollte. In einer Anlage zu seiner 1833 erschienenen Schrift: „Über das Sächsische Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnnetzes und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden“, plante List Eisenbahnstrecken für Deutschland, in dem Thüringen von zwei Bahnen durchquert wurde. .Beide Linien sind später auch gebaut worden und entsprechen ungefähr den Strecken Erfurt-Meiningen, bzw. Leipzig-Weimar-Erfurt-Gotha-Eisenach.

Doch nicht allein mit Plänen unterstützte der unermüdliche Schwabe die Thüringische Eisenbahnprojekte. Mit großer Energie, die diesem „tragischen Deutschen“ auszeichnete, wandte er sich gegen die preußischen Pläne, die den Bau einer Eisenbahn von Halle nach Kassel vorsah und dabei den alten Handelsweg über Weißenfels-Naumburg-Erfurt-Gotha-Eisenach unberücksichtigt ließen. Für die Thüringer Staaten hätte das große wirtschaftliche Nachteile gebracht. List operierte sehr geschickt mit Argumenten, die Preußen schließlich von den wirtschaftlich größeren Vorteil und der strategisch wichtigeren Bedeutung der Verbindung durch Thüringen überzeugte.
Aber nicht nur Preußen versuchte List zu gewinnen. Sein Wirken veranlasste die thüringische Herzogtümer Sachen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Gotha und das Großherzogtum Sachsen-Weimar zum gemeinsamen Handeln. Die drei Staaten schlossen sich zum Thüringischen Eisenbahnverein zusammen. 1840 schlossen sie einen Staatsvertrag darüber ab. Zu den Hauptverhandlungen wurde allerdings List nicht mehr eingeladen und schließlich mit einem Ehrengeschenk von 100 Taler verabschiedet. Wieder einmal hatte er, wie so oft, vergebens auf eine feste Anstellung gehofft, er war erneut enttäuscht worden. Obwohl die Uni Jena seine Verdienste würdigte und ihn am 15. November 1840 mit dem akademischen Grad eines Doktors der Rechte auszeichnete, fand der glühende Verfechter eines deutschen Eisenbahnsystems in seinem Vaterland keine gesicherte Existenz. Am 30 November 1846 beendete er sein Leben in Verzweiflung und Not durch Selbstmord.
Als man im Herbst 2008 das 150-jährige Jubiläum der Werrabahn beging, wurden auch die Verdienste eines anderen Vorkämpfers für die Eisenbahn in Thüringen, Josef Mayer, gewürdigt. Der Gründer des Bibliographischen Institutes in Gotha und Herausgeber des großen Konversationslexikons war mit List befreundet.
Mit der Gründung des Thüringischen Eisenbahnvereins 1840 und mit dem Staatsvertrag vom 20. Dezember 1841, der zwischen Preußen , Kurhessen, Sachsen-Weimar und Sachsen Coburg-Gotha abgeschlossen wurde und die Verbindung Halle-Kassel über Thüringen festlegte, war man Lists und Mayers Plänen gefolgt. Sie hatten darin auch einen Abzweig von diese Strecke in Eisenach nach Bamberg über Meiningen-Hildburghausen-Coburg vorgesehen.

Inzwischen hatte Mayer zusammen mit dem Arnstädter Ingenieur, Rost, ein neu überdachtes „Deutsches Zentral-Eisenbahnnetz entworfen, dessen Zentrum in Thüringen liegen sollte. Neben diesem Plan – nahezu alle in diesem Zentralnetz vorgesehenen Strecken sind heute in Betrieb - ging der Blick von Mayer noch viel weiter. Seinen Zeitgenossen weit voraus erkannte er den Zusammenhang zwischen Eisenbahn, Kohle und Stahl und hoffte Thüringen mit seinen Bodenschätzen - wie in Westfalen- zum Mittelpunkt einer deutschen Eisenbahn-Großindustrie zu machen. Doch dieses Werk kam nie richtig in Gang. Auch als sich Josef Mayer abermals um die Konzession für den Werra-Bahnbau bewarb, wurde das abgelehnt. Der national gesinnte Vertreter des fortschrittlichen Bürgertums war durch mehrere Schriften während der Revolutionszeit 1848 den thüringischen Fürsten unbequem geworden. Er erlebte den Bau der Werra-Bahn nicht mehr.
Erst als die Erfolge der Leipzig – Dresdener-und der Nürnberg-Fürther Eisenbahn bekannt wurden, waren die mitteldeutschen Unternehmer bereit, Eisenbahnaktien zu kaufen. Beim Bau der ersten Eisenbahnen stand das Streben der privaten Initiative nach Dividenden meist höher im Kurs als der volkswirtschaftliche Nutzen und das nationale Interesse. Die Thüringer Herrscher unterstützten den Bahnbau, weil einmal der erhöhte Verkehr mehr Steuern einbrachte und weil sie zum anderen darauf bedacht waren ihre absolute Stellung im Deutschen Bund auch beim Bahnbau zu bewahren. Aber allein der Streit z.B. zwischen den Thüringischen Staaten wegen des Anschlusses der Stadt Eisenach an die Werra-Bahn verzögerte deren Bau um mehrere Jahre.
Die große Masse des Volkes stand der neuen Verkehrseinrichtung teils neugierig, teils ablehnend gegenüber. Fuhrleute und Gastwirte befürchteten durch die Eisenbahn ihren Broterwerb zu verlieren. Die von ihnen abhängigen Handwerker wie Sattler, Wagner u.ä. sahen ebenfalls eine Einschränkung ihrer Erwerbszweige voraus. Ganz große Pessimisten warnten vor den gesundheitlichen Schäden, die der Reisende durch die hohe Geschwindigkeit der Eisenbahnfahrt (ca. 30-40 km/h) erleide. Einige verlangten, dass man die Menschen durch einen hohen Bretterzaun entlang der Schienenwege schützen möge. Die Bauern waren erbost, dass ihnen Feldstücke abgenommen wurden und dass Bodenspekulanten sie um den Gewinn betrogen. Sie verjagten deshalb die Vermessungstechniker von ihren Feldern und erst behördliche Anordnungen machten die Trassierungsarbeiten in bestimmten Teilen Thüringens möglich.

Der Bahnbau brachte vielen Menschen neuen Verdienst. Neben den in Italien angeworbenen Bahnarbeitern, die besonders für die schwierigen und gefahrvollen Tunnel-und Stützmauerarbeiten eingesetzt wurden, arbeiteten die deutschen Bahnbauer unter den gleichen schwierigen Bedingungen. Soziale Einrichtungen waren so gut wie unbekannt und der durch einen Unfall verletzte Arbeiter war sich selbst überlassen. Selbst die Versorgung der Arbeiter war schlecht organisiert. Aus der „Weimarischen Zeitung“ vom 5.Mai 1847 wird wie folgt darüber berichtet: „Hier und da wird der Mangel an Brot für die Arbeiter beklagt. In den Dörfern ist keins aufzutreiben. So konnten neulich für 600 Arbeiter, welche bei einem Brückenbau über die Fulda beschäftigt waren und die einem Weg von ungefähr 3 Stunden von Kassel zur Arbeitsstelle zurücklegen mussten, mehrere Tage lang kein Brot beschafft werden.“. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die hungernden Menschen oft zur Selbsthilfe griffen. In den Akten finden sich deshalb Beschwerden der Bevölkerung über das ungebührliche Treiben der Bahnarbeiter.
Der erste thüringische Staat, der den Nutzen einer Eisenbahn erfuhr, war Sachsen-Altenburg. Die sächsischen Eisenbahnunternehmen drängten auf eine Verbindung Leipzig mit Bayern. Sie fürchteten in der geplanten Werrabahn einen Konkurrenten zu erhalten, die Sachsen von der Verbindung nach Süddeutschland abschnitt. Nach Verhandlungen mit Bayern wurde das Kapital recht schnell durch Aktien zusammengebracht. Das Eisenbahnfieber ließ die Aktionäre vor den Börsen in Leipzig und Altenburg Schlange stehen. Bereits in 4 Vormittagsstunden waren 45 000 Aktien zu je 100 Talern verkauft.

Am 1. Juli 1841 begann der Bahnbau unter Leitung des Erbauers der Leipzig-Dresdener Bahn, Karl Theodor Kunz. Am 19. September 1842 erfolgte die Eröffnung der Teilstrecke Leipzig-Altenburg. Bis zur Vollendung der gesamten von Leipzig nach Hof führenden Bahn vergingen jedoch noch 10 Jahre. Große Schwierigkeiten machten die Überbrückung der Elster und des Gölschtals. Sie verteuerten den Bau über den Kostenvoranschlag hinaus. Außerdem flossen die finanziellen Mittel nicht mehr so reichlich, wie am Anfang der Aktienverkäufe. Die damaligen Krisenjahre machten sich auch im Bahnbau bemerkbar. Für die Verbindung von Halle nach Kassel über Weißenfels-Erfurt-Eisenach, entlang der alten Handelsstraße Leipzig-Frankfurt, hatte List bereits Argumente gefunden. In den größeren Städten entlang der geplanten Strecke bildeten sich Aktienvereine. Das erforderliche Kapital von 9 Millionen Talern war aber vorerst in den beteiligten Ländern nicht zu beschaffen. Die Aktienzeichnungen wurden ein Misserfolg. Ein Eingreifen der Regierungen hielten das Projekt jedoch aufrecht. Preußen und die Thüringischen Herzogtümer übernahmen ein Viertel des Aktienkapitals und leisteten Zinsgarantie. Nachdem den Unternehmen das Risiko nicht mehr so groß erschien, kauften sie auch wieder mehr Aktien und sicherten damit den Bahnbau nach Kassel.
Sitz der Direktion der Thüringer Eisenbahngesellschaft wurde Erfurt. Unter Leitung des Oberingenieur Mons begann der Bahnbau. Rund 9 Millionen m³ Erdmasse mussten bewegt werden. Die Bauakten berichten von 15000 Arbeitern, die zeitweise auf der Trasse beschäftigt waren. 11900 to Schienen wurden aus England geliefert. Auch bei diesem Bahnbau gab es Schwierigkeiten wegen einer Fehlplanung. Es waren die Erfurter Festungsanlagen, in deren Bereich die Eisenbahn angelegt werden sollte und die den Bau von 2 Tunnels notwendig gemacht hätten. Das heutige Reichsbahndirektionsgebäude, ursprünglich als Erfurter Bahnhof gebaut, verdankt seine Lage dieser (Fehl) Planung..

Am 20.6.1846 wurde der Streckenabschnitt Halle Weißenfels, am 19.12.46 Weißenfels - Weimar, am 1.4.1847 Weimar-Erfurt, am 10.5.47 Erfurt-Gotha, und am 24.6.1847 Gotha-Eisenach eröffnet und in Betrieb genommen. Im schwülstigen Zeitungsstil der damaligen Zeit berichtet die „Gothaische Zeitung“ vom 3.5.1847 über die erste Probefahrt: „Heute Nachmittag um 3 Uhr kam der Zug mit der Lokomotive „Gotha“ auf ihrer ersten Probefahrt auf der Thüringer Eisenbahn hier an und ward von einer großen, jubelnden Zuschauermenge auf dem hiesigen Bahnhof empfangen. Die Lokomotive hatte, unter der unmittelbaren Leitung des Oberingenieurs Mons, die Strecke von Erfurt bis hierher, wenn man die Aufenthalte auf den Unterwegsbahnhöfen abrechnet, in 20 Minuten zurückgelegt. Eine Strecke, für die ein Fuhrwerk mindestens 5 Stunden benötigt. Seine Hoheit, der Herzog, geruhten durch Anwesenheit auf dem Bahnhof, die Feierlichkeit zu erhöhen um den lebhaftesten Anteil, welchen Sie an diesem wichtigen Ereignis nahmen, zu erkennen zu geben. Mit dem Zug, bestehend aus zierlichen und bequemen Wagen aller drei Klassen, waren der Königlich Preußische, Großherzoglich Sachsen-Weimarische und der Herzoglich Sachsen-Coburg-Gothaische Kommissarius sowie die Mitglieder des Direktoriums der Thüringer Eisenbahngesellschaft angekommen. Sie gingen dann zur Mittagstafel ins Palais, nach deren Beendigung um 6 Uhr abends, dieselben auf der Eisenbahn nach Erfurt zurückkehrten.“ Die weiteren Ausführungen der Zeitung ersparen wir uns. Sie sind nur ein Loblied auf die Hoheiten, die wahrscheinlich den Eisenbahnplänen am Anfang genug Steine in den Weg gelegt hatten und die für die Bahn-Arbeiter kein Wort des Dankes hatten.
Für den Betrieb der Thüringer Eisenbahn, wegen ihrer Bedeutung auch thüringische Stammbahn genannt, wurden 15 Lokomotive aus England und 6 von Borsig, Berlin, gekauft. Die Strecke Halle-Kassel wurde nach kurzer Zeit zweigleisig ausgebaut. Ihre Wirtschaftlichkeit erhöhte sich durch den Bau von Zubringerbahnen. Von ihnen ist besonders die Bahnlinie Erfurt-Sangerhausen erwähnenswert, weil sie später den direkten Anschluss an Magdeburg brachte. 1872 bekam die Magdeburger-Halberstädter Eisenbahngesellschaft die Bauerlaubnis. Die Bauarbeiten verzögerten sich jedoch und hörten Ende der 1870-er Jahre ganz auf. Erst nachdem Preußen diese Eisenbahngesellschaft in Staatlicher Verwaltung übernahm, konnte die Strecke am 24.10. 1881 eröffnet werden.
Während der Wirtschaftskrise und der Revolutionsjahre im 19. Jahrhundert ruhte die Bautätigkeit auf dem Gebiet des Eisenbahnbaues in Deutschland. Niemand war bereit, in dieser Zeit Eisenbahnen zu bauen. Auch das große Unternehmen von Josef Mayer ging Bankrott. Erst als die Bourgeoisie ihre Positionen wirtschaftlich wieder gefestigt hatten, begannen neue Bahnprojekte Boden zu gewinnen.
Jetzt ging es um die Vervollständigung des Eisenbahnnetzes und um Anschlüsse an bereits vorhandene Bahnlinien. Noch immer war die Werra-Bahn nicht gebaut. Zwei Verbindungen, wurden von der Thüringer Eisenbahngesellschaft in Angriff genommen, die den Anschluss an das sächsische Eisenbahnnetz herstellten. 1856 wurde die Strecke Großkorbetha-Leipzig und 1859 die Bahnverbindung Weißenfels-Zeitz-Gera in Betrieb genommen. 
Durch Nebenbahnen suchte man größere Städte an die Hauptbahnen anzuschließen. Arnstadt erhielt 1867 einen Anschluss nach Neudietendorf und damit an die Strecke Halle-Kassel. 1879 wurde diese Strecke von Arnstadt nach Ilmenau verlängert. Es folgte die Strecke Nordhausen-Erfurt. Schon 1870 war die Strecke Gotha-Leinefelde, 1871 Gera-Eichich und 1876 Gotha-Ohrdruf eröffnet worden. Sie erschlossen das Thüringer Hinterland dem Verkehr. Der Bau der Werra-Bahn hatte sich durch Streitigkeiten verzögert und die Verbindung Norddeutschlands mit Bayern durch Thüringen schien aussichtslos. Doch Coburg drängte entschlossen zum Bahnbau, drohte mit einer anderen Verbindung und belebte das Projekt aufs neue. Wieder war es eine Privataktiengesellschaft, die 1855 das Kapital aufbrachte und den Bau begann. Vom Frühjahr 1856 bis Herbst 1858 wurde gebaut. Am 2. November 1858 wurde Streckenabschnitt Eisenach-Coburg und am 24. Januar 1859 der Streckenabschnitt Coburg-Lichtenfels in Betrieb genommen. Bis 1875 übernahm die Thüringer-Eisenbahngesellschaft die Verwaltung der Werra-Bahn. Erst als in Meiningen die Werra-Eisenbahngesellschaft eine eigene Bahnverwaltung errichtete, wurde das Südwestthüringer Eisenbahnnetz durch Nebenbahnen vervollständigt. Nach dem Werra-Bahnbau wurde auch das alte Projekt der Bahnstrecke Weimar-Gera wieder aktuell. Der bereits 1855 geplante Bau wurde nach dem Krieg mit Frankreich 1872 begonnen und 1876 vollendet.
Im Laufe der Jahre hatte die Thüringer Eisenbahngesellschaft die führende Stellung in der Verwaltung der thüringischen Eisenbahn eingenommen. 1881 verwaltete sie rund 500 km Bahnstrecke und beschäftigte 5200 Mann. Die Beamten trugen eine eigene Uniform von blauer Grundfarbe mit dunkelblauem Kragen, silbernen Knöpfen und Abzeichen. Bei festlichen Gelegenheiten wurde ein Degen zur Uniform getragen, aber nur vom Lokführer aufwärts.
Im Zuge der preußischen Machtentfaltung, die sich auch in der Eisenbahnpolitik deutlich abzeichnete und mit der ab 1879 erfolgten Verstaatlichung des gesamten Eisenbahnnetzes, wurden von 1882 bis 1895 auch die thüringischen Eisenbahnen vom Preußischen Staat erworben. Dieser politische Schachzug des Königreiches Preußen gegen das kleinstaatlich zerrissene Thüringen sollte auch zu langen Diskussionen und Streitereien zwischen den Herzogtümern führen. Doch die rechtmäßig abgeschlossenen Verträge ließen zu, dass künftig die Verkehrsentwicklung in Thüringen durch Preußen bestimmt wurde und die Einnahmen der verstaatlichten Bahnen in das preußische Staatssäckel flossen. Preußen muss zugebilligt werden, dass es sich um den weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes verdient gemacht hat. Trotz der Vielstaaterei waren die deutschen Eisenbahnen, verglichen mit anderen Strecken der Welt, hervorragend geplant und von hoher Wirtschaftlichkeit. In nur 50 Jahren war die Eisenbahn in Deutschland der nahezu alleinige Träger des Personen-und Güterverkehrs geworden.
Bisher hatte man von der direkten Überschreitung des Thüringer Waldes abgesehen und die Schwierigkeiten gescheut. Nunmehr erarbeitete die Preußische Staatsbahn ein Projekt für die Eisenbahnverbindung von Erfurt nach Ritschenhausen und begann mit dessen Verwirklichung. Am 20.9.1882 wurde der zweigleisige Streckenabschnitt Suhl-Grimmenthal und am 1. August 1884 der von Plaue bis Suhl eröffnet. Durch die Maximalsteigung von 1:50, ihre hohen Stützmauern bei Gehlberg und dem 3039 m langen Brandleitetunnel, gelegen im schönsten Teil des Thüringer Waldes, dürfte diese Strecke wohl mit zu den technisch, aber auch landschaftlich interessantesten Teilen des deutschen Eisenbahnnetzes gehören. Die Staatsbahn baute weiter und stellte weitere Verbindungen zu den Hauptbahnen her. Unter anderem 1892 Gräfenroda-Ohrdruf und Georgenthal-Tambach-Dietharz, 1894/95 Saalfeld-Arnstadt. Auch in unserer Region wurden die Nebenstrecken Themar- Schleusingen 1888, Schleusingen-Ilmenau 1904 und Suhl-Schleusingen 1911 eröffnet. Für die Nebenbahnen musste oft ein harter Kampf mit den Behörden geführt werden, um die Wünsche der Industrie und der Bevölkerung durchzusetzen. Ursprüngliche Pläne für Nebenbahnstrecken wurde meist nicht berücksichtigt, sondern immer die kürzeste Strecke bzw. billigste Variante gebaut. Aber, schon 1910 hatte Deutschland ein Streckennetz von 28 000 km Länge und damit England, das Mutterland der Dampfeisenbahn überflügelt, das zu dieser Zeit nur 24 000 km Eisenbahnlinien besaß.
Kurz vor dem ersten Weltkrieg konnte das deutsche Eisenbahnnetz als ausreichend angesehen werden und deckte den Transportbedarf der einheimischen Industrie wie auch den des Handels. Die Vermittlerrolle Thüringens als Durchgangsland blieb bewahrt. Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung spielte sie sich nicht mehr auf dem unzureichenden Straßen der Voreisenbahnzeit ab, sondern mit der Eisenbahn stand nun ein technisch gut aufgestelltes Transportmittel von West nach Ost und von Nord nach Süd zur Verfügung.

Am 17.September 1825 führte Georg Stephenson einen dampfgetriebenen Zug namens Locomotion auf der soeben fertiggestellten Stockton-Darlington-Linie in England, die erste durch Maschinenkraft betriebene öffentliche Eisenbahn. Diese erste Fahrt bildete den Anfang einer Revolution, die für immer die Weltgeschichte veränderte. Für das weitere 19. sowie 20. Jahrhundert war die Eisenbahn das wichtigste Transportmittel der industriellen Revolution. In der Mitte des 20. Jahrhunderts gingen die Eisenbahnen von der Dampfkraft zur Elektrizität, dann zum Dieselantrieb über und schließlich wieder zurück zur elektrischen Kraft, um sich erfolgreich gegen Flugzeuge und Automobile wehren zu können. In jüngster Zeit ist mit der Entwicklung elektrischer Hochgeschwindigkeitszüge ein weiterer Versuch unternommen worden, den Schienenverkehr am Leben zu erhalten. Die Eisenbahn wird sicher nicht sterben; aber die Tage ihres Transport-Monopols sind lange vorüber.

Quelle:. Thüringer Heimat Heft 1/59 W. Nöckel

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Odoaker - Rom-Bezwinger und Sohn des ersten Thüringer Königs


Odoaker als König von Italien und Thüringen
Erinnern sie sich noch an den Finsterling Odoaker? Jener primitive Germanenhäuptling, der im Hollywoodfilm „ Die letzte Legion“ den weströmischen Kinderkaiser stürzte und damit dem größten und langlebigsten Reich der Antike den Todesstoß versetzte? Dabei war Odoaker nicht nur ein cleverer Heerführer, sondern auch ein genialer Staatsmann. 17 Jahre scheint er ein Reich von Italien bis Mitteldeutschland regiert zu haben. Und, was die wenigsten wissen: Er war Thüringer! Der Vernichter des Imperium Romanum ein Mann aus dem Erfurter Becken? Leider wird das alles nicht von der etablierten Wissenschaft anerkannt. Doch lassen wir die Fakten sprechen:
Es gibt nur ein Bild von ihm als späterer König von Italien auf einer Münze aus Ravenna. Der heute touristisch kaum bekannte Ort an der Adria glänzt vor allem durch den typischen spätrömischen Backsteinstil. Er war Jahrhunderte lang die Hauptstadt nicht nur des weströmischen Reiches, sondern auch dessen Nachfolgerstaaten.
spätrömisches Ravenna
Hauptgrund soll die vermeintliche Sicherheit der völlig mit Wassern umschlossenen Lagunenstadt gewesen sein. Hier regierte Odoaker von 476 bis 491 ein buntes Völkergemisch, das gerade durch jahrzehntelange Kriege und Aufstände gegangen war. Der fremde Germanenfürst arrangierte sich nicht nur mit der römischen Oberschicht, er versorgte auch seine thüringische, skirische und herulische Kiegerschar mit Land, und besänftigte den mächtigen Kaiser im oströmischen Konstantinopel. So übernahm er römisches Recht, Verwaltung und Kultur. Eine Blütezeit für das krisengeschüttelte Land. Passt das ins Bild eines dumpen Wüterichs?
Odoaker war der Sohn einer Skirin und des Thüringer Fürsten Edekon. Von ihm ist keine Abbildung bekannt. Trotzdem sehen nicht wenige Historiker in ihm den ersten namentlich bekannten Thüringer König.
Hunnenkönig Attila
Er war ein Vertrauter des Hunnenkönigs Attilla, dessen zentralasiatisches Reitervolk ja bekanntermaßen ab 375 ganz Europa aufgemischt und verschiedene Germanenstämme unterworfen bzw. in die Flucht geschlagen hatte. An der Theiß im Karpatenbecken hatten sie sich festgesetzt. Wahrscheinlich war um 400 auch die Thüringer Ethnie als Unterstamm der Goten von den Karpaten ins Thüringer Becken gedrängt worden. Um 407 jedenfalls verschwindet das karpatische Volk der sog. Terwingen aus dem Blickwinkel der Schreiberlinge im oströmischen Konstantinopel, und gleichzeitig taucht bei Historikern in Rom der Name der Thüringer in Mitteldeutschland auf. Angeblich damals ein altes Volk! Odoaker wuchs gemeinsam mit seinem Bruder Hunulf am Hunnischen Königshof im heutigen Ungarn auf. Typisch: Unterworfene Könige mussten damals immer ihre Kinder als Geiseln an den Sieger abtreten, wohlbehütet selbstverständlich. Diese Tatsache sowie die archäologische und geografische Situation führten zu der eben genannten These, dass Thüringer und Terwingen identisch waren und ihr Reich damals vom Rhein bis in die Karpaten gereicht haben muss. Die Hunnen scheinen dabei nur den östlichen Teil kontrolliert zu haben.
Terwingen als Vertriebene der Hunnen

Wie dem auch sei: Odoaker und Hunulf haben so sicher auch am hunnischen Gallienfeldzug im Jahre 451 gegen das römische Reich teilgenommen, denn die Thüringer wurden als Verbündete der Hunnen gegen Rom aufgezählt. Auch bei der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern und bei der Invasion Norditaliens ein Jahr später könnten sie dabei gewesen sein.
Nach dem mysteriösen Tod Attilas 453 erkämpfte sich der Thüringer Edekon jedenfalls die Vorherrschaft im Hunnenreich gegen dessen führungsschwache Söhne.
Die Hunnen in Europa
Es musste es zwar mit den ostgotischen Gepiden teilen, aber die Fläche erstreckte sich immer noch über große Teile Osteuropas. So etwas lässt sich nur als König regieren, was aber nirgendwo geschrieben steht. Dieses Reich - das man ja als Thüringisch bezeichnen kann - ging allerdings 15 Jahre später in einer Schlacht gegen die Ostgoten wieder verloren. Edekon fiel 469 in diesem Kampf, die übriggebliebenen Krieger verdingten sich als römische Söldner. In weiser Voraussicht ging Odoaker ins weströmische Ravenna und sein Bruder Hunulf ins oströmische Konstantinopel. Dort schaffte es dieser bis zum Heerführer.
Thüringer als Verbündete der Hunnen

Odoaker hingegen kam als Offizier der Leibwache des weströmischen Kaisers in das Machtgerangel und das Chaos des untergehenden Römischen Reiches. Dort hatte Orestes - früher ebenfalls ein Vertrauter Attilas - den letzten offiziellen Kaiser Westroms ab- und seinen minderjährigen Sohn Romolus eingesetzt. Es gab kein reguläres römisches Heer mehr, das Reich war den germanischen Hilfstruppen vollkommen ausgeliefert. Da konnte es schon mal vorkommen, dass diese mehr Sold forderten. Sie meuterten 476, wählten Odoaker zu ihrem Anführer und töteten Orestes, als letzten römischen Heermeister. Kinderkaiser Romolus wurde hingegen als fürstliche Geisel verschont und scheint, wie im eingangs genannten Film, noch lange gelebt zu haben.
Odoaker ließ sich als König von Italien in Ravenna krönen und machte Bruder Hunulf zu seiner rechten Hand. Er schaffte Ordnung im Land und sorgte als Arianer für ein gutes Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche.
Thüringen und Italien unter Odoaker
Die hohe Kultur der Spätantike wurde also nahtlos fortgesetzt. Zwar unterwarf er sich formell dem oströmischen Kaiser in Konstantinopel, expandierte aber gegen dessen Interessen in andere germanische Gebiete: Er pachtete Sizilien von den Vandalen, eroberte Dalmatien und Noricum. Odoaker wird gleichzeitig - und historisch erstmals - als König von Thüringen genannt und hat so sicher auch wieder eine gemeinsame Grenze mit dem uns bekannten Thüringer Reich in Mitteldeutschland erzwungen. Die soll an der Donau bei Regensburg gewesen sein.
Doch in Konstantinopel zog man bereits die Fäden: 489 griff der Ostgotische König Theoderich Italien an.
Theoderich der Große als Sieger der Geschichte
Er konnte bereits die ersten Gemetzel für sich entscheiden und belagerte ab 491 Ravenna. Ausbruchsversuche misslangen, Hunger drohte und 493 schloss Odoaker einen Friedensvertag mit Theoderich. Nach dessen Einmarsch in Ravenna lud er seinen Widersacher zu einem Versöhnungsmahl ein. Dort hat er Odoaker eigenhändig ermordet. Ein üblicher Vorgang damals! Theoderich - später der Große - übernahm aber die gemäßigte Politik seines Vorgängers. Er ließ zahlreiche Gebäude in Ravenna bauen und sorgte für friedliche Beziehungen zu seinen Nachbarn. Auch zum verbliebenen Rest des Thüringer Reiches im Norden. Erst jetzt, wo Odoaker tot war, taucht in den schriftlichen Quellen der Gallorömer die Thüringische Königsdynastie in Mitteldeutschland auf, beginnend mit Bisinius. Alleine schon diese Tatsache spricht für ein davor existierendes Großreich der Thüringer, erst unter Vater Edekon und später unter Odoaker, der - nach einer Pause unter Attila - noch Italien dazu brachte. Es muss der größte Staat der Spätantike gewesen sein, größer als Ostrom. Leider nicht so stabil. Der Analphabet Odoaker aber hat das nirgendwo aufschreiben lassen und so musste es in Vergessenheit geraten.
Thüringer Könige als Verbündete 
Theoderichs


Thoderich in Ravenna war schlauer. Bei ihm wurde alles notiert. Auch dass er seine Nichte Amalaberga mit dem Thüringer König Herminafried verheiratete, dem Sohn des Bisinius. 33 Jahre regierte er Italien und ließ sich sein erstaunlich modern anmutendes Grabmal in Ravenna errichten. Er gehörte zu den Siegern der Geschichte.
Dem Verlierer Odoaker aber blieb die historische Anerkennung versagt, auch wenn es eine Erinnerungstafel in der Gedenkstätte Walhalla gibt. Bei Altgeschichtlern zählen nur Urkunden, auch wenn man sich hier den Rest leicht zusammenreimen kann. Ihre Skepsis wird mit Rechtschreibung begründet: Thüringen ist eben nicht Toringia oder Therwingen und wer weiß, welch mysteriöses Volk sich da noch alles verbergen kann. Und für Thüringer Größenwahn taugt der spätantike König auch nicht. Denn schon damals ging es nur um das Gerangel einer zahlenmäßig kleinen Oberschicht, die die Massen korrumpierte. Wie heute…