Mittwoch, 18. Dezember 2019

Limes forever?

Ostdeutschland - der ewige Sonderfall?
Eine Glosse auf die historischen Wurzeln der Ossis

Dunkeldeutschland hört man aus den Medien, der ewige Ossi, faul, große Fresse, fremdenfeindlich. Nun mag man wohnen, wo man hingeboren wurde, politisch stehen, wo man will, anders erscheint er schon, der Bürger aus der ehemaligen DDR. Das zeigt auch gutgläubigen Gemütern: jeder trägt nicht nur seine Gene mit sich herum, sondern auch seine geografische und geschichtliche Herkunft.
Schaut man sich die Historie Deutschlands an, so scheint es sie schon immer gegeben zu haben, die Grenze zwischen West- und Ostdeutschland, Hell und Dunkel, zwischen technologischem Fortschritt und Hinterwäldlertum, zwischen Einsicht und Aufmüpfigkeit. Diffus zwar, im Laufe der Jahrtausende mehrfach verschoben, aber immer fassbar! So kann man nicht nur den Eisernen Vorhang zwischen Imperialismus und Kommunismus an dieser Scheidelinie festmachen, sondern auch zwischen Industrialisierung und Agrarwirtschaft, Königtum und rebellierenden Provinzen, Katholizismus und Reformismus, Römer und Barbaren, Kelten und Germanen, ja noch früher Glockenbecher- und Schnurkeramiker oder Megalith- und Bandkeramischer Kultur. Seit der ersten Besiedlung scheinen sich an Rhein und Main die Geister zu scheiden. Selbst das Wetter spielte mit.
Besonders der römische Limes muss diese Grenze 500 Jahre lang verfestigt haben. Über seine Wirkung bis heute scheint alles geschrieben worden sein, aber nicht was er in den Köpfen der Menschen angerichtet hat. Sein Verlauf ist bekannt. Von Rotterdam zog er den Rhein hinauf, bei Rheinbrohl den Fluss überschreitend, in der fruchtbaren Wetterau weit nach Osten ausschlagend, schnurstracks runter zum Main, wieder ein Stück flussaufwärts, dann linealmäßig runter nach Lorch bei Heidenheim und dann gerade durch nach Regensburg. Von dort übernahm fast durchgängig die Donau die Abgrenzung bis ans Schwarze Meer. Seine Perfektion und Geradlinigkeit können einen heute noch ganz wirre machen.
Der Limes: Nachwirkungen bis in unsere Zeit

Nun ist der Limes nicht die Zonengrenze, werden sie sagen, aber die römischen Legionen operierten ja weit über ihre Reichsgrenze hinaus. Im fränkischen Marktbreit und im hessischen Hedemünden standen ihre östlichsten Garnisonen. Feldlager bei Gotha und in der Goldenen Aue sowie die Schlacht am Harzhorn markieren dann fast schon die ehemalige innerdeutsche Grenze. Und ein bisschen Spielraum dürfen wir den kommenden 1500 Jahren ja auch noch zugestehen! Die heutigen Franken - auch jenseits des Limes - sind jedenfalls bei den Bayern auch nicht besonders angesehen.
Nachdem Cäsar die Gallier gegen 40 v. Chr. geschlagen hatte, bauten die Römer ihre Provinzen in ganz Westeuropa zielstrebig aus. Sie setzten ihre Garnisonen in unmittelbare Nachbarschaft der besiegten Stämme. Die konnten so gut in Schach gehalten werden, man hatte billige Sklaven und außerdem fanden sich an diesen Orten ja sämtliche auszubeutenden Ressourcen, vor allem in Landwirtschaft, Bergbau und Metallverarbeitung. Sie erinnern sich? Die Treuhand lässt grüßen! Schon damals gab es militärische Koalitionen, mit denen die Römer ihr Einflussgebiet bis zu den Barbaren im Osten ausdehnen konnten. Rhein und Donau waren vor den Landratten im Osten ziemlich sicher. Um aber die fruchtbaren Rheinebenen zu sichern, entstand dieser furchteinflößende Limes in den Mittelgebirgen von Taunus, Spessart, Odenwald, Schwarzwald, Schwäbische- und Fränkische Alp. Erst so konnte sich dieses flächendeckende landwirtschaftliche System um die sogenannten Villa Rustika entwickeln.
Ihre Erfolge machte die Neuen Herren aus dem Süden arrogant:
Die Römer wirkten bis tief in das spätere Franken hinein. In 
Ostdeutschland hatten sie nichts zu vermelden.
Ihr Hoheitszeichen SPQR - Senat und Volk von Rom - war Symbol ihrer Macht und ihres Sendungsbewusstseins. Innerhalb der bestehenden militärischen Ordnung konnte sich so etwas wie Demokratie und Freie Marktwirtschaft entfalten, auch wenn das damals noch nicht so hieß. Der neue Reichtum ließ die unterdrückten Kelten schnell die verlorenen Schlachten vergessen. Sie siedelten nahe der Macht neben den Kastellen als Dienstleister. Bademeister, Nutten und Wasserträger wurden zu allen Zeiten gebraucht. Wen stört es schon, dass da vieles nur Fassade war. Immerhin konnten so Deutschlands erste Städte entstehen, wie Trier, Köln, Worms und Speyer.
Natürlich schauten die Germanen im Osten voller Neid in den reichen Westen. Durch Handel und Raubzüge versuchten sie etwas vom Kuchen abzubekommen. Manches Westpaket muss damals den Limes passiert haben. Neueste Erkenntnisse von Historikern: Der Limes wurde nur gebaut, um die Warenströme von Ost nach West und umgekehrt zu kontrollieren. Solche Thesen können nur von Leuten kommen, die keinen Wehrdienst geleistet und geostrategisches Denken gelernt haben. Wer betreibt solchen Aufwand um ein paar Karren aufzuhalten? Da hätten einige Schlagbäume an den Wegen ausgereicht. Wohlstand überzeugt nämlich immer - auch die DDR musste letztlich Intershop und Valuta-Mark einführen. Wie stark der Wunsch nach Südfrüchten und schnellen Karren unter Fellträgern werden kann, wissen wir. Entsprechend groß der Druck auf den Limes.
Der ewige Ossi?

Knapp 300 Jahre hielt er stand. Schließlich hatte man Erfahrung. So grenzten sich die Römer überall gegen ihre Neider ab. Ein Kastell am Rhein sah genau so aus, wie sein Pedant in Syrien. Ein beeindruckendes Bollwerk, auch wenn das Leben in den Türmen sicherlich kein Zuckerschlecken war. Man stelle sich vor: 10 Mann auf engsten Raum. Das Geschnarche! Selbst wenn der Limes im Vergleich zur Chinesischen Mauer nur als improvisierter Lattenzaun durchgeht, Aufwand und Nutzen scheinen genau kalkuliert worden zu sein. Doch schaut euch diese Rekonstruktionen an: Palisaden - nicht mehr als mannshoch, Gräben - nur knietief, sehr fragile Erdaufschüttungen. Jedes Kind hätte solche Verteidigungsanlagen überwinden können. Ich glaube, hier wurde einfach nur beim Nachbau gespart. Da hat sich ja die arme DDR mit ihrer Mauer mehr Mühe gegeben.
Die Germanen rückten den Römern nämlich so sehr auf die Pelle, dass sie sich gegen 260 hinter den Rhein zurück ziehen mussten. Der Limesfall wurde zum Synonym für das Schicksal aller befestigten Grenzen schlechthin. Und was hat die Menschheit daraus gelernt? Die sofort nachrückenden Alemannen wussten mit den Errungenschaften vom Mittelmeer kaum etwas anzufangen, wie Wasserleitungen, Steinbauten, Beton und natürlich Schrift. Was er nicht kennt, zerstört der Mensch. So ist von der meisten römischen Infrastruktur kaum etwas übrig geblieben. Die Hungerleiter aus dem Osten konnten dafür aber umso brutaler auf andere drein hauen.
500 Jahre segensreiche Unterdrückung?

Das war einer der Hauptgründe, warum die Römer mehr und mehr Ossis ins Reich holten. Dem auf ständigen Wachstum und Expansion getrimmten Imperium fehlten damals zunehmend Arbeitskräfte und Soldaten. Die Gallier waren ja inzwischen vollkommen romanisiert und wollten die Drecksarbeit auch nicht mehr machen. Also siedelte man innerhalb des Reiches ganze germanische Volkstämme an, mit Kind und Kegel, aber auch mit Heerführern und Kriegern. Eine tolerante Willkommenskultur, die anfangs funktionierte. Sie nannten sie Föderaten, Verbündete und übertrugen ihnen nach und nach immer mehr Verantwortung. Z. B. auch die Grenzsicherung. Wen wundert es, dass sie die erste Gelegenheit nutzten, um sich die Macht unter den Nagel zu reißen. Erst kam es zum sogenannten Rheinübergang 406, wo mehrere germanische Stämme nicht nur plündernd durch Westeuropa, sondern bis Spanien und Afrika zogen. 476 letztlich kamen keinen Befehle mehr aus Italien. Der Weströmische Kaiserhof war an den Auseinandersetzungen mit seinen germanischen Heerführern zerbrochen. Offizieller Todengräber war Odaoaker, ein Thüringer. Jeder nahm sich nun in den nördlichen Provinzen, was er konnte. Die ehemals verbündeten Franken, unter der Königsdynastie der Merowinger eroberten nach und nach alle Westgebiete und wanden sich dann Richtung Osten:
Ostdeutschland in der genetischen und
 prähistorischen Teilung Europas
Erst besiegten sie die Alemannen, dann Thüringer, letztlich auch Sachsen. Es kam zum völligen Austausch der Eliten, auch wenn die Schreiberlinge und Speichellecker blieben. Was sich damals abgespielt hat, kann durchaus mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1500 Jahre später verglichen werden. Allerdings bedeutete der Zusammenbruch damals Tausend Jahre technischen und kulturellen Rückschritt. Wer weiß denn schon, wie Handy und Co später für das Zusammenleben der Menschen bewertet werden.Das Einzige, was die fränkischen Analphabeten sofort lernten: Zur Unterdrückung braucht es eine Ideologie, damals christliche Religion genannt. Was im Westen sich schon unter den Römern etabliert hatte, gelang kaum im Osten. Ständig mussten sich die Königstreuen im Fränkischen Reich mit den aufständischen Sachsen und Thüringern herum schlagen. Der Ossi wollte sich einfach nicht den geltenden Regeln unterordnen. Mindestens 700 Jahre brauchte die Christianisierung, um auch an Elbe und Saale angenommen zu werden. Doch kaum war dort die letzte Kirchenglocke aufgehängt, meuterten schon 517 im Osten die lutherischen Reformisten. Dieser Kampf hielt die Geschicke Deutschlands Jahrhunderte lang im Bann. Die Landkarte der verschiedenen Konfessionen lässt die alte Grenze des Limes gut erkennen. Und das trotz der machtpolitischen Spielchen der Territorialfürsten. Leidtragende wie bei allen vorherigen und folgenden Kriegen: immer der Knecht.
Die Reformation als Rückfall 
in alte Zeiten??
Als die siegreichen Alliierten 1945 in Potsdam die West- und die Ostzonen festzurrten, hatten sie bestimmt nicht den Limes im Hinterkopf. Aber Geographie und Geschichte spielte den Strategen in die Hände. Zu gerne scheinen die Menschen im Osten den viel zitierten östlichen Schlendrian übernommen zu haben. Allerdings stießen sie ihn bei erster Gelegenheit auch schnell wieder ab. Bald leben wir länger in der wiedervereinigten Bundesrepublik, als im geteilten Deutschland. Trotzdem müssen die Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern immer noch thematisiert werden. Das lässt grübeln.
Z. B. warum Geschichte sich immer wiederholt, zumindest was die Mechanismen betrifft. Warum keine Grenze ewig hält, egal ob gegen Flucht oder Angriff konzipiert. Warum jedes System kollabiert, das gravierende Niveaugefälle zwischen arm und reich zulässt, egal wie perfekt die Propaganda funktioniert. Und warum zur Zielscheibe wird, wer sich zu Verantwortung überreden lässt und die freiheitlich demokratische Grundordnung mit Sendungsbewusstsein in die Welt tragen will.
Böse Zungen behaupten, die Bundesrepublik zeige Symptome wie das untergehende Römische Reich. Doch unabhängig von Gesinnung und Wohnort wissen wir wenigstens, was wir zu erwarten haben.